Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 297/03
Urteil vom 4. November 2004
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Meyer; Gerichtsschreiber Ackermann
Parteien
K.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Monika Meier, Gossauerstrasse 14, 8340 Hinwil,
gegen
Ausgleichskasse Hotela, rue de la Gare 18, 1820 Montreux, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 29. August 2003)
Sachverhalt:
A.
K.________ war Gesellschafter sowie alleiniger und einzelzeichnungsberechtigter Geschäftsführer der im Januar 1999 für den Betrieb einer Wirtschaft gegründeten und der Ausgleichskasse Hotela als Arbeitgeberin angeschlossenen Firma G.________ GmbH. Nachdem am 12. Juli 2001 über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 23. Juli 2001 mangels Aktiven eingestellt worden war, verpflichtete die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 13. Mai 2002 K.________ zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungs- und Betreibungskosten sowie Verzugszinsen) in Höhe von Fr. 11'823.60.
B.
Auf erhobenen Einspruch hin machte die Ausgleichskasse am 28. Juni 2002 ihre Forderung klageweise beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen geltend, welches die Klage mit Entscheid vom 29. August 2003 guthiess und K.________ zur Bezahlung von Fr. 11'823.60 verpflichtete.
C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Klage abzuweisen; eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
D.
Am 4. November 2004 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine publikumsöffentliche Beratung durch.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Ausgleichskasse macht allein Schadenersatz für entgangene bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge (zuzüglich Verzugszinsen) sowie Verwaltungs- und Betreibungskosten geltend, so dass auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vollumfänglich einzutreten ist (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1).
1.2 Da es sich nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters- und Hinterlassenenversicherung, insbesondere auch hinsichtlich der Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG, geändert sowie Art. 81 und 82 AHVV aufgehoben worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 166 Erw. 4b), kommen hier die bis 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen zur Anwendung.
3.
Die Vorinstanz hat die Tatbestandselemente des Schadenersatzanspruchs nach Art. 52 AHVG (Schaden, Widerrechtlichkeit, adäquate Kausalität, qualifiziertes Verschulden), die subsidiäre und solidarische Haftung der verantwortlichen Organe einer juristischen Person (insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH; BGE 126 V 237) sowie die gesetzliche Abrechnungs- und Beitragspflicht des Arbeitgebers (Art. 14 Abs. 1 AHVG und Art. 51 Abs. 3 AHVG, Art. 34 und 35 AHVV ) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
4.
Das kantonale Gericht hat die Voraussetzungen der Haftung gemäss Art. 52 AHVG als erfüllt betrachtet. Der Beschwerdeführer wendet dagegen einzig ein, es liege kein qualifiziertes Verschulden im Sinne des Art. 52 AHVG vor. Die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass die Dauer des Beitragsausstandes nur sehr kurz gewesen sei; weiter habe er im Jahr 2000 Umstrukturierungsmassnahmen getroffen, so dass die Personalkosten gesunken seien und in diesem Jahr sogar ein Beitragsüberschuss resultiert habe, welcher der Februarrechnung 2001 angerechnet werden konnte. Schliesslich habe er versucht, schnellstmöglich einen Nachfolger für die von ihm geführte Wirtschaft zu suchen; er hätte bereits auf den 1. März 2001 einen Nachpächter gefunden, der jedoch von der Verpächterin nicht akzeptiert worden sei.
5.
Auch wenn der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der GmbH die Beitragszahlungspflicht gemäss Art. 14 Abs. 1 AHVG offensichtlich verletzt und damit rechtswidrig gehandelt hat, liegt nicht ohne weiteres ein qualifiziertes Verschulden im Sinne des Art. 52 AHVG vor. Das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten von Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen Schwere. Dagegen kann beispielsweise die relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes sprechen, wobei aber immer eine Würdigung sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalles Platz zu greifen hat. Die Frage der Dauer des Normverstosses ist somit ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und im Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen (BGE 108 V 186 f. Erw. 1b, 200 f. Erw. 1) zur Verneinung der Schadenersatzpflicht führen kann; allein auf die kurze Dauer der Verletzung der Beitragszahlungspflicht abzustellen, geht jedoch nicht an (BGE 121 V 244 Erw. 4b). Damit ist zu prüfen, ob das kantonale Gericht dadurch Bundesrecht verletzt hat (Art. 104 f. OG; vgl. Erw. 1.2 hievor), dass es Umstände nicht berücksichtigt hat, die ein Verschulden des Beschwerdeführers im Sinne von Absicht oder grober Fahrlässigkeit ausschliessen.
5.1 Die Vorinstanz hat für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich festgestellt (vgl. Erw. 1.2 hievor), dass die effektiven Ausstände die Beiträge der Monate Februar, März und April 2001, die Schlussabrechnung 2001 (datierend vom 28. Mai 2001) sowie die am 2. August 2001 versandten Rechnungen für Verzugszinsen von September bis Dezember 2000 betreffen. Das kantonale Gericht hat deshalb zu Recht eine relativ kurze Dauer der Verletzung der Beitragszahlungspflicht angenommen, was - wie dargelegt - für sich allein aber noch nicht zu einer Verneinung der Schadenersatzpflicht führt. In dieser Hinsicht hat die Vorinstanz weiter verbindlich festgestellt (vgl. Erw. 1.2 hievor), dass gemäss Debitorenbuchhaltung der Ausgleichskasse die Zahlungsmoral der GmbH im Jahr 2000 und insbesondere ab September 2000 zu wünschen übrig liess. Wenn das kantonale Gericht in der Folge eine Entlastung des Beschwerdeführers wegen der kurzen Dauer des Beitragsausstandes verneint, weil der Beschwerdeführer vorher nicht immer klaglos seinen Pflichten nachgekommen ist (vgl. BGE 121 V 244 Erw. 5), ist darin keine Verletzung von Bundesrecht zu erblicken (Art. 104 lit. a OG), wie sich aus dem Folgenden ergibt.
5.2 Die Vorinstanz hat zwar nicht explizit konstatiert, dass die GmbH seit ihrer Gründung überschuldet gewesen ist (vgl. Art. 817 OR in Verbindung mit Art. 725 OR). Diese Feststellung ergibt sich indes aus den Akten, gilt doch der Untersuchungsgrundsatz auch im Rahmen der Kognition gemäss Erw. 1.2 hievor (BGE 97 V 136 Erw. 1): Nach Lage der Akten wies die Gesellschaft schon im ersten Geschäftsjahr (1999) - bei einem Stammkapital von Fr. 20'000.-- - einen Verlust von über Fr. 100'000.-- aus. Die finanzielle Lage verbesserte sich später nicht entscheidend, weist doch die Erfolgsrechnung für das Jahr 2000 immer noch einen Verlust von Fr. 27'905.03 aus, bevor Mitte 2001 die Insolvenz erklärt werden musste. In dieser Hinsicht ist es - entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - unerheblich, dass der Konkurs am 12. Juli 2001 auf eigenes Begehren und nicht auf Verlangen der Gläubiger erfolgt ist. Da dem Beschwerdeführer als alleinigem Geschäftsführer der GmbH die Überschuldung bewusst gewesen sein musste, war er gesetzlich zu Sanierungsmassnahmen oder zur Benachrichtigung des Richters verpflichtet (Art. 817 OR in Verbindung mit Art. 725 OR). Die Missachtung aktien- und überhaupt gesellschaftsrechtlicher Bestimmungen stellt ebenfalls eine Verletzung von Vorschriften im Sinne des Art. 52 AHVG dar und ist für die Verschuldensbeurteilung relevant (vgl. BGE 114 V 223 f. Erw. 4a sowie Thomas Nussbaumer, Das Schadenersatzverfahren nach Art. 52 AHVG, in René Schaffhauser/ Ueli Kieser [Hrsg.], Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, St. Gallen 1998, S.101). Die Vorinstanz hat in dieser Hinsicht zu Recht festgestellt, dass gewisse Restrukturierungsmassnahmen ergriffen worden sind; jedoch waren diese angesichts des Ausmasses der Überschuldung offensichtlich ungenügend. Infolge des Personalabbaus im Jahr 2000 konnte der Beschwerdeführer wegen der aufgrund der (höheren) Lohnsumme 1999 festgesetzten Akontobeiträge (Art. 35 Abs. 1 AHVV) zwar davon ausgehen, dass Ende des Jahres 2000 ein positiver Beitragssaldo resultieren würde. Er konnte aber keinesfalls damit rechnen, dass dieses Guthaben zur Deckung der künftigen Beitragspflichten bis zur Betriebsaufgabe ausreichen würde, was denn auch nicht der Fall gewesen ist.
Schliesslich kann sich der Beschwerdeführer auch nicht damit entlasten, dass er auf März 2001 geeignete Nachpächter für das Restaurant gefunden habe, die jedoch von der Verpächterin abgelehnt worden seien. Denn Art. 293 Abs. 1 OR setzt für die vorzeitige Rückgabe der Sache nicht die Zustimmung des Verpächters voraus, sondern verlangt nur, dass der Pächter einen für den Verpächter zumutbaren neuen Pächter vorschlägt, d.h. die Sache kann auch gegen den Willen des Verpächters zurückgegeben werden. Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, zumutbare Nachpächter vorgeschlagen zu haben, aber in der Folge nicht auf seinem Recht zur vorzeitigen Rückgabe beharrt und den Betrieb trotzdem weitergeführt hat, kann er daraus im Rahmen der Haftung nach Art. 52 AHVG nichts zu seinen Gunsten ableiten.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 134 OG e contrario; Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1100.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 4. November 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.