Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 269/04
Urteil vom 9. September 2004
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Durizzo
Parteien
A.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, Münchhaldenstrasse 24, 8008 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 31. März 2004)
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1955, arbeitete seit 1985 als Mitarbeiterin im Verkauf bei der Firma C.________. Ende März 1999 gab sie die Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt auf, und das Arbeitsverhältnis wurde per Ende Mai 2000 aufgelöst. Am 21. November 2000 meldete sie sich unter Hinweis auf Rücken- und andere Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte Berichte der Hausärztin Frau Dr. med. R.________, Physikalische Medizin FMH, vom 18. Dezember 2000 und 9. Dezember 2002 ein und liess die Versicherte durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) untersuchen (Gutachten vom 7. Mai 2002). Die am 16. September 2002 begonnene dreimonatige berufliche Abklärung in der Werkstätte X.________ musste A.________ aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig abbrechen. Mit Verfügung vom 10. Januar 2003 lehnte die IV-Stelle das Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente mangels rentenbegründender Invalidität ab. Mit Einsprache machte die Versicherte eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend und teilte mit, dass sie sich seit März 2000 psychiatrisch behandeln lassen müsse. Nach Einholung eines Berichts des Dr. med. F.________, Psychiatrie FMH, vom 5. April 2003 bestätigte die IV-Stelle ihre Auffassung mit Einspracheentscheid vom 7. Mai 2003.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. März 2004 ab.
C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen auf Zusprechung einer halben, eventualiter einer Viertelsrente sowie auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu weiteren Abklärungen.
Während die IV-Stelle des Kantons Zürich auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin bis längstens zum Erlass des Einspracheentscheides vom 7. Mai 2003, welcher rechtsprechungsgemäss die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweis; vgl. auch BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen), Anspruch auf Rentenleistungen hat. Diese Frage beurteilt sich, da keine laufenden Leistungen im Sinne der übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des Art. 82 Abs. 1 ATSG, sondern Dauerleistungen im Streit stehen, über welche noch nicht rechtskräftig verfügt worden ist, entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen des auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen ATSG und dessen Ausführungsverordnungen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil M. vom 5. Juli 2004, I 690/03, Erw. 1 mit Hinweis auf das ebenfalls noch nicht in der Amtlichen Sammlung publizierte Urteil L. vom 4. Juni 2004, H 6/04). Keine Anwendung finden die per 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie die damit einhergehenden Anpassungen des ATSG.
1.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), den Anspruch auf eine Invalidenrente ( Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung), die Ermittlung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG), den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG; vgl. auch Art. 29 IVV und BGE 121 V 272 Erw. 6), die Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen; vgl. auch AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc) und die richterliche Beweiswürdigung von Arztberichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a und b mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass sich die gesetzlichen Regelungen von Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG (in Kraft seit 1. Januar 2003) und Art. 4 Abs. 1 IVG in der bis Ende 2002 gültigen Fassung sowie diejenigen von Art. 16 ATSG und Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis Ende 2002 gültigen Fassung im Wesentlichen entsprechen und sowohl die zum bisherigen Begriff der Invalidität in der Invalidenversicherung ergangene Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 119 V 470 Erw. 2b, 116 V 249 Erw. 1b mit Hinweisen) wie auch die zur allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs entwickelte Judikatur (vgl. BGE 128 V 30 Erw. 1 mit Hinweisen) unter der Herrschaft des ATSG weiterhin ihre Gültigkeit behalten (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil A. vom 30. April 2004, I 626/03, Erw. 3.3 und 3.4).
2.
2.1 Die Vorinstanz hat sich bezüglich der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf das Gutachten der MEDAS vom 7. Mai 2002 gestützt. Demnach traten bei der Versicherten erstmals 1995 Schmerzen im thorako-lumbalen Übergangsbereich auf, 1996 seien Schulter- und Nackenschmerzen sowie Kopfschmerzen aufgetreten. Sie selber führte die muskulo-skelettalen Beschwerden auf die jahrelange Arbeit in Kühlräumen zurück. Die Gutachter stellten die Diagnosen eines generalisierten Schmerzsyndroms, eines cerviko-thorako-vertebralen und lumbospondylogenen Syndroms bei muskulärer Insuffizienz, Spondylarthrosen L4 bis S1 und Spondylose sowie Skoliose und lumbaler Hyperlordose, ferner einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig leichter bis mittelgradiger Episode mit somatischen Symptomen. Weitere Diagnosen (unter anderem Spannungskopfschmerzen, Kontaktdermatits an beiden Handrücken, beidseitiges Carpaltunnelsyndrom) hätten keine Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Diese sei für jegliche leichte, wechselbelastende körperliche Arbeit ohne Heben von Lasten über 15 kg und monoton repetitive Tätigkeiten aus rheumatologischer Sicht nicht eingeschränkt. Hingegen ergab sich im psychiatrischen Konsilium bei Dr. med. S.________ eine Arbeitsunfähigkeit von 35 %.
Die Vorinstanz erwog, dass dieses Gutachten den Beweisanforderungen genüge. Demgegenüber müsse bezüglich der Berichte der Hausärztin Frau Dr. med. R.________ vom 9. Dezember 2002 und des behandelnden Psychiaters Dr. med. F.________ vom 5. April 2003, welche die Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit mit 50 % festsetzten, berücksichtigt werden, dass Hausärzte mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc), zumal ihre Einschätzungen nicht wesentlich von jener der MEDAS-Gutachter abwichen. Zumindest bis zum massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides am 7. Mai 2003 könne auch mit Blick auf das neuste Zeugnis der Hausärztin vom 26. Mai 2003 nicht von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes ausgegangen werden.
2.2 Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.
2.2.1 Zwar trifft es zu, dass die Einschätzungen der behandelnden Ärzte und der MEDAS-Gutachter insgesamt nicht wesentlich voneinander abweichen. Jedoch bestehen Widersprüche, allenfalls im Sinne einer Verschlechterung, bezüglich des psychischen Leidens. Während Dr. med. S.________ eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter bis mittelgradiger Episode mit somatischen Symptomen diagnostizierte, lag gemäss Dr. med. F.________ im April 2003 eine mittelgradige depressive Episode im Rahmen einer Anpassungsstörung/Persönlichkeitsveränderung bei Schmerzproblematik und familiärer Belastung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor. Das Gutachten der MEDAS basiert in psychiatrischer Hinsicht auf einem Konsilium des Dr. med. S.________ vom 16. Januar 2002, der für die Beurteilung massgebende Einspracheentscheid datiert vom 7. Mai 2003. Angesichts des Zeitablaufs seit der Begutachtung in der MEDAS erscheint es zumindest fraglich, ob die von Dr. med. S.________ gewonnenen Erkenntnisse der gesundheitlichen Situation, wie sie knapp 16 Monate später vorlag, noch entsprach. Jedenfalls liegen die Aussagen der Hausärztin Frau Dr. med. R.________ vom 26. Mai 2003, wonach "in der letzten Zeit" eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands eingetreten sei, deutlich näher am massgebenden Zeitpunkt als diejenigen des Dr. med. S.________ und dürften auch den Zeitraum unmittelbar vor Erlass des Einspracheentscheides beschlagen, auch wenn natürlich die festgestellte Veränderung nicht genau datiert wurde. Hinzu kommt, dass Dr. med. F.________ am 5. April 2003, gestützt auf eine Untersuchung vom 28. März 2003 und somit für eine Zeit nahe beim Einspracheentscheid, eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % attestiert.
2.2.2 Somatoforme Beschwerden, wie Dr. med. F.________ sie diagnostiziert hat, können nach der Rechtsprechung eine Arbeitsunfähigkeit verursachen. Sie fallen unter die Kategorie der psychischen Leiden, welche grundsätzlich geeignet sind, eine Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Zur Beurteilung, ob dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch ein psychiatrisches Gutachten erforderlich. Daraus muss ersichtlich sein, ob die festgestellte somatoforme Schmerzstörung nach Einschätzung des Arztes eine derartige Schwere aufweist, dass der versicherten Person die Verwertung ihrer verbleibenden Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt bei objektiver Betrachtung - und unter Ausschluss von Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, die auf aggravatorisches Verhalten zurückzuführen sind - sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder dies für die Gesellschaft gar untragbar ist. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat zuletzt in dem in der Amtlichen Sammlung noch nicht veröffentlichten Urteil N. vom 12. März 2004, I 683/03, erkannt, dass die Unzumutbarkeit einer willentlichen Schmerzüberwindung und eines Wiedereinstiegs in den Arbeitsprozess nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist und jedenfalls voraussetzt, dass eine mitwirkende, psychisch ausgewiesene Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer vorliegt oder aber andere qualifizierte Kriterien mit gewisser Intensität und Konstanz erfüllt sein müssen. Dies sind etwa chronische körperliche Begleiterkrankungen und mehrjähriger Krankheitsverlauf bei unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission, ein ausgewiesener sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens, ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn, "Flucht in die Krankheit") oder schliesslich unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz konsequent durchgeführter ambulanter und/oder stationärer Behandlungsbemühungen (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) und gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener Motivation und Eigenanstrengung der versicherten Person. Der begutachtenden Fachperson der Psychiatrie obliegt es im Rahmen der ärztlichen Stellungnahme zur Arbeits(un)fähigkeit, der Verwaltung (und im Streitfall dem Gericht) aufzuzeigen, ob und inwiefern eine versicherte Person über psychische Ressourcen verfügt, die es ihr erlauben, mit ihren Schmerzen umzugehen. Entscheidend ist, ob die betroffene Person, von ihrer psychischen Verfassung her besehen, objektiv an sich die Möglichkeit hat, trotz ihrer subjektiv erlebten Schmerzen einer Arbeit nachzugehen. Die ärztlichen Stellungnahmen zum psychischen Gesundheitszustand und zu dem aus medizinischer Sicht vorhandenen Leistungspotenzial bilden unabdingbare Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls inwieweit einer versicherten Person unter Aufbringung allen guten Willens die Überwindung ihrer Schmerzen und die Verwertung ihrer verbleibenden Arbeitskraft zumutbar ist. Verwaltung und Gericht haben mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob die ärztliche Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit auch invaliditätsfremde Gesichtspunkte (insbesondere psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren) mit berücksichtigt, welche vom sozialversicherungsrechtlichen Standpunkt aus unbeachtlich sind.
2.2.3 Der Sachverhalt ist in dieser Hinsicht nur ungenügend abgeklärt. Insbesondere ist der Bericht des Dr. med. F.________ allein nicht genügend schlüssig. Die Verwaltung wird daher ein psychiatrisches Gutachten beiziehen müssen, welches eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im Sinne der ausgeführten Rechtsprechung erlaubt und auch die Frage zu beantworten hat, wann die allfällige Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes eingetreten ist. In der Folge wird die IV-Stelle erneut über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente befinden müssen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. März 2004 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 7. Mai 2003 aufgehoben werden, und es wird die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie nach ergänzenden psychiatrischen Abklärungen über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Coop AHV-Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 9. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: