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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
B 50/02
Urteil vom 1. Dezember 2003
I. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichter Borella; Bundesrichterin Widmer; Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Widmer
Parteien
A.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Armin Neiger, Genferstrasse 23, 8002 Zürich,
gegen
Migros-Pensionskasse, Bachmattstrasse 59, 8048 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 6. Mai 2002)
Sachverhalt:
A.
Der 1966 geborene A.________ war seit Mai 1992 als Support-Spezialist bei der Bank Z.________ tätig und bei der Migros-Pensionskasse (nachfolgend: Pensionskasse) für die obligatorische und die weitergehende berufliche Vorsorge versichert. Auf den 28. Februar 1997 wurde A.________, der sich am 3. Oktober 1996 unter Hinweis auf Gesichts- und Kopfschmerzen sowie Augenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hatte, von der Arbeitgeberfirma infolge häufiger krankheitsbedingter Absenzen entlassen. In der Folge ersuchte er die Vorsorgeeinrichtung um die Ausrichtung von Invalidenleistungen. Nachdem die Pensionskasse die Akten der Invalidenversicherung beigezogen und ihrem Vertrauensarzt unterbreitet hatte, trat sie mit Schreiben vom 23. Juli 1998 vom überobligatorischen Vorsorgevertrag zurück, weil A.________ bei der Aufnahme in die Vorsorgeeinrichtung am 21. Mai 1992 die Gesundheitserklärung nicht vollständig und wahrheitsgetreu ausgefüllt habe. Infolge dieser Falschdeklaration könne er lediglich Invalidenleistungen aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge beanspruchen. Gemäss Schreiben vom 26. Januar 2000 richtete die Pensionskasse dem Versicherten ab 1. September 1998 eine volle Invalidenrente aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge und ab 1. November 1999 eine entsprechende Kinderrente aus.
Mit Verfügung vom 13. Mai 1998 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich A.________ rückwirkend ab 1. Juni 1997 bei einem Invaliditätsgrad von 76 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu.
B.
Am 5. Oktober 2000 liess A.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage einreichen mit den Anträgen, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 14. August 1998 zusätzlich zur Invalidenrente aus der obligatorischen Vorsorge eine solche aus der weitergehenden Vorsorge sowie ab 1. November 1999 eine entsprechende Kinderrente zu bezahlen, wobei die monatliche Rentendifferenz ab 28. September 1998 bzw. ab jeweiliger Fälligkeit mit 5 % zu verzinsen sei. Mit Entscheid vom 6. Mai 2002 hiess das Sozialversicherungsgericht die Klage insoweit teilweise gut, als es die Pensionskasse verpflichtete, die Invalidenrente aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge für den Monat August 1998 nachzuzahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab mit der Begründung, dass die Pensionskasse befugt gewesen sei, wegen der Anzeigepflichtverletzung vom überobligatorischen Vorsorgevertrag zurückzutreten.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ den vorinstanzlich gestellten Hauptantrag erneuern. Ferner stellt er das Begehren, die Pensionskasse habe die jeweils fälligen Rentenbetreffnisse ab 1. August 1998 mit 5 % zu verzinsen.
Während die Pensionskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt sich das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen.
D.
Am 1. Dezember 2003 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durch.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
1.2 Im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen hat das Sozialversicherungsgericht auf den festgestellten Sachverhalt jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden ansieht, und ihm auch die Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist. Es hat sich nicht darauf zu beschränken, den Streitgegenstand bloss im Hinblick auf die von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen zu überprüfen (BGE 122 V 36 Erw. 2b) und kann eine Beschwerde gutheissen oder abweisen aus anderen Gründen als von der Beschwerde führenden Partei vorgetragen oder von der Vorinstanz erwogen (Art. 114 Abs. 1 am Ende in Verbindung mit Art. 132 OG; BGE 122 V 36 Erw. 2b, 119 V 28 Erw. 1b mit Hinweis, 442 Erw. 1a).
2.
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 119 V 286 Erw. 4) zutreffend dargelegt, dass sich die Verletzung der Anzeigepflicht und deren Folgen im Bereich der weitergehenden beruflichen Vorsorge nach den statutarischen und den reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung, bei Fehlen entsprechender Normen analogieweise nach Art. 4 ff. VVG beurteilen. Ebenso hat sie richtig festgehalten, dass die Vorsorgeeinrichtung bei Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherten rechtsprechungsgemäss berechtigt ist, in analoger Anwendung von Art. 4 ff. VVG innert vier Wochen nach Kenntnisnahme vom Vorsorgevertrag im überobligatorischen Bereich zurückzutreten, soweit Statuten und Reglemente nichts anderes bestimmen (BGE 119 V 286 Erw. 4).
Das vorliegend massgebliche Reglement der Pensionskasse (in der Fassung vom 1. Januar 1990) enthält keine Bestimmung zur Frist, innert welcher ein Rücktritt vom Vorsorgevertrag infolge einer Anzeigepflichtverletzung zu erklären ist, weshalb analogieweise Art. 6 VVG anwendbar ist.
3.
Gemäss Art. 6 VVG ist der Versicherer nicht an den Vertrag gebunden, wenn der Anzeigepflichtige beim Abschluss der Versicherung eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen hat, und der Versicherer binnen vier Wochen, nachdem er von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat, vom Vertrage zurücktritt. Nach der Rechtsprechung beginnt die vierwöchige Frist ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab welchem der Versicherer vollständig über die Anzeigepflichtverletzung orientiert ist, d.h. darüber sichere, zweifelsfreie Kenntnis erlangt hat (BGE 118 II 340 Erw. 3a). Dieses Wissen kann er auch erlangen, wenn er zuverlässige Kunde von Tatsachen erhält, aus denen sich der sichere Schluss auf eine Verletzung der Anzeigepflicht ziehen lässt (BGE 119 V 287 Erw. 5a). Eine juristische Person verfügt über rechtlich relevante Kenntnis eines Sachverhalts, wenn das betreffende Wissen innerhalb ihrer Organisation abrufbar ist (BGE 109 II 342 f. Erw. 2b; Urteil des Bundesgerichts in Sachen S. vom 21. August 2001, 5C.104/2001).
3.1 Die Pensionskasse hat am 5. Juni 1998 von der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA) die vollständigen Akten zur Einsicht verlangt mit der Bitte, ihr diese zuhanden des Vertrauensarztes Dr. B.________ zuzustellen. Am 12. Juni 1998 ist die SVA diesem Ersuchen nachgekommen. Die Akten tragen den Eingangsstempel der Pensionskasse vom 16. Juni 1998. Am 27. Juni 1998 verfasste Dr. B.________ eine Stellungnahme, indem er die ihm unterbreiteten Fragen beantwortete, und am 1. Juli 1998 traf seine Beurteilung gemäss Eingangsstempel bei der Pensionskasse ein. Am 8. Juli 1998 sandte diese die Akten im Auftrag des Vertrauensarztes an die SVA zurück. Mit Schreiben vom 23. Juli 1998 trat die Pensionskasse alsdann vom überobligatorischen Vorsorgevertrag zurück.
3.2 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz begann die Verwirkungsfrist von vier Wochen gemäss Art. 6 VVG im vorliegenden Fall nicht erst am 1. Juli 1998, dem Datum des Eingangs der vertrauensärztlichen Stellungnahme bei der Pensionskasse, zu laufen. Zunächst ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin mit Eingang der Akten der Invalidenversicherung am 16. Juni 1998 Kenntnis vom Sachverhalt hatte, da dieser zu jenem Zeitpunkt innerhalb der in die Form einer Stiftung gekleideten Migros-Pensionskasse im Sinne der zitierten Rechtsprechung abrufbar war. Im Übrigen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im Zusammenhang mit der Wahrung der Frist des Art. 6 VVG entschieden, dass eine Vorsorgeeinrichtung, welche die administrativen Arbeiten, insbesondere auch die Abklärung ihrer Leistungspflicht, einem Rückversicherer überträgt, sich dessen Wissen anrechnen lassen muss (Urteil S. vom 20. September 2000, B 51/99). Gleiches hat auch im Verhältnis zwischen Vorsorgeeinrichtung und Vertrauensarzt zu gelten. Zwar obliegt die Beantwortung der Frage, ob eine Anzeigepflichtverletzung vorliegt, der Vorsorgeeinrichtung; erfolgt diese Beurteilung jedoch, wie hier, in enger Zusammenarbeit mit dem Vertrauensarzt, hat die Pensionskasse sich dessen Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich der sichere Schluss auf eine Verletzung der Anzeigepflicht ziehen lässt (BGE 119 V 287 Erw. 5a mit Hinweisen), anrechnen zu lassen. Würde für den Beginn des Fristenlaufs ungeachtet der Zeit, während der sich die Akten der Invalidenversicherung beim Vertrauensarzt befanden, auf den Eingang der vertrauensärztlichen Stellungnahme bei der Pensionskasse abgestellt, hätte es diese in der Hand, den Beginn der Verwirkungsfrist nach Gutdünken festzulegen. Die Frist von vier Wochen reicht aus, um zu entscheiden, ob vom Vorsorgevertrag im überobligatorischen Bereich zurückzutreten ist. Da der Rücktritt vom Vertrag für den Versicherten eine einschneidende Massnahme darstellt, hat die Vorsorgeeinrichtung hinsichtlich der Wahrung der Frist besondere Sorgfalt anzuwenden.
3.3 Aus den vorstehenden Darlegungen folgt, dass die vierwöchige Frist gemäss Art. 6 VVG am 17. Juni 1998, dem Tag nach Eingang der Akten der Invalidenversicherung bei der Pensionskasse, zu laufen begann. Aus diesen Akten gingen die Tatsachen, die den sicheren Schluss auf eine Anzeigepflichtverletzung zuliessen, deutlich hervor: So hatte der Versicherte in der Anmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung vom 3. Oktober 1996 angegeben, seit 1991 an massiven Gesichts- und Kopfschmerzen sowie Augenbeschwerden zu leiden. Weiter finden sich im Dossier der Invalidenversicherung u. a. ein Bericht des Psychiaters PD Dr. med. C.________, vom 14. Januar 1997, aus welchem klar ersichtlich ist, dass der Gesundheitsschaden bereits seit 1991 besteht, und ein Bericht des Neurologen Prof. D.________, vom 19. Juli 1995 mit einer ausführlichen Anamnese, die den Beginn des Leidens im Jahre 1991 schildert und die Entwicklung des Gesundheitszustandes darstellt.
Der Umstand, dass der Vertrauensarzt seine schriftliche Stellungnahme zuhanden der Vorsorgeeinrichtung erst am 27. Juni 1998 abgab und diese am 1. Juli 1998 hievon Kenntnis erhielt, ist nach dem Gesagten nicht entscheidend. Die Rücktrittserklärung der Pensionskasse vom 23. Juli 1998 erfolgte somit nach Ablauf der vierwöchigen Verwirkungsfrist, weshalb die Frage, ob der Beschwerdeführer die Anzeigepflicht verletzt hat, offen bleiben kann. Der Beschwerdeführer hat demzufolge mit Wirkung ab 1. August 1998 zusätzlich zu den Invalidenleistungen aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge Anspruch auf Leistungen aus der weitergehenden Vorsorge.
4.
Nach der Rechtsprechung haben die Vorsorgeeinrichtungen auf den Invalidenrenten ab jenem Zeitpunkt Verzugszins zu bezahlen, da der Gläubiger die Betreibung angehoben oder gerichtliche Klage eingereicht hat (Art. 105 OR), und der Verzugszins beträgt 5 %, sofern das Stiftungsreglement, wie vorliegend, nicht eine andere Regelung kennt (BGE 119 V 135 Erw. 4c).
Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers kann die Anrufung des gemäss Vorsorgereglement vorgesehenen Schiedsgerichts am 28. September 1998 nicht der Einreichung einer gerichtlichen Klage gleichgestellt werden. Durch die Klage vom 5. Oktober 2000 werden sodann nur jene Verzugszinsforderungen im Sinne von Art. 105 Abs. 1 OR erfasst, die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des vorliegenden Urteils fällig geworden sind (SZS 1997 S. 470 Erw. 4).
5.
Für das letztinstanzliche Verfahren werden aufgrund von Art. 134 OG keine Gerichtskosten erhoben. Gemäss dem Prozessausgang hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Diese ist entsprechend dem Normalansatz auf Fr. 2'500.-- festzusetzen. Für eine Erhöhung der Entschädigung besteht ungeachtet des Aufwandes für die Ausarbeitung der Beschwerdeschrift schon deshalb kein Anlass, weil die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus anderen als den vom Versicherten vorgebrachten Gründen gutgeheissen wird.
Für das kantonale Verfahren hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer ausgangsgemäss lediglich eine erheblich reduzierte Parteientschädigung von Fr. 200.-- zugesprochen. Weil auf dem Gebiete der beruflichen Vorsorge kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren besteht (vgl. Art. 73 BVG), kann die Vorinstanz nicht verhalten werden, eine solche entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses festzulegen. Dem vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht weitestgehend obsiegenden Beschwerdeführer ist es aber unbenommen, beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Mai 2002 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. August 1998 Anspruch auf Invalidenleistungen aus der weitergehenden beruflichen Vorsorge sowie ab 1. November 1999 auf eine entsprechende Invaliden-Kinderrente, zuzüglich Zins zu 5 % auf den ab 5. Oktober 2000 bis zur Eröffnung des vorliegenden Urteils fällig gewordenen Rentenbetreffnissen, hat.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Migros-Pensionskasse hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 1. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: