Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.104/2004
6S.312/2004 /pai
Urteil vom 24. März 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Heimgartner.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Markus Koch,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Postfach, 6002 Luzern.
Gegenstand
6P.104/2004
Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 BV , Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK (Strafverfahren; Beweiswürdigung),
6S.312/2004
Raub (Art. 140 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), Strafzumessung
(Art. 64 Abs. 7 StGB),
staatsrechtliche Beschwerde (6P.104/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.312/2004) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 11. Mai 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ (Jahrgang 1980) beging zusammen mit A.________ und/oder B.________ sowie teilweise mit ein bis drei weiteren Personen vom 24. März bis 20. Mai 2001 insgesamt acht Raubüberfälle, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb.
B.
Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte X.________ am 11. Mai 2004 auf Berufung hin aufgrund dieser und weiterer, unbestrittener Taten unter anderem wegen mehrfachen bandenmässigen Raubes (Art. 140 Ziff. 3 Abs. 2 StGB) zu einer Zuchthausstrafe von 2 ΒΌ Jahren als Zusatzstrafe zu den Strafverfügungen der Amtsstatthalterämter Hochdorf vom 4. Juni 2003 und Luzern-Stadt vom 13. Januar 2004.
C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht beantragt in seinen Gegenbemerkungen zur Beschwerde deren Abweisung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I. Nichtigkeitsbeschwerde
1.
Nach Art. 275 Abs. 5 BStP setzt der Kassationshof die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde in der Regel bis zur Erledigung einer staatsrechtlichen Beschwerde aus. Ein Abweichen von der Regel ist aus prozessökonomischen Gründen zulässig, wenn sich durch die vorgängige Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde das Verfahren vereinfacht oder sich die Beurteilung der staatsrechtlichen Beschwerde erübrigt. Letzteres trifft im vorliegenden Fall zu, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde vorab zu beurteilen ist.
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die qualifizierte Tatbestandsvariante des bandenmässigen Raubes im Sinne von Art. 140 Ziff. 3 StGB zu Unrecht bejaht. Er und die anderen Beteiligten hätten sich in der Stadt jeweils zufällig getroffen, um zusammen den "Ausgang" zu verbringen. Wenn sie kein Geld mehr gehabt hätten, sei in der Gruppe jeweils spontan die Idee aufgekommen, Jugendlichen "etwas" abzunehmen. An einer Organisation oder Absprachen über die Rollenverteilung habe es gefehlt.
Die Vorinstanz schloss, der Beschwerdeführer und seine Komplizen hätten sich mit dem zumindest konkludent geäusserten Willen zusammengefunden, künftig zur Verübung mehrerer, im Einzelnen noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken. Die Arbeitsteilung und die Intensität des Zusammenwirkens liessen die Beteiligten als ein nicht bloss loses, sondern festes und stabiles Team erscheinen. Die Täterschaft sei in wechselnder Zusammensetzung zwischen zwei und fünf Komplizen immer wieder nach der gleichen Methode vorgegangen. Der Beschwerdeführer und A.________ und/oder B.________ seien der Kern der zwei Tätergruppen gewesen. Angesichts des engen zeitlichen Konnexes, der örtlichen Nähe zwischen den einzelnen Überfällen und des methodischen Vorgehens sei der Wille darauf gerichtet gewesen, gemeinsam eine Mehrzahl Raubtaten auszuführen. Der Zusammenschluss habe die Täter stark und sicher gemacht. Zudem hätten die Täter nicht freiwillig mit den Taten aufgehört, sondern seien erst durch die polizeiliche Festnahme gestoppt worden.
3.
Wegen der massiv höheren Strafdrohung ist das qualifizierende Tatbestandsmerkmal der Bandenmässigkeit restriktiv auszulegen (vgl. Olivier Pecorini, Le brigandage et l'extorsion par brigandage d'une chose mobilière en droit pénal suisse, Diss. Lausanne 1995, S. 148; Marcel Alexander Niggli/Christof Riedo, Basler Kommentar StGB II, Basel 2003, Art. 140 N. 65 und Art. 139 N. 116). Nach der Rechtsprechung ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im Einzelnen möglicherweise noch unbestimmter Straftaten zusammenzuwirken. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob zwei oder mehr Täter vorhanden sind; entscheidend ist einzig der ausdrücklich oder konkludent manifestierte Wille, im oben erwähnten Sinn zusammenzuwirken. Derartige Zusammenschlüsse stärken den Einzelnen psychisch wie physisch und machen ihn dadurch besonders gefährlich und lassen die Begehung weiterer Straftaten voraussehen (BGE 124 IV 286 E. 2a). Das Bundesgericht fragte sich im nicht publizierten Entscheid 6S.734/1996 vom 25. April 1997, ob nicht weniger auf die Zahl der Beteiligten, sondern mehr auf den Organisationsgrad und die Intensität der Zusammenarbeit der Täter abgestellt werden sollte (vgl. BGE 124 IV 86 E. 2c/cc, 286 E. 2a), liess dies jedoch offen. Für die Bejahung des Vorsatzes ist wesentlich, ob der Täter die Tatsachen kannte und wollte, aus denen das Gericht den rechtlichen Schluss auf bandenmässige Tatbegehung zieht. Bandenmässigkeit ist erst anzunehmen, wenn der Wille der Täter auf die gemeinsame Verübung einer Mehrzahl von Delikten gerichtet ist (BGE 124 IV 286 E. 2a mit Hinweisen).
4.
Aus dem vorinstanzlichen Urteil geht nicht hervor, aufgrund welcher konkreten Umstände die Bandenmässigkeit als qualifizierte Form der Mittäterschaft bejaht wird. Der erforderliche, zumindest konkludent manifestierte Wille - zusammen eine unbestimmte Zahl Delikte zu begehen - kann nicht alleine retrospektiv gestützt auf die Tatsache angenommen werden, dass Mittäter mehrere Delikte in enger örtlicher und zeitlicher Nähe auf ähnliche Weise verübten. Im Übrigen zeigt die Vorinstanz nicht auf, worin das angeblich methodische Vorgehen gelegen haben soll. Die im erstinstanzlichen Urteil - auf welches verwiesen wird - angeführte Methode erschöpft sich darin, dass die Täter jeweils ihre Opfer um Geld fragten und ihre Forderung mittels Drohungen bzw. Tätlichkeiten unterstrichen. Diese Art des Vorgehens entspricht den zwei ersten Tatbestandsvarianten von Art. 140 Ziff. 1 StGB und lässt daher ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Delinquenz durch die Verhaftung der Täter beendet worden ist, auf Bandenmässigkeit schliessen. Zu beachten ist vorliegend zudem, dass sich die Gruppe um den Beschwerdeführer - abgesehen von B.________ bzw. A.________ - aus jeweils anderen Personen zusammensetzte. Dieser Umstand spricht eher gegen einen Willen, gemeinsam eine unbestimmte Zahl Straftaten zu begehen. Für die Annahme von Bandenmässigkeit müsste anhand konkreter Tatumstände aufgezeigt werden, dass sich der Beschwerdeführer und zumindest ein Mittäter mit dem Willen zusammenschlossen, mehrere selbständige, im Einzelnen noch unbestimmte Straftaten zu verüben. Das angefochtene Urteil ist in diesem Punkt in Anwendung von Art. 277 BStP aufzuheben und die Sache an die kantonale Instanz zurückzuweisen.
5.
Der Beschwerdeführer rügt weiter, die Vorinstanz habe bei der Strafzumessung Bundesrecht verletzt, indem sie den Strafmilderungsgrund der aufrichtigen Reue nicht berücksichtigt habe. Er habe den Geschädigten den Schaden weitgehend ersetzt und sich mittels Schreiben, welche angesichts seiner schlechten Deutschkenntnisse sein Verteidiger verfasst habe, bei den Geschädigten entschuldigt.
Die Vorinstanz führte dazu aus, dass die vor ihren Schranken erstmals vorgelegten Entschuldigungsschreiben an die Geschädigten nicht vom Beschwerdeführer selber, sondern vom Verteidiger geschrieben worden seien. Aus diesem Grund könne ihm kein besonderes freiwilliges uneigennütziges Verhalten angerechnet werden.
5.1 Der Strafmilderungsgrund der Betätigung aufrichtiger Reue im Sinne von Art. 64 Abs. 5 StGB kommt zum Tragen, wenn der Täter aus eigenem Entschluss etwas tut, was als Ausdruck seines Willens anzusehen ist, geschehenes Unrecht wieder gutzumachen (vgl. BGE 107 IV 98 E. 1 mit Hinweisen). Das ist bei der vom Gesetz beispielhaft genannten Schadensdeckung nur der Fall, wenn sie als eine besondere Anstrengung erscheint, die der Täter freiwillig und uneigennützig im Rahmen des ihm Zumutbaren erbringt (BGE 107 IV 98 E. 1 mit Hinweisen).
5.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe den Schaden weitgehend ersetzt, steht im Widerspruch zum vorinstanzlichen Entscheid. Darin wird lediglich festgestellt, dass er einen Teil der Zivilforderungen beglichen hat. Diese belaufen sich auf einen Betrag von Fr. 160.-- und stehen unbezahlten Forderungen in der Höhe von Fr. 1'913.85 gegenüber. Hinzu kommt, dass die Bezahlung der Forderungen erst nach Fällung des erstinstanzlichen Urteils erfolgte, in welchem diese als anerkannt vorgemerkt wurden. Angesichts der bevorstehenden Rechtskraft dieses Zivilpunkts kann nicht von einer freiwilligen und uneigennützigen Schadensdeckung gesprochen werden, wie es die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt.
Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit seinem 11. Lebensjahr in der Schweiz aufgewachsen ist, kann der Argumentation nicht gefolgt werden, wonach sein Deutsch zu mangelhaft sei, um eine Entschuldigung zu formulieren. Im Übrigen sind blosse verbale Beteuerungen nicht als Betätigung aufrichtiger Reue zu werten. Da der Beschwerdeführer keine eigene Schritte zur Wiedergutmachung getan hat, verneinte die Vorinstanz diesen Strafmilderungsgrund zu Recht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
6.
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Gesuch ist gegenstandslos geworden, soweit die Nichtigkeitsbeschwerde gutgeheissen wird. Es ist im Übrigen gutzuheissen, da die Beschwerde in den weiteren Punkten nicht von vornherein aussichtslos war und die finanzielle Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen ist. Somit werden keine Kosten erhoben und wird dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
II. Staatsrechtliche Beschwerde
7.
Mit der teilweisen Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird die staatsrechtliche Beschwerde gegenstandslos. Für dieses Verfahren werden praxisgemäss weder Kosten erhoben noch eine Entschädigung ausgesprochen. Da die Beschwerde von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte, ist das im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird im Verfahren nach Art. 277 BStP teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 11. Mai 2004 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen.
4.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wird abgewiesen.
5.
Es werden keine Kosten erhoben.
6.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Markus Koch, wird eine Entschädigung von insgesamt Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
7.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. März 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: