Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4P.12/2004 /pai
Urteil vom 15. Juni 2004
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Arroyo.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Sandra Deutsch,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
André Briel,
Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer.
Gegenstand
Art. 5 und 9 BV sowie Art. 27 Ziff. 1 LugÜ (Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 5. Januar 2004.
Sachverhalt:
A.
Am 4. Juni 2003 erliess der a.o. Gerichtspräsident des bernischen Gerichtskreises IV Aarwangen-Wangen auf Gesuch von Y.________ (Beschwerdegegner) folgenden Entscheid:
1. Das Urteil des High Court of Justice, Chancery Division, London, in der Sache Y.________ gegen X.________ vom 09.04.2003 wird anerkannt und vollstreckbar erklärt.
2. Das Betreibungs- und Konkursamt Emmental-Oberaargau, Dienststelle Wangen, wird angewiesen,
a)beim Gesuchsgegner die provisorische Pfändung für den Betrag von Fr. 3'256'069.07 zuzüglich Zins zu 8% seit 09.04.2003 zu vollziehen,
b)der Gesuchsgegnerin (recte dem Gesuchsgegner) anlässlich der provisorischen Pfändung ein Doppel des Gesuches vom 26. Mai 2003 sowie eine Ausfertigung dieser Verfügung gegen Empfangsbestätigung zu übergeben
3.-5."
Die Gerichtsurkunde wurde X.________ (Beschwerdeführer) am 13. Juni 2003 ausgehändigt; am gleichen Tag wurde die provisorische Pfändung vollzogen.
B.
Auf Appellation des Beschwerdeführers anerkannte der Appellationshof des Kantons Bern am 5. Januar 2004 das Urteil des High Court of Justice, London, vom 9. April 2003 und erklärte es für vollstreckbar; das Betreibungs- und Konkursamt Emmental-Oberaargau wurde angewiesen, beim Appellanten die provisorische Pfändung für den Betrag von Fr. 3'256'069.07 zu vollziehen. Der Appellationshof führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass nach dem anwendbaren LugÜ das ausländische Urteil keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden dürfe, wenn es sich um eine anerkennungsfähige Entscheidung handle, der Antragsteller die in Art. 46 und 47 LugÜ genannten Unterlagen vorlege und keiner der Anerkennungsverweigerungsgründe von Art. 27 und 28 LugÜ vorliege. Das Gericht verwarf die Rügen des Beschwerdeführers zur Zuständigkeit des Londoner Gerichts sowie zum englischen Verfahren und bejahte die Anerkennungsfähigkeit des Londoner Urteils. Es verneinte ausserdem das Vorliegen der geltend gemachten Verletzung des Ordre public. Der Beschwerdeführer hatte vorgebracht, er sei im englischen Verfahren nicht zum Urkundenbeweis zugelassen worden, es fehle eine hinreichende schriftliche Begründung und das englische Gericht sei vom Beschwerdegegner getäuscht worden.
C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde stellt der Beschwerdeführer das Rechtsbegehren, das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern vom 5. Januar 2004 sei aufzuheben. Er rügt mehrfach eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und macht eine Verletzung des Ordre public geltend mit der Begründung, der High Court of Justice in London sei in arglistiger Weise getäuscht worden. Ausserdem vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, der Appellationshof habe willkürlich angenommen, dass er die A.________ AG beherrsche; auch habe der Appellationshof das rechtliche Gehör verletzt, indem er willkürlich die Aktionärsstellung des Beschwerdegegners bejaht habe. Schliesslich stellt er die Frage, ob der Appellationshof nicht die Grundsätze des rechtsstaatlichen Handelns gemäss Art. 5 BV verletzt habe.
Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen.
D.
Mit Präsidialverfügung vom 23. Februar 2004 wurde das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gutgeheissen. Ausserdem wurde der Beschwerdeführer mit Verfügung vom 19. März 2004 zur Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung verpflichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 84 Abs. 1 OG kann gegen kantonale Entscheide beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde geführt werden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (lit. a) und wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland, ausgenommen bei Verletzung zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen durch kantonale Entscheide (lit. c).
1.1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, mit dem ein ausländisches Urteil anerkannt und als vollstreckbar erklärt worden ist. Er rügt die Verletzung des Willkürverbots sowie eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Weiter beanstandet er die Anwendung von Art. 27 Ziff. 1 LugÜ mit der Begründung, der Appellationshof habe einen Verstoss gegen den Ordre public zu Unrecht verneint. Der Beschwerdeführer erhebt damit grundsätzlich zulässige Rügen, gehören doch Staatsvertragsnormen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile nicht zu den zivilrechtlichen Normen im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. c OG (BGE 126 III 534 E. 1a). Das Bundesgericht überprüft auf Rügen gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. c OG die Feststellung des Sachverhalts durch die kantonale Behörde nur unter dem beschränkten Gesichtspunkt der Willkür, die Auslegung der Staatsvertragsnormen dagegen frei (BGE 129 III 626 E. 2 mit Verweis).
1.2 Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wendet das Bundesgericht das Recht nicht umfassend von Amtes wegen an, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der rechtsgenüglich erhobenen und begründeten Rügen (BGE 129 III 626 E. 4 mit Verweisen). Der Beschwerdeführer beruft sich unter anderem auf Art. 5 BV. Er legt nicht dar, inwiefern sich aus der Norm über die Grundsätze staatlichen Handelns verfassungsmässige Rechte der Bürger ergeben sollen, die über die in Art. 7 ff. BV gewährleisteten Grundrechte hinaus Schutz gewähren würden. Erst recht ist den Ausführungen in der Beschwerde nicht zu entnehmen, inwiefern der Beschwerdeführer allfällige Ansprüche als verletzt erachtet. Es ist darauf nicht einzutreten. Auch die übrigen Rügen genügen den Anforderungen an die Begründung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG kaum. Soweit nicht mindestens sinngemäss aus der Begründung hervorgeht, inwiefern der Beschwerdeführer verfassungsmässige Rechte oder Staatsvertragsnormen als verletzt erachtet, ist darauf nicht einzutreten.
1.3 Der Beschwerdegegner hält dafür, der angefochtene Entscheid beruhe auf verschiedenen eigenständigen Begründungen, die der Beschwerdeführer nicht alle angefochten habe. Er schliesst daraus, es könne mangels Rechtsschutzinteresses überhaupt nicht auf die Beschwerde eingetreten werden (BGE 121 IV 94 E. 1b). Der Appellationshof hat im angefochtenen Entscheid die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Urteils bejaht. Dabei hat er sich mit den Rügen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und diese verworfen. Es ist nicht ersichtlich und wird auch aus der Rechtsschrift des Beschwerdegegners nicht klar, dass der angefochtene Entscheid, mit dem die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Urteils gewährt worden ist, auf mehreren selbständigen Begründungen beruht. Wenn der Beschwerdeführer nicht sämtliche im kantonalen Verfahren erhobenen Einwände gegen die Anerkennung und Vollstreckung aufrechterhält, schadet ihm dies für die noch aufrechterhaltenen Rügen jedenfalls nicht.
1.4 Neue tatsächliche Vorbringen und neue Beweismittel sind im vorliegenden Verfahren - von hier nicht substanziiert behaupteten Ausnahmen abgesehen - unzulässig (BGE 128 I 354 E. 6c). Soweit daher der Beschwerdeführer seine Rügen mit neuen tatsächlichen Vorbringen und weiteren, im kantonalen Verfahren nicht rechtzeitig eingelegten Beweismitteln begründen will, ist er nicht zu hören. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, der Beschwerdeführer sei nicht der einzige Verwaltungsrat der A.________ - unbesehen darum, ob dieser Umstand überhaupt entscheiderheblich ist. Es gilt auch für die mit der Beschwerdeergänzung vom 5. Februar 2004 eingereichten Beweismittel zur behaupteten fehlenden Aktionärseigenschaft des Beschwerdegegners - unabhängig von deren Tauglichkeit und Erheblichkeit.
2.
Der Beschwerdeführer rügt, der Appellationshof habe den von ihm geltend gemachten Verstoss gegen den Ordre public im Sinne von Art. 27 Ziff. 1 LugÜ zu Unrecht verneint und daher die Anerkennung und Vollstreckung des englischen Urteils zu Unrecht bzw. in Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte gewährt.
2.1 Eine Entscheidung wird nach Art. 27 Ziff. 1 LugÜ nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widersprechen würde. Diese Bestimmung ermächtigt das Gericht, einer (ausländischen) Entscheidung den schweizerischen Rechtsschutz zu verweigern, die den elementarsten Grundsätzen des schweizerischen Rechtsverständnisses in stossender Weise widerspricht (BGE 126 III 534 E. 2c). Der Ordre-public-Vorbehalt ist allgemein als Ausnahmebehelf zurückhaltend zu handhaben und ausländische Entscheide sind insbesondere nicht schon deshalb ordre-public-widrig, weil sie von zwingenden Normen des schweizerischen Rechts abweichen oder in einem Verfahren zustande gekommen sind, das von den in der Schweiz bekannten Prozessrechten abweicht (vgl. Vischer, Zürcher Kommentar, N 4 zu Art. 17 IPRG; G. Walter, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 3. Aufl. 2002, S. 373, 377 ff.). Dies gilt umso mehr im Bereich des Staatsvertragsrechts, insbesondere des LugÜ. Denn mit dem Abschluss des Abkommens über die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen hat der Gesetzgeber vom schweizerischen Recht abweichende Entscheide in Kauf genommen (BGE 126 III 534 E. 2c). Dass der Ordre public im Sinne von Art. 27 Ziff. 1 LugÜ nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen darf, hat auch der EuGH in ständiger Praxis zum Parallelabkommen EuGVÜ erkannt (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2002, N 4 zu Art. 34 EuGVO).
2.2 Der Beschwerdeführer begründet die Ordre-public-Widrigkeit des englischen Urteils unter Berufung auf BGE 85 I 39 E. 4 S. 47 damit, dass dieser Entscheid durch unlautere Machenschaften erschlichen worden sei. Er behauptet, der Beschwerdegegner habe im Sinne eines Prozessbetruges (BGE 122 IV 197 E. 2) das Urteil durch arglistige Täuschung über seine Eigenschaft als Aktionär der A.________ AG erschlichen. Diese Rüge hat der Appellationshof im angefochtenen Entscheid mit der Begründung verworfen, dem Beschwerdeführer sei der Nachweis misslungen, dass dem englischen Gericht die (angeblich fingierte) Abtretungserklärung vorgelegen habe und dass das Gericht daher aufgrund dieses "deed of assignment" getäuscht worden sei. Vielmehr ist nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil aus dem zu vollstreckenden englischen Entscheid selbst ersichtlich, dass sich das Gericht auf den vom Beschwerdeführer unterzeichneten Put Options-Vertrag vom 27. Juli 2001 stützte und die Abtretungserklärung damit gerade nicht Grundlage des Urteils bildete; die Übertragung der Aktien sei nach Bezahlung des Kaufpreises im englischen Urteil angeordnet worden. Inwiefern der Appellationshof mit dieser Begründung den Sachverhalt willkürlich festgestellt oder die Tragweite des Ordre-public-Vorbehaltes gemäss Art. 27 Ziff. 1 LugÜ verkannt haben könnte, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Der Beschwerdeführer setzt sich in seiner Rechtsschrift mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids nicht auseinander. Die Rüge ist abzuweisen, soweit sie überhaupt gehörig begründet ist.
2.3 Der Appellationshof hat im angefochtenen Urteil dargelegt, dass die Bestreitung der Aktivlegitimation des Beschwerdegegners durch den Beschwerdeführer im Vollstreckungsverfahren einer Überprüfung des zu vollstreckenden Entscheides in der Sache gleichkommt, was Art. 29 LugÜ ausdrücklich verwehrt. Der Beschwerdeführer hält daran fest, dass der Beschwerdegegner nicht als Aktionär der A.________ AG in deren Register eingetragen sei und schliesst offenbar daraus, dass er ihm die Aktien dieser Gesellschaft nach Bezahlung des Betrages gemäss der Put-Option, zu dem der Beschwerdeführer im englischen Entscheid verurteilt worden ist, nicht übertragen könne. Der Beschwerdeführer unterlässt darzutun (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), inwiefern der Appellationshof verfassungsmässige Rechte oder Staatsvertragsnormen verletzt haben könnte, wenn er die Überprüfung der im zu vollstreckenden Urteil bejahten Aktivlegitimation des Beschwerdegegners mit der Begründung ablehnte, dass dies einer Überprüfung in der Sache gleichkäme. Aus der Begründung der Beschwerde geht auch nicht hervor, inwiefern die angeblich fehlende Aktionärsstellung des Beschwerdegegners bei der A.________ AG die Anerkennung und Vollstreckung des englischen Urteils sonst zu hindern vermöge. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass Vinkulierungsvorschriften des schweizerischen Aktienrechts zu den elementarsten Vorschriften gehören könnten, deren Missachtung das schweizerische Rechtsverständnis in stossender Weise verletzen würde. Der Appellationshof hat sich nach den massgebenden Bestimmungen des LugÜ zur Prüfung der Aktionärseigenschaft des Beschwerdegegners bei der A.________ AG zutreffend für unzuständig erklärt. Er hat daher dem Beschwerdeführer auch das rechtliche Gehör nicht verweigert, indem er über diese im Vollstreckungsverfahren unerhebliche Tatsache keine Beweise erhob.
3.
Die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen gegen den angefochtenen Entscheid sind abzuweisen, soweit sie formell hinreichend begründet sind. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtsgebühr ist bei diesem Verfahrensausgang dem Beschwerdeführer zu auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat überdies dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner dessen Parteikosten zu ersetzen (Art. 159 Abs. 1 OG). Gebühr und Parteientschädigung sind nach dem Streitwert zu bemessen. Die Parteientschädigung ist dem Beschwerdegegner aus der bei der Gerichtskasse hinterlegten Kaution des Beschwerdeführers direkt auszurichten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 17'000.-- zu entschädigen. Der Betrag wird dem Beschwerdegegner von der Bundesgerichtskasse zu Lasten der geleisteten Sicherstellung direkt ausbezahlt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Juni 2004
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: