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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.220/2004 /rov
Urteil vom 15. Oktober 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichterin Nordmann, präsidierendes Mitglied, Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Schett.
Parteien
Z.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Leu,
gegen
1. Y.________,
Beschwerdegegnerin 1, vertreten durch Fürsprecherin Sybille Käslin,
2. X.________,
Beschwerdegegnerin 2, handelnd durch W.________,
c/o Sozialdienst A.________, und diese vertreten durch Rechtsanwältin Irene Späni Saethre,
Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer, Postfach 7475, 3001 Bern.
Gegenstand
Art. 9 BV (Anfechtung der Vaterschaft; Kostenentscheid),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofs des Kantons Bern, II. Zivilkammer,
vom 28. April 2004.
Sachverhalt:
A.
A.a Y.________, argentinische Staatsangehörige, ist seit 1997 die Ehefrau von Z.________ und die Mutter von X.________, geboren 1997 in Buenos Aires. Gegen Mutter und Kind erhob Z.________, schweizerischer Staatsangehöriger, am 18. Oktober 2000 Klage beim Gerichtskreis IV Aarwangen-Wangen und beantragte, es sei gerichtlich festzustellen, dass zwischen ihm und X.________ kein Kindesverhältnis bestehe; ferner sei der zuständige Zivilstandsbeamte anzuweisen, die entsprechende Änderung im Register vorzunehmen. Mit Urteil vom 26. Dezember 2001 wies der Gerichtspräsident 2 von Aarwangen-Wangen die Klage ab. Der Gerichtspräsident kam zum Schluss, dass auf die Anfechtung des Kindesverhältnisses argentinisches Recht anwendbar sei und nach Art. 259 Código civil argentino die eingeleitete Klage auf Anfechtung der Vaterschaft verwirkt sei.
A.b Am 10. Januar 2002 appellierte der Kläger und stellte den Antrag, die Klage sei gutzuheissen, bzw. es sei festzustellen, dass in der Sache schweizerisches Recht anwendbar sei. Mit Zwischenentscheid vom 18. Juni 2002 stellte der Appellationshof des Kantons Bern fest, dass auf die Anfechtung des Kindesverhältnisses schweizerisches Recht anwendbar sei, und wies die Sache zur Fortführung des Verfahrens an die erste Instanz zurück.
Die Gerichtskosten wurden den Beklagten je zur Hälfte auferlegt und sie wurden verurteilt, dem Kläger die noch zu bestimmenden oberinstanzlichen Parteikosten zu bezahlen.
A.c Gegen das Urteil des Appellationshofes hatten die Beklagten beim Bundesgericht Berufung eingereicht, auf welche mit Urteil vom 10. März 2003 nicht eingetreten wurde, da das Bundesgericht nicht in der Lage war, sofort einen Endentscheid im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OG herbeizuführen (BGE 129 III 288).
B.
B.a Mit Entscheid des Appellationshofs vom 18. Juli 2003 wurden die Beklagten unter Bezugnahme auf den Entscheid vom 18. Juni 2002 verurteilt, von den Parteikosten des Klägers im Betrag von Fr. 8'690.-- je die Hälfte zu bezahlen (Fr. 4'345.--).
B.b Mit Verfügung vom 19. November 2003 teilte der Gerichtspräsident 2 des Gerichtskreises IV Aarwangen-Wangen den Parteien mit, es werde davon Kenntnis genommen, dass der Kläger mit Datum vom 11. November 2003 den Abstand unter Vorbehalt der Kostenliquidation erklärt habe. Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, sich bis spätestens 30. November 2003 zur Kostenliquidation zu äussern und ihr Kostenverzeichnis einzureichen.
Am 16. Dezember 2003 verfügte der Gerichtspräsident, die Gerichtskosten, bestimmt auf Fr. 6'500.--, würden dem Kläger zur Bezahlung auferlegt. Sie würden den geleisteten Vorschüssen des Klägers (im Umfang von Fr. 5'750.--) und der Erstbeklagten (im Umfang von Fr. 750.--) entnommen, wobei der Kläger der Erstbeklagten den Betrag von Fr. 750.-- zu ersetzen habe. Sodann wurde der Kläger verurteilt, der Erstbeklagten die Parteikosten von Fr. 12'130.30 (Fr. 7'382.30 für Fürsprecherin Sybille Käslin, und Fr. 4'748.-- für Fürsprecherin Christine Schibig), und die Parteikosten der Zweitbeklagten von Fr. 12'804.40 zu bezahlen. Als Begründung führte der Gerichtspräsident an, auf Grund des bisherigen Prozessverlaufs sei die Annahme nahe liegend, dass der Kläger den Abstand in realistischer Einschätzung der Sach- und Rechtslage letztlich auf Grund der Aussichtslosigkeit seiner Klage erklärt habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, denen zufolge der erklärte Abstand hier nicht zur vollen Kostenpflicht führe. Der erstinstanzliche Richter sei nicht kompetent, über die Kosten des appellatorischen Verfahrens zu befinden.
B.c Mit Schreiben vom 27. Januar 2004 gelangte Fürsprecherin Sybille Käslin als Vertreterin der Erstbeklagten an den Appellationshof mit dem Ersuchen, die oberinstanzlichen Gerichts- und Parteikosten zu bestimmen. Die Vertreterin der Zweitbeklagten stellte am 13. Februar 2004 das gleiche Begehren. Mit Entscheid vom 28. April 2004 fällte der Appellationshof folgendes Urteil:
1. Die II. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern kommt auf ihre Kostenbestimmungen in den Entscheiden A-43 II 2002 vom 18. Juni 2002 und 18. Juli 2003 zurück.
2. Die oberinstanzlichen Gerichtskosten für das Appellationsverfahren, bestimmt auf Fr. 3'000.--, werden dem Beklagten/Appellanten (recte: Kläger/Appellanten) zur Bezahlung auferlegt ...
3. Der Beklagte/Appellant (recte: Kläger/Appellant) wird verurteilt, der Beklagten/Appellatin 1 die oberinstanzlichen Parteikosten zu ersetzen, ausmachend Fr. 3'570.--.
4. Der Beklagte/Appellant (recte: Kläger/Appellant) wird verurteilt, der Beklagten/Appellatin 2 die oberinstanzlichen Parteikosten zu ersetzen, bestimmt auf total Fr. 3'991.95 ...
.. ... ."
C.
Z.________ hat mit Eingabe vom 1. Juni 2004 staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofes des Kantons Bern vom 28. April 2004 eingereicht und beantragt, der Kostenentscheid vom 28. April 2004 sei vollumfänglich aufzuheben. Sodann hat er das Gesuch um aufschiebende Wirkung gestellt, welchem der Präsident der II. Zivilabteilung mit Verfügung vom 21. Juli 2004 entsprochen hat.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Da der angefochtene Kostenentscheid durch den Appellationshof des Kantons Bern selber gefällt wurde, wäre als einziges kantonales Rechtsmittel die Nichtigkeitsklage gemäss Art. 359 ZPO möglich. Damit können jedoch in der Hauptsache nur Verfahrensfehler und die Verweigerung des rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden. Die darin aufgeführten Verfahrensfehler haben nichts mit der vorliegenden Streitsache zu tun und da auch keine Gehörsverweigerung gerügt wird, ist die Nichtigkeitsklage gemäss Art. 359 ZPO/BE ausgeschlossen. Der Entscheid des Appellationshofes ist somit ein letztinstanzlicher im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
2.1 Der Appellationshof führt aus, es stelle sich die Frage, ob er auf seine Entscheide vom 18. Juni 2002 und 18. Juli 2003 bezüglich der Kostenfrage zurückkommen könne, da nach dem Entscheid des Bundesgerichts vom 10. März 2003 eine neue Kostenverteilung zur Diskussion stehe. Die Appellatin 2 vertrete die Auffassung, dass die Entscheide nie rechtskräftig geworden seien. Der Appellant verhalte sich widersprüchlich: In seiner Abstandserklärung vom 17. November 2003 habe er die Auffassung vertreten, dass die Entscheide nie hätten rechtskräftig werden können, dagegen in der Stellungnahme vom 28. November 2003 jene, dass der Entscheid vom 18. Juni 2003 rechtskräftige Geltung beanspruche.
-:-
Der Appellationshof fährt fort, formell rechtskräftig sei ein Urteil, wenn es durch kein ordentliches Rechtsmittel mehr angefochten werden könne und so lange es nicht durch ein ausserordentliches beseitigt worden sei (Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl., N. 1 zu Art. 397 ZPO). Da das Bundesgericht nicht auf die Berufung eingetreten sei, wäre der Eintritt der formellen Rechtskraft nicht gehemmt worden (Art. 54 Abs. 2 OG), sofern es sich tatsächlich um einen selbständigen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 196 Abs. 2 ZPO gehandelt habe. Demnach liege ein selbständiger Zwischenentscheid vor, wenn mit einer abweichenden oberinstanzlichen Beurteilung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und dadurch ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde. Das Bundesgericht habe in seinem Urteil ausgeführt: "Da das Bundesgericht gegenwärtig nicht in der Lage ist, sofort einen Endentscheid herbeizuführen, kann auf die gegen den vorinstanzlichen Zwischenentscheid erhobene Berufung nicht eingetreten werden (Art. 50 Abs. 1 OG)".
Aus Bundesrecht allein ergebe sich, ob ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid vorliege, der ans Bundesgericht weitergezogen werden könne. Seine Qualifikation als weiterziehbarer Entscheid hänge nicht von den Zufälligkeiten des kantonalen Rechts oder von der durch die Vorinstanz gewählten Terminologie ab. Seien die Voraussetzungen im Sinne des OG für die Anfechtbarkeit eines vom kantonalen Richter als selbständigen Vor- oder Zwischenentscheid ausgefällten Urteils nicht erfüllt, trete das Bundesgericht auf eine dagegen erhobene Berufung nicht ein (Leuch/Marbach/Kellerhals/ Sterchi, a.a.O., N. 4a zu Art. 196 ZPO). Somit stehe fest, dass das Urteil des Appellationshofs vom 18. Juni 2002 keinen selbständigen Zwischenentscheid darstelle. Da nur der selbständige Vor- oder Zwischenentscheid die Instanz binde, die ihn gefällt habe, könne der Appellationshof im Gegensatz dazu auf den nach Bundesrecht erkannten unselbständigen Zwischenentscheid zurückkommen (Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 2c zu Art. 196 ZPO). Die Kammer trete somit auf das Ersuchen der Appellatinnen ein und komme auf seine Kostenentscheide vom 18. Juni 2002 und 18. Juli 2003 zurück, dies umso mehr, als mit der Abstandserklärung eine neue erhebliche Tatsache eingetreten sei. Ein Rückkommen sei auch unter diesem Aspekt gerechtfertigt.
2.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der Appellationshof nachträglich zum Schluss gekommen sei, sein ursprünglicher Entscheid vom 18. Juni 2002 habe die Voraussetzungen eines selbständigen Zwischenentscheides im Sinne von Art. 196 Abs. 2 ZPO/BE nicht erfüllt. Die Voraussetzungen gemäss kantonaler ZPO seien unbestreitbar erfüllt und auch vom Appellationshof selbst in seinem Entscheid vom 18. Juni 2002 als gegeben erachtet worden. Dieser Entscheid sei in Rechtskraft erwachsen und könne somit nicht abgeändert werden. Es könne jedoch nun nicht angehen, dass dem Entscheid nachträglich der Charakter als selbständiger Zwischenentscheid abgesprochen werde, einzig und allein auf Grund der Tatsache, dass der Appellationshof seine Erwägungen in materieller Hinsicht bezüglich des Prozessthemas eingeschränkt gehabt habe. Der Appellationshof sei in Willkür verfallen und habe gegen die Prozessordnung des Kantons Bern verstossen, indem er ohne relevante Gründe auf seine Entscheide zurückgekommen und die Parteikosten des oberinstanzlichen Verfahrens neu vollständig dem Kläger auferlegt habe.
2.3 Mit diesen Einwänden setzt sich der Beschwerdeführer einzig mit den Ausführungen des Appellationshofs zum selbständigen bzw. unselbständigen Zwischenentscheid auseinander. Der Appellationshof hat sein Zurückkommen andererseits mit der Begründung gerechtfertigt, mit der Abstandserklärung sei eine neue erhebliche Tatsache eingetreten, so dass ein Rückkommen auch unter diesem Aspekt gerechtfertigt sei. Mit dieser zweiten Begründung werden die Revisionsgründe angesprochen. Der Beschwerdeführer rügt mit keinem Wort, dass und inwiefern es willkürlich sei, die Abstandserklärung als neue erhebliche Tatsache zu betrachten, welche ein Zurückkommen auf den ursprünglichen Kostenentscheid rechtfertigen könnte (Art. 368 ZPO/BE). Beruht jedoch der angefochtene Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, so müssen beide angefochten werden (BGE 113 Ia 94 E. 1a/bb S. 95/96 mit Hinweisen; 121 IV 94 E. 1b; 129 I 185 E. 1.6 S. 189). Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden.
Selbst wenn es sich beim Entscheid des Appellationshofes vom 18. Juni 2002, wonach schweizerisches Recht anwendbar sei, um einen selbständigen Zwischenentscheid handeln sollte, wäre es nicht willkürlich, den diesbezüglichen Kostenentscheid für abänderbar zu halten: Gewöhnlich ergehen nämlich selbständige Vor- und Zwischenentscheide ohne Kostenbestimmung. Lediglich für das Appellationsverfahren gilt notwendigerweise eine Ausnahme, weil ungewiss ist, ob der Appellationshof mit dem Endentscheid noch einmal befasst wird. Ändert der Appellationshof den selbständigen Vor- bzw. Zwischenentscheid in ein Endurteil ab, so liquidiert er die gesamten Prozesskosten (Leuch/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 2b zu Art. 351 ZPO). Dies bedeutet, dass er in diesem Fall ohne weiteres auf den Kostenteil für den Vor- bzw. Zwischenentscheid zurückkommen kann. Dieser wird deshalb nicht formell rechtskräftig, sondern bleibt abänderbar. Die Annahme ist nicht willkürlich, der Kläger könne sich bei der vorliegenden besonderen Situation (einerseits materielle Beurteilung der entscheidenden Frage durch das Bundesgericht, andererseits Nichteintreten auf die Berufung) der notwendigen Änderung der Kostenfolge nicht dadurch entziehen, dass er den Abstand erklärt. Dass die Kostenauflage an den Kläger bzw. Beschwerdeführer willkürlich sei, macht dieser angesichts seiner Abstandserklärung mit Grund nicht geltend.
3.
Nach dem Ausgeführten kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Der Beschwerdeführer wird somit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerinnen ist nicht geschuldet, da keine Vernehmlassungen eingeholt worden sind.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Oktober 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: