BGer B 29/2004
 
BGer B 29/2004 vom 31.01.2005
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
B 29/04
Urteil vom 31. Januar 2005
I. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin Schüpfer
Parteien
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
gegen
Rentenanstalt Swiss Life BVG-Sammelstiftung, General Guisan-Quai 40, 8002 Zürich, Beschwerdegegnerin,
betreffend W.________, 1939
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 18. Februar 2004)
Sachverhalt:
A.
W.________, geboren am 27. März 1939, arbeitete bei der Firma X.________ AG und war bei der Rentenanstalt Swiss Life BVG-Sammelstiftung (neu: Sammelstiftung berufliche Vorsorge Swiss Life, nachfolgend: Swiss Life) versichert. Am 10. April 1999 ersuchten er und seine Ehefrau mittels vorgedrucktem Formular um Auszahlung der Altersleistung in Kapitalform. Der Versicherte liess der Vorsorgeeinrichtung mit Schreiben vom 13. Mai 2003 mitteilen, dass er die Auszahlungsvereinbarung zu stornieren wünsche und stattdessen ab 1. April 2004 eine Altersrente beziehen möchte. Die Swiss Life erklärte ihm in der Folge am 23. Mai 2003, dass die Kapitaloption höchstens bis drei Jahre vor Erreichen des Rücktrittalters schriftlich hätte widerrufen werden können. Seinem Gesuch könne demnach nicht entsprochen werden.
B.
Am 26. September 2003 reichte W.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde (recte: Klage) gegen die Swiss Life ein und ersuchte sinngemäss darum, diese sei zu verpflichten, ihm anstelle einer Kapitalauszahlung eine Altersrente auszurichten. Mit Entscheid vom 18. Februar 2004 wies das Sozialversicherungsgericht die Klage ab.
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung führt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und stellt die Rechtsbegehren, die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt Swiss Life sei in Aufhebung des Entscheides des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich zu verpflichten, W.________ ab 1. April 2004 die Altersleistungen in Form einer Rente auszurichten. Eventualiter sei sie zu verpflichten, dem Versicherten die Altersleistungen im obligatorischen Bereich in Form einer Rente und im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge in Kapitalform auszurichten.
Die Swiss Life beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während W.________ auf deren Gutheissung schliesst.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 37 BVG werden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen in der Regel als Rente ausgerichtet (Abs. 1). Indessen kann die Vorsorgeeinrichtung anstelle der Rente eine Kapitalabfindung ausrichten, wenn die betragliche Höhe der Rente einen gesetzlich definierten Minimalwert nicht erreicht (Abs. 2). Schliesslich können die reglementarischen Bestimmungen vorsehen, dass der Anspruchsberechtigte anstelle einer Alters-, Witwen- oder Invalidenrente eine Kapitalabfindung verlangen kann. Für die Altersleistung hat der Versicherte die entsprechende Erklärung spätestens drei Jahre vor Entstehung des Anspruches abzugeben (Abs. 3).
Gegenstand des Prozesses bildet die Frage, ob die innert der dreijährigen Frist gemäss Art. 37 Abs. 3 BVG abgegebene Kapitaloption nach Ablauf dieser Frist rechtsgültig widerrufen werden kann.
2.
2.1 Der Umfang der Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ergibt sich in erster Linie aus Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 und Art. 105 OG und richtet sich danach, ob der Streit Versicherungsleistungen oder anderes betrifft. Sind keine Versicherungsleistungen streitig, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b).
2.2 Unter Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG sind Leistungen zu verstehen, über deren Rechtmässigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalles befunden wird (BGE 116 V 333 Erw. 2a mit Hinweisen). Streitig ist, ob - im Zeitpunkt der Klageeinreichung - künftige Altersleistungen in Form einer Kapitalabfindung oder einer Rente zur Auszahlung gelangen werden. Die Verfügung der Vorsorgestiftung vom 13. Mai 2003 hatte demnach nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand (vgl. BGE 118 V 100 Erw. 2), womit die Kognition des Gerichts auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt ist.
3.
3.1 Das Bundesamt für Sozialversicherung führt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an, die Ausrichtung von Altersleistungen in Form einer Rente sei das sicherste Mittel, um das in Art. 113 Abs. 2 lit. a BV anvisierte Ziel - dem Berechtigten die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise zu ermöglichen - zu erreichen. Mindestens im obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge solle ein Versicherter, der innert der gesetzlichen Frist von Art. 37 Abs. 3 BVG eine Kapitalabfindung verlangt habe, diese Option bis zum Erreichen der Altersgrenze widerrufen können. Dem Gesetz, welches vom Grundsatz ausgehe, die Altersleistungen seien in Form einer Rente auszurichten, solle der Vorrang gegenüber reglementarischen Bestimmungen eingeräumt werden.
Der Versicherte schliesst sich den Ausführungen des Beschwerde führenden Bundesamtes sinngemäss an und ergänzt, es sei ihm bei der schriftlichen Erklärung für die Kapitaloption am 10. April 1999 in keiner Weise bewusst gewesen, dass er sich damit bereits definitiv und verpflichtend für diese Leistungsart entscheide. Weder seine Arbeitgeberin noch die Vorsorgeeinrichtung habe ihn auf die Bedeutung seiner Entscheidung aufmerksam gemacht.
3.2 Die Beschwerdegegnerin beruft sich insbesondere darauf, die in Art. 37 Abs. 3 BVG statuierte Dreijahresfrist diene der Verhinderung oder Verminderung einer möglichen Antiselektion. Eine solche liege nicht nur vor, wenn sich ein Destinatär kurzfristig für das Kapital, sondern auch dann, wenn er sich für eine Rente entscheiden könne. Faktisch würde Art. 37 Abs. 3 BVG damit aufgehoben. Sollte die Dreijahresfrist überhaupt unterschritten werden können, müsste dafür zumindest eine vertragliche Basis im Reglement vorliegen. Eine solche bestehe nicht. Der Versicherte sei im Formular, mit welchem er am 10. April 1999 um Kapitalauszahlung ersucht habe, darauf aufmerksam gemacht worden, dass er diesen Entscheid nur bis drei Jahre vor Erreichen des Rücktrittsalters schriftlich widerrufen könne.
4.
Das Vorsorgereglement der Beschwerdegegnerin vom Oktober 1998 bietet dem Versicherten in Art. 32 die Möglichkeit, anstelle der Altersrente die Auszahlung des gesamten vorhandenen Sparkapitals zu verlangen (Abs. 1). Eine entsprechende schriftliche Erklärung muss spätestens drei Jahre vor dem Entstehen des Anspruches im Besitze der Stiftung sein (Abs. 2). Die Dreijahresfrist gilt gemäss dieser Bestimmung auch ausdrücklich bei einer vorzeitigen Pensionierung. Ein allfälliger Widerruf der einmal getätigten Erklärung wird im Reglement nicht geregelt. Hingegen wird jeder Gesuchsteller im von der Beschwerdegegnerin vorgedruckten Antragsformular ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein allfälliger Widerruf innert der Dreijahresfrist vor Erreichen des Anspruchs auf Altersleistungen schriftlich zu erfolgen habe. Damit geht das Argument des betroffenen Versicherten, er habe nicht gewusst, dass er sich mit dem Gesuch um Kapitalauszahlung schon definitiv binde, fehl, zumal keine Hinweise für ein täuschendes Verhalten der Vorsorgeeinrichtung bestehen.
5.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat bisher nicht entschieden, inwiefern ein Versicherter, der sich gegenüber seiner Vorsorgeeinrichtung für die Kapitalauszahlung ausgesprochen hat, auf diese Entscheidung zurückkommen kann.
5.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Richters und der Richterin bleibt, auch wenn sie das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten Umständen anpassen oder es ergänzen (BGE 129 I 15 Erw. 3.3, 129 V 98 Erw. 2.2 mit Hinweisen).
5.2 Der Gesetzgeber hat in Art. 37 Abs. 3 BVG einzig geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Versicherter die Ausrichtung von Altersleistungen der beruflichen Vorsorge in Form einer Kapitalleistung anstelle einer Rente verlangen kann. Diese Bestimmung sieht keine Widerrufsmöglichkeit vor. Der Wortlaut: "Für die Altersleistung hat der Versicherte die entsprechende Erklärung spätestens drei Jahre vor Entstehung des Anspruches abzugeben" spricht dafür, dass der Anspruchsberechtigte seine Wahl drei Jahre vor Beginn des Leistungsanspruchs getroffen haben muss.
5.3 In systematischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz auch an anderen Stellen zu Gunsten der Versicherungseinrichtungen eine Dreijahresfrist vorsieht. So kann der Versicherte etwa bis drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen von seiner Vorsorgeeinrichtung einen Betrag für Wohneigentum zum eigenen Bedarf geltend machen (Art. 30a Abs. 1 BVG und Art. 331e Abs. 1 OR) oder seinen Anspruch auf Vorsorgeleistungen verpfänden (Art. 331d Abs. 1 OR), wobei die Rückzahlung eines zu diesem Zweck bezogenen Betrages ebenfalls bis drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen zulässig ist (Art. 30d Abs. 3 lit. a BVG). Auch diese Bestimmungen sehen keine Widerrufsmöglichkeit nach Fristablauf vor.
5.4 Entstehungsgeschichtlich geht aus der Botschaft zum (damaligen) Art. 38 Abs. 3 BVG (nunmehr Art. 37 Abs. 3 BVG) hervor, dass die Bestimmung dazu da ist, die Vorsorgeeinrichtung gegen die Gefahr der negativen Risikoauswahl zu schützen (Botschaft zum BVG, BBl 1976 I S. 149 f.). Mit der Dreijahresfrist soll eine mögliche Antiselektion verhindert oder gemindert werden. Das Prinzip soll verhindern, dass der Einrichtung nur schlechte Risiken verbleiben. Eine Antiselektion kann dabei auch vorliegen, wenn ein Destinatär, welcher für das Kapital optiert hat, auf diesen Entscheid zurückkommt, weil er nachträglich doch von einer längeren Lebensdauer und somit von einem schlechten Risiko für die Vorsorgeeinrichtung ausgeht. Der Zweck von Art. 37 Abs. 3 BVG besteht gerade darin, solches Verhalten zu verhindern, womit eine die genannte gesetzliche Frist verletzende Widerrufsmöglichkeit sinnwidrig wäre.
5.5 Das Beschwerde führende Bundesamt stützt seine Auffassung auf den Grundsatz, dass das Gesetz in der Regel die Ausrichtung einer Rente vorsieht. Dieser Grundsatz ist nicht bestritten und ergibt sich aus Art. 37 Abs. 1 BVG. Er kommt darin zum Ausdruck, dass dem Versicherten eine Rente zusteht, wenn er sich - binnen der Dreijahresfrist vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen - nicht anders entscheidet, oder wenn das Reglement die Kapitalauszahlung nicht vorsieht. Hat er diesen Entscheid jedoch einmal getroffen, kann er - zumindest nach Beginn der genannten Dreijahresfrist - nicht mehr darauf zurückkommen. Wäre ein Widerruf des Gestaltungsrechtes nach Fristablauf möglich, könnten alle Versicherten einer Vorsorgeeinrichtung innert Frist von diesem Gebrauch machen mit der Möglichkeit, den Entscheid bis zum Zeitpunkt der Auszahlung zu widerrufen. Damit wäre die Wahlmöglichkeit von Art. 37 Abs. 3 BVG für diesen Personenkreis nicht mehr befristet. Die Norm könnte durch eine einfache Erklärung von allen Versicherten umgangen und der Normgehalt - der Ausschluss beziehungsweise die Verminderung einer Antiselektion - könnte ausgehöhlt werden. Um diese Missbrauchsmöglichkeit auszuschliessen, ist der Widerruf nur bis höchstens drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen der beruflichen Vorsorge zulässig.
Damit steht fest, dass Art. 37 Abs. 3 BVG einen Widerruf des Gestaltungsrechts nach Beginn der Dreijahresfrist vor Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen nicht zulässt. Soweit die Mitteilungen des Bundesamtes für Sozialversicherung über die berufliche Vorsorge Nr. 64 vom 28. Oktober 2002, Rz 388, davon abweichen, kann darauf nicht abgestellt werden.
6.
6.1 Weil es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (vgl. Erwägung 2 hievor), ist das Verfahren grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem unterliegenden Bundesamt für Sozialversicherung können jedoch keine Gerichtskosten auferlegt werden (Art. 156 Abs. 2 OG).
6.2 Nach Art. 159 Abs. 2 OG darf im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen werden. Dies gilt auch für die Träger oder Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG (BGE 126 V 149 Erw. 4). Obschon die Sammelstiftung berufliche Vorsorge Swiss Life formell obsiegt, hat sie somit keinen Anspruch auf Parteientschädigung.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und W.________ zugestellt.
Luzern, 31. Januar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: