Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.317/2004 /gij
Urteil vom 6. August 2004
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Beat Frischkopf,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Hirschengraben 16, 6002 Luzern.
Gegenstand
Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Abs. 2 EMRK (Strafverfahren; SVG; Beweiswürdigung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom
11. Dezember 2003.
Sachverhalt:
A.
Das Amtsstatthalteramt Sursee verurteilte X.________ am 1. Oktober 2002 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu einer Busse von 600 Franken. Es warf ihm vor, am 1. September 2002, um ca. 02:30 Uhr, seinen Personenwagen von Buttisholz in Richtung Grosswangen gelenkt zu haben, wobei er wegen des zuvor genossenen Alkohols nicht fahrfähig gewesen sei.
Auf Einsprache von X.________ setzte das Amtsstatthalteramt Sursee am 20. Februar 2003 die Busse auf 450 Franken herab und hielt im Übrigen am ersten Strafbefehl fest.
Nachdem X.________ diesen Entscheid nicht angenommen hatte, bestätigte ihn das Amtsstatthalteramt Sursee am 22. Mai 2003 mit begründetem Entscheid.
Auf Einsprache von X.________ hin verurteilte ihn das Amtsgericht Sursee am 25. Juli 2003 wegen Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand zu 450 Franken Busse.
X.________ appellierte ans Obergericht, welches am 11. Dezember 2003 folgenden Urteilsspruch fällte:
1. X.________ ist schuldig des Führens eines Personenwagens in angetrunkenem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 VRV) und des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 SVG).
2. X.________ wird in Anwendung von Art. 91 Abs. 1 SVG und Art. 90 Ziff. 1 SVG mit einer Busse von Fr. 450.--, vorzeitig löschbar nach zwei Jahren, bestraft."
B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. Mai 2004 wegen Verletzung von Art. 5, Art. 9 und Art. 32 BV sowie von Art. 6 EMRK beantragt X.________, diesen obergerichtlichen Entscheid aufzuheben.
Obergericht und Staatsanwaltschaft beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter den folgenden Vorbehalten, einzutreten ist:
1.1 Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit sie sich nicht gegen den letztinstanzlichen Entscheid des Obergerichts richtet, sondern das Verhalten der Polizeibeamten, Untersuchungsbehörden und Vorinstanzen - namentlich mit dem Argument, sie hätten ihn "vorverurteilt" - kritisiert. Das ist, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, unzulässig.
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht keine Fortsetzung des kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c). Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, erschöpfen sie sich in appellatorischer Kritik und genügen den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht.
2.
2.1 Die Verurteilung des Beschwerdeführers geht auf seine Verzeigung durch die Polizeibeamten A.________ und B.________ zurück. Danach fuhren sie in der fraglichen Nacht mit ihrem Patrouillenfahrzeug von Grosswangen in Richtung Buttiswil. Dabei kam ihnen auf der Gegenfahrbahn eine Kolonne mit ca. vier Fahrzeugen entgegen. Sie stellten fest, dass sich die Abblendlichter des vordersten Fahrzeugs immer nach links und rechts verschoben. Sie hielten ihr Fahrzeug bei der Firma G.________ an und liessen die Kolonne vorbeifahren. Sie wendeten ihr Fahrzeug und fuhren der Kolonne hinterher. Sie stellten auf der regennassen Fahrbahn schlangenlinienförmige Reifenspuren fest, welche sie eindeutig dem vordersten Fahrzeug zuordnen konnten. Sie überholten mit eingeschaltetem Blaulicht drei Fahrzeuge und bogen hinter dem vordersten ein. Dabei stellten sie bei diesem nach wie vor eine schwankende Fahrweise fest. Sie stoppten das Fahrzeug anschliessend und stellten bei dessen Lenker, dem Beschwerdeführer, Atemalkohol und gerötete Augen fest. Der Test mit dem Alcometer ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0.84 Promillen. Soweit die Darstellung der Polizei.
2.2 Das Obergericht kam im angefochtenen Entscheid im Wesentlichen auf Grund dieser Angaben im Polizeirapport, die der Polizeibeamte A.________ als Zeuge bestätigte, der Blutalkoholbestimmung durch das IRM, wonach der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,77 Promillen aufwies und eines Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich, wonach die Fahrfähigkeit des Beschwerdeführers auf der betreffenden Fahrt auf Grund der Alkoholeinwirkung nicht gegeben war, zum Schluss, dass der Beschwerdeführer aufgrund übermässigen Alkoholgenusses nicht mehr fahrtüchtig war und sein Fahrzeug nicht mehr beherrschte.
3.
Der Beschwerdeführer versucht, die Beweiswürdigung des Obergerichts unter Berufung auf die Unschuldsvermutung von Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK als verfassungswidrig nachzuweisen. Dabei macht er verschiedene allgemeine Ausführungen zur Handhabung der von ihm angerufenen Grundsätze durch das Bundesgericht, ohne in diesem Zusammenhang in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise konkrete Verfassungsrügen zu erheben. Darauf ist nicht einzutreten.
4.
Seine konkreten Vorwürfe gegen die obergerichtliche Beweiswürdigung zielen darauf ab, diese als willkürlich darzustellen.
4.1 Ein Gericht verletzt das Willkürverbot von Art. 9 BV, wenn es seinem Entscheid Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den Akten in klarem Widerspruch stehen. Im Bereich der Beweiswürdigung besitzt der Richter einen weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13 E. 2c; 18 E. 3c je mit Hinweisen).
4.2 Wie bereits vor Obergericht stellt der Beschwerdeführer die Darstellung der beiden Polizeibeamten als unzuverlässig und widersprüchlich dar. Dazu führt er etwa an, dass im ersten Polizeirapport eine falsche Ortsangabe aufgeführt wird. Dies hat das Obergericht indessen zu Recht als Verschrieb gewertet, bestehen doch keinerlei Zweifel, wo die Kontrolle des Beschwerdeführers stattfand; auch dieser bestreitet nicht, dass dies in Grosswangen war. Weiter bringt er vor, die beiden Beamten hätten bei ihm eine "geistige Müdigkeit" festgestellt, während dem Arzt, der die Blutentnahme durchgeführt habe, nichts Derartiges aufgefallen sei. Solch subjektive Wertungen können naturgemäss auseinander fallen, dies entwertet weder die Einschätzungen der Polizeibeamten noch diejenige des Arztes. Es ist nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin normal, dass ein alkoholisierter Fahrer, der bei seiner Anhaltung müde wirkt, durch die mit der Anhaltung verbundene Aufregung "geweckt" wird und 20 Minuten später keine Müdigkeitssymptome mehr aufweist.
Vor allem aber geht solche Kritik an Nebensächlichkeiten - mit welcher sich im Übrigen das Obergericht bereits grösstenteils befasste und sie (zu Recht) zurückwies, ohne dass dies den Beschwerdeführer veranlasst hätte, sich damit in der staatsrechtlichen Beschwerde auseinanderzusetzen - weitgehend an der Sache vorbei. Der entscheidwesentliche Kerngehalt des Rapportes und der Aussagen der Polizeibeamten, auf den sich die Verurteilung des Beschwerdeführers stützt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die beiden Polizeibeamten identifizierten ein Schlangenlinien fahrendes Fahrzeug, fuhren ihm nach, schlossen durch Überholen zu ihm auf, vergewisserten sich nochmals dessen schwankender Fahrweise, stoppten es und kontrollierten den Beschwerdeführer. Die weitscheifigen Ausführungen des Beschwerdeführers, wie sie oben beispielhaft abgehandelt werden, sind nicht geeignet, die Darstellung der Polizeibeamten im Kern in Frage zu stellen und erschöpfen sich damit in appellatorischer, in einer staatsrechtlichen Beschwerde unzulässiger Kritik. Darauf ist nicht einzutreten.
5.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht eine Verletzung der in Art. 5 BV verankerten Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns vor, da es das Vorgehen des Amtsstatthalteramtes geschützt habe, welches ein Gutachten des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Zürich zu seiner Fahrtauglichkeit eingeholt habe. Dies sei völlig unverhältnismässig gewesen und habe die Unschuldsvermutung verletzt, weil sich das Gutachten auf die völlig unbewiesenen und widersprüchlichen Aussagen der Polizeibeamten gestützt habe.
Der Vorwurf ist kaum nachvollziehbar. Im Zeitpunkt, als das Gutachten in Auftrag gegeben wurde, stand auf Grund des IRM-Gutachtens, das der Beschwerdeführer anerkennt, fest, dass sein Blutalkoholpegel zur Zeit der umstrittenen Fahrt mindestens 0,77 Promille betrug und damit hart an der 0,8 Promille-Grenze lag, bei deren Überschreitung die Fahrfähigkeit in jedem Fall nicht mehr gegeben ist. Weiter lag die - wie dargelegt mit sachlichen Gründen nicht zu erschütternde - Darstellung zweier Polizeibeamten vor, wonach der Beschwerdeführer auf einer übersichtlichen und beleuchteten und damit wenig anforderungsreichen Strecke Schlangenlinien fuhr. Man kann sich zwar tatsächlich fragen, ob diese Beweise nicht ausgereicht hätten für den Nachweis, dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitpunkt nicht fahrtüchtig war. Es war indessen dieser selber, der dies trotz erdrückender Beweislage bestritt und damit Anlass zu weiteren Untersuchungshandlungen gab. Die Einholung dieses Gutachtens im Nachhinein als verfassungswidrig zu bezeichnen, grenzt unter diesen Umständen an Trölerei.
6.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, da er vom Obergericht überraschend auch wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs im Sinne von Art. 31 Abs. 1 SVG verurteilt worden sei.
6.1 Der Anklagegrundsatz verteilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Aufgaben zwischen den Untersuchungs- bzw. Anklagebehörden einerseits und den Gerichten andererseits. Er bestimmt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte des Angeschuldigten und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 120 IV 348 E. 2b S. 353 f. mit Hinweisen). Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK hat der Angeschuldigte Anspruch darauf, in möglichst kurzer Frist über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Diese Angaben schliessen es allerdings nicht aus, dass eine spätere Verurteilung wegen eines gleichartigen oder geringfügigeren Delikts erfolgt. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde.
Ein Anspruch des Betroffenen, vor Erlass eines belastenden Entscheids angehört zu werden, besteht jedoch allgemein nach Art. 29 Abs. 2 BV. Sein Umfang bestimmt sich zunächst nach den kantonalen Verfahrensvorschriften, deren Auslegung und Handhabung das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Überdies greifen die unmittelbar aus der BV folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz; ob diese verletzt sind, beurteilt das Bundesgericht mit freier Kognition (zum Ganzen: BGE 126 I 19 E. 2a).
6.2 Dem Beschwerdeführer wurde von Anfang an vorgeworfen, Schlangenlinien gefahren zu haben. Wer, statt geradeaus Schlangenlinien fährt, beherrscht sein Fahrzeug offensichtlich nicht. Dieser Vorwurf stand somit von Beginn des Strafverfahrens an jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht im Raum, und der Beschwerdeführer hat sich dagegen, wenn auch mit untauglichen Mitteln, zur Wehr gesetzt. Vor Obergericht konnte er sich zudem zur Möglichkeit äussern, dass dieses Verhalten unter Art. 31 Abs. 1 SVG subsumiert werden könnte, nachdem der Staatsanwalt einen entsprechenden Schuldspruch beantragt hatte (angefochtener Entscheid S. 3 oben). Unter diesen Umständen hat das Obergericht den Anklagegrundsatz nicht verletzt, indem es den Beschwerdeführer auch wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs verurteilte, zumal es daraus im Strafpunkt keine weiteren Konsequenzen ableitete und die vorinstanzliche Strafe bestätigte. Die Rüge ist unbegründet.
7.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. August 2004
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: