Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
B 86/04
Urteil vom 28. Dezember 2004
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Jancar
Parteien
C.________, 1958, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,
gegen
Sammelstiftung BVG der Zürich Lebensversicherungs-Gesellschaft, Austrasse 46, 8045 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
(Entscheid vom 30. Juni 2004)
Sachverhalt:
A.
Die 1958 geborene C.________ arbeitete seit 1. Februar 1992 bis 1. März 1999 als Teilzeit-Verkäuferin bei der Firma H.________ AG. Am 23. Januar 1995 diagnostizierte Dr. med. S.________, Chiropraktor prakt. Arzt, bei ihr ein hartnäckiges Zervikalsyndrom mit den entsprechenden pseudoradikulären Manifestationen. Im März 1997 stürzte sie auf einer Treppe und zog sich eine HWS-Kontusion zu, was zu einer Verschlimmerung der vorbestehenden zervikalen Beschwerden führte. Vom 18. Juli bis 8. August 1997 war sie in der Klinik A.________ in Behandlung, wo eine schwere reaktive Depression in Ehescheidungssituation und eine generalisierte Myogelose (zervikovertebrales Syndrom) diagnostiziert wurden (Bericht von 13. August 1997). Der Chiropraktor Dr. N.________ diagnostizierte am 23. November 1998 ein vertebragenes zervikobrachiales Syndrom mit pseudoradikulären Ausstrahlungen in den rechten Arm. Gemäss Arbeitsvertrag vom 28. Januar 1999 verpflichtete sich C.________, bei der Firma K.________ ab 1. April 1999 als Fitnessinstruktorin zu arbeiten und Weiterbildungskurse zu besuchen. Ab Anfang März 1999 absolvierte sie bei der Firma K.________ interne Schulungen, wofür sie entlöhnt wurde. Am 24. März 1999 begab sie sich wegen Rückenbeschwerden zu Dr. med. D.________, prakt. Arzt, in Behandlung. Am 1. April 1999 nahm sie ihre Arbeit als Instruktorin bei der Firma K.________ auf. Am 6. April 1999 führte Dr. N.________ aus, sie sei ab 23. März 1999 bis auf Weiteres für leichtere Arbeiten ohne Heben und Tragen sowie mit häufig wechselnder Haltung zu 50 % arbeitsunfähig. Im "Fragebogen Arbeitgeber" wurde am 23. Februar 2000 angegeben, C.________ sei ab 19. April 1999 zu 50 % arbeitsunfähig gewesen, wobei sie vor Beginn reduziert arbeitsfähig gewesen sei. Am 7. Dezember 1999 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn holte neben diversen Arztberichten ein MEDAS-Gutachten vom 11. April 2001 ein. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2002 sprach sie C.________ ab 1. April 2000 bei einem Invaliditätsgrad von 70 % eine ganze Invalidenrente zu.
Mit Schreiben vom 9. August und 7. Oktober 2002 lehnte die Vorsorgeeinrichtung der Firma K.________, die Sammelstiftung BVG der "Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft (nachfolgend Stiftung), ihre Leistungspflicht ab.
B.
Am 11. April 2003 erhob C.________ beim Versicherungsgericht Solothurn Klage gegen die Stiftung und beantragte, diese habe ihr seit wann rechtens die gesetzlichen und reglementarischen Leistungen zuzüglich 5 % Verzugszins seit wann rechtens auszurichten. Die Stiftung schloss auf Klageabweisung. Mit Replik und Duplik hielten die Parteien an ihren Anträgen fest. Das kantonale Gericht zog die IV-Akten bei und holte bei der Firma K.________ Berichte vom 5. September 2003 und 9. Januar 2004 ein. Mit Entscheid vom 30. Juni 2004 wies es die Klage ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt C.________ die Aufhebung des kantonalen Entscheides und erneuert ihr im kantonalen Verfahren gestelltes Rechtsbegehren. Sie reicht neu ein Fähigkeitszeugnis vom 23. November 1999 (Abschlussdatum des Kurses Kommunikation II) ein. Am 27. September 2004 legt sie einen Bericht des Dr. N.________ vom 20. September 2004 auf.
Das kantonale Gericht und die Stiftung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Stiftung beantragt in formeller Hinsicht weiter, es seien sämtliche von C.________ erst im letztinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Beweismittel, insbesondere der Bericht des Dr. N.________ vom 20. September 2004, nicht zuzulassen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112 Erw. 3.1.2, 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
In zeitlicher Hinsicht sind für das Eidgenössische Versicherungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse massgebend, wie sie sich bis zum Erlass des kantonalen Gerichtsentscheides entwickelt haben (nicht publ. Erw. 1b des Urteils BGE 127 V 373; SZS 1999 S. 149 Erw. 3 Ingress).
2.
2.1 Im Rahmen von Art. 73 Abs. 4 BVG entscheidet sich die Frage der Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts danach, ob ein Streit um Versicherungsleistungen vorliegt (BGE 116 V 334 Erw. 2b). Geht es um Versicherungsleistungen, so erstreckt sich die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auch auf die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG; BGE 126 V 470 Erw. 1b mit Hinweis).
Die dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in Leistungsstreitigkeiten zustehende Kognition hat u.a. zur Konsequenz, dass auch neue, erstmals im letztinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Tatsachenbehauptungen und Beweismittel zu berücksichtigen sind (BGE 109 I b 248 f. Erw. 3b, 103 I b 196 Erw. 4a, 102 I b 127 Erw. 2a; RKUV 1988 Nr. K 769 S. 244 Erw. 5a). Das (Noven-)Recht, den rechtserheblichen Sachverhalt noch im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht durch neue Tatsachenbehauptungen und Beweismittel zu ergänzen, steht allerdings wie jede Rechtsausübung unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Ein solcher liegt namentlich dann vor, wenn es sich bei den neuen Beweismitteln um so genannte unechte Noven handelt, die von der Beschwerdeführerin ohne weiteres bereits im vorinstanzlichen Rechtsmittelverfahren hätten eingebracht werden können und deren verspätete Auflage im letztinstanzlichen Verfahren einzig zum Zweck hat, Vorinstanz und Gegenpartei zu verunmöglichen, zur Rechtserheblichkeit, Beweistauglichkeit und Beweiskraft der neuen Beweismittel bereits im Zuge des erstinstanzlichen Rechtsmittelverfahrens Stellung nehmen zu können (Urteil C. vom 14. Oktober 2004 Erw. 2.2.1, U 66/04).
2.2 Die Beschwerdeführerin reichte letztinstanzlich erstmals das Fähigkeitszeugnis vom 23. November 1999 (Abschlussdatum des Kurses Kommunikation II) ein. Da dessen Inhalt - wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht - nicht rechtserheblich ist, kann offen bleiben, ob das diesbezügliche prozessuale Vorgehen der Beschwerdeführerin rechtsmissbräuchlich ist.
3.
Die Beschwerdeführerin legte am 27. September 2004 einen Bericht des Chiropraktors Dr. N.________ vom 20. September 2004 auf. Da dies ausserhalb der Rechtsmittelfrist und nicht im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels erfolgte, ist dieser Bericht nur beachtlich, soweit er neue erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG enthält und diese eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnten (BGE 127 V 353). Dies ist - wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen - nicht der Fall.
4.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Beginn der obligatorischen Versicherung (Art. 10 Abs. 1 BVG; Art. 3.2 des Vorsorgereglements der Stiftung, nachfolgend Reglement), den Anspruch auf Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 BVG), den Eintritt der invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit (Eröffnung der Wartezeit; Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 BVG) und die Nichtunterstellung unter die obligatorische Versicherung von Arbeitnehmern mit einem befristeten Arbeitsvertrag von höchstens drei Monaten (Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2; Art. 3.1 Abs. 2 lit. d des Reglements) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit (BGE 114 V 286 Erw. 3c), zu dem für die Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung massgebenden Erfordernis des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und der Invalidität (BGE 123 V 264 f. Erw. 1c mit Hinweis), zur Verbindlichkeit der Beschlüsse der Organe der Invalidenversicherung für die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (BGE 130 V 273 f. Erw. 3.1 mit Hinweisen) und zu dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
5.
Die Vorinstanz hat richtig festgehalten, dass der IV-Beschluss betreffend Zusprechung einer ganzen Invalidenrente an die Beschwerdeführerin ab 1. April 2000 (Verfügung vom 16. Dezember 2002) für die Stiftung nicht bindend ist, der Beginn der Arbeitsunfähigkeit vielmehr frei zu prüfen ist, da die Stiftung nicht in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren einbezogen worden ist und auch nicht auf die invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise abgestellt hat (BGE 130 V 273 f. Erw. 3.1).
6.
6.1 Das kantonale Gericht hat zutreffend erwogen, dass die von der Beschwerdeführerin bei der Firma K.________ im März 1999 absolvierte entlöhnte Schulung auf einer eigenständigen, für einen Monat befristeten Vereinbarung beruhte, weshalb sie in dieser Zeit der obligatorischen Versicherung nicht unterstellt war (Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2; Art. 3.1 Abs. 2 lit. d des Reglements). Das Vorsorgeverhältnis habe erst mit dem im Arbeitsvertrag vom 28. Januar 1999 stipulierten Antritt der Stelle als Fitnessinstruktorin am 1. April 1999 begonnen, was sich auch darin manifestiere, dass die Anmeldung bei der Stiftung am 26. März 1999 per 1. April 1999 erfolgt sei. Weiter hat die Vorinstanz gestützt auf die Berichte des Dr. med. D.________ vom 30. März 1999, des Dr. N.________ vom 6. April 1999 und der Frau Dr. med. R.________, Innere Medizin FMH, vom 27. Juni 1999 zu Recht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin seit 23. März 1999 zu 50 % arbeitsunfähig war und hiebei nur noch leichtere Arbeiten ohne Heben und Tragen sowie mit häufig wechselnder Haltung ausüben konnte. Da sie mithin vor Beginn des Vorsorgeverhältnisses arbeitsunfähig geworden sei, sei die Stiftung nicht leistungspflichtig.
Im Weiteren hat das kantonale Gericht richtig erkannt, dass selbst dann keine Leistungspflicht der Stiftung bestünde, wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausginge, das Vorsorgeverhältnis habe schon am 1. März 1999 begonnen oder die Arbeitsunfähigkeit habe erst am 19. April 1999 eingesetzt. Denn aus den ärztlichen Unterlagen ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin seit 1995 an einem hartnäckigen Zervikalsyndrom mit pseudoradikulären Manifestationen gelitten habe, welches sich nach einem Treppensturz am 1. März 1997 verschlimmert und zu einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit vom 19. Juni bis 17. Oktober 1997 geführt habe. Am 13. August 1997 sei eine schwere reaktive Depression festgestellt worden. Ab 14. Oktober 1998 seien Beschwerden an der linken Schulter hinzugekommen. Vom 2. September bis 4. November 1998 sei die Beschwerdeführerin zu 100 % und vom 5. bis 18. November 1998 zu 50 % arbeitsunfähig gewesen. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit als Kleiderverkäuferin sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, die schweren Kleiderpacken zu heben, weshalb die Umschulung zur Fitnessinstruktorin erfolgt sei. Die Vorinstanz hat bei dieser Sachlage korrekt festgestellt, dass die Invalidität der Beschwerdeführerin sachlich und zeitlich eng mit den vor Beginn des Vorsorgeverhältnisses bei der Stiftung bestehenden Arbeitsunfähigkeiten zusammenhängt, was ebenfalls zur Verneinung der Leistungspflicht führt.
Es wird auf die einlässliche und überzeugende Begründung im vorinstanzlichen Entscheid verwiesen, bei der es sein Bewenden haben muss. Sämtliche im letztinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwände und aufgelegten Akten vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu führen.
6.2 Ob eine frühere Vorsorgeeinrichtung ins Recht gefasst werden kann, bildet nicht Gegenstand des kantonalen Entscheides und ist deshalb nicht zu prüfen.
7.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen, weil die obsiegende Beschwerdegegnerin eine öffentlich-rechtliche Aufgabe im Sinne von Art. 159 Abs. 2 OG wahrnimmt und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zusprechung einer Entschädigung nicht gegeben sind (BGE 128 V 133 Erw. 5b mit Hinweisen).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 28. Dezember 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: