Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 115/04
Urteil vom 15. Oktober 2004
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Durizzo
Parteien
M.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Emil Nisple, Oberer Graben 26, 9000 St. Gallen,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abt. Rechtsdienst und Entscheide, Verwaltungsgebäude Promenade, 8510 Frauenfeld Kant. Verwaltung, Beschwerdegegner
Vorinstanz
Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, Eschlikon
(Entscheid vom 4. Mai 2004)
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 27. August 1998 stellte das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA; heute Amt für Wirtschaft und Arbeit) des Kantons Thurgau M.________ für 45 Tage ab 14. Juli 1998 in der Anspruchsberechtigung ein wegen Nichtbefolgens von Weisungen. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Versicherte per 1. April 1998 im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms bei der Stiftung X.________ in Y.________ für sechs Monate angestellt worden sei. Im Anschluss an eine schriftliche Verwarnung vom 2. Juli 1998 sei der Einsatz in diesem Programm per 13. Juli 1998 wegen wiederholten unentschuldigten Fernbleibens fristlos gekündigt worden. Aus den Akten seien keine entschuldbaren Gründe für die Absenzen ersichtlich.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung mit Entscheid vom 4. Mai 2004 ab.
C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Einstellung in der Anspruchsberechtigung rückgängig zu machen; eventualiter sei die Einstellung in der Anspruchsberechtigung für 45 Tage angemessen zu reduzieren.
Während die Rekurskommission und das Amt für Wirtschaft und Arbeit auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: vom 27. August 1998) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2)
1.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmung über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei Missachtung von Weisungen des Arbeitsamtes (Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG in der bis 30. Juni 2003 in Kraft gestandenen Fassung) zutreffend dargelegt; darauf wird verwiesen.
2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Einstellungsverfügung mit der Begründung geschützt, dass der Beschwerdeführer seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe, wobei sein Verschulden "ohne jeden Zweifel" schwer wiege. Sie stützt sich bei ihrer Beurteilung auf eine Aktennotiz über ein Telefongespräch, welches ein Mitglied des Rechtsdienstes des KIGA am 6. Januar 1999 offenbar mit Blick auf die bei der Vorinstanz einzureichende Vernehmlassung zur Beschwerde mit dem Einsatzverantwortlichen H.________ von der Gemeinde Z.________ geführt hat, und auf eigene telefonische Abklärungen beim Einsatzverantwortlichen H.________, bei einem Personalberater der A._______, wo der Beschwerdeführer während des Einsatzprogramms am 13. Juli 1998 ein Bewerbungsgespräch für eine Ferienablösung während der Sommermonate geführt hatte, und beim Schulhausabwart in Z.________, wo der Versicherte im Rahmen des Beschäftigungsprogramms tätig war.
2.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich in BGE 117 V 282 einlässlich zu den Grundsätzen über die Beweisaufnahme im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren geäussert. Es hat erwogen, dass der aus Art. 4 Abs. 1 BV fliessende, heute in Art. 29 Abs. 2 BV geregelte Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Recht umfasst, an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern. Formlos eingeholte und in einer Aktennotiz festgehaltene mündliche bzw. telefonische Auskünfte stellen nur insoweit ein zulässiges und taugliches Beweismittel dar, als damit blosse Nebenpunkte, namentlich Indizien oder Hilfstatsachen, festgestellt werden. Sind aber Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtserheblichen Sachverhaltes einzuholen, kommt grundsätzlich nur die Form einer schriftlichen Anfrage und Auskunft in Betracht. Werden Auskunftspersonen zu wichtigen, tatbeständlichen Punkten dennoch mündlich befragt, ist eine Einvernahme durchzuführen und darüber ein Protokoll aufzunehmen. In der Regel ist dem Betroffenen überdies Gelegenheit zu geben, der Einvernahme beizuwohnen (BGE 117 V 285; vgl. auch BGE 130 II 169 mit Hinweisen).
2.3 Die Vorinstanz hat den Sachverhalt allein aufgrund von telefonischen Abklärungen erhoben. Ihrer Ansicht nach war es entbehrlich, die betreffenden Personen als Zeugen zu zitieren, da die protokollierten Telefongespräche ohne Vorankündigung erfolgt seien, weshalb eine Vorbereitung (auf eine formelle Zeugenbefragung) nicht möglich gewesen sei; überdies habe man dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers den Inhalt der Telefongespräche zur Kenntnis gebracht und ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Dies genügt jedoch nach der in Erwägung 2.2 angeführten Rechtsprechung nicht. So handelte es sich bei den gestellten Fragen um wesentliche Punkte des rechtserheblichen Sachverhalts, ergab sich doch aus der Verfügung des KIGA vom 27. August 1998 lediglich, dass der Beschwerdeführer wiederholt unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei. Des Weiteren reicht es nicht, den Versicherten erst nachträglich über die Befragung zu informieren. Dieser soll der Einvernahme beiwohnen, um überprüfen zu können, welche Fragen und Sachverhaltsangaben einer Auskunftsperson unterbreitet worden sind, was sich aus einer Aktennotiz nicht ergibt, und Ergänzungsfragen zu stellen und allenfalls unrichtige oder unvollständige Sachverhaltsangaben zu korrigieren (BGE 117 V 285).
2.4 Die Beweisabnahme durch das kantonale Gericht war damit unzulässig. Rechtsprechungsgemäss ist der kantonale Entscheid deshalb aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob Aussicht besteht, dass nach einem korrekt durchgeführten Beweisverfahren und nach Anhörung des Beschwerdeführers anders entschieden würde (BGE 117 V 286 Erw. 5b).
3.
Bei diesem Ausgang erübrigen sich weitere Ausführungen über die vom Beschwerdeführer zu Recht gerügte Verfahrensdauer von über fünfeinhalb Jahren von der Beschwerdeerhebung im September 1998 bis zum vorinstanzlichen Entscheid vom 4. Mai 2004 (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV und BGE 129 V 411), wobei das kantonale Gericht die erforderliche erneute Beweisaufnahme im Sinne von Erwägung 2 beförderlich wird durchführen müssen.
4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Beschwerdeführer steht gestützt auf Art. 159 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 135 OG eine Parteientschädigung zu.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung vom 4. Mai 2004 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 15. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: