Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4P.207/2004 /sza
Urteil vom 9. Dezember 2004
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Arroyo.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Daniel Wyss,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Robert Geisseler,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach 4875, 8022 Zürich.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Juni 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ (Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in ________ und tätigt Bankgeschäfte im europäischen Raum. Sie betreibt insbesondere auch das Leasinggeschäft, das bis anfangs 2001 von A.________ GmbH geführt und alsdann im Rahmen einer Geschäftsübernahme mit Aktiven und Passiven auf die Beschwerdeführerin übertragen worden ist. Y.________ (Beschwerdegegnerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in ________ und bezweckt den Betrieb von Versicherungs- und Rückversicherungsgeschäften.
Die Beschwerdeführerin schloss im Rahmen ihrer Aktivitäten als Leasinggesellschaft in den Jahren 1998 bis 2001 zahlreiche Kaufverträge mit der Einzelfirma B.________ (heute B.________ AG) und überliess die Fahrzeuge mittels Leasingverträgen den jeweiligen Leasingnehmern. Die Leasingnehmer waren gemäss den Allgemeinen Leasingbedingungen gehalten, für die im Eigentum der Beschwerdeführerin verbliebenen Fahrzeuge eine Vollkasko-Versicherung abzuschliessen. Auf die von den Leasingnehmern unterzeichneten Kaskobestätigungen und Zessionserklärungen hin bezahlte die Beschwerdeführerin jeweils den Kaufpreis an B.________. Im Jahre 2001 stellte sich heraus, dass die Beschwerdeführerin Kaufpreiszahlungen für über 200 nichtexistente Fahrzeuge geleistet hatte.
Im gegen die einzelnen Leasingnehmer und den für B.________ tätigen C.________ eingeleiteten Strafverfahren hat die Beschwerdeführerin ihre Zivilansprüche adhäsionsweise geltend gemacht. Gemäss Darstellung der Beschwerdeführerin habe der des Betrugs bezichtigte C.________ Personen gesucht, die sich für ein Entgelt von Fr. 1'000.-- bis 3'000.-- als fingierte Leasingnehmer zur Verfügung gestellt hätten; die entsprechenden Personalien habe C.________ jeweils einem Filialmitarbeiter der Beschwerdegegnerin mitgeteilt, worauf dieser die Angaben in das Zentralsystem der Beschwerdegegnerin eingegeben habe; dies sei zwischen C.________ und dem Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin so vereinbart gewesen; bis zur Entdeckung des Betrugs habe C.________ mittels der von den Leasingnehmern an ihn weitergeleiteten Einzahlungsscheine über mehrere Jahre die monatlichen Leasingraten an die Beschwerdeführerin bezahlt.
B.
Am 10. Juli 2002 gelangte die Beschwerdeführerin an das Handelsgericht des Kantons Zürich. Sie beantragte im Wesentlichen, die Beschwerdegegnerin sei zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 6'768'382.-- nebst Zins zu verpflichten. Sie brachte vor, die Beschwerdegegnerin sei im Rahmen der Vollkaskoversicherung für die Leasingfahrzeuge aufgetreten und habe dabei ihre auf Vertrauensschutz und Geschäftsherrenstellung beruhenden Pflichten verletzt. Die Beschwerdegegnerin verwahrte sich gegen jegliche Schadenersatzansprüche, während die Beschwerdeführerin in der Replik die Schadenersatzsumme auf Fr. 8'174'291.-- erhöhte.
Mit Urteil vom 5. Dezember 2003 wies das Handelsgericht die Klage mit folgender Begründung ab: aus den Vorbringen der Beschwerdeführerin erhelle, dass sie den Kaufpreis für das jeweilige Fahrzeug gestützt auf die Kaskobestätigung der einzelnen Leasingnehmer unmittelbar nach deren Eingang bezahlt habe; diese Zahlungen habe sie mithin vor und unabhängig vom Eingang einer allfälligen Negativmeldung der Beschwerdegegnerin betreffend Bestand des Versicherungsschutzes für das jeweilige Fahrzeug vorgenommen; daher fehle es am natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Beschwerdegegnerin betreffend (unterlassener) Negativmeldung und dem der Beschwerdeführerin durch die Kaufpreiszahlungen entstandenen Schaden; gleichermassen fehle es am adäquaten Kausalzusammenhang, da der Versand einer Negativmeldung nach erfolgter Kaufpreiszahlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht mehr geeignet sei, den konkret entstandenen Schaden zu verhindern. Eine Haftung der Beschwerdegegnerin aus unerlaubter Handlung komme daher nicht in Frage. Da zwischen der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin keine rechtliche Sonderverbindung bestehe, sei eine Vertrauenshaftung ebenfalls ausgeschlossen.
Die von der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Handelsgerichts erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 18. Juni 2004 ab. Das Gericht schloss im Wesentlichen, dem Handelsgericht könne weder eine Gehörsverweigerung noch ein Verstoss gegen das Willkürverbot vorgeworfen werden.
C.
Die Beschwerdeführerin erhebt gegen den Beschluss des Kassationsgerichts staatsrechtliche Beschwerde und gegen das Urteil des Handelsgerichts eidgenössische Berufung. Mit Beschwerde rügt sie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV).
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene Rügen; denn es ist nicht seine Aufgabe, von sich aus die Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheides unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu untersuchen (BGE 115 Ia 183 E. 3, mit Hinweis). Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (vgl. BGE 125 I 492 E. 1b, mit Hinweisen). Insbesondere muss sich der Beschwerdeführer mit der von der letzten kantonalen Instanz angeführten Begründung auseinander setzen und darf sich nicht auf eine reine Wiederholung der im kantonalen Verfahren vorgebrachten Argumente beschränken (BGE 117 Ia 412 E. 1d). Zudem muss bei staatsrechtlichen Beschwerden die Begründung in der Rechtsschrift selber enthalten sein (BGE 115 Ia 27 E. 4a, mit Hinweis).
Soweit die Beschwerde diesen Begründungsanforderungen nicht genügt, sondern sich in allgemeinen Ausführungen zu Streitgegenstand und kantonalem Verfahren sowie in appellatorischer Kritik erschöpft, hat sie unbeachtet zu bleiben; insbesondere sind auch die wiederholten Hinweise der Beschwerdeführerin auf ihre Ausführungen und Beilagen im kantonalen Verfahren nicht zu hören. Da die staatsrechtliche Beschwerde für Rügen nicht zur Verfügung steht, die mit eidgenössischer Berufung unterbreitet werden können (Art. 84 Abs. 2 OG), sind zudem alle Vorbringen unbeachtlich, mit denen eine Verletzung einfachen Bundesrechts, namentlich betreffend die Voraussetzungen der Vertrauenshaftung, geltend gemacht wird (vgl. Art. 43 OG).
2.
2.1 Das Kassationsgericht erwog, es dürfte zutreffen, dass der Autoverkäufer C.________ seine betrügerischen Machenschaften zum Nachteil der Beschwerdeführerin nicht aufgenommen hätte, wenn er sich nicht vorher der Zusammenarbeit eines Mitarbeiters der Beschwerdegegnerin versichert hätte; dies ändere jedoch nichts daran, dass die Beschwerdeführerin mit der Bezahlung des Kaufpreises für die nichtexistenten Leasingfahrzeuge nicht zuwartete, bis eine Positivmeldung der Beschwerdegegnerin betreffend Abschluss einer Kaskoversicherung eingegangen war; die Beschwerdeführerin habe die Kaufpreiszahlungen jeweils ohne Abwarten von Positivmeldungen bzw. von verbindlichen Versicherungsnachweisen seitens der Beschwerdegegnerin vorgenommen. Daher sei die Annahme des Handelsgerichts vertretbar, der Schaden sei aufgrund der erfolgten Zahlungen bereits entstanden, bevor sich ein Verhalten des Mitarbeiters der Beschwerdegegnerin im Sinne der behaupteten Absprache mit C.________ hätte auswirken können.
Die Beschwerdeführerin wirft dem Kassationsgericht eine Verletzung des Willkürverbots vor. Sie macht geltend, die obigen Erwägungen litten an einem inneren Widerspruch, da die Beschwerdeführerin ohne das betrügerische Verhalten von C.________ (Vorlegung falscher Dokumente wie Kauf- und Leasingverträge) keine Zahlungen vorgenommen hätte. Die Beschwerdeführerin sei durch diese Fälschungen getäuscht worden und habe erst nach Zugang dieser Dokumente die Zahlungen an B.________ vorgenommen.
2.2 Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vor-zuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 127 I 60 E. 5a, mit Hinweisen).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Kassationsgericht hat den Schluss des Handelsgerichts für vertretbar erklärt, wonach die natürliche Kausalität zwischen Schaden und Verhalten der Beschwerdegegnerin aufgrund der von der Beschwerdeführerin ohne Abwarten allfälliger Negativmeldungen getätigten Zahlungen nicht gegeben sei. Eine natürliche Kausalität ist nur gegeben, wenn das vorgeworfene Verhalten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der Erfolg entfiele (BGE 119 V 335 E. 1 S. 337). Vorliegend wäre der Schaden der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer ohne Abwarten einer allfälligen Negativmeldung seitens der Beschwerdegegnerin getätigten Zahlungen auch bei Vornahme der angeblich pflichtwidrig unterlassenen Handlung der Beschwerdegegnerin (Meldung des fehlenden Versicherungsschutzes) eingetreten. Das Handelsgericht verneinte die natürliche Kausalität somit zu Recht. Inwiefern es widersprüchlich und damit willkürlich sein sollte, wenn das Kassationsgericht diesen Schluss als vertretbar bezeichnete, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin sogar nach einer Meldung der Beschwerdegegnerin im Dezember 2000, wonach nur vier bis fünf Fahrzeuge bei ihr versichert waren bzw. für über 180 Fahrzeuge kein Versicherungsschutz bestand, keine Abklärungen tätigte und weitere 35 Leasingverträge abschloss. Erst ihre Zweifel an der Echtheit der von C.________ für einen weiteren Leasingvertrag vorgelegten Dokumente veranlassten die Beschwerdeführerin zu Abklärungen, die schliesslich zur Aufdeckung des Betrugs führten. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach sie bei Vornahme der Negativmeldungen durch die Beschwerdegegnerin keine Zahlungen getätigt hätte, entbehrt jeglicher Grundlage. Nicht nachvollziehbar ist ferner, inwiefern das Kassationsgericht in Willkür verfallen sein sollte, indem es die - hier entscheidende - Frage der (überholenden) Kausalität prüfte. Die Willkürrüge ist unbegründet.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Soweit sie dabei auf ihre kantonalen Eingaben verweist, ist sie nicht zu hören (oben E. 1). Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Kassationsgericht sei auf ihren Eventualantrag nicht eingegangen, wonach zuhanden des Bundesgerichts folgende Erwägung des Handelsgerichts zu streichen sei: "die - im übrigen bestrittene - Abrede zwischen C.________ und dem Mitarbeiter der Filiale (...) kam im Einzelfall gar nicht zum Tragen." Das Kassationsgericht hätte nach Ansicht der Beschwerdeführerin diesen Antrag gutheissen müssen, nachdem es geschlossen habe, dass es zutreffen dürfte, C.________ hätte seine betrügerischen Machenschaften zum Nachteil der Beschwerdeführerin ohne diese Abrede nicht aufgenommen; indessen sei das Gericht darauf überhaupt nicht eingegangen, was einer Gehörsverletzung gleichkomme.
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere der Anspruch auf Begründung eines Entscheides. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich das entscheidende Gericht ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinander setzen muss. Vielmehr kann es sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken, wobei es diejenigen Argumente aufzuführen hat, die tatsächlich seinem Entscheid zugrunde liegen (BGE 126 I 97 E. 2b, mit Verweisen). Das Kassationsgericht hat in zwei Erwägungen (E. II.1c und 3b) eingehend dargelegt, weshalb es den Schluss des Handelsgerichts, die erwähnte Abrede sei für den Kausalverlauf irrelevant, als vertretbar erachtete. Angesichts dieser Begründung kam dem Eventualantrag auf Streichung der einschlägigen handelsgerichtlichen Erwägung keinerlei Bedeutung mehr zu (vgl. auch oben E. 2.2). Das Kassationgericht war verfassungsrechtlich nicht gehalten, eine ausdrückliche Begründung für die Nichtbehandlung des Antrags zu liefern. Die Rüge der Gehörsverweigerung ist unbegründet.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Diesem Verfahrensausgang entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Beschwerdeführerin zu auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat überdies der anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu leisten (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 20'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 22'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Dezember 2004
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: