Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 436/04
Urteil vom 12. April 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer
Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
A.________, 1943, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 26. Oktober 2004)
Sachverhalt:
A.
Der 1943 geborene A.________ war seit 1961 als Bauarbeiter bei der Firma X.________ AG angestellt. Am 5. April 2002 stürzte er bei der Arbeit von einer Leiter. Er musste ins Spital Y.________ eingeliefert werden, wo er wegen einer distalen intraartikulären Radiusfraktur rechts operiert wurde und bis 10. April 2002 hospitalisiert blieb. In der Folge konnte er seine Tätigkeit als Bauarbeiter nicht mehr aufnehmen. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei der A.________ obligatorisch gegen Unfälle versichert war, erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Gestützt auf die beigezogenen medizinischen und erwerblichen Unterlagen sowie eine Abschlussuntersuchung durch ihren Kreisarzt Dr. med. S.________ vom 28. Februar 2003 stellte die SUVA die Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen auf den 30. Juni 2003 ein und sprach dem Versicherten mit Verfügung vom 7. August 2003 nebst einer Integritätsentschädigung von 15 % rückwirkend ab 1. Juli 2003 eine Invalidenrente von 14 % zu. Auf Einsprache hin erhöhte die SUVA nach Beizug der Akten der Invalidenversicherung, welche A.________ gemäss Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 11. Dezember 2003 mit Wirkung ab 1. April 2003 eine ganze Rente zugesprochen hatte, den der Rente zugrunde liegenden Invaliditätsgrad mit Entscheid vom 5. Januar 2004 auf 20 %.
B.
In teilweiser Gutheissung der von A.________ eingereichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid vom 5. Januar 2004 auf und sprach dem Versicherten ab 1. Juli 2003 eine Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 38 % zu (Entscheid vom 26. Oktober 2004).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SUVA, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
A.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, eventuell Durchführung einer neuen medizinischen Begutachtung, schliessen, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Im Einspracheentscheid der SUVA vom 5. Januar 2004, auf welchen sich die Vorinstanz bezieht, sind die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Invalidenrente des Unfallversicherers (Art. 18 Abs. 1 UVG), den Begriff der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Bemessung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG) und die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der Invaliditätsschätzung (BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c; siehe auch BGE 125 V 261 Erw. 4 und 105 V 158 Erw. 1) richtig wiedergegeben. Darauf sowie auf die Darlegungen des kantonalen Gerichts zum Beweiswert von Arztberichten (BGE 125 V 352 ff. Erw. 3 mit Hinweisen) und zu der Festsetzung des hypothetischen Invalideneinkommens anhand von Durchschnittslöhnen, insbesondere den rechtsprechungsgemäss zulässigen Abzügen vom Tabellenlohn (BGE 126 V 75), kann verwiesen werden.
2.
Die Verbindlichkeit des von der Invalidenversicherung ermittelten Invaliditätsgrades für die SUVA entfällt, weil der Entscheid der IV-Stelle auf knappen Abklärungen und wenig überzeugenden Schlussfolgerungen beruht (vgl. BGE 127 V 129 Erw. 4d, 126 V 288 Erw. 2d). Die Vorbringen in der Vernehmlassung des Beschwerdegegners vermögen hieran nichts zu ändern.
3.
Wie das kantonale Gericht in eingehender und sorgfältiger Würdigung der medizinischen Unterlagen festgestellt hat, kann entgegen der Kritik des Versicherten an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung als überwiegend wahrscheinlich gelten, dass dem Beschwerdegegner, der wegen der Unfallfolgen nicht mehr als Bauarbeiter eingesetzt werden kann, in dem für die richterliche Beurteilung massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Einspracheentscheides (BGE 121 V 362 Erw. 1b) nicht repetitive Tätigkeiten ohne erhebliche Kraftbelastung und ohne Rotationsbewegungen in einem vollen Pensum zumutbar waren. Da der rechtserhebliche medizinische Sachverhalt umfassend abgeklärt ist und von weiteren ärztlichen Untersuchungen, insbesondere einer Begutachtung, keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich des Grades der Arbeitsunfähigkeit erwartet werden können, ist dem entsprechenden Antrag des Beschwerdegegners nicht stattzugeben.
4.
Zu prüfen bleibt, wie sich der Umstand, dass der Versicherte die während 40 Jahren ausgeübte Tätigkeit als Bauarbeiter nicht mehr verrichten und stattdessen lediglich noch einer leichten, leidensangepassten Arbeit nachgehen kann, in erwerblicher Hinsicht auswirkt.
4.1 In Bezug auf das Valideneinkommen ist aufgrund der Abklärungen der SUVA vom Jahreslohn von Fr. 59'372.- auszugehen, den der Beschwerdegegner im Jahre 2003 bei der früheren Arbeitgeberfirma ohne Gesundheitsschaden erzielt hätte. Die Vorinstanz gelangte indessen zur Auffassung, dieser Betrag erweise sich mit Blick auf die Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik als offensichtlich unterdurchschnittlich. Sie zog zum Vergleich den sich aus den LSE ergebenden Durchschnittswert von Anforderungsniveau 2 (Verrichtung selbstständiger und qualifizierter Arbeiten) und -niveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt) bei, was einen Jahresverdienst von Fr. 69'555.- ergab, welchen das kantonale Gericht als hypothetisches Valideneinkommen der Invaliditätsbemessung zugrunde legte.
Wie die SUVA zu Recht einwendet, besteht kein Anlass, für die Festsetzung des hypothetischen Valideneinkommens vom Lohn, den der Beschwerdegegner bei der Firma X.________ AG bezogen hätte, abzuweichen. Der Versicherte hat zwar während Jahrzehnten auf dem Bau gearbeitet; er verfügt jedoch über keine baugewerbliche Ausbildung, sondern ist ungelernter Bauarbeiter. Massgebend wäre somit der Lohnansatz des Anforderungsniveaus 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten). Der entsprechende Monatslohn belief sich bei 40 Arbeitsstunden in der Woche im Baugewerbe auf Fr. 4765.- (LSE 2002 TA1). Umgerechnet auf 41,7 Wochenstunden (Die Volkswirtschaft 2004, Heft 5, S. 94, Tabelle B9.2) resultiert ein Monatslohn von Fr. 4967.50 (Fr. 59'610.- im Jahr). Unter Aufrechnung der Nominallohnentwicklung 2002 von 1,4 % (Die Volkswirtschaft 2004, Heft 1, S. 95, Tabelle B10.2) ergibt sich ein Betrag von Fr. 60'444.-, der nur unwesentlich höher ist als der Lohn von Fr. 59'372.-, den der Beschwerdegegner ohne Invalidität bei der Firma X.________ AG im Jahre 2003 verdient hätte, weshalb auf die zuletzt massgebenden Lohnverhältnisse abzustellen ist.
4.2 Grundlage für die Ermittlung des Invalideneinkommens bildet der Durchschnittslohn für einfache und repetitive Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) von Fr. 4557.- im Monat (LSE 2002 TA1 [privater Sektor]), der sich nach Aufrechnung auf 41,7 Arbeitsstunden wöchentlich und Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung 2002 von 1,4 % auf Fr. 57'806.- beläuft.
Streitig ist des Weiteren die Höhe des Abzuges vom Tabellenlohn im Sinne von BGE 126 V 77 ff. Erw. 4 und 5. Da der 1943 geborene Beschwerdegegner zeitlebens körperliche Schwerarbeit auf dem Bau verrichtete, die er wegen der Unfallfolgen nicht mehr ausüben kann, und auch für leichtere Tätigkeiten nicht mehr uneingeschränkt einsatzfähig ist, wird er im Falle einer erneuten Anstellung das durchschnittliche Lohnniveau gesunder Hilfsarbeiter voraussichtlich deutlich unterschreiten. Unter diesen besonderen Umständen, namentlich mit Rücksicht auf die Tatsache, dass er während 40 Jahren für das gleiche Baugeschäft schwere manuelle Arbeiten verrichtet hat, erscheint der von der Vorinstanz vorgenommene Abzug von 25 % vom Tabellenlohn gerechtfertigt. Das hypothetische Invalideneinkommen beläuft sich somit auf Fr. 43'354.50 (Fr. 57'806.- x 75 : 100). Verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 59'372.- resultiert eine Erwerbseinbusse von Fr. 16'017.50, was einem Invaliditätsgrad von aufgerundet 27 % (Fr. 16'017.50 x 100 : Fr. 59'372.-) entspricht.
5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation kann die SUVA keine Parteientschädigung beanspruchen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 126 V 150 Erw. 4a mit Hinweisen). Hingegen hat der Beschwerdegegner dem Prozessausgang entsprechend Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 und 3 OG ).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 2004 und der Einspracheentscheid vom 5. Januar 2004 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdegegner ab 1. Juli 2003 Anspruch auf eine Invalidenrente der SUVA von 27 % hat.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die SUVA hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wird über eine Neuverlegung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 12. April 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: