Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.170/2004 /rov
Urteil vom 1. Juli 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber von Roten.
Parteien
B.________ (Ehefrau),
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Zumtaugwald,
gegen
K.________ (Ehemann),
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Oswald Rohner,
Kantonsgericht des Kantons Schwyz, 1. Rekurskammer, Kollegiumstrasse 28, Postfach 2265, 6431 Schwyz.
Gegenstand
Art. 9 und Art. 29 BV (vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz, 1. Rekurskammer, vom 8. März 2004.
Sachverhalt:
A.
Die Parteien heirateten am 6. Oktober 1995 und wurden Eltern eines Kindes. Am 21. März 2002 erhob der Ehemann die Scheidungsklage.
B.
Auf Gesuch des Ehemannes um vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens nahm der Einzelrichter des Bezirkes March von der Berechtigung der Ehegatten zum Getrenntleben Vormerk, bestätigte die - bereits zuvor superprovisorisch angeordnete - Zuteilung der Obhut über das Kind an den Vater, regelte den persönlichen Verkehr der Mutter mit ihrem Kind und wies die eheliche Liegenschaft dem Vater und dem Kind zur ausschliesslichen Benutzung zu (Dispositiv-Ziff. 1-4). Er verpflichtete die Ehefrau, an den Unterhalt des Kindes mit Wirkung ab 1. April 2003 monatlich Fr. 400.-- zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 5), und den Ehemann, seiner Ehefrau an ihren Unterhalt mit Wirkung ab 1. April 2002 monatlich Fr. 1'200.-- zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 6) und einen Prozesskostenvorschuss von Fr. 7'000.-- zu leisten (Dispositiv-Ziff. 7 der Verfügung vom 2. Juli 2003, berichtigt durch die Verfügung vom 10. Juli 2003).
Gegen die Massnahmenverfügung rekurrierte der Ehemann, was seine Verpflichtung zu Geldzahlungen angeht. Die Ehefrau schloss sich einerseits dem Rekurs des Ehemannes an und erhob andererseits ebenfalls Rekurs. Ihre Begehren betrafen ausschliesslich die Unterhaltsbeiträge und den Beginn ihrer Unterhaltspflicht gegenüber dem gemeinsamen Kind.
Das Kantonsgericht Schwyz wies den Rekurs der Ehefrau ab, soweit darauf einzutreten war (Dispositiv-Ziff. 1), und trat auf ihren Anschlussrekurs nicht ein (Dispositiv-Ziff. 5). In teilweiser Gutheissung des Rekurses des Ehemannes hob das Kantonsgericht die Verpflichtung des Ehemannes zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an die Ehefrau auf (Dispositiv-Ziff. 2), legte den Beginn der Unterhaltspflicht der Ehefrau gegenüber ihrem Kind rückwirkend auf den 1. Mai 2002 fest (Dispositiv-Ziff. 3) und wies die Sache zur Neubeurteilung der Prozesskostenvorschusspflicht des Ehemannes an den Einzelrichter zurück (Dispositiv-Ziff. 4). Es verpflichtete die Ehefrau zu einer ausserrechtlichen Entschädigung an den Ehemann (Dispositiv-Ziff. 7) und entsprach ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Dispositiv-Ziff. 8 des Beschlusses vom 8. März 2004).
C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Ehefrau dem Bundesgericht, den angefochtenen Beschluss in den Dispositiv-Ziff. 2, 3, 5 und 7 aufzuheben, soweit das Kantonsgericht den Rekurs des Ehemannes betreffend Ehegatten- und Kindesunterhalt teilweise gutgeheissen hat, auf ihren Anschlussrekurs nicht eingetreten ist und sie zu einer Prozessentschädigung an ihren Ehemann verpflichtet hat. Sie stellt Gesuche um aufschiebende Wirkung und unentgeltliche Rechtspflege. Das Kantonsgericht hat auf eine Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung verzichtet. Der Ehemann schliesst auf Abweisung des Gesuchs, soweit darauf eingetreten werden könne. Vernehmlassungen in der Sache sind nicht eingeholt worden.
D.
Dem Gesuch um aufschiebende Wirkung ist mit Bezug auf die ab Mai 2002 bis und mit Mai 2004 geschuldeten Kinderunterhaltsbeiträge entsprochen worden (Präsidialverfügung vom 24. Mai 2004).
E.
Die von der Ehefrau gleichzeitig gegen den nämlichen Beschluss des Kantonsgerichts erhobene zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde hat die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts vorweg behandelt und mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte (5C.92/2004).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die ersatzlose Aufhebung der Unterhaltspflicht des Beschwerdegegners ihr gegenüber und erblickt Willkür darin, dass das Kantonsgericht ihr die Bezahlung von Kinderunterhalt rückwirkend ab 1. Mai 2002 auferlegt hat statt erst ab 1. Mai 2003 (S. 4 Ziff. 4 und S. 12 ff. Ziff. 21 der Beschwerdeschrift).
1.1 Nicht eingetreten werden kann auf die Anträge betreffend ersatzlose Aufhebung der Unterhaltspflicht des Beschwerdegegners gegenüber der Beschwerdeführerin. In der Beschwerdeschrift wird einleitend erwähnt, der kantonsgerichtliche Beschluss werde in diesem Punkt wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs angefochten. Alsdann fehlt aber jegliche Begründung dafür, inwiefern das angerufene Verfassungsrecht durch den angefochtenen Beschluss verletzt worden sein könnte (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
1.2 Gegen die rückwirkende Auferlegung von Unterhaltsbeiträgen an ihren Sohn wendet die Beschwerdeführerin ein, sie sei vom 1. April 2002 bis 31. März 2003 vom Sozialamt unterstützt worden. Da sie die erhaltenen Beiträge zurückerstatten müsse, sei die Sozialhilfe zu Recht nicht als Einkommen qualifiziert worden. Willkürlich sei es aber, ihr für diese Zeit ein hypothetisches Einkommen anzurechnen.
1.2.1 Das Kantonsgericht hat einerseits festgehalten, bezüglich des Kinderunterhalts gelte die Offizialmaxime, andererseits hat es der Beschwerdeführerin angelastet, sie habe nicht begründet, weshalb sie Sozialhilfe bezogen und nicht - wie früher als Serviceangestellte - gearbeitet habe. Die kantonsgerichtliche Einschränkung der in Kinderbelangen geltenden Offizialmaxime kann sich auf die veröffentlichte Rechtsprechung stützen und trifft insbesondere den Schuldner von Kinderunterhaltsbeiträgen (BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 413). Die Verletzung der Mitwirkungspflicht kann zur Folge haben, dass das Gericht beweiswürdigend annimmt, die Behauptungen des die Mitwirkung verweigernden Ehegatten seien ganz oder teilweise falsch bzw. die Angaben des andern Ehegatten glaubhaft (BGE 118 II 27 E. 3a S. 29, betreffend Auskunftverweigerung). Was die Beschwerdeführerin dagegenhält, ist nicht stichhaltig. Hat sich das Kantonsgericht nach dem Gesagten an die veröffentlichte Rechtsprechung gehalten, kann ihm Willkür nicht vorgeworfen werden (Art. 9 BV; vgl. zum Begriff: BGE 115 III 125 E. 3 S. 130; 118 Ia 8 E. 2c S. 13). Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin hat das Kantonsgericht den Vorwurf unterbliebener Auskunfterteilung und Mitwirkung auf den fraglichen Zeitraum vom April 2002 bis Ende März 2003 bezogen, in dem die Beschwerdeführerin ausschliesslich Sozialhilfe empfangen haben will.
1.2.2 Gemäss den unangefochtenen Feststellungen der kantonalen Instanzen (S. 16 ff.) hat die Beschwerdeführerin ihren Sohn in seinen ersten drei Lebensjahren betreut, danach an diversen Temporärstellen und schliesslich in den Monaten Juni und Juli 2001 als Prostituierte gearbeitet. Ab September 2001 ist sie bis zum besagten April 2002 als Serviceangestellte tätig gewesen. Seit dem 1. April 2003 arbeitet die Beschwerdeführerin bei der Unicef. Dass das Kantonsgericht auf Grund dieser Sachumstände angenommen hat, die Erzielung eines Erwerbseinkommens wäre der Beschwerdeführerin auch zwischen April 2002 und Ende März 2003 tatsächlich möglich gewesen, erscheint nicht als willkürlich. Mit ihren einfachen Bestreitungen und ihrer abweichenden Sachdarstellung vermag die Beschwerdeführerin Willkür in der Beweiswürdigung auch nicht darzutun (Art. 9 BV; vgl. zum Begriff: BGE 116 Ia 85 E. 2b S. 88; 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Es kommt hinzu, dass das Kantonsgericht für die Zeit zwischen April 2002 und Ende März 2003 willkürfrei zum Nachteil der Beschwerdeführerin annehmen durfte, sie habe sich gar nicht um eine Arbeitsstelle bemüht, zumal die Beschwerdeführerin in dieser Frage ihrer Mitwirkungspflicht nicht genügt hatte (E. 1.2.1 soeben). Gegen die Höhe des als tatsächlich möglich erachteten Erwerbseinkommens von rund Fr. 2'500.-- pro Monat wendet die Beschwerdeführerin nichts ein (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
1.2.3 Die Beschwerdeführerin rügt es als willkürlich, dass das Kantonsgericht eine Erwerbstätigkeit in der zur Diskussion stehenden Zeit auch als zumutbar bezeichnet habe. Es sei aktenkundig, dass sie damals teilweise die elterliche Obhut über ihren Sohn innegehabt bzw. mit dem Beschwerdegegner um die Obhutsberechtigung gestritten habe. Die Vorbringen vermögen Willkür nicht zu belegen, die stets im Ergebnis und nicht bloss in der Begründung gegeben sein muss (Art. 9 BV; BGE 129 I 173 E. 3.1 S. 178). Es trifft zwar zu, dass dem Ehegatten, der Kleinkinder zu betreuen hat, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht zumutbar ist (vgl. BGE 115 II 6 E. 3c S. 10). Dies setzt jedoch voraus, dass der betreffende Ehegatte die Kinder auch tatsächlich betreut. Im vorliegenden Fall steht unangefochten fest, dass die Beschwerdeführerin ab ca. dem dritten Altersjahr ihres Kindes sowie vor und nach der Trennung vom Beschwerdegegner praktisch durchgehend an Temporärstellen gearbeitet und sich seit ihrem Wiedereintritt in das Erwerbsleben nicht mehr über einen längeren Zeitraum ausschliesslich mit der Kinderbetreuung befasst hat. In Anbetracht dessen kann es nicht als willkürlich erscheinen, die Zumutbarkeit der angenommenen teilzeitlichen Erwerbstätigkeit zwischen April 2002 und März 2003 zu bejahen.
1.3 Soweit sie sich gegen die Unterhaltsbeiträge richtet, bleibt die staatsrechtliche Beschwerde aus den dargelegten Gründen ohne Erfolg.
2.
Das Kantonsgericht hat der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und sie verpflichtet, dem Beschwerdegegner eine ausserrechtliche Entschädigung zu bezahlen. In Bezug auf die letztere Dispositiv-Ziff. 7 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, seine bisherige Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV zu überprüfen, wonach trotz Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege im Falle eines Unterliegens eine Prozessentschädigung auferlegt werden kann (unter Verweis auf Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/ Vallender, Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2002, N. 42 zu Art. 29 BV). Im Einzelnen verlangt sie, diesen Widerspruch wegen Willkür, mangelnder Begründung und ungleicher Behandlung eines gleichen Sachverhalts zu klären und Dispositiv-Ziff. 7 aufzuheben (S. 4 Ziff. 4 und S. 15 Ziff. 22 der Beschwerdeschrift).
Die Beschwerdeführerin geht selber davon aus, das Kantonsgericht habe sie zu einer Prozessentschädigung verpflichtet, weil die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nach ständiger Praxis des Bundesgerichts und vieler kantonaler Gerichte nicht davon befreit, den Prozessgegner für seine Umtriebe im gerichtlichen Verfahren angemessen zu entschädigen. Die Beschwerdeführerin war sich insoweit im Klaren über die wesentlichen Entscheidgründe, konnte sich über die Tragweite des angefochtenen Beschlusses Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen. Mehr oder anderes bezweckt die verfassungsmässige Begründungspflicht nicht. Die darauf bezogene Rüge muss abgewiesen werden (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 114 Ia 233 E. 2d S. 242; 129 I 232 E. 3.2 S. 236).
In der Sache kann auf die Rügen nicht eingetreten werden. Zur Begründung verweist die Beschwerdeführerin auf die eingangs erwähnte Kommentarstelle. Es heisst dort, ebenso wenig befreie der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die obsiegende Gegenpartei; in diesem Punkt dürfte die Entwicklung noch im Gang sein (Hotz, N. 42 zu Art. 29 BV). Mit diesem blossen Verweis genügt die Beschwerdeführerin den formellen Anforderungen gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht, wonach in der Beschwerdeschrift klar und detailliert aufzuzeigen ist, inwiefern das angerufene Verfassungsrecht durch den angefochtenen Beschluss verletzt wird. Das Bundesgericht hat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde seine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung zur aufgeworfenen Frage auch nicht von Amtes wegen zu überprüfen (BGE 129 I 113 E. 2.1 S. 120; 130 I 26 E. 2.1 S. 31).
3.
Insgesamt muss die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Mit der gegebenen Begründung konnte ihr von Beginn an kein Erfolg beschieden sein. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege muss wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abgewiesen werden (Art. 152 OG). Die Beschwerdeführerin wird damit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Da der Beschwerdegegner mit seinem Antrag auf Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung nicht durchgedrungen ist, steht ihm für die entsprechende Vernehmlassung keine Entschädigung zu. In der Sache selbst ist keine Vernehmlassung eingeholt worden und somit auch keine Entschädigung geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz, 1. Rekurskammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. Juli 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: