BGer 5P.18/2004 |
BGer 5P.18/2004 vom 02.03.2004 |
Tribunale federale
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{T 1/2}
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5P.18/2004 /rov
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Urteil vom 2. März 2004
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II. Zivilabteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Raselli, Präsident,
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Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
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Gerichtsschreiber Zbinden.
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Parteien
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Erwin Kessler,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Neue Luzerner Zeitung AG,
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Beschwerdegegnerin,
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vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Mayr von Baldegg,
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Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld.
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Gegenstand
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Art. 29 BV und Art. 6 EMRK (Persönlichkeitsverletzung),
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 17. April 2003.
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Sachverhalt:
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A.
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Mit Einreichung der Weisung vom 22. Oktober 2001 beim Bezirksgericht Münchwilen verlangte Erwin Kessler, es sei festzustellen, dass die von den Neuen Luzerner Zeitung (NLZ) am 5. Oktober 2001 veröffentlichte Behauptung, der Präsident des Vereins gegen Tierfabriken, Erwin Kessler, habe Talmud-Zitate verwendet, die als Fälschung entlarft worden seien, unwahr sei. Weiter sei festzustellen, dass die anschliessende Behauptung der NLZ, mit der Auswahl der Zitate werde ein Zerrbild des Talmud verbreitet, unwahr sei. Sodann ersuchte Erwin Kessler um Richtigstellung gemäss konkreten Vorgaben, eventuell im Detail nach Ermessen des Gerichts sowie um Zusprechung einer Genugtuung von Fr. 5'000.-- oder nach Ermessen des Gerichts. Mit Urteil vom 1. Oktober/5. November 2002 verpflichtete die Bezirksgerichtliche Kommission Münchwilen die NLZ zu einer Richtigstellung.
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B.
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Dagegen gelangten beide Parteien mit kantonaler Berufung an das Obergericht des Kantons Thurgau, welches je von der Gegenpartei eine Berufungsantwort einholte und am 17. April 2003 in der Sache entschied. Zusammen mit dem Urteil stellte das Obergericht die Berufungsantworten zu.
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C.
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Erwin Kessler führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art 6 EMRK und 29 Abs. 2 BV mit dem Begehren, das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 17. April 2003 sei aufzuheben. Er wirft dem Obergericht in einer knappen Beschwerdebegründung vor, es habe ihm in Verletzung des rechtlichen Gehörs die Berufungsantwort erst mit dem angefochtenen Urteil zugestellt und ihn damit der Möglichkeit beraubt, sich zur Eingabe zu äussern.
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Obergericht und NLZ ersuchen darum, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Das Obergericht hält in seiner Vernehmlassung dafür, in Fällen wie dem vorliegenden werde ein doppelter Schriftenwechsel nur ausnahmsweise, insbesondere dann durchgeführt, wenn die Berufungsantwort wesentliche neue Gesichtspunkte enthalte. Das habe im konkreten Fall nicht zugetroffen, und der Beschwerdeführer habe Entsprechendes auch nicht behauptet. Dem Beschwerdeführer sei aus verschiedensten Verfahren bekannt, dass die Rechtsmittelantwort erst mit dem Endentscheid zugestellt werde. Das angefochtene Urteil stütze sich auf die gleichen Umstände wie der erstinstanzliche Entscheid. Die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass ein zweiter Schriftenwechsel nicht vorgesehen sei.
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2.
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2.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in seiner Rechtsprechung zu Art. 6 EMRK verschiedentlich mit der Frage der Zustellung von Aktenstücken befasst. In einem Fall, in dem das Bundesgericht über eine Berufung erkannt hatte, ohne zuvor dem Berufungskläger Kenntnis von den Bemerkungen der Vorinstanz gegeben zu haben, hat er entschieden, der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltene Anspruch auf ein faires Verfahren verleihe den Parteien das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereichten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten und zu diesen Stellung zu nehmen. Unerheblich sei, dass die Vernehmlassung der Vorinstanz an das Bundesgericht weder Tatsachen noch Begründungen enthalte, die nicht bereits im angefochtenen Urteil aufgeführt gewesen seien. Es obliege den Parteien, zu entscheiden, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen oder nicht. Der Gerichtshof bejahte daher eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Urteil des EGMR i.S. N.-H. gegen Schweiz vom 18. Februar 1997, Ziff. 24, 29, in: Recueil CourEDH 1997-I S. 101; VPB 61/1997 Nr. 108 S. 961). Diese Rechtsprechung ist später im Wesentlichen bestätigt worden (Urteil des EGMR i.S. R. gegen Schweiz vom 28. Juni 2001, in: VPB 65/2001, S. 1347 Nr. 129). Eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK erblickte der Gerichtshof sodann in einem weiteren, die Schweiz betreffenden Fall, in dem der Rekurrent weder von der Stellungnahme der Vorinstanz noch von jener der Gegenpartei Kenntnis erhalten hatte; dabei hob er zusätzlich hervor, auf den möglichen tatsächlichen Einfluss von Bemerkungen der Parteien auf das Urteil komme es nicht an (Urteil des EGMR i.S. Z. gegen Schweiz vom 21. Februar 2002, Ziff. 33 und 38, in: VPB 66/2002 S. 1307 Nr. 113). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich der Praxis des Gerichtshofs angeschlossen (Urteil H 213 1998 vom 1. Februar 1999, E. 1a, auszugsweise in: SZIER 1999 S. 553).
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2.2 Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer die Berufungsantwort, in welcher die Gegenpartei auf Abweisung der Berufung schloss, nicht zugestellt. Nach der gefestigten Rechtsprechung zum Grundsatz des fairen Verfahrens hängt das Recht der Parteien, sämtliche Eingaben zugestellt zu erhalten und dazu Stellung nehmen zu können, weder von Noven tatsächlicher oder rechtlicher Art noch von einem allfälligen Einfluss von Bemerkungen auf das Urteil ab. Im Lichte der aufgezeigten Rechtsprechung hat das Obergericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verletzt; dies erst recht, da es im angefochtenen Urteil auf die Antwort hingewiesen und sie somit nicht unbeachtet gelassen hat. Dass das kantonale Recht nach den Ausführungen des Obergerichts und der Beschwerdegegnerin nur ausnahmsweise das Recht einräumt, zur Berufungsantwort Stellung zu nehmen, ist nach dem Gesagten nicht von Belang.
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2.3 Eine Heilung des Mangels käme nur in Frage, wenn das Bundesgericht die gleiche Kognition hätte wie das Obergericht und sich der Beschwerdeführer zu allen in der Berufungsantwort enthaltenen Vorbringen äussern könnte (zu den Heilungsvoraussetzungen im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde: BGE 126 I 68 E. 2 S. 72). Das ist hier nicht der Fall. Es kann dem Beschwerdeführer somit auch nicht entgegengehalten werden, vor Bundesgericht nicht (eventualiter) zur Berufungsantwort Stellung genommen zu haben. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben.
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3.
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Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin, die ausdrücklich auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde geschlossen hat, kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
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Der nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat eine kurze Beschwerde eingereicht und vor allem die damit verbundenen Auslagen weder dargetan noch belegt. Ihm ist daher für das bundesgerichtliche Verfahren keine Parteientschädigung zu Lasten der Beschwerdegegnerin zuzusprechen (BGE 113 Ib 353 E. 6b S. 357).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 17. April 2003 aufgehoben.
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2.
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Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3.
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Für das bundesgerichtliche Verfahren wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. März 2004
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Im Namen der II. Zivilabteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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