Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.629/2003 /sta
Urteil vom 28. Januar 2004
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steiner.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
gegen
Y.________ GmbH, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Dieter Egloff,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
Gegenstand
Strafverfahren (Beweiswürdigung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer,
vom 28. August 2003.
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2002 sprach das Bezirksgericht Baden X.________ des Diebstahls sowie des mehrfachen Betruges schuldig und verurteilte ihn - unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft - zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten und zu einer bedingten Landesverweisung von drei Jahren. X.________ wurde verpflichtet, der Zivilklägerin Y.________ GmbH den Betrag von Fr. 265'556.-- nebst Zins zu bezahlen. Ferner ordnete das Bezirksgericht an, dass der beschlagnahmte Betrag von DM 337'000.-- der Y.________ GmbH unter Anrechnung auf die zugesprochene Zivilforderung zurückzugeben sei und dass die beschlagnahmten Fr. 22'000.-- zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet und im Übrigen zurückerstattet würden. Die weiteren Punkte des Urteils brauchen hier nicht erwähnt zu werden.
Dem Schuldspruch liegen zwei Sachverhalte zugrunde: X.________ habe am 12. Juli 2000 im Zimmer Nr. ... des Hotels A.________ in Baden den Safe aufgebrochen, daraus ein Kuvert mit 337 Noten à DM 1'000.-- entnommen und sich angeeignet. Dieses Geld habe B.________ - als Vertreter der Y.________ GmbH - bei der Neuen Aargauer Bank in Baden abgehoben und im Schrankfach des erwähnten Hotelzimmers deponiert. Weiter soll X.________ beim Sozialamt der Stadt Zürich Unterstützungsanträge wegen Bedürftigkeit gestellt und dabei Vermögenslosigkeit vorgetäuscht haben. Bei der Hausdurchsuchung seien Ersparnisse im Umfang von Fr. 22'000.-- vorgefunden worden, die X.________ gegenüber den Fürsorgebehörden verschwiegen habe.
B.
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts erhob X.________ Berufung an das Obergericht des Kantons Aargau. Er verlangte u.a. den Freispruch vom Vorwurf des Diebstahls sowie Betrugs und die Freigabe der beschlagnahmten Geldbeträge. Am 28. August 2003 hiess das Obergericht (1. Strafkammer) die Berufung in einem vorliegend nicht interessierenden Punkt gut und wies sie im Übrigen ab. Hinsichtlich der beschlagnahmten Fr. 22'000.-- erkannte es, dass dieses Geld zur Bezahlung der erst- und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten sowie zur Rückzahlung der Kosten für die amtliche Verteidigung verwendet und im Übrigen zurückerstattet werde.
C.
Gegen den Entscheid des Obergerichts gelangt X.________ mit Beschwerde vom 17. Oktober 2003 an das Bundesgericht. Er beantragt die Einvernahme verschiedener Zeugen, die Rückgabe der beschlagnahmten Geldbeträge, den Freispruch von allen Anschuldigungen und die Zusprechung von Schadenersatz für die ausgestandene Untersuchungshaft. Zugleich wendet er sich mit als vertraulich bezeichnetem Schreiben vom gleichen Tage in derselben Angelegenheit ebenfalls ans Bundesgericht. Ausserdem ersucht er mit Eingabe vom 5. November 2003 um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Y.________ GmbH beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid. Der Beschwerdeführer macht keine Verletzung von Bundesstrafrecht geltend, so dass das eingereichte Rechtsmittel als staatsrechtliche Beschwerde in Betracht fällt (Art. 84 OG). In diesem Verfahren muss der Beschwerdeführer nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt behaupteten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen. Das Bundesgericht prüft nur rechtsgenüglich erhobene Rügen. Die vorliegende Beschwerde genügt diesen Begründungsanforderungen nicht. Indessen handelt es sich um eine Laienbeschwerde, weshalb es sich rechtfertigt, weniger streng zu sein, sofern die Ausführungen des Beschwerdeführers überhaupt Verfassungsrügen erkennen lassen. Dies trifft in zweierlei Hinsicht zu: Einerseits kritisiert der Beschwerdeführer, dass Entlastungszeugen abgelehnt worden sind, und anderseits hält er die Beweiswürdigung des Obergerichts für grob falsch, d.h. willkürlich. Darin kann eine Gehörsverweigerungsrüge (Art. 29 Abs. 2 BV) und eine Willkürrüge (Art. 9 BV) erblickt werden. Auf alle übrigen Vorbringen, mit denen der Beschwerdeführer u.a. die Arbeitsweise seiner Verteidiger und der Behörden beanstandet, kann nicht eingegangen werden.
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur, d.h. sie kann nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f., 173 E. 1.5 S. 176, je mit Hinweisen). Die in der Beschwerdeschrift formulierten Anträge verlangen mehr als die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und sind daher unzulässig. Sie implizieren jedoch einen Aufhebungsantrag, weshalb die mangelhafte Antragstellung dem Eintreten auf die erhobenen Verfassungsrügen nicht entgegensteht.
1.3 Auf den als vertraulich bezeichneten Brief vom 17. Oktober 2003 wird nicht eingegangen.
1.4 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Unter dem Vorbehalt der genannten Einschränkungen ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1 Das Obergericht hat verschiedene Beweisergänzungsbegehren des Beschwerdeführers abgewiesen. Dieser kritisiert den ablehnenden Entscheid und erwähnt dabei folgende Zeugen: Rechtsanwalt C.________, D.________ sowie die Rechtsanwälte E.________, F.________ und G.________. Aus den Akten ergibt sich, dass die Einvernahme der beiden letztgenannten Personen als Zeugen im Berufungsverfahren nicht beantragt worden ist. Insoweit fällt eine Gehörsverweigerung von vornherein ausser Betracht. Die Frage stellt sich nur in Bezug auf die übrigen Zeugen.
2.2 Aus der in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleisteten Verfahrensgarantie ergibt sich der Anspruch der Parteien, mit rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweisanträgen gehört zu werden, soweit diese erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind. Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn ein Gericht auf die Annahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 119 Ib 492 E. 5b/bb S. 505 f.; 115 Ia 97 E. 5b S. 101 mit Hinweisen). Nicht weiter geht der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK gewährleistete Anspruch, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken (BGE 129 I 151 E. 3.1 S. 154; 125 I 127 E. 6c/bb S. 135). Das Obergericht verzichtete aufgrund einer antizipierten Beweiswürdigung darauf, die beantragten Entlastungszeugen vorzuladen und anzuhören. Dies steht mit dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör im Einklang, sofern sich die vorweggenommene Beweiswürdigung als willkürfrei erweist und deren Ergebnis den Schluss zulässt, die umstrittenen Beweisanträge würden daran nichts ändern.
2.3 Die nicht bewilligten Zeugen werden im Zusammenhang mit den beim Beschwerdeführer anlässlich der Hausdurchsuchung beschlagnahmten DM 337'000.-- angerufen. Das Obergericht hat die einzelnen Beweise gewürdigt, aufgrund welcher es zur Überzeugung gelangte, dass zwischen dem beim Beschwerdeführer entdeckten und dem im Hotel A.________ gestohlenen Geldbetrag Identität besteht.
Das Obergericht verweist zunächst auf die Aussagen des Beschwerdeführers in den polizeilichen Einvernahmen. Bei der ersten Befragung am Arbeitsplatz im Hotel A.________ habe er erklärt, dass er mit dem Diebstahl nichts zu tun habe. Nachdem bei der Hausdurchsuchung DM 337'000.-- in einem Rucksack entdeckt worden seien, gab er an, jemand habe ihm das Geld wohl in den Rucksack gelegt. Später habe er ausgesagt, er sei am 12. Juli 2000 auf dem Hotelareal einem unbekannten Mann gefolgt, welcher in der Nähe des Wäschereieingangs ein grösseres braunes Kuvert deponiert habe. Dieses habe er an sich genommen, in seinen Rucksack gelegt und nach Arbeitsschluss mit nach Hause genommen. Im Verlauf des weiteren Verfahrens habe der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 4. Januar 2001 seine bisherigen Aussagen widerrufen und vorgebracht, der in seiner Wohnung gefundene DM-Betrag stamme aus der Erbschaft seines Vaters.
Das Obergericht hat sodann festgehalten, was sich aufgrund der Zeugenaussagen von B.________, dessen Begleiter und eines Bankangestellten ergeben hat. Demnach habe B.________ gegen Mittag des 12. Juli 2000 bei der Neuen Aargauer Bank in Baden den Betrag von DM 338'000.-- abgehoben. Das Geld sei in 338 Noten zu DM 1'000.-- ausbezahlt worden und zwar zu drei Bündeln à 100 Noten - je festgehalten mit einer bordeauxroten Banderole - und 38 Einzelnoten. B.________ habe eine Note zurückbehalten und den Rest - also DM 337'000.-- - im Safe des Hotelzimmers deponiert. Am darauf folgenden Tag, um 01.30 Uhr, hätten B.________ und dessen Begleiter das Verschwinden des Geldes festgestellt. Das bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung des Beschwerdeführers entdeckte Geld stimme in Bezug auf Währung, Stückelung und Bündelung (drei Bündel zu je 100 Noten zusammengehalten mit je einer bordeauxroten Banderole) mit dem von B.________ im Safe deponierten Geld überein.
Schliesslich hat sich das Obergericht mit der Version des Beschwerdeführers über die Herkunft des bei der Hausdurchsuchung gefundenen Geldes auseinandergesetzt. Es würdigte die eingereichten Belege, welche die rechtmässige Herkunft belegen sollen, und berücksichtigte das Aussageverhalten des Beschwerdeführers. Gesamthaft beurteilte es die Version des Beschwerdeführers als unglaubwürdig.
2.4 Die Indizien, die das Obergericht der Gesamtwürdigung zugrunde gelegt hat, beruhen auf verfassungsrechtlich haltbaren Sachfeststellungen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, bezieht sich auf unbedeutende Nebenpunkte, die - selbst wenn die Sicht des Beschwerdeführers zuträfe - die tatsächlichen Annahmen des Obergerichts nicht in Frage stellen. Aufgrund der willkürfrei ermittelten Indizien drängte sich geradezu auf anzunehmen, dass das beim Beschwerdeführer entdeckte Geld deutscher Währung mit demjenigen identisch ist, welches B.________ im Safe seines Hotelzimmers deponiert hatte. Von Willkür kann keine Rede sein. Unter diesen Voraussetzungen konnte das Obergericht davon ausgehen, dass die abgelehnten Zeugen am Beweisergebnis nichts zu ändern vermöchten: Rechtsanwalt E.________ könnte über die Herkunft des Geldes keine eigenen Wahrnehmungen bezeugen. C.________ und D.________ könnten allenfalls bezeugen, dass der Beschwerdeführer Geld von seinem Vater bekommen hat; aber das Obergericht durfte annehmen, dass dies an seiner Überzeugung hinsichtlich der Herkunft des beim Beschwerdeführer entdeckten Geldes nichts ändern würde. Das Obergericht hat somit den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, indem es die Beweisanträge des Beschwerdeführers abgelehnt hat.
3.
Die bisherigen Ausführungen zeigen auf, dass das Obergericht über die Herkunft des beim Beschwerdeführer gefundenen Geldes eine willkürfreie Annahme traf. Die daraus gezogene Schlussfolgerung zur Täterschaft des Beschwerdeführers liegt dann auf der Hand. Von Willkür kann keine Rede sein.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass der angefochtene Entscheid auch nicht den aus der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt. Bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses sind keine offensichtlich erheblichen und schlechterdings nicht zu unterdrückenden Zweifel an der Schuld des Beschwerdeführers erkennbar (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a S. 41).
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde als offensichtlich unbegründet. Sie ist daher im Verfahren nach Art. 36a OG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Der Beschwerdeführer ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. Die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege setzt voraus, dass der Gesuchsteller bedürftig ist und sein Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint (Art. 152 Abs. 1 OG). Da die vorliegende Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte, ist das Gesuch des Beschwerdeführers abzuweisen. Auf die Erhebung von Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG) ist wegen offensichtlicher Uneinbringlichkeit zu verzichten. Der Beschwerdeführer hat indessen die anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Der Beschwerdeführer hat die Y.________ GmbH für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. Januar 2004
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: