Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.407/2003 /rov
Urteil vom 25. Februar 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Gysel.
Parteien
"A.________" Versicherungs-Gesellschaft,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Peter Jäger,
gegen
B.________,
Beschwerdegegner,
Sozialversicherungsgericht (I. Kammer) des Kantons Zürich, Postfach 441, 8401 Winterthur.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts (I. Kammer) des Kantons Zürich vom 11. September 2003.
Sachverhalt:
A.
B.________, geboren 1966, arbeitete seit dem 1. Dezember 1994 als Bodenleger bei der C.________ AG, welche für ihre Angestellten bei der "A.________" Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: "A.________") eine Kranken-Taggeldversicherung nach dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) abgeschlossen hatte. Ab 9. November 1998 richtete die "A.________" B.________ auf Basis seiner jeweiligen Arbeitsunfähigkeit Taggelder aus. Im Anschluss an eine von ihr veranlasste Begutachtung reduzierte sie ihre Leistungen ab 1. Dezember 2000. Am 24. Oktober 2001 teilte sie B.________ mit, dass ihre Taggeldzahlungen ab 19. Oktober 2001 ausgeschöpft seien.
B.
Mit Eingaben vom 19. April 2002 und vom 8. Juni 2002 gelangte B.________ an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Er beanstandete die Dauer und die Höhe der von der "A.________" bereits geleisteten Taggelder und verlangte ausserdem deren Weiterausrichtung. Die "A.________" beantragte, auf die Klage mangels sachlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht einzutreten; allenfalls sei die Klage abzuweisen.
In der Folge holte das Sozialversicherungsgericht beim Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) und beim Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) je einen Bericht zum Begriff "Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung" und zur Bewilligungspraxis dieser Behörden ein.
Am 11. September 2003 beschloss es, auf die Klage einzutreten.
C.
C.a Gegen diesen Beschluss erhob die "A.________" mit Eingaben vom 31. Oktober 2003 sowohl staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht als auch Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich.
Durch Verfügung vom 4. November 2003 hat der Präsident der erkennenden Abteilung das bundesgerichtliche Verfahren bis zum Entscheid über das kantonale Rechtsmittel sistiert, und am 8. Dezember 2003 hat er das Gesuch, der staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
Am 12. November 2003 hatte das kantonale Kassationsgericht beschlossen, dass auf die bei ihm eingereichte Beschwerde nicht eingetreten und die Eingabe zur allfälligen Entgegennahme als staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht überwiesen werde.
C.b Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts vom 11. September 2003 aufzuheben.
Das Sozialversicherungsgericht nimmt in seiner Vernehmlassung vom 22. Januar 2004 (Postaufgabe) zu den Vorwürfen der Beschwerdeführerin Stellung, ohne in der Sache einen Antrag zu formulieren.
B.________ hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen Vorentscheid über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG. Er kann weder beim Obergericht (vgl. § 43 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetzes; [GVG]) noch beim Kassationsgericht (§ 69a GVG) angefochten werden. Hingegen kann die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, auf welche das Kassationsgericht nicht eingetreten ist und die dieses dem Bundesgericht zur allfälligen Behandlung als staatsrechtliche Beschwerde überwiesen hat, infolge Fristablaufs nicht berücksichtigt werden (Art. 89 Abs. 1 OG). Daran ändert der Umstand nichts, dass das Kassationsgericht eine bei ihm rechtzeitig eingegangene Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht weiterleitete, zumal die Frist nur dann gewahrt wäre, wenn die Rechtsschrift bei der kantonal entscheidenden Behörde eingegangen wäre, und sie es nicht ist, wenn die Eingabe bei der unzuständigen Rechtsmittelinstanz eingereicht worden ist (Art. 32 Abs. 4 OG).
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht zunächst eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne von § 56 der Zürcher Zivilprozessordnung (ZPO) und Art. 29 Abs. 2 BV geltend. Das Sozialversicherungsgericht habe zur Abklärung der faktischen Verhältnisse in dem hier in Frage stehenden Versicherungsmarkt beim BSV und beim BPV Berichte eingeholt und sich im angefochtenen Beschluss darauf gestützt, ohne ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur (BGE 126 I 19 E. 2d/bb S. 24 mit Hinweis). Seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die Rüge ist deshalb vorab zu behandeln.
2.2 Der Umfang des Gehörsanspruchs bestimmt sich in erster Linie nach dem kantonalen Verfahrensrecht, dessen Auslegung und Anwendung das Bundesgericht einzig aus der Sicht des Willkürverbots prüft. Daneben ergibt sich ein Mindestanspruch unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV. Ob dieser verletzt worden ist, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 124 I 49 E. 3a S. 51 mit Hinweis).
Die Beschwerdeführerin, die sich auch auf die einschlägige kantonale Bestimmung (§ 56 ZPO) beruft, macht nicht geltend, dass sich aus dieser ein Anspruch ergebe, der über die Minimalgarantie von Art. 29 Abs. 2 BV hinausginge. Die Beschwerde ist unter diesen Umständen sogleich im Lichte der Verfassungsbestimmung zu beurteilen.
2.3 Das in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und verleiht andererseits dem Betroffenen ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren. Dieser soll in den Punkten, die geeignet sind, den zu erlassenden in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheid zu beeinflussen, sich zur Sache äussern, unter dem Vorbehalt öffentlicher Interessen des Staates und berechtigter Geheimhaltungsinteressen Einsicht in die Akten nehmen, erhebliche Beweise beibringen und an der Erhebung von Beweisen mitwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis äussern können (BGE 129 II 497 E. 2.2 S. 504 f. mit Hinweisen; 121 I 225 E. 2a S. 227). Der Gehörsanspruch bezieht sich hauptsächlich auf die Abklärung des Sachverhalts, kann aber in bestimmten Fällen auch die rechtliche Würdigung erfassen (dazu BGE 129 II 497 E. 2.2 S. 505 mit Hinweisen; Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 1999, S. 226).
3.
3.1 Im vorliegenden Fall ist das Sozialversicherungsgericht im Hinblick auf die Abgrenzung seiner Zuständigkeit gegenüber den Zivilgerichten an das BPV und an das BSV gelangt. Es verwies in seinem Entscheid vorerst auf die kantonalzürcherische Regelung, wonach das Sozialver-sicherungsgericht für die Klagen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung zuständig ist. Ein Kriterium für die Zuständigkeit sei bisher die Trägerschaft gewesen, welche die Zusatzversicherung anbiete. Für Streitigkeiten mit privaten Versicherungsgesellschaften, die nur die Zusatzversicherung anbieten, sei die Zuständig-keit verneint worden. Mit Hinblick auf die geänderte Praxis der Krankenversicherer, die Zusatzversicherungen durch eigene Rechtsträger anzubieten, dränge sich allenfalls eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen oder der Rechtsprechung auf. In diesem Zusammenhang stellte das Sozialversicherungsgericht dem BSV Fragen zur Anerkennung und zur Durchführungsbewilligung gemäss Art. 13 KVG für die selbständigen Anbieter der Zusatzversicherung, zu deren Status als Krankenkasse nach Art. 12 KVG und zur Auslegung von Art. 47 Abs. 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Vom BPV wollte das Sozialversicherungsgericht Auskunft erhalten über die Abgrenzung der von ihm erteilten Bewilligungen nach den Art. 7 ff. VAG, zu solchen gestützt auf Art. 13 KVV, zu den Voraussetzungen und zur Übertragbarkeit solcher Bewilligungen und schliesslich zur Auslegung von Art. 47 Abs. 2 VAG. Mit Schreiben vom 14. bzw. 21. August 2002 beantworteten die beiden Bundesämter die jeweilige Anfrage des Sozialversicherungsgerichts.
Unter Hinweis auf die beiden Berichte erklärte sich das Sozialversicherungsgericht im nunmehr vor Bundesgericht angefochtenen Beschluss als zuständig. Es hielt fest, dass die Beschwerdeführerin zwar kein Krankenversicherer gemäss Art. 11 KVG sei, indes eine Kranken-Taggeldversicherung anbiete, welche zum vorliegenden Rechtsstreit geführt habe. Im Hinblick auf den Schutzzweck von Art. 47 Abs. 2 VAG sei vom bisherigen Kriterium der Trägerschaft abzurücken und das Gericht sei für die Beurteilung aller privatrechtlichen Ansprüche, die wegen Krankheit, Mutterschaft oder subsidiär Unfall bestünden und die mit der Krankenpflege, den Pflegekosten und dem Erwerbsausfall in einem innern Zusammenhang stünden, zuständig.
In seiner Vernehmlassung vom 22. Januar 2004 an das Bundesgericht betont das Sozialversicherungsgericht, seine Anfragen bei den beiden Bundesämtern seien losgelöst von einem konkreten Streitfall erfolgt, und den Antworten komme nur die Bedeutung eines internen Amtsberichts zur rechtlichen Würdigung eines feststehenden Sachverhaltes zu.
3.2 Der angefochtene Beschluss nimmt auf die beiden strittigen Berichte ausdrücklich Bezug. Das Sozialversicherungsgericht erwähnt die Abklärungen beim BPV und beim BSV zum Begriff "Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung" und zur Bewilligungspraxis dieser Behörden. Mit Hinweis auf die neuere Praxis der Krankenversicherer, gewisse Leistungen auf eigene Versicherungsträger auszulagern, und auf die Auskünfte des BSV zu dieser Praxis kommt das Sozialversicherungsgericht zum Schluss, für die vorliegende Streitsache zuständig zu sein.
3.3 Für die Beschwerdeführerin ist aus dieser Begründung nicht nachvollziehbar, welche Auskünfte die beiden Ämter nun erteilt haben. Insbesondere ist aus dem Beschluss des Sozialversicherungsgerichts nicht ersichtlich, ob und inwieweit das Verhalten der Versicherungsträger - wozu sich die Beschwerdeführerin hätte äussern wollen - abgeklärt worden ist. Aus den mit der Vernehmlassung ins Recht gelegten Berichten ergibt sich, wie beispielsweise das BPV die Bewilligungspraxis und die Aufsicht handhabt, was es mit verschiedenen Merkblättern belegt. Beide Ämter geben ihre Auslegung der massgeblichen Bestimmungen, insbesondere von Art. 47 Abs. 2 VAG wieder. Damit enthalten die Berichte sowohl tatsächliche wie rechtliche Elemente, die für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage aus der Sicht des Sozialversicherungsgerichts entscheidend waren. In ihrer Vernehmlassung zu Handen des Bundesgerichts scheint es dies selber einzuräumen, wenn etwa vom "besseren Verständnis des Gerichts für die Zusammenhänge dieser feststehenden Tatsache" die Rede ist. Ob und inwieweit eine Prozesspartei zu Rechtsfragen, welche das Gericht abgeklärt hat, Stellung nehmen kann (vgl. BGE 129 II 497 E. 2.2 S. 505), braucht damit nicht entschieden zu werden. Dies gilt um so mehr, als die Rüge der Beschwerdeführerin ohnehin nicht in diese Richtung geht.
3.4 Beizufügen bleibt, dass das Sozialversicherungsgericht den Parteien auch dann das rechtliche Gehör hätte gewähren müssen, wenn es auf die eingeholten Amtsberichte schliesslich nicht abgestellt hätte, da sie als Entscheidgrundlage geeignet erschienen. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Berichte vom Gericht von Amtes wegen angefordert worden sind.
Nicht gefolgt werden kann zudem der Argumentation des Sozialversicherungsgerichts, bei den Auskünften der beiden Bundesämter handle es sich bloss um allgemeine interne Amtsberichte, die den Parteien zuzustellen nicht möglich gewesen sei, und wozu auch keine Pflicht bestanden habe. Zwar erstreckt sich der Anspruch auf Akteneinsicht grundsätzlich nicht auf interne Dokumente, d.h. auf verwaltungsinterne Papiere, die der internen Willensbildung der entscheidenden Behörde dienen, wie beispielsweise Entwürfe, Mitberichte und Ähnliches (Albertini, a.a.O., S. 228; Auer/Malinverni/Hottelier, Droit constitutionnel suisse, II. Bd., N 1295). Bei andern Behörden eingeholte Berichte sind indes von vornherein nicht interner Natur. Es kann nach dem Gesagten aus der Sicht des verfassungsmässig geschützten Gehörsanspruchs nicht angehen, Auskünfte in der Art der vorliegenden als intern und allgemein zu qualifizieren, um die Beteiligten vor Erlass des sie betreffenden Entscheides von einer Stellungnahme dazu auszuschliessen.
4.
Die Rüge der Gehörsverletzung erweist sich nach dem Gesagten als begründet. Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, ohne dass auf das von der Beschwerdeführerin gegen diesen weiter Vorgebrachte einzugehen wäre.
Der Beschwerdegegner, der sich einer Stellungnahme und damit auch eines Antrags zur Beschwerde enthalten hat, hat den Ausgang des Verfahrens nicht zu vertreten und ist nicht unterliegende Partei im Sinne von Art. 156 Abs. 1 OG. Aufzuheben ist der angefochtene Entscheid wegen der Verkennung eines verfahrensrechtlichen Grundsatzes durch das Sozialversicherungsgericht. Dem Kanton, gegen dessen Verfügung in einer nicht seine eigenen Vermögensinteressen betreffenden Angelegenheit Beschwerde geführt wird, dürfen in der Regel jedoch keine Gerichtskosten auferlegt werden (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen ist der Kanton Zürich zu verpflichten, die Beschwerdeführerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Sozialversicherungsgerichts (I. Kammer) des Kantons Zürich vom 11. September 2003 aufgehoben.
2.
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
3.
Der Kanton Zürich wird verpflichtet, die Beschwerdeführerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht (I. Kammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. Februar 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: