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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 670/03
Urteil vom 27. August 2004
I. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Rüedi und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiberin Hofer
Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin,
gegen
B.________, 1985, Beschwerdegegner,
vertreten durch seine Eltern
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 16. September 2003)
Sachverhalt:
A.
Der 1985 geborene B.________ leidet seit 1996 an einer schweren Verhaltensstörung, welche ab Dezember 1997 psychotherapeutisch behandelt wurde. Vom 28. Oktober bis 27. November 1998 erfolgte eine Hospitalisation im Kinderspital Z.________, wo eine Zwangsstörung mit Zwangsgedanken und -handlungen, eine schwere depressive Episode, eine stark introvertierte Persönlichkeit, ein Analprolaps und ein kachektischer Zustand diagnostiziert wurden. Im Januar 1999 erfolgte die Aufnahme in der kinderpsychiatrischen Therapiestation des Kinderspitals.
Am 27. November 1998 hatten die Eltern B.________ zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen holte den Bericht des Kinderspitals Z.________ vom 21. Dezember 1998 ein und gewährte am 4. Februar 1999 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1999 medizinische Massnahmen in Form von stationärer Psychotherapie mit integrierter Sonderschulung, welche sie am 18. Februar 2000 bis Dezember 2000 verlängerte.
Mit Schreiben vom 17. November 2000 teilte Dr. med. M.________ vom Kinderspital Z.________ der IV-Stelle mit, der Versicherte sei am 6. Oktober 2000 aus der Psychotherapiestation ausgetreten. Die ambulante Weiterbehandlung werde von Dr. phil. G.________ durchgeführt. Da diese zwingend indiziert sei, werde um Kostenübernahme ersucht. Nach Einholung des Berichts des Kinderspitals vom 11. Dezember 2000 sprach die IV-Stelle B.________ mit Verfügung vom 7. Februar 2001 ambulante Psychotherapie für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2002 zu. Mit Verfügung vom 17. September 2001 erteilte sie auch Kostengutsprache für die ambulante Psychotherapie für die Dauer vom 6. Oktober bis 31. Dezember 2000.
Da der Versicherte zudem der dauernden medizinischen und pflegerischen Hilfe und Überwachung bedurfte, sprach ihm die IV-Stelle von November 1999 bis Ende Juni 2001 Pflegebeiträge für Hilflosigkeit schweren Grades und ab Juli 2001 bis 30. Juni 2002 für Hilflosigkeit mittleren Grades zu.
Am 30. Juni 2002 stellten die Eltern von B.________ ein Gesuch um Verlängerung des Pflegebeitrages für Hilflosigkeit mittleren Grades und medizinischer Massnahmen in Form von Psychotherapie. Der Pflegebeitrag wurde am 21. November 2002 für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 31. März 2003 verlängert. Zur Klärung des Anspruchs auf Psychotherapie holte die IV-Stelle die Berichte des Dr. med. R.________ vom 6. Dezember 2002 und des Dr. phil. G.________ vom 1. Februar 2003 ein. Mit Verfügung vom 25. Februar 2003 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf medizinische Massnahmen, da eine Verbesserung der Eingliederungsfähigkeit nicht gegeben sei. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 7. April 2003 fest.
B.
Die von den Eltern von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 16. September 2003 gut, indem es den Einspracheentscheid vom 7. April 2003 aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie über den Anspruch auf medizinische Massnahmen ab 1. Juli 2002 im Sinne der Erwägungen verfüge.
C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Bestätigung des Einspracheentscheids vom 7. April 2003.
Während die Eltern von B.________ auf eine Vernehmlassung verzichten, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) vom 1. September 2002 in Kraft getreten. Mit ihnen sind u.a. auch im Invalidenversicherungsrecht verschiedene materiellrechtliche Bestimmungen geändert worden.
1.2 Im noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichen Urteil L. vom 4. Juni 2004 (H 6/04) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erkannt, dass sich aus der Übergangsbestimmung des Art. 82 Abs. 1 ATSG, mit Ausnahme der darin speziell geregelten Sachverhalte, keine allgemein gültigen intertemporalrechtlichen Schlüsse ziehen lassen. Art. 82 Abs. 1 ATSG hat nur eine beschränkte Tragweite und will lediglich Fälle von der Anwendbarkeit des neuen Gesetzes ausnehmen, in welchen über die Rechte und Pflichten vor dem 1. Januar 2003 rechtskräftig verfügt worden ist (" ... bei seinem Inkrafttreten laufenden Leistungen und festgesetzten Forderungen ..." [Satz 1: Regel]); dies vorbehältlich der Anpassung von rechtskräftig verfügten Leistungskürzungen an Art. 21 ATSG mit Wirkung ab 1. Januar 2003 (Satz 2: Ausnahme). Insbesondere lässt sich daraus somit nicht ableiten, dass der Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung oder - bei Durchführung des Einspracheverfahrens - des Einspracheentscheides für die Anwendung der materiellen Normen des neuen Gesetzes in Bezug auf Leistungen, welche bei dessen In-Kraft-Treten (1. Januar 2003) noch nicht rechtskräftig festgelegt worden sind, massgebend ist. Vielmehr muss diesbezüglich - von den in Art. 82 Abs. 1 ATSG spezifisch normierten Tatbeständen abgesehen - von den allgemeinen Regeln ausgegangen werden, welche im Bereich des Übergangsrechts entwickelt worden sind. Danach sind in zeitlicher Hinsicht - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlage - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze relevant, die bei der Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhaltes in Geltung standen (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen). An diesem Ergebnis vermag der Umstand, dass im erwähnten Urteil L. vom 4. Juni 2004 nicht, wie im vorliegenden Fall, über Dauerleistungen, sondern über den Anspruch auf Verzugszinsen gestützt auf eine im Jahr 2001 fällig gewordene, aber erst 2003 ausbezahlte einmalige Pauschalentschädigung zu befinden war, nichts zu ändern. Die zuvor dargelegte Lösung stellt zufolge ihres allgemein gültigen Bedeutungsgehaltes einen für alle Rechtsverhältnisse - und somit auch für Dauerleistungen - geltenden intertemporalrechtlichen Grundsatz auf (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 5. Juli 2004 [I 690/03]).
1.3 Zu beurteilen ist, ob der 1985 geborene Versicherte ab 1. Juli 2002 Anspruch auf medizinische Massnahmen in Form von Psychotherapie hat. Dies wurde mit Einspracheentscheid vom 7. April 2003 verneint. Das Sozialversicherungsgericht stellt bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids eingetretenen Sachverhalt ab (BGE 129 V 4 Erw 1.2, 169 Erw. 356 Erw. 1, je mit Hinweisen). Da keine laufenden Leistungen im Sinne der übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des Art. 82 Abs. 1 ATSG vorliegen, sondern Dauerleistungen, über welche noch nicht rechtskräftig verfügt wurde ist - den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln folgend - für die Zeit bis 31. Dezember 2002 aufgrund der bisherigen Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen des ATSG zu entscheiden.
1.3.1 Für die Zeit bis 31. Dezember 2002 galt folgende gesetzliche Grundlage: Nichterwerbstätige Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr mit einem körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden gelten als invalid, wenn der Gesundheitsschaden wahrscheinlich eine Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird (Art. 5 Abs. 2 IVG). Der Versicherte hat Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren (Art. 12 Abs. 1 IVG).
1.3.2 Art. 5 Abs. 2 IVG in der ab 1. Januar 2003 gültigen Fassung lautet: Bei nicht erwerbstätigen Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr bestimmt sich die Invalidität nach Art. 8 Abs. 2 ATSG. Art. 8 Abs. 2 ATSG hatte in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 in Kraft gestandenen Fassung folgenden Wortlaut: Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folgen haben wird. Art. 12 Abs. 1 IVG hat bis 31. Dezember 2003 keine Änderung erfahren.
Die Bestimmungen der auf den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen 4. IVG-Revision sind im hier zu beurteilenden Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).
1.4 Vorweg ist zu prüfen, ob die unter der bisherigen Gesetzesordnung ergangene Rechtsprechung auch nach dem In-Kraft-Treten (1. Januar 2003) des ATSG und des revidierten Art. 5 Abs. 2 IVG massgebend bleibt. Bei den in Art. 3-13 ATSG enthaltenen Legaldefinitionen handelt es sich in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil A. vom 30. April 2004 [I 626/03]). Im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 2 ATSG wird ausdrücklich betont, diese Bestimmung lehne sich an die in der bisherigen Gesetzgebung der Invalidenversicherung enthaltene Umschreibung der Invalidität von Minderjährigen an (BBl 1991 II 249; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Rz 9 zu Art. 8). Im BBl 1991 II 249 heisst es dazu: "Der Begriff der Invalidität wird in allen Gesetzen, die Invaliditätsleistungen vorsehen, ausgehend von einer vollen oder teilweisen Erwerbsunfähigkeit ähnlich, wenn auch mehr oder weniger differenziert umschrieben. Die in der vorliegenden Bestimmung enthaltene Definition lehnt sich an die Art. 4 und 5 IVG an und umschreibt den Begriff der Invalidität sowohl für Erwerbstätige (Abs. 1) wie auch für nichterwerbstätige Minderjährige (Abs. 2) und Erwachsene (Abs. 3)". Indessen ist der Begriff "voraussichtlich" (vgl. Art. 8 Abs. 2 ATSG in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung) an die Stelle von "wahrscheinlich" (vgl. Art. 5 Abs. 2 in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) getreten. Dadurch wird betont, dass die Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit Minderjähriger aufgrund einer auf die Zukunft ausgerichteten Betrachtungsweise zu beurteilen ist (Ueli Kieser, a.a.O., Rz 10 zu Art. 8). Dies entspricht der zu Art. 5 Abs. 2 IVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung ergangenen Rechtsprechung, wonach bei Minderjährigen die anzunehmende Erwerbsunfähigkeit nicht zeitlich aktuell gegeben sein muss (vgl. Ulrich Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 31 f.). Ist demzufolge mit dem In-Kraft-Treten des ATSG und der revidierten, seit 1. Januar 2003 gültigen Fassung von Art. 5 Abs. 2 IVG keine Änderung der Invaliditätsumschreibung Minderjähriger verbunden, bleibt die bisher - unter der Herrschaft der bis Ende 2002 gültig gewesenen Gesetzgebung - ergangene Rechtsprechung weiterhin massgebend.
2.
2.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, nach medizinischen Erkenntnissen sei die Prognose bei Zwangsneurosen zwar häufig, nicht aber generell ungünstig. Auch wenn keine Heilung oder dauerhafte und wesentliche Besserung erreicht werde, könne durch psychotherapeutische Massnahmen wenigstens eine vorübergehende Besserung erzielt und ein progredienter Verlauf aufgehalten werden. Mit Bezug auf den Versicherten habe im massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung nach Lage der Akten nicht davon ausgegangen werden können, dass er voraussichtlich auch in Zukunft dauernd psychotherapeutischer Behandlung bedürfe. Obwohl im Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Gesuch um Verlängerung der psychotherapeutischen Massnahmen keine ärztliche Stellungnahme zur Prognose der Behandlung abgegeben worden sei, könne aufgrund der Ausführungen des Psychotherapeuten angenommen werden, dass die Behandlung Chancen auf Erfolg habe. Der Versicherte habe sich nicht mehr in stationäre Behandlung begeben müssen und die Medikamentenabhängigkeit habe reduziert werden können. Zudem sei eine Zunahme des Körpergewichts auf 35 kg zu verzeichnen. Es dürfe erwartet werden, dass der drohende Defekt mit den negativen Wirkungen auf Berufsausbildung und Erwerbsfähigkeit in erheblichem Mass werde verhindert werden können.
2.2 Nach Auffassung der IV-Stelle stellt sich die Frage, ob die negativen Wirkungen auf Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit in erheblichem Mass hätten verhindert werden können, gar nicht. Da eine hartnäckige Anorexie ohne günstige Prognose vorliege, könnten nach Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zum Vornherein keine Leistungen der Invalidenversicherung erbracht werden. Abgesehen davon sei eine erfolgreiche Behandlung im Hinblick auf eine berufliche Eingliederung unrealistisch. Der mittlerweile 18-jährige Versicherte leide seit sechs Jahren an Verhaltensstörungen und werde deswegen bereits seit fünf Jahren behandelt.
3.
3.1 Bei nichterwerbstätigen Minderjährigen können medizinische Vorkehren schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit
oder beide beeinträchtigt würden. Es geht demnach um die erwerblich bedeutsame Heilung eines Leidens, das ohne vorbeugende medizinische Vorkehren sich zu einem stabilen pathologischen Zustand entwickeln würde. Hier soll der Eintritt eines stabilen Defektes verhindert werden. Handelt es sich aber nur darum, die Entstehung eines solchen Zustandes mit Hilfe von Dauertherapie hinauszuschieben, so liegt keine Heilung vor. Freilich wird auch durch derartige kontinuierliche Behandlung die Erwerbsfähigkeit positiv beeinflusst, aber es besteht eine ähnliche Situation wie beispielsweise beim Diabetiker, dessen Gesundheitszustand durch ständige medikamentöse Therapie bloss im Gleichgewicht gehalten und dadurch vor wesentlicher, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Verschlimmerung mit allenfalls letalem Risiko bewahrt wird; auch hier ist die medizinische Vorkehr nicht auf die Heilung eines Leidens zur Verhütung eines stabilen pathologischen Defektes gerichtet. In allen derartigen Fällen stellen die Vorkehren nach der Rechtsprechung (dauernde) Behandlung des Leidens an sich dar und es kommt ihnen kein Eingliederungscharakter im Sinne des IVG zu (BGE 100 V 43 Erw. 2a; vgl. auch BGE 105 V 19). Diese Rechtsprechung wurde in ZAK 1981 S. 548 Ew. 3a ausdrücklich bestätigt. Dabei ist bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen von Art. 12 Abs. 1 IVG bei Minderjährigen nicht entscheidend, ob eine Sofortmassnahme (z.B. eine Operation) oder eine zeitlich ausgedehntere (aber nicht unbegrenzte) Vorkehr (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie) angeordnet wird.
3.2 Daraus ergibt sich für minderjährige Versicherte mit psychischen Leiden, dass die Invalidenversicherung für vorbeugende Psychotherapien aufzukommen hat, wenn das erworbene psychische Leiden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem schwer korrigierbaren, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich behindernden oder gar verunmöglichenden stabilen pathologischen Zustand führen würde. Umgekehrt kommen prophylaktische Massnahmen der Invalidenversicherung nicht in Betracht, wenn sich diese gegen psychische Krankheiten und Defekte richten, welche nach der heutigen Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft ohne dauernde Behandlung nicht gebessert werden können. Dies trifft in der Regel u.a. bei Schizophrenien und manisch-depressiven Psychosen zu (BGE 100 V 44 Erw. 2a; vgl. auch BGE 105 V 20). In ZAK 1970 S. 234 Erw. 2 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, Psychosen im engeren Sinn (Schizophrenie und organische Psychosen) könnten bei Kindern und Jugendlichen später oft zu einem relativ stabilisierten Defektzustand führen. Bei diesen Krankheiten sei manchmal eine Behandlung möglich, die - auf den Zeitpunkt des Eintritts ins Erwerbsalter bezogen - zur dauernden und wesentlichen Verbesserung der Erwerbsfähigkeit geeignet sei. Dabei richte sich die Behandlung primär auf das Leiden an sich, d.h. spezifisch auf die Grundkrankheit. Könne diese aufgehalten oder geheilt werden, so bedeute dies die Wiederherstellung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit. Bei pathologischen Persönlichkeitsentwicklungen komme es meistens überhaupt nicht oder erst viel später als beim Eintritt ins Erwerbsleben zu relativ stabilisierten Zuständen. Nach ZAK 1971 S. 604 Erw. 3b bleibt ein psychotischer Zustand - Ausnahmen vorbehalten - bei einem Kind lange fortschreitend. Bei einem an solchen Störungen leidenden Kind dient die psychotherapeutische Massnahme in der Regel nicht der Verhinderung eines stabilen Defektzustandes, der sich in naher Zukunft einstellen würde. Vorbehalten hat das Eidgenössische Versicherungsgericht den Fall, dass eine medizinische Massnahme, die an sich der Leidensbehandlung dient, derart eng mit gleichzeitig zur Durchführung gelangenden medizinischen Eingliederungsmassnahmen verbunden ist, dass sie von diesen nicht getrennt werden kann, ohne die Erfolgsaussichten zu gefährden. In diesem Falle seien Art und Ziel des gesamten Massnahmenkomplexes ausschlaggebend. Demzufolge könne Psychotherapie von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn sie der Ergänzung der Sonderschulung oder anderer Massnahmen pädagogischer Art diene, sofern sie nicht selbst von derartiger Bedeutung sei, dass sie die andern Massnahmen in den Hintergrund verweise (ZAK 1971 S. 604 Erw. 3a).
3.3 Das Kreisschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherung über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen in der Invalidenversicherung (KSME) hält in Rz 645-647/845-847.4 (Fassung 1/03), auf welche die IV-Stelle verweist, fest: Das Vorliegen von Krankheiten und Defekten, die nach heutiger Erkenntnis der Medizin ohne dauernde Behandlung nicht gebessert werden können (z.B. Schizophrenien, manisch-depressive Psychosen) schliessen medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung auch gegenüber Jugendlichen aus. Dies gilt auch für Leiden, die einer Therapie zumindest über längere Zeit hinweg bedürfen und ohne dass sich eine zuverlässige Prognose stellen lässt (z.B. hyperkinetische Störungen, Anorexien). In einer Fussnote wird zudem auf die Rechtsprechung verwiesen. Die Verwaltungsweisung ist daher im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung auszulegen.
4.
Zu den im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG zu übernehmenden medizinischen Massnahmen können grundsätzlich auch psychotherapeutische Vorkehren gehören (Art. 2 Abs. 1 IVV). Gewisse psychische Leiden (z.B. Schizophrenien, vgl. BGE 100 V 44 Erw. 2b) können nach medizinischen Erkenntnissen in der Regel ohne dauernde Behandlung nicht gebessert werden. Es ist jedoch im Einzelfall zu beurteilen, ob Anspruch auf psychotherapeutische Vorkehr gegenüber der Invalidenversicherung besteht. Die Anspruchsvoraussetzungen wurden auch im von der IV-Stelle angeführten, in AHI 2000 S. 63 publizierten Entscheid eingehend geprüft und als nicht gegeben erachtet. In diesem Urteil ging es um die Beurteilung der Frage, ob die beantragte jugendpsychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung einer schweren Anorexia nervosa von der IV-Stelle als medizinische Massnahme zu übernehmen sei. Gestützt auf die medizinischen Unterlagen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht dies im konkreten Fall verneint, weil mit oder ohne Psychotherapie auch auf längere Sicht mit einem labilen pathologischen Geschehen zu rechnen war. Der Umstand, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Psychotherapie durch die Invalidenversicherung nach Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 IVG und Art. 2 Abs. 1 IVV in vielen Fällen nicht erfüllt sind, ändert nichts am Bestehen eines grundsätzlichen gesetzlichen Anspruchs auf Psychotherapie, welcher im Einzelfall anhand der konkreten Gegebenheiten zu prüfen ist. Dies gilt auch mit Bezug auf die psychotherapeutische Behandlung bei hyperkinetischen Störungen (vgl. AHI 2003 S. 103).
5.
5.1 Zum Gesundheitszustand des Versicherten führt das Kinderspital Z.________ im Bericht vom 11. Dezember 2000 aus, dieser leide an einer schweren Zwangsstörung, wozu eine Ess- und Kommunikationsstörung komme, welche massivste Auswirkungen auf die Bewältigung von alltäglichen Verrichtungen habe. Eine Prognose sei nur sehr schwer zu stellen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könne jedoch von einem protrahierten, zur Chronifizierung neigenden Krankheitsverlauf ausgegangen werden. Im Gesuch um Verlängerung der medizinischen Massnahmen vom 30. Juni 2002 gaben die Eltern des Versicherten an, wegen der Magersucht und den schweren Zwängen könne ihr Sohn keine Schule besuchen. Eine berufliche Eingliederung liege noch in weiter Ferne. Die Kontaktaufnahme mit anderen Personen sei weiterhin stark eingeschränkt. Aufgrund der psychotherapeutischen Betreuung habe jedoch die Abhängigkeit von Medikamenten deutlich reduziert werden können. Zudem könne der Versicherte vermehrt über seine Situation reflektieren. Gemäss Dr. med. R.________ konnte dank der Psychotherapie eine Gewichtszunahme auf 35 kg verzeichnet werden (Bericht vom 5. Dezember 2002). Der behandelnde Psychotherapeut geht in seinem Bericht vom 1. Februar 2003 von einem chronischen Krankheitsverlauf mit wechselnden Phasen von Essverweigerung, Zwangsverhalten, Bulimie und Depression aus. Der Schweregrad der Hilflosigkeit habe auf ein mittleres Mass reduziert werden können. Spitalaufenthalte seien nicht mehr nötig und die Medikamentenabhängigkeit sei deutlich geringer. Wegen des komplexen Krankheitsbildes sei weiterhin mit einer langen Therapiedauer zu rechnen. Ein Schulbesuch oder eine berufliche Ausbildung seien derzeit nicht möglich. Die bisherigen Massnahmen seien indessen für eine spätere berufliche Eingliederung weiterhin dringend nötig.
5.2 Aus diesen Darlegungen erhellt, dass ohne psychotherapeutische Behandlung in absehbarer Zeit kein stabilisierter, die spätere Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Defektzustand einträte, sondern dass ein auch auf längere Sicht labiles pathologisches Geschehen vorliegt. Die Psychotherapie dient demnach vorwiegend der Behebung eines labilen Krankheitsgeschehens. Es kann daher nicht gesagt werden, sie sei geeignet, die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit dauerhaft und wesentlich im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG zu beeinflussen. Wesentlich im Sinne dieser Bestimmung ist der durch eine Behandlung erzielte Nutzeffekt nur dann, wenn er in einer bestimmten Zeiteinheit einen erheblichen absoluten Grad erreicht (BGE 115 V 199 Erw. 5a). Beim Versicherten geht es jedoch um eine langdauernde Behandlung des Leidens an sich. Fehlt es somit an dem von Art. 12 Abs. 1 IVG geforderten Eingliederungscharakter, gehört die Massnahme nicht in den Bereich der Invalidenversicherung.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. September 2003 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 27. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: