BGer 6S.378/2004
 
BGer 6S.378/2004 vom 07.02.2005
Tribunale federale
{T 0/2}
6S.378/2004 /pai
Urteil vom 7. Februar 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Dorothee Jaun,
gegen
W.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Carola Gruenberg.
Gegenstand
Regelung der Zivilansprüche (sexuelle Handlung mit Kindern),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. Juni 2004.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte S.________ am 3. Juli 2003 unter anderem wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, begangen in den Jahren 1994/95 an W.________. Dessen Zivilbegehren auf Ersatz von Heilungskosten hiess es gut, auf ein anderes trat es nicht ein. Bezüglich der weiteren Begehren auf Fr. 48'466.50 nebst 5 % Zins ab dem 1. April 2002 für erlittenen Erwerbsausfall und Fr. 35'750.-- für künftigen Erwerbsausfall entschied es wie folgt: "Es wird festgestellt, dass der Angeklagte gegenüber W.________ dem Grundsatze nach für weiteren Schaden aus den vorliegend beurteilten Delikten ersatzpflichtig ist. Für die Festsetzung der Höhe eines allfälligen weiteren Schadenersatzes wird der Geschädigte W.________ auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen" (Ziff. 6 Abs. 3 des bezirksgerichtlichen Urteilsspruchs).
Im Rahmen der Berufung beantragte S.________ unter anderem, es sei das bezirksgerichtliche Urteil im letzteren Punkt aufzuheben. Das Obergericht wies am 28. Juni 2004 die Berufung in diesem Punkt ab und bestätigte den erstinstanzlichen Urteilsspruch, allerdings mit der Ergänzung, dass der Angeklagte für weiteren Schaden "in vollem Umfang" ersatzpflichtig ist (Ziff. 5c des obergerichtlichen Urteilsspruchs).
B.
S.________ führt in diesem Zivilpunkt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei der obergerichtliche Urteilsspruch aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subsidiär sei der Urteilsspruch wie folgt abzuändern: "Es wird festgestellt, dass mit Bezug auf die weiteren Schadenersatzansprüche des Geschädigten W.________ Widerrechtlichkeit und Verschulden des Angeklagten gegeben sind. Mit Bezug auf die Beurteilung der übrigen Fragen (Kausalzusammenhang, Haftungsquote, Höhe des Schadens) wird der Geschädigte auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen".
Der Beschwerdegegner verzichtete auf eine Antwort und eine allfällige Anschlussbeschwerde (Art. 271 Abs. 4 BStP, Art. 59 Abs. 1 OG), ersuchte aber im Fall einer Gutheissung der Beschwerde, wegen seiner Mittellosigkeit auf jegliche Kostenauflage zu verzichten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat im Berufungsurteil nicht nur über die strittigen Zivilbegehren, sondern auch über den Strafpunkt entschieden. Die Zivilbegehren wurden damit zusammen mit der Strafklage beurteilt (vgl. Art. 271 Abs. 1 BStP; BGE 129 IV 149 E. 2.1, 96 I 629 E. 1b). Die Frage der grundsätzlichen zivilrechtlichen Verantwortlichkeit bezieht sich auf Forderungen von über Fr. 84'000.--, womit der Streitwert von Fr. 8'000.-- erreicht ist (vgl. Art. 271 Abs. 2 BStP; BGE 127 IV 141 E. 1b). Ein solcher Entscheid kann grundsätzlich unabhängig vom Strafpunkt mittels Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden (Art. 271 Abs. 1 BStP; BGE 127 IV 203 E. 8b).
Unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 OHG, wonach der Strafrichter die Zivilansprüche des Opfers ausnahmsweise nur dem Grundsatz nach entscheiden kann, bestätigte die Vorinstanz zuerst den Entscheid des Bezirksgerichts. Sie liess hierbei ausdrücklich offen, ob der behauptete Erwerbsausfall überhaupt vorlag, ob er gegebenenfalls auf die Straftaten des Beschwerdeführers zurückzuführen ist und ob der Beschwerdegegner seine Minderungspflicht verletzt hat. Sie bejahte nur Widerrechtlichkeit und Verschulden in Bezug auf einen allfälligen, durch die Delikte bewirkten Schaden. Es fragt sich, ob einem solchen Entscheid überhaupt irgend eine Tragweite zukommt. Denn alle für die Zivilklage entscheidenden Punkte bleiben unentschieden, ausser jene der Widerrechlichkeit der Tat und des Verschuldens des Täters, die aber schon mit der strafrechtlichen Verurteilung entschieden sind. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass eine Haftung des Beschwerdeführers für Erwerbsausfall besteht. Der Entscheid über den Grundsatz der Schadenersatzpflicht im Sinn von Art. 9 Abs. 3 OHG ist aber gerade ein Feststellungsurteil über die Haftung, das zumindest den Entscheid über den Bestand der Zivilansprüche umfasst (BGE 125 IV 153 E. 2b/aa). Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer durch den bezirksgerichtlichen Entscheid überhaupt beschwert war. Sie kann allerdings offen bleiben, weil die Vorinstanz den bezirksgerichtlichen Entscheid ergänzte. Sie hielt - obwohl nur der Beschwerdeführer Berufung eingereicht hatte - neu fest, dass dieser für allfälligen Schaden aus den Delikten in vollem Umfang hafte. Sie bestimmte damit die Haftungsquote für den allfälligen Fall einer Haftung. In diesem Umfang ist der Beschwerdeführer beschwert und folglich zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert.
Der Beschwerdeführer, der eine Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt einreicht, die unabhängig von einer Anfechtung des Strafpunktes zulässig ist (vgl. Art. 271 Abs. 1 BStP), muss Rechtsbegehren zur Sache selbst stellen, weil der Kassationshof in der Sache selbst entscheiden kann (Art. 277quater Abs. 1 BStP). Er darf sich nicht damit begnügen, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung an die Vorinstanz zu verlangen, ausser in Fällen, in denen eine Rückweisung unvermeidlich ist, namentlich wenn die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil unvollständig sind und der Kassationshof folglich gar nicht in der Lage ist, im Fall einer Gutheissung in der Sache zu entscheiden (vgl. BGE 128 IV 53 E. 6a). Letzteres trifft vorliegend zu. Das Hauptbegehren auf Rückweisung ist somit zulässig.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 OHG. Die Verpflichtung, die zivilrechtliche Haftung dem Grundsatz nach zu beurteilen, verpflichte den Strafrichter, über Bestand der Haftung und Haftungsquote zu entscheiden, was nicht geschehen sei.
Beschwerdelegitimiert ist nur, wer durch einen Entscheid beschwert ist (BGE 128 IV 34 E. 1b mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer als Beklagter im Adhäsionsprozess ist aber durch eine Verletzung der in Art. 9 Abs. 3 OHG zugunsten des Beschwerdegegners aufgestellten Verfahrensgarantie nicht beschwert. Auf diese Frage ist nicht weiter einzugehen.
3.
Die Vorinstanz hat für einen allfälligen, auf die sexuellen Handlungen zurückzuführenden Erwerbsausfall die volle Haftung des Beschwerdeführers bejaht mit der Begründung, er habe ein Selbstverschulden des Beschwerdegegners nicht geltend gemacht. Wohl sei offen, ob eine allfällige Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdegegners nicht zumindest teilweise auf einen Unfall im Militärdienst, auf den Konsum von Betäubungsmitteln oder auf die unbegründete Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuführen sei. Diese Punkte berührten aber Fragen der Kausalität, Schadensbemessung und Schadensminderungspflicht, die für den Umfang der Haftung unmassgeblich seien.
Gemäss Art. 44 OR kann die Ersatzpflicht ermässigt oder aufgehoben werden, wenn Umstände, für die der Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt haben. Der Geschädigte muss nicht nur für jedes Selbstverschulden, d.h. nicht nur für dasjenige, welches den Schaden mitverursacht hat, einstehen, sondern auch für das Verhalten, durch welches die Schadenshöhe negativ beeinflusst worden ist, namentlich für die Verletzung der sog. Schadensminderungspflicht (Roland Brehm, Berner Kommentar, N 46 und 50 zu Art. 44 OR). Die Auffassung der Vorinstanz ist, wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, unzutreffend. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, über den Umfang der Haftung zu entscheiden, solange nicht feststeht, ob überhaupt eine Haftung besteht. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist in diesem Punkt begründet.
4.
Auf die subsidiären Rechtsbegehren ist, soweit sie nicht gegenstandslos geworden sind, mangels Interesses nicht einzutreten. Denn die Feststellungen, die der Beschwerdeführer im Urteilsspruch festgehalten haben will, ergeben sich unzweideutig aus der Begründung des angefochtenen Entscheids.
5.
Der Beschwerdeführer obsiegt nur teilweise. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, von der Erhebung von Kosten und von der Zusprechung einer Entschädigung abzusehen (Art. 278 BStP).
Dem Beschwerdegegner, der auf eine Stellungnahme und Anschlussbeschwerde verzichtet hat, steht keine Entschädigung zu.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen, Ziff. 5c des Entscheids des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. Juni 2004 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben und es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sowie der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Februar 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: