BGer 2A.480/2003 |
BGer 2A.480/2003 vom 26.08.2004 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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2A.480/2003 /kil
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Urteil vom 26. August 2004
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II. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
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Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Müller, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
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Gerichtsschreiber Merz.
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Parteien
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Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Generalsekretariat, 3003 Bern,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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A.________, geb. ... 1976, zzt. unbekannten Aufenthaltes im Ausland,
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Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt
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Peter Nideröst,
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Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, Postfach, 8090 Zürich,
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Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.
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Gegenstand
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Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG,
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Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
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Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter,
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vom 11. September 2003.
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Sachverhalt:
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A.
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Nach der Einreise in die Schweiz stellte der aus der Türkei stammende A.________ im April 1995 ein Asylgesuch, welches das Bundesamt für Flüchtlinge im August 1995 unter Anordnung der Wegweisung abwies. Dagegen erhob A.________ Beschwerde bei der Schweizerischen Asylrekurskommission.
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Im Januar 1999 nahmen die Zürcher Strafbehörden A.________ in Untersuchungshaft. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich verurteilte ihn am 17. Januar 2002 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus sowie zehn Jahren unbedingter Landesverweisung. Nachdem das Kassationsgericht des Kantons Zürich diesen Entscheid aufgehoben hatte, verurteilte ihn das Obergericht am 22. Mai 2003 nunmehr zu sieben Jahren Zuchthaus - unter Anrechnung von insgesamt 1595 Tagen erstandener Haft - und sah von der Landesverweisung ab. Auch gegen dieses Urteil hat A.________ beim Kassationsgericht Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht; die Beschwerde ist noch hängig. Am 20. August 2003 verfügte der Präsident des Kassationsgerichts, A.________ sei am 7. September 2003 aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen.
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Am 5. September 2003 ordnete das Migrationsamt des Kantons Zürich Ausschaffungshaft gegen A.________ an und berief sich auf den Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 13a lit. e des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20). Nach mündlicher Verhandlung wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich den Antrag auf Bestätigung der Ausschaffungshaft mit Verfügung vom 11. September 2003 ab. Zur Begründung hielt er unter anderem fest, der vom Migrationsamt angenommene Haftgrund der ernsthaften Gefährdung von Leib und Leben von Personen sei nicht gegeben. Gestützt auf diese Haftrichterverfügung wurde A.________ aus der Ausschaffungshaft entlassen.
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B.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 12. Oktober 2003 beantragt das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dem Bundesgericht, den Entscheid des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich aufzuheben.
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C.
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A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Migrationsamt des Kantons Zürich beantragt Gutheissung der Beschwerde. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (im Folgenden: Departement) ist das in der Sache zuständige Departement und damit berechtigt, namens des Bundes die Verfügung des Haftrichters, der als letzte kantonale Instanz entschieden hat, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten (Art. 103 lit. b OG; BGE 128 II 193 E. 1 S. 195). Der Bund führt im öffentlichen Interesse Beschwerde. Das Beschwerderecht der Bundesbehörden soll den richtigen und rechtsgleichen Vollzug des Bundesverwaltungsrechts sicherstellen. Dabei muss grundsätzlich kein spezifisches öffentliches Interesse an der Anfechtung der Verfügung nachgewiesen werden. Erforderlich ist nur, dass es dem beschwerdeführenden Departement nicht um die Behandlung abstrakter Fragen des objektiven Rechts, sondern um konkrete Rechtsfragen eines tatsächlich bestehenden Einzelfalles geht (BGE 129 II 11 E. 1.1 S. 13; 128 II 193 E. 1 S. 195, je mit Hinweisen). Dies ist hinsichtlich der einzigen vorliegend zum Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemachten Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die Ausschaffungshaft nach Art. 13b Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 13a lit. e ANAG angeordnet werden kann, der Fall. Da es sich um eine Grundsatzfrage handelt, besteht im Hinblick auf weitere Fälle ein hinreichendes praktisches Interesse. Dass der Beschwerdegegner unmittelbar nach Eröffnung des Haftrichterentscheides aus der Haft entlassen wurde und sein Aufenthaltsort nicht bekannt ist, ist somit unerheblich (vgl. BGE 128 II 193 E. 1 S. 195 f.).
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Da auch sämtliche übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
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2.
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Gemäss Art. 13b Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 13a lit. e ANAG kann zur Sicherstellung des Vollzugs Ausschaffungshaft angeordnet werden, wenn der Ausländer Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder verurteilt worden ist.
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2.1 Der Beschwerdegegner ist erstinstanzlich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt worden. Da bereits eine laufende Strafverfolgung genügt, ist unmassgeblich, dass das Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist (BGE 125 II 369 E. 3b/bb S. 375, mit Hinweisen; Andreas Zünd, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, ZBJV 132/1996, S. 81).
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2.2 Der Haftrichter ist unter Berufung auf den unveröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts 2A.35/2000 vom 10. Februar 2000 davon ausgegangen, beim Haftgrund des Art. 13a lit. e ANAG sei eine Prognose darüber anzustellen, ob das Risiko weiterer gefährdender Handlungen bestehe. Bei dieser Prognose ist er zur Überzeugung gelangt, es könne nicht angenommen werden, der Beschwerdegegner werde weiterhin Leib und Leben von Personen ernsthaft gefährden.
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2.3 Das Departement vertritt hingegen die Ansicht, dass "die Prognose über das Risiko weiterer gefährdender Handlungen im vorliegenden Fall keine Voraussetzung bei der Anordnung der Ausschaffungshaft" sei. Es genüge allein eine strafrechtliche Verfolgung oder Verurteilung wegen ernsthafter Bedrohung oder Gefährdung von Leib und Leben.
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3.
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3.1 Im vom Haftrichter zitierten Urteil 2A.35/2000 hat das Bundesgericht ausgeführt, mit der auf Art. 13a lit. e ANAG gestützten Haft solle sichergestellt werden, dass der Ausländer die Vorbereitung eines Wegweisungsentscheids bzw. die Vollzugsbemühungen zur Aus- oder Wegweisung nicht erschwert. Zudem soll vermieden werden, dass der Ausländer während der Verfahrensdauer Personen (weiterhin) gefährdet; dazu ist, gleich wie beim Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG (Untertauchensgefahr), eine Prognose erforderlich; es ist zu prüfen, ob aufgrund der bekannten Umstände das ernsthafte Risiko weiterer gefährdender Handlungen besteht (Urteil 2A.35/2000, E. 2b/bb, auszugsweise wiedergegeben bei Thomas Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold [Hrsg.], Ausländerrecht, 2002, S. 284 f. Rz. 7.55, und bei Philip Grant, Les mesures de contrainte en droit des étrangers, 2001, S. 9 f., sowie mit Kritik bei Felix Ziltener, Neues aus der Praxis zur Ausschaffungshaft, AJP 2001 S. 507 f.; ebenso zuvor die Urteile 2A.450/1995 vom 3. November 1995, E. 5b, und 2A.25/1997 vom 30. Januar 1997, E. 4b, beide erwähnt bei Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, RDAF 1997 I S. 334, Fn. 243; sowie das Urteil 2A.493/1996 vom 1. November 1996, E. 3a).
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Die erwähnten Urteile betrafen allerdings Kleindealer, die jeweils nur mit geringen Mengen Betäubungsmitteln auf einmal handelten (sog. Ameisendealer). Das Bundesgericht hat in den erwähnten Urteilen 2A.35/2000 (E. 2b/bb), 2A.25/1997 (E. 4b) und 2A.450/1995 (E. 3b) festgehalten, der sog. Ameisendealer stehe unter dem Gesichtspunkt des Gefährdungsgrades demjenigen Händler nicht nach, der nur ein oder wenige Male, dafür mit grösseren Drogenmengen, unterwegs ist (vgl. auch BGE 122 II 49 E. 2c S. 52). Eine Prognose erweist sich demnach gerade bei denjenigen Ausländern als erforderlich, gegen die lediglich wegen eines einzigen nachgewiesenen Handels mit einer an sich geringfügigen Rauschgiftmenge ein Strafverfahren eröffnet worden ist; diesfalls ist zu eruieren, ob es sich nicht bloss um ein einmaliges Fehlverhalten handelt und ob zumindest das Risiko weiteren Drogenhandels besteht. Denn der Ausländer, der bloss bei einer einzelnen Gelegenheit mit einer geringen Menge Drogen gehandelt hat, stellt an sich noch keine erhebliche Gefährdung für Leib und Leben anderer Personen dar (vgl. erwähnte Urteile 2A.35/2000, E. 2b/bb, und 2A.450/1995, E. 3b).
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Zu untersuchen ist somit, ob es der genannten Prognose auch mit Blick auf das dem Beschwerdegegner vorgeworfene Delikt, dessentwegen dieser eine Zuchthausstrafe zu erwarten hat, bedarf. Dem Wortlaut des Art. 13a lit. e ANAG ist (sowohl in der deutschen, als auch in der französischen und italienischen Fassung) nicht eindeutig zu entnehmen, ob als Haftgrund bereits genügen soll, dass gefährdende Handlungen in der Vergangenheit begangen wurden, oder ob es notwendig ist, dass ein ernsthaftes Risiko weiterer gefährdender Handlungen fortbesteht (vgl. die Formulierung in der Gegenwartsform und nicht in der Vergangenheitsform: "ernsthaft bedroht oder [...] erheblich gefährdet").
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3.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text - wie hier - nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente; dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 130 II 65 E. 4.2 S. 71, 202 E. 5.1 S. 211 f.; 128 II 56 E. 4 S. 62).
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3.3 Bei Einführung des interessierenden Haftgrundes war dem Gesetzgeber daran gelegen, die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere diejenigen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101), einzuhalten; insoweit setzte er bei Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK an (vgl. Bundesrat Koller in AB 1994 S 123; Botschaft zum Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht BBl 1994 I 305, insbes. S. 309 f. und 323).
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Wie bereits der Einleitungssatz von Art. 13b Abs. 1 ANAG ausdrücklich festhält, bezweckt die Ausschaffungshaft die Sicherstellung des Vollzugs eines Weg- oder Ausweisungsentscheids. Insoweit steht diese Bestimmung im Einklang mit Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK, wonach die Freiheit unter anderem denjenigen Personen entzogen werden darf, gegen die ein Ausweisungsverfahren im Gange ist. Die Hängigkeit eines Ausweisungsverfahrens ist eine Voraussetzung nach Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK (vgl. auch BGE 119 Ib 423 E. 4a S. 425 f.; BGE 2A.342/2004 vom 15. Juli 2004, E. 3.1; Walter Kälin, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Materielles Recht, AJP 1995 S. 846; Nicolas Wisard, Les renvois et leur exécution en droit des étrangers et en droit d'asile, Diss. Genf 1997, S. 270; Stefan Trechsel, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, AJP 1994 S. 52). Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK verlangt jedoch nicht zusätzlich, dass die Haft notwendig sein muss, um die betroffenen Personen etwa von der Begehung von Straftaten oder an der Flucht zu hindern (erwähnter BGE 2A.342/2004, E. 3.1; Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Chahal gegen Vereinigtes Königreich vom 15. November 1996, Ziff. 112, und i.S. Conka gegen Belgien vom 5. Februar 2002, Recueil CourEDH 2002-I S. 47, Ziff. 38; abweichend Niccolò Raselli, Die neuen Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Asyl 1994 Heft 4 S. 83).
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Somit ergeben sich aus Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK keine Vorgaben für die Frage, wie die Wendungen "ernsthafte Bedrohung" und "erhebliche Gefährdung" nach Art. 13a lit. e ANAG zu interpretieren sind.
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3.4 Der Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG wurde gemäss den Gesetzesmaterialien aus sicherheitspolizeilichen Überlegungen aufgenommen. Als polizeiliche Ziele strebte der Gesetzgeber mit Einführung dieser Bestimmung an, weitere Straftaten zu verhindern und das Asyl- und Wegweisungsverfahren reibungslos abzuwickeln. Dabei ist er davon ausgegangen, dass die erwähnten Ziele mit dem Straf- und Strafprozessrecht häufig nicht zu erreichen sind (BBl 1994 I 315 und insbes. 322 f.). Bagatellen sollten von Art. 13a lit. e ANAG jedoch nicht erfasst werden; darunter wurden in der Botschaft unter anderem "gewisse einfache Strassenverkehrsdelikte" und das blosse Verweilen in einem deliktischen Umfeld verstanden; Letzterem könne durch die Ein- oder Ausgrenzung nach Art. 13e ANAG begegnet werden (vgl. BBl 1994 I 323). Im Parlament war - selbst von Befürwortern des betreffenden Haftgrundes - seinerzeit ausgeführt worden, es werde davon ausgegangen, dass von den zuständigen Stellen insoweit "relativ hohe Hürden" gesetzt würden und die Haft gestützt auf Art. 13a lit. e ANAG "in Einzelfällen" angeordnet werde, um etwa gegen "notorische Randalierer" vorzugehen. Ein Ausländer, der die öffentliche Ordnung störe, könne auch mit Blick auf die EMRK in Haft genommen werden; soweit wolle man mit dem interessierenden Haftgrund aber nicht gehen, sondern "bewusst restriktiv" legiferieren (vgl. Voten der Nationalräte Seiler und Dettling in AB 1994 N 110 und 112, sowie von Ständerat Frick in AB 1994 S 127). Ausserdem ging das Parlament bei den diskutierten Beispielen regelmässig davon aus, dass es sich um Wiederholungstäter handle, welche ohne die Administrativhaft ihre unerwünschten Handlungen fortführen bzw. ihre ernsthaften Drohungen umsetzen würden (vgl. Voten Bundesrat Koller, Nationalräte Seiler und Steinemann sowie Ständerat Frick in AB 1994 N 110, 111 sowie AB 1994 S 122 und 126).
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Dem Gesetzgeber schwebten namentlich Anwendungsfälle vor, in denen Ausländer Delikte begehen, die eine "gewisse Grössenordnung" nicht überschreiten und die daher strafrechtlich zu nur kurzen oder bedingten Haftstrafen oder gar lediglich zu Bussen führen, bzw. Fälle, wo keine Untersuchungshaft angeordnet wird, weil die Voraussetzungen hierfür (Kollusions- oder Fluchtgefahr) nicht erfüllt sind. Indem der Ausländer über den Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG trotzdem in Haft genommen wird, soll die Begehung weiterer Delikte bis zur Ausschaffung unterbunden werden (vgl. BBl 1994 I 315 und 323; Voten Bundesrat Koller, Nationalräte Seiler, Leuba und Dettling, Ständerat Frick in AB 1994 N 110-113 sowie AB 1994 S 122 und 126). Damit wird die Anwendung dieses Haftgrundes bei Ausländern, die gestützt auf Normen des Straf- oder Strafprozessrechts längere Zeit in Haft genommen worden sind, jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (so implizit bereits Urteile 2A.1/1998 vom 23. Januar 1998, E. 3b; 2A.534/2002 vom 14. November 2002, E. 1.2, und 2A.267/2004 vom 7. Mai 2004, E. 2). Weder der Wortlaut des Art. 13a lit. e ANAG noch dessen sicherheitspolizeiliches Ziel lassen einen solchen Schluss zu. Denn von solchen Ausländern kann - nach Entlassung aus dem Strafvollzug oder der Untersuchungshaft - ebenso weiterhin eine Gefährdung ausgehen. Der Wortlaut erfasst denn auch ohne Einschränkung all diejenigen, die andere Personen ernsthaft bedrohen oder an Leib und Leben erheblich gefährden und deshalb strafrechtlich verfolgt werden oder verurteilt worden sind.
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3.5 Zwar mag der Gesetzgeber bei Art. 13a lit. e ANAG unter anderem den reibungslosen Verlauf des Asyl- und Wegweisungsverfahrens als Ziel vor Augen gehabt haben. Dazu wurde in der Botschaft ausgeführt: "Wer Dritte durch seine Handlungen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet, bei dem besteht typischerweise auch die Gefahr, dass er sich den Behörden kaum für die Durchführung des Verfahrens zur Verfügung stellen wird" (BBl 1994 I 322 f.; ebenso Stefan Trechsel, a.a.O., S. 53). Würde allein hierauf abgestellt, ginge es im Grunde nur um einen Anwendungsfall des Haftgrundes der Untertauchensgefahr (Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG). Dem fraglichen Haftgrund käme damit keine selbständige Bedeutung zu. Wäre dies zudem das einzige Ziel der auf Art. 13a lit. e ANAG gestützten Haft, dann hätte es nahe gelegen, auch solche Straftäter einzubeziehen, die nicht Leib oder Leben anderer gefährdet bzw. Personen ernsthaft bedroht haben, sondern etwa Einbruchsserien begehen. Auch bei diesen Delinquenten ist nämlich regelmässig nicht zu erwarten, dass sie sich pflichtbewusst den Behörden zur Verfügung halten.
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Demnach ist das zusätzliche Ziel des interessierenden Haftgrundes, wodurch er sich vom Haftgrund der Untertauchensgefahr unterscheidet, auch die Verhinderung bestimmter weiterer Straftaten (vgl. BBl 1994 I 323). Dem Gesetzgeber kam es darauf an, den durch einschlägige Delikte bereits aufgefallenen Ausländer daran zu hindern, für andere erneut gefährlich zu werden. Der Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG setzt damit aber seinem Sinn nach voraus, dass das Risiko weiterer gefährdender Handlungen nicht ausgeschlossen erscheint.
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Auch das Bundesgericht ist in den erwähnten Urteilen (vgl. die in E. 3.1 zitierten Fundstellen) davon ausgegangen, dass beim Kleindealer das ernsthafte Risiko weiterer gefährdender Handlungen besteht. Es hat sich also nicht mit der Feststellung begnügt, dass der Ausländer in der Vergangenheit als Drogenhändler aufgetreten ist, sondern hat zusätzlich ein in die Zukunft gerichtetes Element einbezogen. Im Übrigen hat das Bundesgericht bei einem Ausländer, der wegen Sexualdelikten mit Kindern verurteilt worden war, zum fraglichen Haftgrund unter anderem im Sinne einer Prognose festgehalten, dass eine Besserung nicht ersichtlich sei und Wiederholungsgefahr bestehe (Urteil 2A.310/1999 vom 5. Juli 1999, E. 3).
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4.
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4.1 Demnach setzt der Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG - entgegen der Ansicht des Departements - nicht bloss eine strafrechtliche Verfolgung oder Verurteilung wegen ernsthafter Bedrohung oder Gefährdung von Leib und Leben voraus. Vielmehr kommt es auch darauf an, ob eine Gefährdung künftig nicht ausgeschlossen werden kann, worüber eine Prognose anzustellen ist.
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4.2 Es fragt sich aber, welche Anforderungen an die Prognose zu stellen sind. Die Möglichkeiten der zuverlässigen Vorhersage menschlichen Verhaltens allgemein sind relativ begrenzt. Insbesondere haftet der Beurteilung der Gefährlichkeit einer Person ein erhebliches Unsicherheitselement an. Dazu kommt, dass die Prognose bei der Ausschaffungshaft aus einem etwas anderen Blickwinkel erfolgt als diejenige der Straf- und Strafvollzugsbehörden, weshalb nicht einfach deren Beurteilung des künftigen Verhaltens übernommen werden kann. Diese Behörden verfolgen mit ihren Prognosen zum Teil andere Ziele. Sie stellen auf eine (rein individuelle) Resozialisierung des Straftäters ab und gewähren ihm daher im Rahmen von Art. 41 StGB gegebenenfalls den bedingten Strafvollzug bzw. entlassen ihn gemäss Art. 38 StGB vorzeitig bedingt aus dem Vollzug. Dabei nehmen sie Risiken für die Gesellschaft in Kauf bzw. setzen nicht voraus, dass der Verurteilte für die Gesellschaft nicht mehr gefährlich ist. Sie gewähren ihm aber unter bestimmten Rahmenbedingungen, deren Einhaltung kontrolliert wird, die Möglichkeit zur Resozialisierung bzw. sich unter Ansetzung einer Probezeit zu bewähren, wenn hierfür eine vernünftige Chance besteht.
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Diese Gedanken stehen beim Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG nicht im Vordergrund. Hier geht es in erster Linie um den Schutz der Bevölkerung und handelt es sich zudem in der Regel um Ausländer, bei denen davon auszugehen ist, dass sie die Schweiz demnächst verlassen müssen, so dass die Wiedereingliederung in die hiesige Gesellschaft ohnehin nicht in Frage steht. Eine Begleitung und Überwachung wie bei bedingten Vollzugsformen scheidet zudem aus. Im Weiteren geht es auch darum, das Asyl- oder Wegweisungsverfahren reibungslos abzuwickeln, wobei der Gesetzgeber damit rechnet, dass derjenige, der Dritte ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet hat, sich kaum für die Durchführung des Verfahrens zur Verfügung stellen wird (BBl 1994 I 322 f.).
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4.3 Gestützt auf diese Überlegungen drängt sich im Rahmen von Art. 13a lit. e ANAG auf, nach Begehung ernsthafter Delikte gegen Leib und Leben bzw. entsprechenden Drohungen davon auszugehen, dass die Gefahr der Verübung weiterer derartiger Delikte besteht, sofern keine Umstände vorliegen, die klarerweise einen anderen Schluss nahelegen. Bei gravierenden Gewaltdelikten brauchen keine vertieften Überlegungen über das künftige Wohlverhalten des Ausländers angestellt zu werden. Vielmehr ist mit Blick auf das Erfordernis rascher Entscheidung und den Schutz der Bevölkerung der Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG als gegeben zu erachten, es sei denn, aufgrund der konkreten Umstände könnten keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass der Ausländer künftig Leib und Leben von Drittpersonen achten und sich den Behörden für die Durchführung der fremdenpolizeilichen Verfahren zur Verfügung stellen werde.
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5.
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Für seine Prognose hat der Haftrichter auf Überlegungen des Zürcher Obergerichts zur Anordnung bzw. Nichtanordnung der Nebenstrafe der Landesverweisung, auf Erwägungen des Präsidenten des Kassationsgerichts des Kantons Zürich zur bedingten Entlassung des Beschwerdegegners aus dem vorzeitigen Strafvollzug und auf ein von der Bezirksanwaltschaft Zürich eingeholtes psychiatrisches Gutachten Bezug genommen. Er ist zum Ergebnis gelangt, aufgrund der konkreten Situation könne nicht angenommen werden, dass der Beschwerdegegner weiterhin Leib und Leben von Personen ernsthaft gefährden werde. Damit hat er eine negative Prognose klar ausgeschlossen. Das Departement hat diese Beurteilung nicht in Zweifel gezogen. Seine Einwände betreffen allein die Grundsatzfrage, ob der Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG bei einem Ausländer, der sich eine schwere Straftat gegen Leib und Leben hat zuschulden kommen lassen, überhaupt eine Prognose über das Risiko weiterer gefährdender Handlungen verlange. Bei dieser Sachlage und auch mit Blick auf den Umstand, dass der Beschwerdegegner nach den Angaben seines Rechtsvertreters die Schweiz nach der Haftentlassung umgehend verlassen hat, hat das Bundesgericht keinen Anlass, weitere Überlegungen zur Prognose im vorliegenden Fall anzustellen. In diesem Punkt muss es mit der Beurteilung durch den Haftrichter sein Bewenden haben.
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6.
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Demnach erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet. Gemäss Art. 156 Abs. 1 und 2 OG sind keine Gerichtskosten zu erheben. Allerdings hat der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten auferlegt.
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3.
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Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Migrationsamt des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 26. August 2004
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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