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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 498/04
Urteil vom 28. Februar 2005
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Schüpfer
Parteien
G.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Marcus Andreas Sartorius, Bälliz 32, 3600 Thun,
gegen
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 9. August 2004)
Sachverhalt:
A.
Der 1959 geborene gelernte Koch G.________ betreibt seit 1993 als Selbstständigerwerbender ein Café-Restaurant, welches sich seit 1998 in seinem Eigentum befindet. Am 19. August 2002 meldete er sich zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Dem von der IV-Stelle Bern beigezogenen Arztbericht der Dr. med. T.________, Spezialärztin FMH für Chirurgie und Leitende Ärztin am Spital H.________, vom 5. Mai 2003 ist zu entnehmen, dass der Versicherte wegen eines juvenilen Diabetes mellitus, mit - trotz optimaler Einstellung - rezidivierenden, fast täglichen Hypo- und Hyperglykämien und begleitenden Polyneuropathien sowie einer dorso-medianen Diskushernie L5/S1 links in seiner Arbeitsfähigkeit seit April 2002 zu 50% eingeschränkt ist. Als weitere Diagnosen ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit werden eine Neurodermitis, stressbedingte Praecordialgien mit deutlicher Belastungshypertonie und eine chronische Rhinitis mit Asthma bronchiale aufgeführt. Die IV-Stelle zog die Buchhaltungsabschlüsse der Jahre 1997 bis 2002 bei und holte einen Abklärungsbericht für Selbstständigerwerbende ein. Gestützt darauf erliess sie am 17. November 2003 eine Verfügung, womit das Leistungsbegehren abgelehnt wurde, da der Invaliditätsgrad nur 34% betrage. Daran wurde auch auf Einsprache hin festgehalten, nachdem eine weitere Stellungnahme des Abklärungsdienstes vom 13. Januar 2004 eingeholt worden war (Entscheid vom 30. April 2004).
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 9. August 2004 ab.
C.
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm ab August 2002 mindestens eine halbe Invalidenrente zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Invaliditätsbegriff (Art. 8 ATSG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG, je in der bis 31. Dezember 2003 und ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung), die Invaliditätsbemessung nach der Einkommensvergleichsmethode (16 ATSG) und der ausserordentlichen Methode (Art. 27 IVV; BGE 128 V 32 Erw. 4a) sowie die Grundsätze über die Invaliditätsbemessung (BGE 128 V 30 Erw. 1) zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Zu ergänzen ist, dass bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln heranzuziehen sind, gemäss welchen grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge ist ab einem eventuellen Rentenbeginn bis Ende 2003 die Anspruchsberechtigung unter dem Gesichtspunkt der bis dahin geltenden Fassung des IVG, ab 1. Januar 2004 bis zum Erlass des Einspracheentscheides unter jenem der 4. IVG-Revision zu beurteilen (vgl. BGE 130 V 445 Erw. 1 mit Hinweisen).
2.
2.1 Für den Einkommensvergleich gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG beziehungsweise Art. 16 ATSG sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns des - möglichen - Rentenanspruchs massgebend, wobei Validen- und Invalideneinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu erheben und allfällige rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum Erlass des Einspracheentscheides zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 129 V 222). Mit Bezug auf eine Rentenleistung gilt die Invalidität in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Anspruch nach Art. 29 Abs. 1 IVG entsteht, das heisst frühestens wenn die versicherte Person mindestens zu 40 % bleibend erwerbsunfähig geworden ist (lit. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen war (lit. b) und wenn sich daran eine Erwerbsunfähigkeit in mindestens gleicher Höhe anschliesst (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc, 119 V 115 Erw. 5a mit Hinweisen).
2.2 Dr. med. T.________ behandelt den Beschwerdeführer seit August 2001 und attestiert ihm ab April 2002 eine um 50% verminderte Arbeitsfähigkeit. Das Hauptproblem liegt offenbar bei den Folgen des Diabetes. Die Ärztin führt in ihrem Bericht vom 5. Mai 2003 aus, dass er bei gut eingestelltem Blutzucker für jede Arbeit einsetzbar wäre, bei Hypo- oder Hyperglykämie, die trotz Medikamenten fast jeden Tag aufträten, in keiner. Beim Leiden des Beschwerdeführers ist der Rentenbeginn gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG auf April 2003 festzusetzen. Die Vergleichseinkommen sind daher für diesen Zeitpunkt zu bestimmen.
3.
3.1 Die IV-Stelle ermittelte den Invaliditätsgrad nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs, indem sie aufgrund der durchschnittlichen Betriebsgewinne in den Jahren 1999 bis 2001 unter Berücksichtigung einer Verzinsung des im Betrieb investierten Eigenkapitals zu 3,5 %, einer Aufrechnung der persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge und eines anteilmässigen Abzuges für eine nicht entlöhnte Mitarbeit der Ehegattin das hypothetische Valideneinkommen mit Fr. 70'141.- bemass. Dieses stellte sie einem auf den gleichen Geschäftsabschlüssen basierenden hypothetischen Invalideneinkommen gegenüber, bei dem höhere Abzüge für Personalkosten vorgenommen wurden und bezifferte es auf Fr. 46'545.-, woraus sich gemäss Verfügung vom 1. November 2003 ein Invaliditätsgrad von 34 % ergab (Abklärungsbericht S. 6).
3.2
3.2.1 Bei den Betriebsgewinnen der Jahre 1999 bis 2001 sind erhebliche Differenzen festzustellen. Im Jahre 1999 war ein Gewinn von Fr. 97'234.- bei einem Personalaufwand von Fr. 70'070.-, im Jahr 2000 ein solcher von Fr. 107'925.- (und nicht Fr. 102'925.-, wie im Abklärungsbericht vermerkt) bei Personalkosten von Fr. 85'800.- und schliesslich im Jahre 2001 ein solcher von noch Fr. 62'315.- bei erheblichen höheren Personalkosten von Fr. 92'974.- angefallen. Letzterer entspricht einer Reduktion auf ca. 60% des Gewinns des Vorjahres. Diese Entwicklung ist von der IV-Stelle nicht untersucht worden und wirft Fragen auf. Entweder machten sich schon im Jahre 2001 die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers bemerkbar, oder konjunkturelle Faktoren spielten eine entscheidende Rolle. Weil solche im Rahmen eines Einkommensvergleichs aber ausser Betracht zu bleiben haben, ist das Abstellen auf das über einen eher kurzen Zeitraum erhobene Valideneinkommen zumindest zweifelhaft.
3.2.2 Das von der Verwaltung angenommene Invalideneinkommen basiert auf denselben Ausgangswerten wie das von ihr ermittelte Valideneinkommen auf den Buchhaltungsabschlüssen der Jahre 1999 bis 2001. Davon werden lediglich behinderungsbedingt erhöhte Personalausgaben von Fr. 8'050.- sowie zusätzliche Fr. 15'546.- für "nicht entlöhnte Mitarbeit der Familie" abgezogen. Das ergibt eine "behinderungsbedingte Erwerbseinbusse" von Fr. 23'596.-. Wenn der Invaliditätsgrad mittels Einkommensvergleich festgestellt werden soll, hätte auch für das Invalideneinkommen auf das konkrete Betriebsergebnis - unter Berücksichtigung invaliditätsfremder Faktoren - abgestellt werden müssen. Es geht nicht an, lediglich die von der IV-Stelle geschätzten Mehrausgaben im Personalbereich als Erwerbseinbusse zu deklarieren. Das Invalideneinkommen definiert sich als Einkommen, das ein Versicherter nach Eintritt des Gesundheitsschadens durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (vgl. Art. 16 ATSG), was nicht identisch ist mit einem durchschnittlichen früheren Einkommen, welches durch höhere Ausgaben reduziert wird.
Die Vorinstanz geht davon aus, die Mutter des Beschwerdeführers habe für ihren vermehrten Einsatz im Betrieb keine Entschädigung bezogen. Indessen belegt der Beschwerdeführer, dass er seiner Mutter Fr. 1'111.- netto im Monat bezahlt hat. Setzte man einen Jahreslohn von Fr. 13'332.- (Fr. 1111.- x 12) in die Berechnung der Vorinstanz ein, ergäbe sich ein Invaliditätsgrad von 53% (52,65%; BGE 130 V 121) [Valideneinkommen von Fr. 70'070.- bei einer Einkommenseinbusse von Fr. 36'928.-(Fr. 23'596.- + Fr. 13'332.-)] und damit Anspruch auf eine halbe Rente.
3.2.3 Zusammenfassend ist festzustellen, dass es die Aktenlage nicht erlaubt, zuverlässige Validen- und Invalideneinkommen zu ermitteln. Die im Zeitraum von 1999 bis 2001 eingetretenen erheblichen Schwankungen des Betriebsgewinnes und der Personalausgaben sind nicht erklärt. Zu untersuchen gälte es insbesondere die Zahlen des Jahres 2001. Darüber hinaus erscheint das Abstellen auf das über einen eher kurzen Zeitraum erhobene Valideneinkommen zumindest zweifelhaft. Zudem wird von einer "unbezahlten Mitarbeit der Ehefrau" ausgegangen, obwohl Belege dafür vorliegen, dass ihr Lohn ausgerichtet worden ist und dafür auch Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet wurden.
Bezüglich des Invalideneinkommens ist unter anderem nicht hinreichend geklärt, welchen invaliditätsbedingten Mehreinsatz die Familienmitglieder leisten. Jedenfalls ist auch unbezahlte Mitarbeit, die wegen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers geleistet wird, in die Invaliditätsbemessung miteinzubeziehen. Aus diesen Gründen können die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen nicht zuverlässig ermittelt oder geschätzt werden, weshalb die ausserordentliche Bemessungsmethode Platz zu greifen hat. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass diese Bemessungsmethode bereits dann zum Zuge kommt, wenn nur eines der beiden Vergleichseinkommen nicht zuverlässig festgestellt werden kann, weil bereits dann dem Einkommensvergleich die notwendige Grundlage entzogen ist (vgl. Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 205).
3.3 Die Sache ist demnach an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie nach nötigen weiteren Abklärungen mit Hilfe des in BGE 128 V 32 Erw. 4 skizzierten Vorgehens den Invaliditätsgrad auf Grund der ausserordentlichen Bemessungsmethode festlegt und neu darüber verfügt.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 9. August 2004 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle Bern vom 30. April 2004 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle des Kantons Bern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 28. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: