Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.132/2004
6S.369/2004 /pai
Urteil vom 29. November 2004
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Heimgartner.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Beat Kurt,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegner,
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern.
Gegenstand
6P.132/2004
Gegenstand
6S.369/2004
Körperverletzung; Nichteintretensbeschluss,
staatsrechtliche Beschwerde (6P.132/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.369/2004) gegen den Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. August 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ erstattete am 5. August 2003 Strafanzeige und Strafantrag gegen Dr. med. Y.________ mit der Begründung, dieser habe durch falsche medizinische Behandlung ihre Lungenkrankheit verschlimmert und eine Magenschleimhaut- und Bauchspeicheldrüsen-Entzündung sowie eine Entzündung, welche ihr Herz beeinträchtige, verursacht.
Der zuständige Untersuchungsrichter zog die Krankengeschichte von X.________ bei und überwies sie dem Institut für Rechtsmedizin zur Überprüfung der Vorwürfe.
Am 13. Juli 2004 beantragte der Untersuchungsrichter, auf die Anzeige nicht einzutreten, da sie sich als offensichtlich unbegründet erweise. Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft vom 14. Juli 2004 wurde der Antrag des Untersuchungsrichters zum Beschluss erhoben.
B.
Gegen diesen Entscheid erhob X.________ Rekurs, welcher mit Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. August 2004 abgewiesen wurde.
C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben. Zudem beantragt sie die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in beiden bundesgerichtlichen Verfahren.
Auf die Einholung von Vernehmlassungen hat das Bundesgericht verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Staatsrechtliche Beschwerde
1.
Die Beschwerdeführerin behauptet, sie sei durch eine Straftat in ihrer körperlichen Integrität verletzt worden. Damit kommt ihr Opferstellung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG zu. Da sich der Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG), ist sie zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (BGE 128 I 218 E. 1.1 mit Hinweisen).
2.
Die Beschwerdeführerin erachtet es für willkürlich, dass trotz gravierender Vorwürfe jede Untersuchung des Sachverhalts verweigert worden sei. Es gehe nicht an, eine unleserliche Krankengeschichte als Entscheidgrundlage zu verwenden, ohne den Unleserlichkeiten nachzugehen. Ebenso wenig gehe es an, für den Vorwurf der Falsch- und Übermedikation auf einen Bericht abzustellen, der diese Frage offen lasse. Wenn die Beschwerdeführerin körperliche Schäden geltend mache, gehe es nicht an, gestützt auf Unterlagen des Angeschuldigten solche als nicht erstellt zu betrachten. Weiter gehe es nicht an, die von der Beschwerdeführerin und einer Zeugin vorgebrachte Gefahr für Leib und Leben durch das Verhalten des Angeschuldigten allein gestützt auf die von ihm verfasste, unvollständige und unleserliche Krankengeschichte zu verneinen. Schliesslich gehe es nicht an, den Vorsatz des Angeschuldigten allein aufgrund der Krankengeschichte als nicht erfüllt zu betrachten, ohne ihn dazu einzuvernehmen. Die Beschwerdeführerin habe bereits in ihrer Strafanzeige die Anhörung von vier Zeugen und die Anordnung eines Gutachtens verlangt. Keiner dieser Beweise sei abgenommen worden. Die als Zeugen angerufenen Ärzte hätten die Gesundheitsschäden bestätigen können. Dass die Gesundheitsschäden in der vom Angeschuldigten verfassten Krankengeschichte nicht dokumentiert seien, verstehe sich von selbst.
3.
3.1 In der staatsrechtlichen Beschwerde ist darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht prüft dabei nur klar und detailliert erhobene Rügen, während es auf appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt. Namentlich ist nicht ausreichend, mit pauschalen Vorbringen willkürliche Beweiswürdigung zu behaupten. Vielmehr ist im einzelnen in Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Entscheids darzulegen, dass die Beweiswürdigung offensichtlich unhaltbar ist (BGE 125 I 492 E. 1b mit Hinweisen).
3.2 Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde nicht. Ihre Kritik am angefochtenen Entscheid beruht namentlich auf der Behauptung, die kantonalen Behörden hätten einzig gestützt auf die Krankengeschichte des Angeschuldigten angenommen, es liege keine Gesundheitsschädigung vor. Im angefochtenen Entscheid der Anklagekammer wird demgegenüber ausgeführt, der Bericht von Prof. Dr. med. A.________, Leiter forensische Medizin des Instituts für Rechtsmedizin Bern (IRM), stütze sich nicht nur auf die Aufzeichnungen des Angeschuldigten, sondern zusätzlich auf die Dokumente von Dr. med. B.________, Leiter pneumologische Abteilung des Lindenhofspitals, welche der Untersuchungsrichter ebenfalls eingeholt hatte. Die Beschwerdeführerin hatte in der Strafanzeige den Beizug der Krankengeschichte von Dr. med. B.________ und dessen Befragung als Zeugen beantragt. Dazu führte sie aus, dass die Untersuchungen im Lindenhofspital die falsche ärztliche Behandlung durch den Angeschuldigten aufzeigen würden. Da nicht nur die Aufzeichnungen des Angeschuldigten, sondern auch diejenigen von Dr. med. B.________ keine Gesundheitsschädigung erkennen lassen, trifft die Behauptung des Beschwerdeführers - die kantonalen Behörden hätten allein auf die vom Angeschuldigten verfasste Krankengeschichte abgestellt - nicht zu. Die betreffende Rüge entbehrt damit jeglicher Grundlage.
3.3 Damit ist auch auf die Rüge nicht einzutreten, hinsichtlich der Falsch- und Übermedikation hätte nicht auf den Bericht des IRM abgestellt werden dürfen, der diese Frage offen lasse. Die Anklagekammer hielt zutreffend fest, wenn keine Anzeichen für eine Gesundheitsschädigung vorhanden seien, könne keine vollendete Körperverletzung vorliegen. Eine fahrlässige Körperverletzung - verursacht durch eine falsche Medikation - fällt somit bereits mangels objektiver Tatbestandsmässigkeit ausser Betracht. Die Anklagekammer führte aus, für ein Vorsatzdelikt, bei welchem auch der Versuch strafbar wäre, bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Die Beschwerdeführerin begründet nicht, weswegen diese Feststellung unhaltbar sein soll. Auf ihr Vorbringen, der Beschuldigte hätte zu diesem Punkt einvernommen werden müssen, ist daher mangels Begründung nicht einzutreten.
3.4 Auch der Vorwurf, das Vorliegen einer Lebensgefahr am 20./21. März 2003 hätte nicht gestützt auf die unvollständige und unleserliche Krankengeschichte verneint werden dürfen, stützt sich auf falsche Tatsachen. Die Anklagekammer zitierte in diesem Punkt die Krankengeschichte mit der Diagnose: "Seit gestern abend hochrote Dermatitis. Starke Schmerzen li[nks] unten. Starker Husten. Auswurf braun. 37,2 Temp[eratur], Frösteln - Schüttelfrost", womit der Rüge - es sei aufgrund einer unleserlichen Krankengeschichte entschieden worden - der Boden entzogen ist. Auch in diesem Punkt begründet die Beschwerdeführerin ihre staatsrechtliche Beschwerde ohne jeden Bezug zu den Darlegungen im angefochtenen Entscheid.
4.
Zusammenfassend ist auf die staatsrechtliche Beschwerde mangels substantiierter Begründung nicht einzutreten.
II. Nichtigkeitsbeschwerde
5.
Nach Art. 268 Abs. 2 BStP ist die Nichtigkeitsbeschwerde auch gegen letztinstanzliche Einstellungsbeschlüsse zulässig. Als solche gelten Entscheide, die bewirken, dass die Strafverfolgung nicht durch- oder weitergeführt wird, unabhängig davon, wie diese Beschlüsse im kantonalen Recht bezeichnet werden (BGE 129 IV 216 E. 1.1 mit Hinweisen). Als Opfer im Sinne des OHG, auf dessen Zivilansprüche sich der Entscheid auswirken kann, ist sie zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert (Art. 270 lit. e BStP).
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze (Art. 269 Abs. 1 BStP). Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheids richten, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Die Nichtigkeitsbeschwerde, welche die Beschwerdeführerin erhebt, ist weit gehend mit der staatsrechtlichen Beschwerde identisch. Auf die betreffenden Rügen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen richten, ist im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten.
6.
Ansonsten rügt die Beschwerdeführerin, Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG sei verletzt worden. Danach kann das Opfer sich am Strafverfahren beteiligen und insbesondere den Entscheid eines Gerichts verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird. Dieses Recht ist der Beschwerdeführerin nicht verwehrt worden, hat sie doch den Nichteintretensentscheid des Untersuchungsrichters und der Staatsanwaltschaft beim Obergericht des Kantons Bern anfechten können. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
Ebenso unbegründet ist die Rüge der Verletzung von Art. 249 BStP. Danach soll die entscheidende Behörde die Beweise frei würdigen, ohne an gesetzliche Beweisregeln gebunden zu sein. Es ist unerfindlich, inwiefern der Entscheid der Anklagekammer dieses Prinzip verletzen soll.
III. Kostenregelung
7.
Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP). Da die Beschwerden von vornherein aussichtslos waren, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht gutgeheissen werden. Indessen rechtfertigt es sich, bei der Bemessung der Gerichtsgebühr den finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin Rechnung zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Generalprokurator des Kantons Bern und der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 29. November 2004
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: