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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 279/02
Urteil vom 31. August 2004
II. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Renggli
Parteien
D.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Winterthur-ARAG Rechtsschutzversicherungs-Gesellschaft, Gartenhofstrasse 17, 8036 Zürich,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdegegner
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 12. November 2002)
Sachverhalt:
A.
Die 1974 geborene D.________ arbeitete ab dem 25. September 1995 als Kleinkinderzieherin in Krippen und Privathaushalten. Nach Auflösung des letzten Arbeitsverhältnis durch die Arbeitgeberin auf Ende Oktober 2000 wegen Wegfallens des Betreuungsbedürfnisses meldete D.________ sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Zürich zur Arbeitsvermittlung an und ersuchte die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Zürich, um Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. November 2000. Diesem Leistungsgesuch wurde entsprochen. Am 23. April 2001 gebar sie ihr erstes Kind und meldete die Arbeitsunfähigkeit wegen Mutterschaft umgehend der Arbeitslosenkasse.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2001 überwies das RAV die Akten zum Entscheid betreffend Abklärung der Vermittlungsfähigkeit wegen fehlenden Nachweises eines Kinderbetreuungsplatzes an das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA). Dieses verneinte daraufhin die Vermittlungsfähigkeit rückwirkend für die Zeit vom 23. April bis 8. Juli 2001 und bejahte gleichzeitig den Anspruch auf Taggelder bei vorübergehender Vermittlungsunfähigkeit und die Vermittlungsfähigkeit im Umfang von 80 % eines Vollpensums ab dem 9. Juli 2001 (Verfügung vom 2. August 2001). Daraufhin erliess die Arbeitslosenkasse am 19. Oktober 2001 eine Kassenverfügung, in der sie in der Zeit vom 23. Mai bis 30. Juni zu Unrecht ausbezahlte Taggelder im Umfang von Fr. 3922.50 zurückforderte.
Das am 1. November gestellte Erlassgesuch wurde durch das AWA mit Verfügung vom 30. November 2001 wegen fehlender Gutgläubigkeit abgewiesen.
B.
Die dagegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 12. November 2002 in dem Sinne gut, dass es die Verfügung des AWA vom 30. November 2001 aufhob und die Sache zur Prüfung des guten Glaubens von D.________ für die Zeit vom 23. Mai bis 18. Juni (Ende des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubes) an dasselbe Amt zurückwies. Das Fehlen des guten Glaubens ab dem 19. Juni 2001 wurde hingegen bestätigt.
C.
D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. November 2002 und (sinngemäss) die Verfügung des AWA vom 30. November 2001 seien aufzuheben, die gutgläubige Entgegennahme der Leistungen sei zu bejahen und die Rückzahlungspflicht zu verneinen.
Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Arbeitslosenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 30. November 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
1.2 Das kantonale Gericht hat die Gesetzesbestimmungen über die Rückforderung von unrechtmässig bezogenen Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Art. 95 Abs. 1 AVIG) und den ganzen oder teilweisen Erlass der Rückerstattung (Art. 95 Abs. 2 AVIG; BGE 126 V 48) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist einzig der Erlass der Rückerstattungsschuld. Nach ständiger Rechtsprechung geht es somit nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG (BGE 122 V 223 Erw. 2 mit Hinweis), weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.2 Hinsichtlich der Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist praxisgemäss zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz verbindlich beurteilt wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 223 Erw. 3, 102 V 246; ARV 1998 Nr. 41 S. 237 Erw. 3 mit weiteren Hinweisen).
2.3 Der angefochtene Entscheid enthält hinsichtlich des Unrechtsbewusstseins der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Bezug der Arbeitslosentaggelder nach Ablauf des achtwöchigen Mutterschaftsurlaubes keine für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlichen Feststellungen. Da das kantonale Gericht das Vorliegen des guten Glaubens vielmehr ausschliesslich unter dem Aspekt der groben Fahrlässigkeit untersucht hat, steht einer freien Überprüfung im letztinstanzlichen Verfahren nichts im Wege.
3.
3.1 Nach der Rechtsprechung sind auf Art. 95 Abs. 2 AVIG die für die Erlassvoraussetzungen von Art. 47 Abs. 1 AHVG geltenden Regeln analog anwendbar (BGE 126 V 50 Erw. 1b). Danach liegt guter Glaube nicht schon bei Unkenntnis des Rechtsmangels vor. Vielmehr darf sich der Leistungsempfänger nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Daraus erhellt, dass der gute Glaube von vornherein entfällt, wenn die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde- und Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist. Anderseits kann sich der Rückerstattungspflichtige auf den guten Glauben berufen, wenn sein fehlerhaftes Verhalten nur eine leichte Fahrlässigkeit darstellt (BGE 112 V 103 Erw. 2c, 110 V 180 Erw. 3c; ARV 1998 Nr. 14 S. 73 Erw. 4a, 1992 Nr. 7 S. 103 Erw. 2b).
3.2 Unbestritten ist, dass sich die Beschwerdeführerin keiner Verletzung von Melde- und Auskunftspflichten oder anderer Verpflichtungen einer Bezügerin von Arbeitslosenentschädigung schuldig gemacht hat. Die Vorinstanz erwog, dass die Versicherte sich auf die falsche Auskunft durch die RAV-Beraterin in einem Schreiben vom 1. Juni 2001, wonach ihr Taggelder für die ersten acht Wochen nach der Geburt ausgerichtet würden, sofern sie persönliche Arbeitsbemühungen nachweisen könne, verlassen durfte, wenn diese Auskunft so ergangen sei. Ob dem so gewesen sei, liess das kantonale Gericht offen und wies die Sache zur erneuten Prüfung der Gutgläubigkeit für die Zeitspanne vom 23. Mai bis 18. Juni 2001 unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes an das AWA zurück.
Die Beschwerdeführerin macht, wie schon in der Beschwerdeschrift an die Vorinstanz, darüber hinaus geltend, dass ihr von der RAV-Beraterin, die sie zum Zeitpunkt der Geburt betreute, mündlich auch bestätigt worden sei, die Kinderbetreuung stelle sowieso kein Problem dar, da sie ihr Kind ja an den Arbeitsplatz mitnehmen könne. Erst nach dem Wechsel der RAV-Betreuerin sei sie aufgefordert worden, einen Nachweis für die Kinderbetreuung zu erbringen, was sie daraufhin umgehend gemacht habe (Pflegeplatzbescheinigung vom 9. Juli 2001). Das kantonale Gericht hat in seinem Entscheid dieses Vorbringen zwar erwähnt, erwog jedoch dennoch, dass für die Zeit ab dem 19. Juni der Beschwerdeführerin hätte bewusst sein müssen, dass sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand, weshalb die Verneinung des guten Glaubens für die Bezüge ab dem 19. Juni zu Recht erfolgt sei. Das vermag nicht zu überzeugen. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, wie schon in der Beschwerde an das kantonale Gericht, geltend gemacht, die Beschwerdeführerin habe - wie in der Branche üblich - ihr Kind an den Arbeitsplatz mitnehmen wollen und sich auf die Auskunft verlassen, dass die Kinderbetreuung in ihrem Fall kein Problem darstelle. Auch hier stellt sich die Frage, ob die Auskunft wirklich so erteilt worden ist. Wenn dem so ist, so kann der Beschwerdeführerin auch nach dem 18. Juni keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Vielmehr durfte sie davon ausgehen, dass ihr die Taggelder zustanden. Dass sie dies nicht hinterfragt hat, stellt unter den gegebenen Umständen allenfalls eine leichte Fahrlässigkeit dar, was dazu führt, dass ihr guter Glaube bejaht werden müsste. Da die Darstellung der Beschwerdeführerin vom AWA in der Beschwerdeantwort im kantonalen Prozess nicht bestritten worden ist, muss die Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz als offensichtlich unvollständig bezeichnet werden. Sie ist zudem in dem Sinne widersprüchlich, dass ein Teil zur näheren Abklärung an die Verwaltung zurückgewiesen wird, während ein anderer, ebenso entscheidender Aspekt stillschweigend als geklärt vorausgesetzt wird.
Demnach wird die Verwaltung den guten Glauben der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung aller erteilten Auskünfte noch einmal zu prüfen haben.
3.3 Ist nach dem Gesagten die Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin erneut zu prüfen, bleibt bei positivem Ergebnis als weitere Erlassvoraussetzung die weder von der Verwaltung noch von der Vorinstanz behandelte Frage zu klären, ob die Rückzahlung in Höhe von Fr. 3922.50 eine grosse Härte im Sinne von Art. 95 Abs. 2 AVIG darstellt.
4.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird ausserdem vorgebracht, die Verfügung des AWA vom 3. (recte: 2.) August 2001 betreffend Vermittlungsfähigkeit sei als nichtig zu betrachten, da sie gestützt auf Auskünfte der Beschwerdeführerin in einem Telefongespräch vom 23. Juli 2001 erfolgt sei, bei welchem der Beschwerdeführerin nicht mitgeteilt worden sei, was Inhalt und Zweck des Gespräches gewesen sei. Dies stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Unbestrittenerweise stellt der Anspruch auf Information darüber, worum es geht, einen Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, S. 61 N 299; vgl. auch SVR 2003 EL Nr. 3 S. 10 Erw. 3.2 in fine). Entgegen dem, was die Vorinstanz dazu erwog, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin zu Beginn der telefonischen Befragung über deren Zweck informiert wurde. Insofern liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Indes führt eine solche - abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen - nur zur Anfechtbarkeit, nicht zur Nichtigkeit der Verfügung (Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, S. 198 N 956). Ist die Verfügung vom 2. August 2001 aber nicht nichtig, sondern bloss anfechtbar, kann das Eidgenössische Versicherungsgericht die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht berücksichtigen, da die Verfügung nicht zum Streitgegenstand gehört (vgl. Erw. 2.1).
5.
5.1 Da kein Versicherungsleistungsstreit vorliegt (vgl. Erw. 2.1), ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Nach Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG werden die Gerichtskosten in der Regel der vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht unterliegenden Partei auferlegt. Da das AWA von der Kostenpflicht befreit ist (Art. 156 Abs. 2 OG), wird von einer Auferlegung der Gerichtskosten abgesehen.
5.2 Als obsiegender Partei steht der Beschwerdeführerin zu Lasten des AWA eine Parteientschädigung für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Die im kantonalen Verfahren zugesprochene Parteientschädigung ist dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens anzupassen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. November 2002 und die Verfügung des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich vom 30. November 2001 aufgehoben werden und die Sache an das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit dieses, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen 3.2 und 3.3, über das Erlassgesuch der Beschwerdeführerin neu befinde.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 700.- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
4.
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
5.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 31. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: