Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.18/2004 /gnd
Urteil vom 22. März 2004
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd.
Gerichtsschreiber Näf.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.
Gegenstand
Einfache Verkehrsregelverletzung durch Überschreiten der signalisierten zulässigen Höchstgeschwindigkeit (Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 22 SSV); Gültigkeit der Signalisation,
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 25. November 2003.
Sachverhalt:
A.
X.________ fuhr am 28. Februar 2002, um 13.33 Uhr, mit einem Personenwagen bei Augst/BL auf der Autobahn A2, Fahrtrichtung Basel, mit einer Geschwindigkeit von 117 km/h und überschritt dadurch die gemäss Signalisation zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der Sicherheitsmarge von 6 km/h um 11 km/h.
B.
B.a Der Strafgerichtspräsident des Kantons Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 27. Juni 2003 in Bestätigung des Strafbefehls des Bezirksstatthalteramts Liestal vom 21. Februar 2003 wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 22 SSV) zu einer Busse von Fr. 120.--.
B.b Das Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigte am 25. Novem-ber 2003 diesen Entscheid in Abweisung der von X.________ dagegen eingereichten Appellation.
C.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, er sei "in Korrektur des vorinstanzlichen Urteils in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo von Schuld und Strafe freizusprechen". Zudem sei "festzustellen, dass die an der gemessenen Stelle behauptete Geschwindigkeitsreduktion von 100 km/h keine rechtliche Grundlage" habe. Eventualiter sei das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter seien die Kosten des kantonalen Verfahrens auf die Staatskasse zu nehmen.
D.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft beantragt unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Entscheids die Abweisung der Beschwerde und verzichtet auf weitere Bemerkungen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei nicht klar dargelegt worden und im Übrigen auch nicht einzusehen, aus welchen Gründen im fraglichen Abschnitt der Autobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit in Abweichung von der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h durch Signalisation auf 100 km/h festgelegt worden sei. Die Anklagebehörde und die unteren Gerichtsinstanzen seien nicht in der Lage gewesen, die Rechtmässigkeit der fraglichen Anordnung zu begründen. Die ihm vom Direktor des Bundesamtes für Strassen zugesicherte Überprüfung sei nicht erfolgt. Wenn auf diese Frage bei einem grundsätzlich unter das vereinfachte Ordnungsbussenverfahren fallenden Tatbestand eine sofortige Antwort offenbar nicht möglich sei, könne rechtsstaatlich etwas nicht stimmen und sei der Beschuldigte "in dubio pro reo" freizusprechen. Die fragliche Beschränkung der zulässsigen Höchstgeschwindigkeit und die Aufrechterhaltung dieser "Bussenfalle" auf einem grosszügig ausgebauten, gerade verlaufenden Streckenabschnitt sei aus fiskalischen Gründen ein Politikum. Es hätte in einem rechtsstaatlichen Verfahren überprüft werden müssen, ob die auf einem noch von Bundesrat Tschudi unterzeichneten Erlass aus den frühen siebziger Jahren beruhende Geschwindigkeitsbe-schränkung im fraglichen Streckenabschnitt in Anbetracht der dort zwischenzeitlich vorgenommenen baulichen Veränderungen noch sinnvoll sei und ob der genannte Erlass weiterhin als Rechtsgrundlage dienen könne. Zwar habe die Vorinstanz im angefochtenen Urteil darzulegen versucht, weshalb diese Beschränkung ihres Erachtens sinnvoll sei. Es könne aber nicht angehen, dass das Gericht diese Frage an Stelle der hiefür zuständigen Behörde entscheide. Im Übrigen sei die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h jedenfalls an der Messstelle nicht sinnvoll. Durch die Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit um 11 km/h im fraglichen Bereich sei weder das Vertrauen der übrigen Verkehrsteilnehmer in die Gültigkeit des Signals verletzt noch irgendjemand gefährdet worden.
1.2 Die hier zur Diskussion stehende Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h ist vom Eidg. Departement des Innern durch Verfügung vom 14. Dezember 1973 über Geschwin-digkeitsbeschränkungen im Bereich der Verzweigung Augst der Nationalstrassen N2/N3 (BBl 1974 I 17) angeordnet worden. Art. 1 dieser Verfügung bestimmt:
"Im Bereich der Verzweigung Augst der Nationalstrassen N2/N3 werden folgende Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt:
- N2 und N3, durchgehende Fahrbahnen im Verzweigungsbereich vom Anschluss Liestal bis südlich, bzw. östlich der Verzweigung, beide Richtungen ...100km/h
- die beiden Rampen Luzern/Bern-Zürich und Zürich-Luzern/Bern ... 70 km/h."
Diese Verfügung, die sich auf Art. 84 Abs. 2 der damals geltenden Strassensignalisationsverordnung vom 31. Mai 1963 (AS 1963 541) stützt, trat in Kraft, sobald die entsprechenden Signale aufgestellt waren. Die Verfügung konnte gemäss der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung nach Art. 72 lit. a VwVG mit Beschwerde beim Bundesrat angefochten werden.
Die Vorinstanz hält fest, diese Grundlage der hier zur Diskussion stehenden Geschwindigkeitsbeschränkung habe trotz vorgängiger Bemühungen erst nach Ausfällung des angefochtenen Entscheids aufgefunden werden können, und sie verweist in diesem Zusammenhang auf ein E-mail der Polizei Basel-Landschaft vom 28. November 2003 (angefochtenes Urteil S. 3).
Da den kantonalen Instanzen im Zeitpunkt der Ausfällung ihrer Entscheide die Verfügung des EDI vom 14. Dezember 1974 nicht bekannt war, haben sie die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Missachtung des Signals "Höchstgeschwindigkeit 100 km/h" so begründet, wie wenn dieses Signal keine gültige Rechtsgrundlage habe und somit nicht rechtmässig aufgestellt worden sei.
1.3 Die 1. Instanz hat die Verurteilung des Beschwerdeführers gemäss einer Bemerkung im angefochtenen Entscheid völlig unabhängig von der Existenz einer konkreten Grundlage für die signalisierte Geschwin-digkeitsbeschränkung mit Verweis auf BGE 128 IV 184 begründet, welcher die Pflicht zur Beachtung von nicht rechtmässig aufgestellten Signalen nach dem Vertrauensprinzip betrifft.
Die Vorinstanz ihrerseits gibt im angefochtenen Urteil (S. 3 f., E. 7b und 7c) wörtlich E. 4.2 und 4.3 des zitierten Bundesgerichts-entscheides wieder. Sie hält sodann fest, dass sich auf dem vom Beschwerdeführer befahrenen Streckenabschnitt Richtung Basel die je zweispurigen Autobahnen A2 aus Richtung Luzern (-Bern) und A3 (aus Richtung Zürich) vereinigen. Dies habe zur Folge, dass sich auch langsame Fahrzeuge - etwa Lastwagen, die nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 80 km/h fahren dürfen - aus Richtung Luzern (-Bern) auf dem (von rechts gesehen) dritten von vier Fahrstreifen befinden und in jenem Bereich über einen oder zwei Fahrstreifen auf die rechten Fahrstreifen wechseln müssen, während andererseits schnellere Fahrzeuge aus Richtung Zürich auf die linken Fahrstreifen wechseln müssen. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf höchstens 100 km/h entspreche auf schweizerischen Nationalstrassen im Bereich von Autobahnkreuzen und -gabelungen weit verbreiteter Usanz und sei sachlich gerechtfertigt. Die Verkehrsteilnehmer verliessen sich auf die Gültigkeit einer solchen Signalisation und vertrauten darauf, dass diese von sämtlichen Fahrzeuglenkern eingehalten werde. Von einer ganz offenkundig mangelhaften und damit nichtigen Signalisation könne daher keine Rede sein. Die Vorinstanz hält abschliessend fest, die erst nachträglich aufgefundene Verfügung des EDI vom 14. Dezember 1973 decke die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung vollumfänglich ab und vermöge an der Abweisung der Appellation nichts zu ändern (angefochtenes Urteil S. 4 f.).
1.4 Die signalisierte Beschränkung der zulässigen Höchst-geschwindigkeit auf 100 km/h ist im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (siehe BGE 128 IV 184 E. 4; 113 IV 123 E. 2; 99 IV 164 E. 5 und 6) aus den im angefochtenen Urteil genannten Gründen gemäss Art. 27 SVG zu beachten, auch wenn man mit der Vorinstanz davon ausgehen wollte, dass das Signal mangels einer genügenden Rechtsgrundlage nicht rechtmässig aufgestellt worden sei.
1.5 In Tat und Wahrheit beruht das vom Beschwerdeführer miss-achtete Signal "Höchstgeschwindigkeit 100 km/h" auf der Verfügung des EDI vom 14. Dezember 1973 (BBl 1974 I 17), welche die Vorinstanz gemäss einer Bemerkung im angefochtenen Urteil erst nach dessen Ausfällung aufgefunden hat.
Der Beschwerdeführer behauptet mit Recht nicht, diese Verfügung, auf die er in seiner Nichtigkeitsbeschwerde (S. 6 unten) hinweist, sei im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen. Er macht mit Recht auch nicht geltend, dass die Verfügung wegen der in der Zwischenzeit erfolgten Änderung der gesetzlichen Grundlagen für den Erlass von Verfügungen betreffend Geschwindigkeitsbeschränkungen (siehe nun unter anderem Art. 108 der Strassensignalisationsverordnung vom 5. September 1979 mit seitherigen Änderungen) im heutigen Zeitpunkt nicht mehr rechtmässig sei. Er vertritt aber die Auffassung, dass von den zuständigen Behörden hätte geprüft werden müssen, ob die vor 30 Jahren verfügte Geschwindigkeitsbeschränkung in Anbetracht der zwischenzeitlich vorgenommenen baulichen Veränderungen an der Autobahn im heutigen Zeitpunkt noch sinnvoll sei.
Der Richter hat in einem Strafverfahren wegen Missachtung eines Signals betreffend die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht vor-frageweise zu prüfen, ob die dem Signal zu Grunde liegende Verfügung sinnvoll sei. Der Einwand des Beschwerdeführers ist daher nicht zu hören. Im Übrigen ist die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h im Bereich des Zusammen-treffens von zwei Autobahnen in der Schweiz weit verbreitet. Solche Geschwindigkeitsbeschränkungen werden offenkundig auch auf der Grundlage des heute geltenden Rechts angeordnet. Zwar mag einerseits die bauliche Ausgestaltung von Autobahnen im Bereich von Verzweigungen besser sein als noch vor 30 Jahren, doch hat andererseits in der Zwischenzeit das Verkehrsaufkommen erheblich zugenommen.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht wie im kantonalen Verfahren geltend, dass er durch den Verkehrsfluss hätte gezwungen sein können, seine Geschwindigkeit leicht zu erhöhen (Nichtigkeits-beschwerde S. 7 f.). Zu dieser nicht näher belegten und offensichtlich hypothetischen Behauptung kann mit der Vorinstanz (siehe ange-fochtenes Urteil S. 2 Ziff. 3) auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Entscheid (S. 4 Ziff. 3) verwiesen werden.
2.2 Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit "um den Strich herum" eine Lotterie sei, wenn der Tachometer des Fahrzeugs keine Feineinteilung aufweise (Nichtigkeitsbeschwerde S. 5/6), geht schon in Anbetracht der dem Beschwerdeführer zugebilligten Sicherheitsmarge von 6 km/h an der Sache vorbei.
2.3 Die Verteilung der Kosten des kantonalen Verfahrens bestimmt sich nach dem kantonalen Recht und allenfalls nach dem Verfas-sungsrecht. Sie kann daher in der eidgenössischen Nichtigkeits-beschwerde, mit welcher lediglich die Verletzung eidgenössischen Rechts gerügt werden kann (Art. 269 Abs. 1 BStP), nicht zur Entscheidung gestellt werden.
3.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. März 2004
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: