Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 146/03
Urteil vom 13. Juli 2004
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Ackermann
Parteien
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Zentralverwaltung, Werdstrasse 62, 8004 Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
H.________, 1954, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 5. Mai 2003)
Sachverhalt:
A.
H.________, geboren 1954, meldete sich am 9. März 2000 bei der Arbeitslosenversicherung zum Taggeldbezug per 13. März 2000 an. Da sie zu dieser Zeit jedoch ein Teilpensum mit fixem Stundenplan in ihrer angestammten Tätigkeit als Sekundarlehrerin ausübte, verneinte das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich mit Verfügung vom 20. Juni 2000 die Vermittlungsfähigkeit ab dem 13. März 2000, was vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 6. Juli 2001 bestätigt worden ist. Nachdem das AWA mit Verfügung vom 3. Oktober 2000 die Vermittlungsfähigkeit für eine Vollzeitstelle ab dem 1. August 2000 bejaht hatte, richtete die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie von August 2000 bis zur Ende August 2001 erfolgten Abmeldung Arbeitslosenentschädigungen aus.
Am 30. April 2002 meldete sich H.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. In der Folge sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich bei einem Invaliditätsgrad von 50 % mit Wirkung ab dem 1. April 2001 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Mit der Begründung, die Arbeitslosenversicherung erbringe nur Leistungen für die verbleibende Erwerbsfähigkeit von 50 %, forderte die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 10. Dezember 2002 für die Monate April bis August 2001 zu viel ausgerichtete Taggelder im Umfang von Fr. 12'040.90 zurück, wobei sie einen Teilbetrag von Fr. 2'550.-- direkt mit Leistungen der Invalidenversicherung verrechnete.
B.
Nachdem es die Akten der Invalidenversicherung beigezogen hatte, hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5. Mai 2003 in Gutheissung der von H.________ erhobenen Beschwerde die Rückforderungsverfügung der Arbeitslosenkasse auf.
C.
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben.
H.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat zu Recht festgehalten, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (10. Dezember 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
Weiter hat die Vorinstanz die für die Vermittlungsfähigkeit massgebenden Bestimmungen und Grundsätze zutreffend dargelegt (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG und Art. 15 Abs. 1 AVIG; vgl. zur Vermittlungsfähigkeit Behinderter Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 AVIV). Dasselbe gilt für die gesetzlichen Bestimmungen über die Rückforderung von unrechtmässig bezogenen Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Art. 95 Abs. 1 AVIG), die dazu nach der Rechtsprechung notwendigen Voraussetzungen für ein wiedererwägungs- oder revisionsweises Zurückkommen auf die formlos erfolgte Leistungszusprechung (vgl. BGE 122 V 368 Erw. 3 mit Hinweisen) und die Verrechnung mit Leistungen anderer Sozialversicherungen (Art. 124 AVIV). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen bleibt, dass nach Art. 40b AVIV bei Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, der versicherte Verdienst massgebend ist, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht.
2.
Streitig ist, ob die Beschwerdegegnerin die durch Taggeldabrechnungen von April bis August 2001 formlos erbrachten Leistungen wegen der nachträglich zugesprochenen Rente der Invalidenversicherung (teilweise) zurückzuerstatten hat. Es geht also nicht nur um die Frage der Unrechtmässigkeit des erfolgten Leistungsbezuges (Art. 95 Abs. 1 AVIG), sondern auch darum, ob die Rückkommensvoraussetzungen - Wiedererwägung oder prozessuale Revision - gegeben sind. Nicht Streitgegenstand ist demgegenüber der Erlass der Rückerstattung der Taggelder gemäss Art. 95 Abs. 2 AVIG.
2.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Verfügung des AWA von Oktober 2000, welche die Vermittlungsfähigkeit ab August 2000 bejahte, weder offensichtlich unrichtig noch zu revidieren sei, weshalb kein Rückkommenstitel vorliege und die Rückforderungsverfügung in der Folge unrechtmässig sei.
Die Beschwerde führende Arbeitslosenkasse macht letztinstanzlich sinngemäss geltend, es sei der versicherte Verdienst in Anwendung des Art. 40b AVIV zu kürzen, so dass dieser nur noch 50 % des ursprünglich angenommenen Wertes betrage.
2.2 Art. 95 Abs. 1 AVIG setzt für die Rückerstattung die Unrechtmässigkeit des Leistungsbezuges voraus; weitere bereichsspezifische Erfordernisse sind nicht notwendig (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 Erw. 5a mit Hinweis).
Die Beschwerdegegnerin erhält mit Wirkung ab dem 1. April 2001 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Rechtsprechungsgemäss stellt die von der Invalidenversicherung ermittelte Erwerbsunfähigkeit eine neue erhebliche Tatsache dar, deren Unkenntnis die Arbeitslosenkasse nicht zu vertreten hat (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 Erw. 5a mit Hinweisen), so dass ein Zurückkommen auf die ausgerichteten Leistungen auf dem Weg der prozessualen Revision grundsätzlich möglich ist. Durch die Gewährung einer Rente der Invalidenversicherung muss die Vermittlungsfähigkeit jedoch nicht ausgeschlossen sein; dies gilt um so mehr, als die Organe der Arbeitslosenversicherung nicht an die Beurteilung durch die Invalidenversicherung gebunden sind (vgl. ARV 1998 Nr. 15 S. 81 f. Erw. 5b sowie BGE 127 V 478 Erw. 2b/cc). So sind Arbeitslosen- und Invalidenversicherung denn auch nicht komplementäre Versicherungszweige (BGE 109 V 29). Es ist erstellt und von der Arbeitslosenkasse auch nicht bestritten, dass die Versicherte ihr zumutbare Tätigkeiten (Art. 16 Abs. 2 lit. c AVIG) ausserhalb des angestammten Lehrerberufs im Umfang von 100 % ausführen kann (und scheinbar auch will; vgl. Art. 15 Abs. 1 AVIG); damit ist die Vermittlungsfähigkeit zu bejahen. So ist vorliegend denn auch die Vermutung des Art. 15 Abs. 2 AVIG nicht widerlegt worden, wonach ein körperlich oder geistig Behinderter als vermittlungsfähig gilt, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Die Vorinstanz ist denn auch zu Recht davon ausgegangen, dass auf die Verfügung des AWA von Oktober 2000 über die Vermittlungsfähigkeit nicht zurückzukommen ist. Damit ist der Leistungsbezug - trotz der neuen Tatsache der Gewährung einer halben Invalidenrente - in dieser Hinsicht nicht unrechtmässig gewesen.
2.3 Die Rechtmässigkeit der Taggeldleistungen ist weiter unter dem Gesichtspunkt des versicherten Verdienstes zu prüfen, insbesondere hinsichtlich Art. 40b AVIV. Danach ist bei Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, der Verdienst massgebend, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht. Wie den Akten entnommen werden kann, ist die Arbeitslosenkasse von einem versicherten Verdienst von Fr. 7'996.-- und einer Vermittlungsfähigkeit für Vollzeitstellen ausgegangen. Die Ausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung stellt nicht nur im Hinblick auf die Frage der Vermittlungsfähigkeit (vgl. Erw. 2.2 hievor), sondern auch betreffend Höhe des versicherten Verdienstes eine neue Tatsache im Sinne der prozessualen Revision dar, weshalb grundsätzlich auf die Festsetzung des versicherten Verdienstes zurückgekommen werden kann. Diesen Punkt hat die Vorinstanz nicht geprüft.
Die Beschwerdegegnerin hat im August 1999 eine neue Vollzeitstelle als Lehrerin angetreten, jedoch bereits Mitte Januar 2000 auf Ende des Schuljahres gekündigt, weil sie sich an der Schule "nicht wohl" fühle; gleichzeitig reduzierte sie ihr Pensum ab März 2000 um knapp die Hälfte. Während der Arbeitslosigkeit war die Versicherte in Zwischenverdiensten tätig, bis sie sich auf Ende August 2001 bei der Arbeitslosenversicherung abmeldete. Am 30. April 2002 erfolgte die Anmeldung bei der Invalidenversicherung, deren Rente mit Wirkung ab April 2001 ausgerichtet wird. Allerdings ist der Rentenbeginn unter Berücksichtigung der verspäteten Anmeldung (Art. 48 Abs. 2 IVG) festgesetzt worden; der Hausarzt hingegen erachtet gemäss seinem Bericht zuhanden der Invalidenversicherung vom 9. August 2002 die Versicherte bereits seit Februar 2000 als eingeschränkt arbeitsfähig. Somit erlitt die Beschwerdegegnerin kurz vor resp. während der im März 2000 eingetretenen Teilarbeitslosigkeit (Art. 10 Abs. 2 lit. b AVIG) eine gesundheitliche Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit, weshalb Art. 40b AVIV und die darauf gestützte Rechtsprechung (BGE 127 V 484, ARV 1991 Nr. 10 S. 92) grundsätzlich anwendbar ist. Daran ändert die fehlende Vermittlungsfähigkeit bis Ende Juli 2000 nichts, ist doch die Arbeitslosigkeit schon im März 2000 eingetreten, als die Beschwerdegegnerin nur noch etwas mehr als ein halbes Pensum unterrichtete, aber eine Vollzeitstelle suchte (Art. 10 Abs. 2 lit. b AVIG). Damit führt die neue Tatsache der nachträglich zugesprochenen Invalidenrente zu einer anderen rechtlichen Beurteilung im Sinne der prozessualen Revision, und es ändert sich die Bemessungsgrundlage des versicherten Verdienstes, so dass die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst nachträglich zu Recht um das Mass der Resterwerbsfähigkeit gemäss Invalidenversicherung (beim hier vorliegenden Invaliditätsgrad von 50 % also auf 50 %) herabgesetzt hat. Es liegt hier ein analoger Fall zu BGE 127 V 486 Erw. 2b vor, da dort Arbeitslosigkeit und Invalidität ebenfalls zeitlich nahe zusammen lagen (BGE 127 V 485 lit. A) und mithin die Voraussetzungen des Art. 40b AVIV gegeben waren.
2.4 Da der versicherte Verdienst gemäss Art. 40b AVIV gekürzt werden muss, ist der Standpunkt der Arbeitslosenkasse im Ergebnis begründet. Die Rückforderung, welche masslich auf einem um 50 % gekürzten versicherten Verdienst beruht, ist daher zu Recht erfolgt. Die Beschwerdegegnerin wird jedoch auf die Möglichkeit des Erlasses der Rückforderung hingewiesen.
3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die Arbeitslosenkasse als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Mai 2003 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 13. Juli 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: