BGer 2A.182/2004
 
BGer 2A.182/2004 vom 29.10.2004
Tribunale federale
{T 0/2}
2A.182/2004 /zga
Urteil vom 29. Oktober 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Matter.
X.________ AG,
Parteien
Gesuchsstellerin, vertreten durch Herrn Dr. Sigmund Pugatsch, Rechtsanwalt,
gegen
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, 3003 Bern,
Gesuchsgegnerin,
Gegenstand
Revision des bundesgerichtlichen Urteils vom 08.01.2004 (2A.256/2003) betr. Mehrwertsteuer (Steuersatz; Vertrauensschutz).
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil 2A.256/2003 vom 8. Januar 2004 hiess das Bundesgericht eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung gut, hob den angefochtenen Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission auf und bestätigte den Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung, mit dem der X.________ AG ein Mehrwertsteuerbetrag von Fr. 2'316'666.-- nebst Verzugszins von 5% für die Steuerperioden 1995 (1. Quartal) bis 2000 (3. Quartal) nachbelastet worden war. In diesem Fall war im Zusammenhang mit der Einfuhr und dem Vertrieb der Schokoladenware "Y.________" umstritten, ob die X.________ AG sich für die fraglichen Perioden trotz grundsätzlicher Geltung des normalen Steuersatzes auf den verfassungsmässigen Vertrauensschutz berufen und deshalb den reduzierten Satz beanspruchen könne, wie die Steuerrekurskommission angenommen hatte. Das Bundesgericht verneinte dies, insbesondere weil die Oberzolldirektion, an welche die X.________ AG am 20. Februar 1995 eine schriftliche Anfrage gerichtet hatte, nicht allein zuständig war; eine Gutglaubensbindung hätte höchstens dann entstehen können, wenn auch die Eidgenössische Steuerverwaltung erklärt hätte, der reduzierte Satz sei anwendbar. Das sei nicht geschehen.
B.
Mit Eingabe vom 24. März 2004 hat die X.________ AG beim Bundesgericht ein Revisionsgesuch eingereicht. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils vom 8. Januar 2004. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung sei abzuweisen und der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 25. April 2003 zu bestätigen. Ausserdem sei dem Gesuch aufschiebende Wirkung zu gewähren.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesst sinngemäss auf Abweisung der Revision. Die Eidgenössische Steuerrekurskommission hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Mit Verfügung des Präsidenten der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. April 2004 ist dem Gesuch um aufschiebende Wirkung entsprochen worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Revision erlaubt ein Zurückkommen auf einen rechtskräftigen Entscheid, wenn ein im Gesetz umschriebener Revisionsgrund vorliegt. Zur Revision können Verfahrensmängel (Art. 136 OG) und neue Tatsachen (Art. 137 OG) Anlass geben. Auf das vorliegende - im Sinne von Art. 140 f. OG form- und fristgerecht eingereichte - Gesuch ist einzutreten.
2.
2.1 Die Gesuchstellerin macht zunächst geltend, sie habe ihre Anfrage bezüglich des anwendbaren Steuersatzes in Wirklichkeit zuerst an die Eidgenössische Steuerverwaltung gerichtet. Diese habe sie - weil es sich um ein ausländisches Produkt handelte - an die Oberzolldirektion verwiesen. Deren Sektion Mehrwertsteuer sei durch ihren stellvertretenden Sektionschef an gewissen der nachfolgenden Gespräche beteiligt gewesen und habe eine Kopie der nachmaligen schriftlichen Anfrage erhalten. Wenn die Oberzolldirektion nicht ebenfalls für die Inlandsteuer zuständig gewesen wäre, wäre sie (insbesondere ihre Sektion Mehrwertsteuer) unter diesen Umständen verpflichtet gewesen, die Gesuchstellerin darauf hinzuweisen, dass sie sich in Bezug auf den Inlandverkehr noch einmal an die Eidgenössische Steuerverwaltung wenden müsse. Eine solche Klarstellung sei indessen unterblieben. Dies habe das berechtigte Vertrauen entstehen lassen, dass die von der Oberzolldirektion erhaltene Auskunft sich auch auf die Inlandsteuer erstrecke.
Um ihren Standpunkt zu belegen, hat die Gesuchstellerin mit der Revision neue Beweismittel eingereicht, namentlich zwei Briefentwürfe vom 13. Februar 1995 (im Hinblick auf das endgültige Schreiben vom 20. Februar 1995); aus ihnen werde noch deutlicher, dass die Anfrage nicht auf den Bereich der Einfuhrsteuer beschränkt gewesen sei. Daneben verweist das Revisionsgesuch auf mehrere schon in den Akten liegende Tatsachen, welche im bundesgerichtlichen Urteil aber versehentlich ausser Acht gelassen worden seien.
2.2 Weiter bringt die Gesuchstellerin vor, alle mit ihrem Fall befassten Behörden hätten die Oberzolldirektion als zuständig erachtet, auch über den für die Inlandsteuer gültigen Steuersatz zu befinden. Das gelte in erster Linie für die Oberzolldirektion selber und ergebe sich daraus, dass diese - was das Bundesgericht übersehen habe - in ihrem Antwortschreiben vom 9. März 1995 namentlich zu Fragen des Inlandverkehrs Stellung genommen habe. Denselben Standpunkt zur Zuständigkeit habe die Eidgenössische Steuerverwaltung vertreten, und zwar in zwei - mit der Revision neu ins Recht gelegten - Schreiben aus dem Jahr 1989 (vgl. dazu E. 3.2 des Urteils vom 8. Januar 2004) sowie in ihrem Einspracheentscheid vom 15. Februar 2002. Ebenfalls für eine umfassende Zuständigkeit der Oberzolldirektion habe sich die Eidgenössische Steuerrekurskommission ausgesprochen.
2.3 Die Gesuchstellerin schliesst, auf Grund der Vorgeschichte und der Begleitumstände ihrer Anfrage vom 20. Februar 1995 sowie der Stellungnahmen der verschiedenen Behörden habe sie mit zureichendem Grund darauf vertrauen dürfen, dass die Auskunft der Oberzolldirektion auch für den Inlandverkehr gelte.
3.
3.1 Zum einen beruft sich die Gesuchstellerin somit auf den Revisionsgrund von Art. 137 lit. b OG. Danach ist die Revision zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Als "neue Tatsachen" gelten nur solche, die im Zeitpunkt des früheren Prozesses bestanden haben und dem Gesuchsteller im früheren Verfahren nicht bekannt oder nicht zugänglich waren. Ausgeschlossen sind somit Tatsachen, die bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt bereits im ordentlichen Verfahren hätten geltend gemacht werden können. Im Revisionsprozess kann nicht nachgeholt werden, was im vorangegangenen Hauptverfahren versäumt worden ist (vgl. BGE 121 IV 317 E. 2 S. 322 f.; 111 Ib 209 E. 1 S. 210; ASA 70 595 E. 1a; mit weiteren Hinweisen).
3.2 Die Gesuchstellerin räumt zwar ein, dass die Frage des Vertrauensschutzes vor allen Instanzen diskutiert worden sei, was eine Berufung auf Art. 137 lit. b OG an sich ausschliesse. Sie macht aber geltend, erst das Bundesgerichtsurteil vom 8. Januar 2004 habe die - zuvor von allen Beteiligten unbestrittene - Zuständigkeit der Oberzolldirektion für die Inlandsteuer verneint. Die Gesuchstellerin habe somit zu diesem Punkt bisher nicht Stellung nehmen können, was ihre Revision als gerechtfertigt erscheinen lasse.
3.3 Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Spätestens vor Bundesgericht ist die Zuständigkeit der Oberzolldirektion für die Inlandsteuer umstritten gewesen: In ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat die Eidgenössische Steuerverwaltung geltend gemacht, die Frage des Vertrauenschutzes könne sich gar nicht stellen; vielmehr müsse der Pflichtigen der Vorwurf gemacht werden, bei ihrer Anfrage die Oberzolldirektion mit falschen Angaben arglistig getäuscht zu haben. Dem hat die Gesuchstellerin unter anderem entgegengehalten, die Frage des Vertrauensschutzes sei sehr wohl - und sogar einziger - Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens (S. 15 der Vernehmlassung vom 4. Juli 2003); sämtliche Voraussetzungen für die Berufung auf den Vertrauensschutz seien erfüllt (S. 17); formal sei die Oberzolldirektion für die Inlandsteuer zwar nicht zuständig gewesen (S. 10), was aber für die Antragstellerin damals nicht erkennbar gewesen sei (S. 11). Insoweit hat sich die Argumentation der Gesuchstellerin nicht geändert. Mit der erforderlichen Sorgfalt hätte sie die erst jetzt geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel bereits im Hauptverfahren vorbringen können und müssen.
4.
4.1 Zum anderen bezieht sich die Gesuchstellerin auf den Revisionsgrund von Art. 136 lit. d OG. Danach ist eine Revision zulässig, wenn das Bundesgericht in den Akten liegende Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat. Versehentliches Nichtberücksichtigen liegt vor, wenn der Richter ein bestimmtes Aktenstück übersehen oder eine bestimmte wesentliche Aktenstelle unrichtig, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut oder in ihrer tatsächlichen Tragweite wahrgenommen hat. Kein Revisionsgrund ist dagegen die rechtliche Würdigung der an sich richtig aufgefassten Tatsachen, auch wenn diese Würdigung irrtümlich oder unrichtig sein sollte; zur rechtlichen Würdigung gehört auch der Entscheid darüber, ob eine Tatsache rechtserheblich sei oder nicht. Das Revisionsverfahren dient demnach nicht dazu, ein als unrichtig erachtetes Urteil in Wiedererwägung zu ziehen (vgl. BGE 122 II 17 E. 3 S. 18 f.; 115 II 399 Erw. 2a S. 399 f.; 111 Ib 209 E. 1 S. 210 f.; ASA 70 59 E. 2c/aa; SJ 1992 400 E. 2a).
4.2 Die Gesuchstellerin rügt, das Bundesgericht habe verschiedene in den Akten liegende Tatsachen ungewollt ausser Acht gelassen. Diese Sichtweise ist indessen unzutreffend. Das Gericht hat auf Grund des gesamten Schriftenwechsels geurteilt (vgl. E. 6.3.2 des Urteils vom 8. Januar 2004) und dabei eine umfassende Würdigung der eingereichten Unterlagen vorgenommen. Es hat nicht nur die Entscheide der unterinstanzlich mit dem Fall befassten Behörden, sondern auch sämtliche Eingaben mit ihren Beilagen sorgfältig geprüft. Im Einklang mit den Anforderungen der Rechtsprechung zu Art. 9 BV betreffend die Wahrung von Treu und Glauben (vgl. BGE 125 I 267 E. 4c S. 274; 121 II 473 E. 2c S. 479) hat es sich auf die konkrete Anfrage gestützt (vgl. E. 6.3) und diese als eindeutig eingestuft (vgl. E. 6.3.2), in Übereinstimmung mit der objektiven Kompetenzordnung (vgl. E. 6.2). Angesichts dieser klaren Rechtslage hat das Bundesgericht erwogen, die Oberzolldirektion sei nicht verpflichtet gewesen, auf die Zuständigkeit der Eidgenössischen Steuerverwaltung für die Inlandsteuer hinzuweisen (vgl. E. 6.4.1).
4.3 Daraus ergibt sich, dass das Bundesgericht die in der Revision geltend gemachten Gesichtspunkte nicht übersehen, sondern als nicht entscheiderheblich eingestuft hat. Ausserdem hat es sie in seinem Urteil unerwähnt lassen dürfen, ohne dabei gegen das Begründungsgebot zu verstossen (vgl. dazu statt vieler BGE 126 I 97 E. 2b S. 102). Die gesamte Argumentation der Gesuchstellerin zu Art. 136 lit. d OG zielt in Wirklichkeit auf eine Wiedererwägung der im Urteil vom 8. Januar 2004 vorgenommenen Würdigung ab. Das ausserordentliche Rechtsmittel der Revision hat aber nicht den Sinn, einen rechtskräftigen Entscheid einer erneuten rechtlichen Überprüfung zu unterziehen.
5.
Die Art. 137 lit. b und 136 lit. d OG setzen beide voraus, dass die neuen (oder angeblich aus Versehen nicht berücksichtigten) Tatsachen bzw. Beweismittel rechtserheblich sind: Sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einem andern Ergebnis zu führen, d.h. die Entscheidung des Gerichts in günstigem Sinn für den Gesuchsteller zu beeinflussen. Nicht erheblich ist eine Tatsache, wenn sie sich nicht auf das Ergebnis, sondern nur auf die Begründung des Urteils auswirkt (vgl. BGE 122 II 17 E. 3 S. 19; 121 IV 317 E. 2 S. 322; 118 II 199 E. 5 205; ASA 70 597 E. 2c/bb).
Hier ist die Rechtserheblichkeit für sämtliche mit der Revision geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel zu verneinen. Sie sollen nämlich allesamt belegen, dass die Gesuchstellerin selbst für den Inlandverkehr mit zureichendem Grund auf die Auskunft der Oberzolldirektion habe vertrauen dürfen (vgl. E. 2.3 hiervor). In seinem Urteil vom 8. Januar 2004 hat das Bundesgericht indessen erwogen, dass die Rechtslage selbst dann nicht anders wäre, wenn die Steuerpflichtige in guten Treuen hätte annehmen dürfen, die Oberzolldirektion sei zur Auskunft befugt gewesen und habe sich ebenfalls zur Inlandsteuer geäussert (vgl. E. 6.4.2). Somit sind die im Revisionsgesuch vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel von vornherein ungeeignet, die Entscheidung des Gerichts zu Gunsten der Gesuchstellerin zu beeinflussen. Auch deshalb erweist sich die Revision als vollumfänglich unbegründet und ist sie abzuweisen.
6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die unterliegende Gesuchstellerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.-- wird der Gesuchstellerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird der Gesuchstellerin, der Eidgenössischen Steuerverwaltung und der Eidgenössischen Steuerrekurskommission schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 29. Oktober 2004
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: