Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5C.196/2004 /rov
Urteil vom 30. September 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Parteien
Z.________,
Berufungskläger,
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Schnyder,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Fürsorgerechtliche Kammer, Postfach 760, 6301 Zug.
Gegenstand
fürsorgerische Freiheitsentziehung,
Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Fürsorgerechtliche Kammer, vom 16. August 2004.
Sachverhalt:
A.
Z.________ (geb. 1975) wurde am 19. Juli 2004 in geistig verwirrtem Zustand von einer Patrouille des Schweizerischen Grenzwachkorps auf dem Velorastplatz A.________ vorgefunden und in die Psychiatrische Klinik A.________ überführt, wo er während drei Tagen - offenbar mit seiner Einwilligung - behandelt wurde. Am 21. Juli 2004 wurde er ohne sein Einverständnis in die PKO verlegt; dort verweigerte ihm die ärztliche Leitung angeblich noch am gleichen Tag mündlich die Entlassung aus medizinischen Gründen. Am 27. Juli 2004 bestätigte die medizinische Leitung Z.________ schriftlich die Zurückbehaltung unter Angabe der Gründe. Aus dem besagten Schreiben ergibt sich, dass dieser Entscheid dem Betroffenen am Vortag mündlich eröffnet worden ist.
B.
Am 25. Juli 2004 reichte Z.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Beschwerde ein, in der er um Aufhebung von allenfalls auch faktischen freiheitsentziehenden Massnahmen und um sofortige Entlassung aus der PKO ersuchte. Mit Urteil vom 16. August 2004 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
Z.________ hat gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil mit zwei separaten, aber inhaltlich über weite Strecken identischen Eingaben staatsrechtliche Beschwerde und Berufung eingereicht. Mit Berufung beantragt er im Wesentlichen, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn sofort aus dem fürsorgerischen Freiheitsentzug zu entlassen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Verwaltungsgericht verweist in seinen Gegenbemerkungen auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils und schliesst auf Abweisung der Berufung.
D.
Auf die in der gleichen Sache erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist die erkennende Abteilung mit Urteil vom heutigen Tag nicht eingetreten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Verwaltungsgericht hält dafür, der Berufungskläger sei gegen seinen Willen von der Klinik A.________ in die PKO überführt worden, wo man ihm die Entlassung wiederholt mündlich und schliesslich auch schriftlich aus medizinischen Gründen verweigert habe. Beschwerdegegenstand des vorliegenden Verfahrens sei daher die am 21. Juli 2004 erfolgte mündliche und faktische und die am 27. Juli 2004 schriftlich bestätigte Zurückbehaltung durch die ärztliche Leitung der PKO.
In diesem Zusammenhang rügt der Berufungskläger zusammengefasst zunächst ein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG. Das Verwaltungsgericht stelle in tatsächlicher Hinsicht sinngemäss fest, er sei vom 21. Juli 2004 bis 24. Juli 2004 aufgrund eines mündlichen Entscheides der zuständigen Behörde in der Klinik zurückbehalten worden; dies widerspreche der Aktenlage, welche im Aufnahmeblatt des Arztes der PKO keine mündliche Anordnung der Zurückbehaltung erwähne. Der Berufungskläger stellt sich alsdann auf den Standpunkt, eine Person dürfe im Zeitpunkt des Freiheitsentzuges nur den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend festgehalten werden. Sei dies wie hier nicht der Fall, so könne ein widerrechtliches Verhalten auch nicht nachträglich legitimiert werden, weshalb er (der Berufungskläger) unverzüglich aus der Anstalt zu entlassen sei.
1.1 Das Bundesgericht ist im Berufungsverfahren an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht offensichtlich auf Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen (Art. 63 Abs. 2 OG) oder aufgrund prozesskonform vorgebrachter, zu Unrecht aber unberücksichtigt gebliebener Parteivorbringen zu ergänzen sind (Art. 64 OG; BGE 127 III 248 E. 2c). Ein offensichtliches Versehen liegt nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die Vorinstanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat (BGE 104 II 74 E. b; 113 II 524 E. 4b).
1.2 Nach Art. 397e Ziff. 1 ZGB muss die betroffene Person bei jedem Entscheid über die Anordnung (der fürsorgerischen Freiheitsentziehung) über die Gründe der Anordnung unterrichtet und schriftlich darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie das Gericht anrufen kann. Gemäss Ziff. 2 dieser Bestimmung muss jede Person, die in eine Anstalt eintritt, sofort schriftlich darüber unterrichtet werden, dass sie bei Zurückbehaltung oder Abweisung eines Entlassungsgesuchs das Gericht anrufen kann. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass der Berufungskläger am 21. Juli 2004 gegen seinen Willen in die PKO überführt worden ist. Das vom Berufungskläger erwähnte Aufnahmeprotokoll des zuständigen Arztes erwähnt zwar die Einweisung, doch ist daraus effektiv nicht ersichtlich, dass der Berufungskläger bereits damals den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend zumindest mündlich über die Gründe seiner Zurückbehaltung und zudem schriftlich über sein Recht, ein Gericht anzurufen, informiert worden wäre. Vielmehr wird unter der Überschrift "Prozedere" darauf hingewiesen, dass der rechtliche Status des Berufungsklägers noch überprüft und insbesondere noch abgeklärt werden müsse, ob ein früherer Freiheitsentzug aufgehoben worden sei. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren betreffend eine frühere Freiheitsentziehung als abgeschlossen bezeichnet und diesen Ausführungen entsprechend die Einweisung vom 21. Juli 2004 als Neueinweisung betrachtet. In dem im angefochtenen Urteil erwähnten Schreiben von Dr. med. Rüegg vom 27. Juli 2004 wird dem Berufungskläger beschieden, aufgrund seines aktuell sehr schlechten Gesundheitszustandes könne seinem Entlassungsgesuch aus medizinischen Gründen nicht entsprochen werden. Erklärt wird ausserdem: "Dieser Entscheid wurde Ihnen bereits gestern mündlich mitgeteilt". Aus den Akten lässt sich mithin entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entnehmen, dass der Berufungskläger bereits anlässlich seiner Einweisung am 21. Juli 2004 zumindest mündlich über die Gründe seiner Zurückbehaltung informiert worden wäre. Ebenso wenig ergibt sich daraus eine schriftliche Information über das dem Berufungskläger zustehende Recht, das Gericht anzurufen. Damit wurden die gesetzlichen Anforderungen von Art. 397e Ziff. 1 und 2 ZGB nicht eingehalten. Dieser Umstand allein führt indes entgegen der Auffassung des Berufungsklägers nicht zur Gutheissung der Berufung und zu seiner sofortigen Entlassung aus der Anstalt. Der Berufungskläger hat die gegen seinen Willen erfolgte Zurückbehaltung beim Verwaltungsgericht angefochten. Dieses hat sie bestätigt (BGE 127 III 385 E. 2b letzter Absatz S. 388). Im Folgenden ist somit - entsprechende rechtsgenügende Rügen vorausgesetzt - zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht dabei Art. 397a ZGB beachtet hat.
2.
Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213 E. 5). Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss die von der fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person entlassen werden, sobald ihr Zustand es erlaubt.
2.1 Das Verwaltungsgericht bemerkt, im Fall einer sofortigen Freilassung des Berufungsklägers bestehe mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass er, bedingt durch seine schwere Erkrankung, sehr rasch nicht mehr in der Lage sein werde, seine eigene Leistungsfähigkeit und deren Beeinträchtigung richtig einzuschätzen. Der Berufungskläger habe selbst in der Klinik die Medikamente nicht regelmässig freiwillig eingenommen. Nach der umgehend zu erwartenden Absetzung der Medikamente (im Falle des Austrittes aus der Klinik) dürfte es in immer kürzer werdenden Abständen zu Abstürzen und damit zu sozialer Verwahrlosung kommen, wie sich dies im März, Anfang Mai und schliesslich Mitte Juli 2004 bereits ereignet habe. Zu beachten sei auch, dass sich der Berufungskläger mit seinem Verhalten zunehmend in der Gesellschaft stigmatisiere, was bezüglich eines möglichen Arbeitsplatzes und möglicher Ausbildungsmöglichkeiten negative Auswirkungen haben könnte. Das Gericht hat sich alsdann aufgrund seiner Würdigung der Meinung des Gutachters angeschlossen, dass ausserhalb der Klinik eine erhebliche Selbstgefährdung zu befürchten sei. Soweit der Berufungskläger in seiner Eingabe die erhebliche Selbstgefährdung bestreitet, beanstandet er nicht eine unrichtige Anwendung von Bundesrecht. Damit richtet er sich vielmehr in unzulässiger Weise gegen anders lautende, für das Bundesgericht verbindliche tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG). Darauf ist nicht einzutreten.
2.2 Eine Bundesrechtsverletzung erblickt der Berufungskläger ferner darin, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine mildere Massnahme verneint habe. Das Gericht habe in Missachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips insbesondere verkannt, dass er sich zu einer regelmässigen ambulanten Betreuung bereit erklärt habe und eine eigentliche ambulante Behandlung auch durchgeführt werden könne. Eine geeignete Behandlung durch den Allgemeinpraktiker wäre insofern garantiert, als dem Verwaltungsgericht der Beizug eines spezialisierten Psychiaters offeriert worden sei.
Das Verwaltungsgericht hat hervorgehoben, eine Krankheitseinsicht sei nur zum Teil vorhanden. Zudem würden in der Klinik die angebotenen Medikamente offenbar nur vereinzelt freiwillig eingenommen. Hinter die Bereitschaft des Berufungsklägers, sich ambulant therapeutisch behandeln zu lassen, müsse ein grosses Fragezeichen gesetzt werden. Dagegen spreche einmal die Ambivalenz bezüglich der Krankheitseinsicht, anderseits aber auch der Verlauf der Krankheit seit dem Entweichen des Berufungsklägers (aus einem früheren Freiheitsentzug) am 30. März 2004. Der Berufungskläger habe damals erst einen Monat danach, d.h. am 30 April 2004 den Arzt aufgesucht. Eine eigentliche Behandlung der schweren psychischen Erkrankung habe aber in der Zeit vom 30. März 2004 bis 16. Juli 2004 so gut wie nicht stattgefunden. Die dringend notwendige Psychotherapie und die regelmässige Abgabe von Neuroleptika habe - von einer kurzzeitigen Abgabe von Abilify abgesehen - nicht stattgefunden. Auf eine Kombination aus Psychotherapie und einer geeigneten medikamentösen Therapie sei wahrscheinlich auf Wunsch des Berufungsklägers verzichtet worden.
Allein schon aufgrund dieser Feststellungen, die der Berufungskläger nicht rechtsgenügend mit der Versehensrüge gemäss Art. 63 Abs. 2 OG angefochten hat, durfte das Verwaltungsgericht ohne Verletzung von Bundesrecht davon ausgehen, dass zur Zeit einzig eine Behandlung in einer geeigneten Anstalt in Frage komme, womit eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips, wie sie der Berufungskläger erkennen will, zu verneinen ist. Damit aber erübrigen sich Ausführungen zu den Vorbringen des Berufungsklägers bezüglich der vorhandenen Wohnmöglichkeiten. Soweit der Berufungskläger schliesslich beanstandet, die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass er ein Leben ausserhalb der Klinik zur Zeit noch nicht selbstständig bewältigen könne, als nicht nachvollziehbar betrachtet, richtet er sich ohne rechtsgenügende Versehensrüge gegen die verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 63 Abs. 2 OG).
3.
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Berufungskläger kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
4.
Dem Gesuch des Berufungsklägers um unentgeltliche Rechtspflege kann entsprochen werden. Er scheint bedürftig, und die Berufung konnte nicht von Anfang an als aussichtslos bezeichnet werden, zumal der Berufungskläger gewisse Verfahrensfehler zu Recht beanstandet hat (Art. 152 Abs. 1 OG). Dem Berufungskläger ist ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen, der eine Entschädigung für seine Bemühungen aus der Bundesgerichtskasse beanspruchen kann (Art. 152 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Dem Berufungskläger wird für das bundesgerichtliche Verfahren Rechtsanwalt Martin Schnyder, c/o Ernst & Schnyder, Dufourstrasse 32, 8008 Zürich, als Rechtsbeistand bestellt.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.-- wird dem Berufungskläger auferlegt, einstweilen aber auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Rechtsanwalt Martin Schnyder wird für seine Bemühungen ein Honorar von Fr. 1‘500.-- aus der Bundesgerichtskasse entrichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Berufungskläger und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Fürsorgerechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. September 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: