Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5C.69/2004 /dxc
Urteil vom 14. Mai 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Parteien
X.________,
Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprech lic. iur. Beat Widmer,
gegen
Y.________,
Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Remo Dössegger.
Gegenstand
Persönlicher Verkehr mit dem Kind,
Berufung gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 22. Januar 2004.
Sachverhalt:
A.
Aus der intimen Beziehung von Y.________ und X.________ ging am 27. Oktober 1994 das Kind Z.________ hervor, welches der Kindsvater am 6. Februar 1995 anerkannte. Da dieser sein nicht geregeltes Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind trotz verschiedener Versuche nicht wahrnehmen konnte, beantragte er am 8. September 2000 beim Gemeinderat Gontenschwil als zuständiger Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz des Kindes ein Besuchs- und Ferienrecht. Mit Beschluss vom 21. Mai 2002 sah die Vormundschaftsbehörde aufgrund der fehlenden bzw. ungenügenden Beziehung des Kindsvaters mit seinem Kind von einem Besuchs- und Ferienrecht ab.
B.
Auf Beschwerde des Kindsvaters räumte ihm das Bezirksamt Kulm als untere vormundschaftliche Aufsichtsbehörde ein begleitetes Besuchsrecht extern, jeweils am ersten Sonntag des Monats von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in der kinderfreundlichen Umgebung im Kinderhaus Aarau unter dem Patronat Pro Juventute ein, wobei spätestens nach einem Jahr entschieden werden sollte, ob ein Besuchsrecht am ersten und dritten Wochenende des Monats von Samstag, 11.00 Uhr, bis Sonntag, 19.30 Uhr, sowie - nach Absprache mit der Mutter - zwei Wochen Ferien pro Jahr gewährt werden können (Verfügung vom 4. Dezember 2002).
Mit Entscheid vom 22. Januar 2004 wies das Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, (nachfolgend: das Obergericht) eine Beschwerde der Kindsmutter ab und bestätigte das vom Bezirksamt Kulm für die Dauer eines Jahres gewährte, begleitete Besuchsrecht des Kindsvaters. Des Weiteren erklärte ihn das Obergericht in Abänderung der bezirksamtlichen Verfügung für berechtigt, nach Ablauf eines Jahres seinen Sohn am ersten Wochenende des Monats von Samstag, 11.00 Uhr, bis Sonntag, 19.30 Uhr, auf eigene Kosten zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen und mit ihm 14 Tage Ferien zu verbringen, wobei die Ferien mindestens drei Monate im Voraus mit der Kindsmutter abzusprechen sind.
C.
Hiergegen hat die Kindsmutter sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung erhoben. Mit Berufung beantragt sie, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und dem Kindsvater jegliches Besuchsrecht abzusprechen. Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist die erkennende Abteilung mit Urteil vom heutigen Tag nicht eingetreten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der letztinstanzliche Entscheid des Obergerichts über die Anordnung des persönlichen Verkehrs kann mit eidgenössischer Berufung an das Bundesgericht gezogen werden (Art. 44 lit. d OG).
2.
Die Berufungsklägerin vertritt die Ansicht, dem Berufungsbeklagten sei jegliches Besuchs- und Ferienrecht abzusprechen.
2.1 Art. 273 ZGB verleiht dem Elternteil, welchem die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, einen Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr mit dem Kind. Dieses Recht steht dem Betroffenen um seiner Persönlichkeit willen zu, wobei es als so genanntes "Pflichtrecht" freilich in erster Linie dem Interesse des Kindes dient. Wird das Wohl des Kindes durch den persönlichen Verkehr gefährdet, üben die Eltern ihn pflichtwidrig aus, haben sie sich nicht ernsthaft um das Kind gekümmert oder liegen andere wichtige Gründe vor, so kann ihnen das Recht auf persönlichen Verkehr verweigert oder entzogen werden (Art. 274 Abs. 2 ZGB). Gefährdet ist das Wohl des Kindes, wenn seine ungestörte körperliche, seelische oder sittliche Entfaltung durch ein auch nur begrenztes Zusammensein mit dem nicht obhutsberechtigten Elternteil bedroht ist (BGE 120 II 229 E. 3b/aa S. 233; 122 III 404 E. 3a).
Der gesetzliche Begriff des "sich nicht ernstlich um das Kind Kümmerns" ist der Bestimmung des Art. 265c Ziff. 2 ZGB entnommen (BGE 118 II 21 E. 3d S. 25). Nach der zu diesem Begriff entwickelten Rechtsprechung kümmert sich ein Elternteil nicht ernstlich um das Kind, wenn er keinerlei Anteil an seinem Wohlergehen nimmt und nichts unternimmt, um eine lebendige Beziehung zu seinem Kind zu erhalten oder aufzubauen (BGE 113 II 381 E. 2 S. 382-384; 118 II 21 E. 3d S. 25). Entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin kann mithin dem Berufungsbeklagten ein Besuchsrecht nicht allein deshalb verwehrt werden, weil zur Zeit keine lebendige Beziehung besteht.
2.2 Nach dem angefochtenen Entscheid hat der Berufungsbeklagte verschiedentlich versucht, sein nicht geregeltes Recht auf persönlichen Verkehr mit seinem Sohn auszuüben, was sich jedoch als aussichtsloses Unterfangen erwies. Der angefochtene Entscheid verweist auf ein Schreiben der Berufungsklägerin vom 9. April 1995, wonach zwischen beiden Eltern hinsichtlich des Besuchsrechts Differenzen bestehen und eine Vermittlung durch das Sozialamt nicht zustande gekommen ist. Nach den weiteren obergerichtlichen Ausführungen hat der Berufungsbeklagte seinen Vorschlag erneuert, seinen Sohn zweimal pro Monat an einem Sonntag zu besuchen und wenn möglich spazieren zu führen, und hat sich im Übrigen auch bereit erklärt, vorerst auch nur einen Besuch zu akzeptieren, falls der ursprüngliche Vorschlag zu weit gehe. In einem Schreiben vom gleichen Tag dankte er dem Vertreter des Sozialdienstes für die bis anhin leider erfolglosen Vermittlungsversuche in Sachen Besuchsrecht. In ihrem Schreiben vom 20. April 1995 stellte die Berufungsklägerin dem Berufungsbeklagten eine baldige Antwort in Aussicht. Das Obergericht verweist sodann auf zahlreiche weitere bis ins Jahr 2000 geführte Korrespondenz sowie die Intervention des Berufungsbeklagten vom 21. September 1997. Aus all dem ergibt sich laut der obergerichtlichen Feststellung, dass der Berufungsbeklagte den persönlichen Verkehr mit seinem Sohn hat wahrnehmen wollen und sich darum bemüht hat. Das Obergericht stellt weiter fest, dass die Berufungsklägerin dem Besuchsrecht eher ablehnend gegenübersteht und eine Kontaktpflege eher zu beschränken sucht. So hat sie dem Berufungsbeklagten vorgeschlagen, sein Besuchsrecht bei ihr und ihrem heutigen Ehemann auszuüben, wobei selbst Vermittlungsversuche der Sozialdienste die Berufungsklägerin nicht zu einer liberaleren Ausgestaltung des Besuchsrechts bewegen konnten.
Angesichts dieser tatsächlichen Feststellungen steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass sich der Berufungsbeklagte um den persönlichen Kontakt mit seinem Sohn - wenn auch erfolglos - bemüht hat. An diesen Bemühungen ändert entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin nichts, dass der Berufungsbeklagte seinem Sohn keine Briefe geschrieben, an Weihnachten und Ostern sowie an Geburtstagen keine Geschenke überreicht und ihn nicht angerufen hat. Es ist denn auch nicht einzusehen, inwiefern dadurch im konkreten Fall ohne entsprechenden persönlichen Kontakt eine lebendige Beziehung zwischen dem Sohn und dem ihm fremden Vater hätte aufgebaut werden können. Es kann daher - entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin - im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht gesagt werden, der Berufungsbeklagte habe sich nicht ernsthaft um sein Kind gekümmert.
2.3 An diesem Schluss vermögen auch die übrigen Vorbringen der Berufungsklägerin nichts zu ändern:
2.3.1 Soweit sie geltend macht, der Berufungsbeklagte sei verschiedentlich seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn nicht nachgekommen oder behauptet, es hätten keine Vermittlungsversuche stattgefunden bzw. das Kind lehne jeglichen Kontakt mit seinem Vater ab, ist darauf nicht einzutreten. Das Obergericht hat bezüglich der Vernachlässigung der Unterhaltspflicht nichts festgestellt und mit Bezug auf die Vermittlungsversuche festgehalten, dass diese stattgefunden haben. Schliesslich kann dem angefochtenen Entscheid auch nicht entnommen werden, dass das Kind den Kontakt mit seinem Vater ablehnt, wird doch lediglich bemerkt, dass es anlässlich eines Besuchs verständnislos gewirkt hat. All dem begegnet die Berufungsklägerin nicht mit einer zulässigen Versehensrüge gemäss Art. 63 Abs. 2 OG.
2.3.2 Durchaus verständlich ist die ablehnende Haltung des Berufungsbeklagten gegenüber dem Vorschlag der Berufungsklägerin, den Sohn bei ihr und ihrem Ehemann zu Hause zu besuchen. Es ist in der Tat nicht ersichtlich, inwiefern eine solche Ausübung des Besuchsrechts im konkreten Fall - in dem Vater und Sohn einander fremd sind - den ungestörten Kontakt zwischen ihnen fördern könnte. Dass der Berufungsbeklagte dem Vorschlag der Berufungsklägerin nichts Gutes abgewinnen konnte, kann daher - entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin - nicht zu seinen Ungunsten ausgelegt werden. Das Obergericht hat dem Umstand, dass sich Vater und Sohn zuerst kennen lernen müssen, Rechnung getragen, indem seine Regelung für die Dauer eines Jahres ein begleitetes Besuchsrecht vorsieht.
2.4 Die Berufungsklägerin erachtet schliesslich die Besuchsrechtsregelung auch deshalb als bundesrechtswidrig, weil ihr Ehemann die soziale und psychische Rolle des Vaters übernommen habe, das Kind in der heutigen Familie integriert sei und seinen Vater als Fremden betrachte.
Es trifft zu, dass das Bundesgericht einen wichtigen Grund für eine Verweigerung des Besuchsrechts unter anderem im Umstand erblickte, dass der Stiefvater bzw. die Stiefmutter sozialpsychisch die Elternstelle des verkehrsberechtigten Elters voll einnimmt und dieser und das Kind einander fremd sind (BGE 89 II 2 E. 2b S. 10; 118 II 21 E. 3e S. 26). In der jüngeren Rechtsprechung hat es aber auch betont, aufgrund des schicksalhaften Eltern-Kind-Verhältnisses sei die Beziehung des Kindes zu beiden Eltern sehr wichtig und könne bei der Identitätsfindung des Kindes eine entscheidende Rolle spielen (BGE 122 III 404 E. 3a S. 407). Die Tatsache, dass der leibliche Vater und das Kind einander fremd sind, hat nicht zwangsläufig Schwierigkeiten bei der Ausübung des väterlichen Besuchsrechts zur Folge, so wenig ein Nebeneinander der Beziehung des Kindes zum verkehrsberechtigten Elternteil und zum Stiefelter von vornherein eine Gefährdung des Kindes bedeutet (vgl. Hegnauer, Berner Kommentar, N. 36 zu Art. 274 ZGB). Wird dem Kind gleichzeitig in altersgemässer Form erläutert und das Gefühl vermittelt, dass sich durch das Kennenlernen des für ihn fremden leiblichen Vaters an seiner derzeitigen gewohnten familiären Situation nichts ändert, dass die Mutter und ihr heutiger Ehemann weiter Hauptbezugspersonen bleiben, so braucht keine Beunruhigung von der Konfrontation mit dem bisher unbekannten Elternteil auszugehen (vgl. dazu Arntzen, Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern, 2. Aufl. 1994, S. 46). Zumal dem angefochtenen Entscheid nicht entnommen werden kann, dass entsprechende ernst gemeinte Versuche seitens aller Beteiligten erfolglos geblieben sind, ist die obergerichtliche Lösung mit dem Bundesrecht vereinbar.
3.
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Berufungsklägerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat den Berufungsbeklagten für das bundesgerichtliche Verfahren nicht zu entschädigen, da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Berufungsklägerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Mai 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: