BGer 4C.290/2004
 
BGer 4C.290/2004 vom 27.10.2004
Tribunale federale
{T 0/2}
4C.290/2004 /lma
Urteil vom 27. Oktober 2004
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Huguenin.
Parteien
A.________,
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Liniger,
gegen
B.________ & Co. AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Wilhelm Boner.
Gegenstand
Arbeitsvertrag,
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, vom 8. Juni 2004.
Sachverhalt:
A.
A.________ (Kläger) war gemäss Arbeitsvertrag vom 1. April 1996 ab dem 1. Mai 1996 als Oberflächen-Fachmann bei der B.________ & Co. AG (Beklagte) angestellt. Das Arbeitsverhältnis unterstand dem allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag für die schweizerische Möbelindustrie (GAV). Seit dem 22. November 1999 war der Kläger wegen Krankheit teilweise oder gänzlich arbeitsunfähig. Ab dem 1. November 2000 bezog er eine IV-Rente.
B.
Mit Klage vom 24. Dezember 2002 beantragte der Kläger dem Arbeitsgericht Zofingen, die Beklagte zu verpflichten, ihm Fr. 23'092.75 nebst Zins zu bezahlen, welches Begehren er nach mehrfachen Änderungen schliesslich auf Fr. 11'478.65 zuzüglich 5 % Zins seit spätestens 31. Oktober 2000 reduzierte. In teilweiser Gutheissung der Klage verpflichtete das Arbeitsgericht Zofingen die Beklagte am 20. August 2003, dem Kläger Fr. 11'050.75 netto nebst 5 % Zins seit 30. Dezember 2002 zu bezahlen. Die Beklagte reichte gegen diesen Entscheid Appellation ein, welche das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 8. Juni 2004 teilweise guthiess. Es verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von Fr. 2'349.05 netto nebst 5 % Zins seit 30. Dezember 2002. Im Mehrbetrag wies es die Klage ab.
C.
Der Kläger stellt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung den Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 8. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Fr. 10'698.25 nebst 5 % Zins seit 30. Dezember 2002 zu bezahlen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der 13. Monatslohn Bestandteil des Bruttolohnes darstellt, für welchen der Arbeitgeber nach Art. 12.1 ff. GAV zur Ablösung der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit (Art. 324a OR) eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen verpflichtet ist. Nicht umstritten ist dagegen, dass Art. 12.2 GAV, wonach die Krankentaggeldversicherung mindestens 80 % des Bruttolohnes decken und eine Genussdauer von 720 Tagen innerhalb 900 aufeinander folgender Tage mit höchstens 2 Karenztagen vorsehen muss, der zwingenden gesetzlichen Regelung gleichwertig ist (Art. 324a Abs. 2 und 4 OR).
2.
Art. 8 GAV mit dem Titel "13. Monatslohn" lautet wie folgt:
8.
8.1 Die Arbeitnehmenden haben jährlich Anspruch auf einen 13. Monatslohn. Eine Kürzung gemäss Artikel 4.8 und 8.5 bleibt vorbehalten.
8.2 Für die im Stundenlohn beschäftigten Arbeitnehmenden bemisst sich der Monatslohn entsprechend den Bestimmungen von Art. 4, Absatz 1.
8.3 Wird das Arbeitsverhältnis während des Kalenderjahres begonnen oder ordnungsgemäss beendet, so besteht ein Anspruch pro rata temporis vorbehältlich Artikel 8, Absatz 1.
8.4 Hat das Arbeitsverhältnis nicht mindestens drei Monate gedauert, besteht kein Pro-rata-Anspruch. Eine bereits erfolgte Zahlung stellt in diesem Fall Lohnvorschuss dar.
8.5 Werden Arbeitnehmende während eines Kalenderjahres insgesamt um mehr als zwei Monate an der Arbeitsleistung verhindert, so wird der 13. Monatslohn für jeden vollen Monat der Verhinderung um einen Zwölftel gekürzt. Obligatorischer Militärdienst bis 4 Wochen wird nicht berücksichtigt."
Im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht kam die Vorinstanz in Auslegung dieser GAV-Bestimmung zum Schluss, der Anspruch auf einen 13. Monatslohn sei resolutiv bedingt, weil er nach Art. 4.8 und nach Art. 8.5 GAV, d. h. sowohl bei unentschuldigtem Fernbleiben von der Arbeit als auch bei unverschuldeter Verhinderung an der Arbeitsleistung ab einer bestimmten Dauer, anteilsmässig gekürzt werden kann. Infolge dieser Relativierung des Anspruchs im GAV kann der 13. Monatslohn nach Auffassung der Vorinstanz nicht als dauernde Lohnzulage gelten, die nach Art. 324a OR abgeltungspflichtig ist. Sie gehört deshalb nicht zu dem im Rahmen der Krankentaggeldversicherung zu versichernden Bruttolohn. Alsdann prüfte das Obergericht, ob dem Kläger, dessen Taggelder ohne Einbezug eines 13. Monatslohns berechnet worden waren, gleichwohl ein entsprechender vertraglicher Anspruch gegenüber der Arbeitgeberin zustand. Sie erwog, der Kläger sei während des ganzen Jahres 2000 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen, weshalb die Anspruchsvoraussetzungen bezüglich des 13. Monatslohns gemäss Art. 8.5 GAV nicht erfüllt seien.
3.
Der Kläger macht mit der Berufung geltend, die Vorinstanz habe Art. 324a und Art. 324b OR sowie Art. 8 und Art. 12 GAV verletzt. Die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, der 13. Monatslohn sei unter einer resolutiven Bedingung geschuldet. Art. 8.5 GAV sei nicht so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer im Krankheitsfall neben der Einbusse von 20 % seines Bruttolohnes (Art. 12.2 GAV) noch zusätzlich jene des 13. Monatslohns hinzunehmen habe. So ausgelegt verstosse die Regelung des GAV gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit gemäss Art. 324a Abs. 4 OR. Art. 8.5 GAV könne einzig den Zweck haben, eine Doppelzahlung des 13. Monatslohns (durch den Versicherer und den Arbeitgeber) zu verhindern.
4.
4.1 Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist bezüglich der Auslegungsregeln bei einem GAV zwischen den schuldrechtlichen und den normativen Bestimmungen zu unterscheiden. Während Erstere die Rechte und Pflichten der Tarifpartner unter sich regeln und gemäss den Grundsätzen über die Auslegung von Verträgen zu interpretieren sind, richtet sich die Auslegung der normativen Bestimmungen, welche auf die Vertragsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern anwendbar sind, nach den für Gesetze geltenden Grundsätzen (BGE 127 III 318 E. 2a mit Hinweisen; Vischer, Zürcher Kommentar, N. 110 zu Art. 356 OR; Stöckli, Berner Kommentar, N. 134 zu Art. 356 OR; Rehbinder/Portmann, Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 9 und 10 zu Art. 356 OR).
Zu Recht ist unbestritten, dass es sich bei den im vorliegenden Fall massgebenden Vorschriften des GAV um normative Bestimmungen handelt, haben sie doch Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, mithin den Inhalt des jeweiligen Einzelarbeitsverhältnisses, zum Gegenstand (vgl. dazu Vischer, a.a.O., N. 73 ff. zu Art. 356 OR).
4.2 Eine Gesetzesbestimmung ist in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden, sofern dieser den wirklichen Sinn der Norm wiedergibt. Abweichungen von einem klaren Wortlaut sind geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass dieser nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen (systematische, teleologische, historische und rechtsvergleichende), wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 127 III 318 E. 2b mit Hinweisen).
4.3 Der Ausgang des Verfahrens hängt von der Antwort auf die Rechtsfrage ab, ob der "Bruttolohn" im Sinne von Art. 12.2 GAV den anteilsmässigen 13. Monatslohn umfasst. Vorauszuschicken ist dabei, dass die Leistung eines 13. Monatslohns gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Ein Rechtsanspruch auf ein zusätzliches Lohnbetreffnis in der Höhe eines durchschnittlichen Monatslohns besteht nur, wenn und soweit dies einzel- oder gesamtarbeitsvertraglich vorgesehen ist. Demgemäss sind die Parteien frei, den Anspruch auf ein 13. Gehalt an Bedingungen zu knüpfen (a maiore ad minus), etwa an das Geschäftsergebnis oder das Verhalten des Arbeitnehmers (Vischer, a.a.O., N. 12 zu Art. 322 OR und N. 6 zu Art. 322d OR; Aubert, Commentaire Romand, N. 2 und 8 zu Art. 322d OR). Eine Rechtspflicht des Arbeitgebers besteht nur, sofern und soweit eine Sondervergütung als 13. Monatslohn oder in anderer Form ausdrücklich oder konkludent zugesichert worden ist (Rehbinder/Portmann, a.a.O., N. 2 - 4 zu Art. 322d OR).
4.4 Da die Parteien nach der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung im angefochtenen Urteil (Art. 63 Abs. 2 OG) keine individuelle Abrede über den 13. Monatslohn getroffen haben, bildet Art. 8 GAV die massgebende Anspruchsgrundlage. Dessen Wortlaut ist klar. Art. 8.5 statuiert eindeutig, dass bei einer unverschuldeten Verhinderung an der Arbeitsleistung von mehr als zwei Monaten innerhalb eines Kalenderjahres für jeden vollen Monat der Verhinderung eine Kürzung um 1/12 Platz greift. Daraus konnte der Kläger ersehen, dass er ab einer gewissen Abwesenheitsdauer nicht mehr den vollen 13. Monatslohn beanspruchen konnte und sich dieser Anspruch bei weiterer Fehlzeit, sei diese verschuldet oder unverschuldet, stetig bis auf Null reduzierte. Anders betrachtet musste ihm bewusst sein, dass er sich sein jährliches Zusatzsalär durch effektiv erbrachte Arbeitsleistung verdienen musste. Dem Kläger ist daher nicht zu folgen, wenn er sinngemäss vorbringt, gerade im Krankheitsfall, wo er ohnehin eine Lohneinbusse um 20 % hinzunehmen habe, sei eine weitere Lohnkürzung unzulässig, weil er in der Lage sein müsse, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zuverlässig einzuschätzen. Er verkennt, dass von einer Lohnkürzung nicht die Rede sein kann, wo ein bestimmter Anspruch nicht erworben wurde. Wird nach der einschlägigen Bestimmung des GAV der Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt innerhalb eines bestimmten Rahmens (nach zweimonatiger Arbeitsunfähigkeit) wie dargelegt in Abhängigkeit von der tatsächlich erbrachten Leistung definiert und hat der Kläger unbestrittenermassen durch sein durch die Krankheit bedingtes Fernbleiben für den fraglichen Zeitraum die in Art. 8.5 GAV statuierten Kürzungsgründe gesetzt, erkannte die Vorinstanz zu Recht, dass bei der Bestimmung des Bruttolohns gemäss Art. 12.2 GAV kein Anteil am 13. Monatslohn zu berücksichtigen war. An diesem Ergebnis vermag der Einwand des Klägers, beim Bruttolohn als Basis für die Leistungen der Sozialversicherung werde der 13. Monatslohn miteinbezogen, nichts zu ändern, denn auch im Sozialversicherungsrecht ist für die Anrechnung eines 13. Monatslohn vorausgesetzt, dass ein solcher vereinbart ist, was vorliegend nur bedingt zutrifft. Anhaltspunkte dafür, dass der Wortlaut der Bestimmung nicht deren wirklichen Sinn wiedergibt (vgl. BGE 125 III 57 E. 2b) oder dass eine wortgetreue Auslegung zu einem stossenden oder mit zwingenden Vorschriften kollidierenden Ergebnis führt (vgl. BGE 127 III 318 E. 2b), vermag der Kläger nicht aufzuzeigen. Solche sind auch nicht auszumachen. Es rechtfertigt sich daher nicht, die Klausel anders als entsprechend ihrem klaren Wortlaut auszulegen.
5.
Aus diesen Gründen erweist sich die Berufung als unbegründet und ist abzuweisen.
Liegt der Streitwert - wie im vorliegenden Fall - unter Fr. 30'000.--, sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 343 Abs. 3 OR). Hingegen hat der im bundesgerichtlichen Verfahren unterliegende Kläger der Beklagten eine Parteientschädigung zu zahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG; BGE 115 II 30 E. 5c S. 42 mit Hinweis).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Oktober 2004
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: