Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.131/2004
6S.368/2004 /gnd
Urteil vom 10. Januar 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Roland Padrutt,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin
lic. iur. Esther Küng,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
Gegenstand
6P.131/2004
Art. 9, 29 und Art. 31 BV, Art. 6 EMRK (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz "in dubio pro reo",
6S.368/2004
Vorsatz, Irrtum ( Art. 18, 19 StGB ),
staatsrechtliche Beschwerde (6P.131/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.368/2004) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, vom 19. August 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ zog im Februar 1998 aus der Wohnung aus, die er gemeinsam mit seiner Freundin Y.________ bewohnt hatte. Am 13. Januar 1999 heiratete er A.________. In der Folge zog es ihn aber immer wieder zu seiner früheren Freundin zurück. Er traf sich mit ihr, und die beiden hatten auch sexuellen Kontakt. Als Y.________ feststellte, dass X.________ nicht wieder zu ihr ziehen und mit ihr zusammenleben wollte, erklärte sie ihm, sie wünsche keine weiteren sexuellen Kontakte mehr mit ihm. Am 4. August 2000 kam es auf starkes Drängen von X.________ zu einem erneuten Treffen. In der Wohnung von Y.________ vollzog X.________ mit ihr den Geschlechtsverkehr.
Das Bezirksgericht Bremgarten sprach am 19. April 2001 X.________ vom Vorwurf der Vergewaltigung frei, verurteilte ihn aber wegen anderer Delikte. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft und des Opfers hin erklärte das Obergericht des Kantons Aargau am 21. August 2003 X.________ der Vergewaltigung schuldig und bestrafte ihn deswegen und wegen weiterer Delikte mit 18 Monaten Zuchthaus unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs. Eine vom Verurteilten erhobene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht am 18. Mai 2004 gut, und es hob das obergerichtliche Urteil vom 21. Au-gust 2003 auf (Verfahren 1P.635/2003, teilweise publiziert in BGE 130 I 126). Am 19. August 2004 verurteilte das Obergericht X.________ erneut wegen Vergewaltigung und weiterer Delikte zu 18 Monaten Zuchthaus unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs.
B.
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt mit beiden Rechtsmitteln die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts vom 19. August 2004 sowie die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an diese Instanz.
Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme zu den Beschwer-den. Eine Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin und der Staats-anwaltschaft wurde nicht eingeholt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wird an erster Stelle geltend ge-macht, der angefochtene Entscheid verletze den Anspruch auf rechtli-ches Gehör gemäss Art. 9 BV. Das Obergericht begründe nicht näher, warum es den Vorsatz des Beschwerdeführers bejahe. Insbesondere ziehe es überhaupt nicht in Erwägung, dass dieser irrtümlich geglaubt haben könnte, das Opfer sei mit dem Geschlechtsverkehr einverstan-den.
Die Begründung des Obergerichts konzentriert sich auf die Frage, ob der unbestrittene Geschlechtsverkehr vom 4. August 2000 mit Gewalt und gegen den Willen des Opfers erfolgt sei. Dabei prüft das Gericht sowohl die Sicht des Opfers als auch jene des Beschwerdeführers, und es würdigt die gesamten Tatumstände. Zum Vorsatz nimmt der angefochtene Entscheid, wie der Beschwerdeführer zutreffend bemerkt, nur kurz explizit Stellung. Indessen dient die gesamte Auseinandersetzung mit dem Hergang der Tat ebenfalls - wenn auch nicht ausschliesslich - dazu, das Wissen und den Willen des Beschwerdeführers zu ergründen. Die Begründung zum Vorsatz erstreckt sich daher nicht auf die wenigen in der Beschwerde zitierten Worte. Das Obergericht war im Übrigen nicht gehalten, sich mit allen Einwänden und denkbaren Sachverhaltsvarianten auseinanderzusetzen. Nach der Rechtsprechung genügt vielmehr, dass die Überlegungen angeführt werden, von denen sich die Behörde leiten lässt, und der Rechtssuchende den Entscheid sachgerecht anfechten kann (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f.). Das angefochtene Urteil erfüllt diese Voraussetzungen. Die eingereichte Rechtsschrift belegt, dass eine sachgerechte Anfechtung ohne weiteres möglich war.
2.
Der Beschwerdeführer rügt mit seinem staatsrechtlichen Rechtsmittel ebenfalls eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Nach seiner Auffassung ist die Feststellung willkürlich, dass ihm das fehlende Einverständnis des Opfers zum Geschlechtsverkehr bewusst gewesen sei. Ausserdem ergebe sich aus dem angefochtenen Entscheid, dass das Obergericht an seiner Schuld erhebliche Zweifel hätte haben müssen und ihn daher nicht hätte verurteilen dürfen.
Den Vorwurf der willkürlichen Beweiswürdigung stützt der Beschwerdeführer vor allem auf seine eigenen Aussagen. Er habe in sämtlichen Einvernahmen erklärt, der Geschlechtsverkehr habe sich am 4. August 2000 gleich wie dutzendfach zuvor abgespielt. Das Opfer sei nach seinen Versprechungen, zu ihm zurückzukehren, schliesslich mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden gewesen; Gewalt habe er deshalb keine anwenden müssen. Aus dem angefochtenen Entscheid geht hervor, dass das Obergericht diese Aussagen des Beschwerdeführers nicht übersieht. Allerdings erachtet es in Übereinstimmung mit dem Entscheid des Bundesgerichts vom 18. Mai 2004 die Aussagen im Er-mittlungs- und Untersuchungsverfahren als nicht verwertbar. Hinge-gen zieht es die entsprechenden Äusserungen vor Bezirks- und Ober-gericht in seine Überlegungen mit ein. Es kann demnach keine Rede davon sein, dass im angefochtenen Entscheid die Aussagen des Be-schwerdeführers in willkürlicher Weise unberücksichtigt blieben.
Das Obergericht gelangt auf Grund einer sehr eingehenden Prüfung des Tathergangs zur Überzeugung, dass dem Beschwerdeführer das fehlende Einverständnis des Opfers zum Geschlechtsverkehr bewusst sein musste. Es schenkt dabei nicht einfach der Darstellung des Op-fers mehr Glauben als jener des Beschwerdeführers, wie dieser gel-tend macht. Vielmehr stützt sich die obergerichtliche Folgerung insbe-sondere auch auf die äusseren Tatumstände. So legt das Gericht na-mentlich Gewicht darauf, dass das Opfer sein weinendes Kind nicht neben sich auf dem Bett belassen hätte, wenn es mit dem Ge-schlechtsverkehr einverstanden gewesen wäre. Es hätte sich zudem nicht zu einem Geschlechtsverkehr in der - auch vom Beschwerde-führer - nicht bestrittenen kurzen Dauer benutzen lassen. Das Ober-gericht hält zwar auch fest, dass das Opfer von einer Strafanzeige wohl abgesehen hätte, wenn sich der Beschwerdeführer in Lenzburg tatsächlich abgemeldet und dadurch die Bereitschaft bekundet hätte, zu ihm zurückzukehren. Aus diesem Umstand allein muss jedoch nicht zwingend geschlossen werden, dass das Opfer sein Einverständnis zum Geschlechtsverkehr gegeben habe. Die gegenteilige Würdigung des Obergerichts ist jedenfalls nicht willkürlich.
Der angefochtene Entscheid erörtert auch Gesichtspunkte, die für eine Zustimmung des Opfers zum Geschlechtsverkehr sprechen könnten. Den sich daraus ergebenden Zweifeln misst das Obergericht aber letztlich keine entscheidende Bedeutung zu. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was diese Gesamtwürdigung erschüttern könnte. Von einer Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" kann daher nicht gesprochen werden. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher voll-umfänglich abzuweisen.
3.
Die ebenfalls erhobene Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich gegen die Bejahung des Vorsatzes der Vergewaltigung. Der Beschwerdeführer sei irrtümlich davon ausgegangen, dass das Opfer mit dem Ge-schlechtsverkehr einverstanden sei. Er habe deshalb gemäss Art. 19 StGB in einem Sachverhaltsirrtum gehandelt und müsse - da die fahr-lässige Begehung einer Vergewaltigung straflos sei - freigesprochen werden.
Der Tatbestand der Vergewaltigung gemäss Art. 190 StGB ist nur er-füllt, wenn der Täter vorsätzlich handelt. Er muss daher wissen, dass das Opfer mit dem Beischlaf nicht einverstanden ist. Es genügt jedoch auch ein Eventualvorsatz. Wer es für möglich hält, dass das Opfer mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden ist, und dies in Kauf nimmt, begeht eventualvorsätzlich eine Vergewaltigung. Hält der Täter dagegen den Widerstand nicht für ernstgemeint, bleibt er nach Art. 19 StGB straflos (BGE 87 IV 66 E. 3 S. 71; vgl. auch Jörg Rehberg/Niklaus Schmid/Andreas Donatsch, Strafrecht III, 8. Aufl. Zürich 2003, S. 426; Philipp Maier, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Art. 190 N. 13).
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz konnte der Be-schwerdeführer am 4. August 2000 auch mit Versprechungen, er wer-de zum Opfer zurückkehren, dessen Einverständnis zum Geschlechts-verkehr nicht erreichen. Er bemerkte dessen Widerstand und vollzog den Geschlechtsverkehr, obwohl ihm das fehlende Einverständnis be-wusst war. Die Vorinstanz nimmt zu Recht an, dass der Beschwerde-führer unter diesen Umständen mit Wissen und Willen, d.h. mit direktem Vorsatz gehandelt hat. Für einen Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 19 StGB bleibt damit kein Raum. Die Rügen, die der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt, richten sich hauptsächlich gegen die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen. Sie sind im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Im Übrigen würde, was der Beschwerde-führer zu verkennen scheint, selbst eventualvorsätzliches Handeln genügen. Die von ihm genannten Tatsachen vermöchten allenfalls zu belegen, dass er den Widerstand des Opfers nicht klar erkannte. Hingegen liessen sie kaum den Schluss zu, dass er keinerlei Anlass hatte, am Einverständnis des Opfers zu zweifeln, und er es nicht zumindest in Kauf nahm, den Geschlechtsverkehr gegen dessen Willen zu vollziehen (vgl. BGE 87 IV 66 E. 3 S. 71 f.).
Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich daher in dem Umfang, in dem auf sie einzutreten ist, als unbegründet und ist abzuweisen.
4.
Mit dem Entscheid in der Sache werden die Gesuche um aufschie-bende Wirkung gegenstandslos.
Der Beschwerdeführer ersucht in beiden Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Da die beiden Rechtsmittel indessen als aussichtslos erscheinen, kann den Gesuchen nicht entsprochen werden ( Art. 152 Abs. 1 und 2 OG ). Bei der Festsetzung der Gerichts-gebühr ist den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen.
4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Januar 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: