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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.199/2004 /gnd
Sitzung vom 27. April 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen, Zünd,
Ersatzrichterin Brahier Franchetti
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
C.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Greiner.
Gegenstand
Strafzumessung (Art. 63 StGB),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
vom 18. März 2004.
Sachverhalt:
A.
Am 10. November 2001 kurz vor 01.00 Uhr fuhr C.________ mit seinem Alfa Romeo auf der Autobahn A1 von Seuzach Richtung Zürich, obwohl ihm der Führerausweis wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung entzogen war. Dabei fuhr er auf einer Strecke, wo die signalisierte Höchstgeschwindigkeit 100 km/h betrug, mit 136 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge). Bei der anschliessenden Polizeikontrolle wies er sich mit dem Führerausweis von Y.________ aus, liess diesen als Lenker erfassen und unterschrieb auch die Einvernahme mit Y.________.
Mitte Oktober 2002 forderte C.________ seine Ehefrau auf, ihre Hosen auszuziehen. Darauf zerschnitt er sie mit einem Armee-Taschenmesser und tat das Gleiche mit sämtlichen Hosen, die er in ihrem Schrank fand, weil er dagegen war, dass seine Frau Hosen trug.
In der Nacht vom 16./17. Oktober 2002 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen C.________ und seiner Ehefrau, weil sich diese von ihm scheiden lassen wollte. Nach Drohungen ihres Mannes verliess die Frau die Wohnung und rief mit dem Handy Verwandte in der Türkei an. C.________ zwang sie darauf gewaltsam, wieder in die Wohnung zurückzukehren. Etwas später nötigte er seine Frau zum Geschlechtsverkehr.
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach C.________ als Berufungsinstanz auf Grund der dargestellten Sachverhalte der falschen Anschuldigung, Vergewaltigung, Urkundenfälschung, Drohung, Nötigung, Sachbeschädigung, Tätlichkeiten, groben Verletzung von Verkehrsregeln sowie des Missbrauchs von Ausweisen und Schildern schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 8. Oktober 2004 die von C.________ ergriffene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, es sei das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von Art. 63 StGB aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Der Beschwerdegegner beantragt deren vollumfängliche Abweisung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin rügt einzig die Strafzumessung. Der angefochtene Entscheid beruht nach ihrer Ansicht auf einer unzutreffenden Gewichtung verschiedener Strafzumessungsfaktoren. Ausserdem sei die ausgesprochene Strafe von 18 Monaten Gefängnis im Ergebnis krass zu mild. Ein Strafmass, das noch die Gewährung des bedingten Strafvollzugs zulasse, komme einer Bagatellisierung des Verhaltens des Angeklagten und damit insbesondere der strafbaren Formen der häuslichen Gewalt gleich. Die Vorinstanz habe das ihr bei der Strafzumessung zustehende Ermessen eindeutig überschritten und daher Art. 63 StGB verletzt.
2.
Nach Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen.
2.1 Die Schwere des Verschuldens bildet das zentrale Kriterium bei der Zumessung der Strafe. Bei deren Bestimmung hat der Richter die Umstände der Tat (sog. Tatkomponente) zu beachten, also das Ausmass des verschuldeten Erfolgs, die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolgs, die Willensrichtung, mit welcher der Täter gehandelt hat, und die Beweggründe des Schuldigen. Je leichter es für ihn gewesen wäre, das Gesetz zu respektieren, desto schwerer wiegt dessen Missachtung und damit das Verschulden. Neben diesen auf die Tat bezogenen Faktoren sind auch täterbezogene Elemente (sog. Täterkomponente) zu berücksichtigen, so das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse des Täters, weiter aber auch sein Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, allenfalls gezeigte Reue und Einsicht sowie die Strafempfindlichkeit (BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 20; 127 IV 101 E. 2a S. 103; 117 IV 112 E. 1 S. 113 f.).
2.2 Dem Sachrichter steht bei der Gewichtung der genannten Strafzumessungskomponenten ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Das Bundesgericht greift in diesen im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde, mit der ausschliesslich eine Rechtsverletzung geltend gemacht werden kann, nur ein, wenn der kantonale Richter den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn er von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn er umgekehrt solche Faktoren ausser Acht gelassen hat und schliesslich wenn er wesentliche Kriterien in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 21; 124 IV 286 E. 4a S. 295).
3.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin verletzt die vorinstanzliche Strafzumessung Bundesrecht in verschiedener Hinsicht:
3.1 Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, die Vorinstanz stufe das Verschulden des Beschwerdegegners an den gewalttätigen Übergriffen auf seine Ehefrau zu gering ein. Insbesondere die Vergewaltigung qualifiziere sich durch eine Rücksichts- und Hemmungslosigkeit, welche auch angesichts der Betroffenheit des Beschwerdegegners durch die Scheidungsabsichten des Opfers nicht nachvollziehbar erscheine, zumal er in der Tatnacht nicht zum ersten Mal mit diesen Absichten seiner Ehefrau konfrontiert gewesen sei.
3.1.1 Nach dem angefochtenen Entscheid bewegt sich die verübte Vergewaltigung verschuldensmässig im unteren Bereich der möglichen Tatvarianten. Die objektive Tatschwere bestimme sich bei der Vergewaltigung primär nach den eingesetzten Nötigungsmitteln und deren Auswirkungen auf das Opfer. Vorliegend sei die Qualifikation des beschwerdegegnerischen Verhaltens ein Grenzfall. Die situativ eingesetzten Nötigungsmittel seien marginal gewesen. Es habe bei der fraglichen Vergewaltigung für ihn kaum eine Hemmschwelle existiert, zumal seine Frau physisch überhaupt keinen Widerstand geleistet und sich auch verbal kaum gewehrt habe. Ausserdem habe er - wenn auch eher unbewusst - mit dem Geschlechtsverkehr demonstrieren wollen, dass er mit der Scheidung nicht einverstanden sei und seine Frau nicht ziehen lassen wolle. Er habe diese nach dem Geschlechtsverkehr denn auch in die Arme genommen und so einzuschlafen versucht.
3.1.2 Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, bestimmt sich die objektive Tatschwere bei der Vergewaltigung primär nach den eingesetzten Nötigungsmitteln und deren Auswirkungen auf das Opfer. Vorliegend waren die zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs situativ eingesetzten Nötigungsmittel marginal. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz berücksichtigen, dass die Vergewaltigung keine hohe kriminelle Energie seitens des Beschwerdegegners voraussetzte. Dabei hat die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht übersehen, dass sich der Beschwerdegegner im Vorfeld der Tat äusserst aggressiv gegenüber seiner Ehefrau verhielt, indem er ihr gedroht und sie geschlagen sowie an den Haaren gerissen hat. Diese Verhaltensweisen des Beschwerdegegners haben denn auch zu einem Schuldspruch wegen Drohung, Nötigung und Tätlichkeiten gemäss Art. 180, Art. 181 sowie Art. 126 StGB geführt. Zudem waren sie für die Vorinstanz bestimmend dafür, den anlässlich des Geschlechtsverkehrs situativ ausgeübten psychischen Druck auf die Ehefrau, der für sich alleine genommen nicht genügt hätte, als hinreichend intensives Nötigungsmittel im Sinne von Art. 190 StGB zu qualifizieren. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz dem aggressiven Verhalten des Beschwerdegegners adäquat Rechnung getragen. Die Kritik der Beschwerdeführerin erweist sich insofern als unbegründet.
3.1.3 Die Vorinstanz hat sodann auch die Beziehungsproblematik zwischen den Eheleuten verschuldensmindernd zu Gunsten des Beschwerdegegners in die Strafzumessung einbezogen. Dagegen ist nichts einzuwenden, obschon nicht zu übersehen ist, dass der Beschwerdegegner in der Nacht vom 16./17. Oktober 2002 nicht zum ersten Mal mit der Scheidungsabsicht seiner Ehefrau konfrontiert war. Wie die Vorinstanz indes verbindlich hervorhebt, hat sich der Beschwerdegegner gerade in jener Zeit Gedanken und Sorgen um den Fortbestand seiner Familie gemacht und sich in dieser Hinsicht auch hilfesuchend an seinen Bruder, seine Ehefrau und deren Familie gewandt. Wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen davon ausgeht, dass die ehelichen Schwierigkeiten das Verschulden des Beschwerdegegners in einem milderen Licht erscheinen lassen, hält sie sich daher noch im Rahmen ihres weiten Ermessens.
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt weiter, der Strafschärfungsgrund gemäss Art. 68 Ziff. 1 StGB komme im vorinstanzlichen Strafmass nicht ansatzweise zum Ausdruck. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass dem Beschwerdegegner neben der verschuldensmässig im Vordergrund stehenden Vergewaltigung noch die Tatbestände der falschen Anschuldigung und Urkundenfälschung - beides immerhin Verbrechen - zur Last gelegt würden. Diese beiden Tatbestände stünden wiederum mit einer groben Verkehrsregelverletzung in Zusammenhang, hinsichtlich welcher der Beschwerdegegner einschlägig vorbestraft sei: Nur eineinviertel Jahre vor diesem Delikt sei er wegen einer noch massiveren Geschwindigkeitsüberschreitung mit Fr. 1'500.-- gebüsst worden.
Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, hat die Vorinstanz den Strafschärfungsgrund des Art. 68 Abs. 1 StGB nicht übersehen (vgl. dazu BGE 116 IV 300 E. 2b/aa; Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Art. 68 N. 13). Ausgangspunkt ihrer Beurteilung bildete die abstrakt schwerste Tat, die falsche Anschuldigung, in deren Rahmen sie das Verschulden des Beschwerdegegners im untersten Bereich ansiedelte, da dieser nur zu vertuschen versucht habe, dass er ohne Führerausweis gefahren sei. Die Urkundenfälschung und der Missbrauch von Ausweisen erachtete die Vorinstanz sodann als Begleitdelikte zum Rechtspflegedelikt, die ebenfalls nur geringfügig straferhöhend ins Gewicht fielen. Hingegen bezeichnete sie die erneute massive Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdegegners als schwerwiegender. Auch wenn die Fahrt ohne Führerausweis nicht mehr sanktioniert werden könne, müsse ihn bei der Verschuldensbewertung belasten, dass er trotz Fahrverbot und innerhalb der Probezeit erneut zu schnell gefahren sei. Vor diesem Hintergrund zeigt sich ohne weiteres, dass die Vorinstanz der vorliegenden Deliktsmehrheit Rechnung getragen hat. Bei ihrer Gewichtung hat sie berücksichtigt, dass die im Anschluss an die Verkehrsregelverletzung begangenen Straftaten in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, und sie hat für diese Delikte zusammen ein Strafmass von drei Monaten für angemessen erachtet. Da sich eine solche Gewichtung im Bereich des dem Strafrichter zustehenden Ermessens bewegt, erweist sich die Rüge der Beschwerdeführerin als unbegründet.
3.3 Die Beschwerdeführerin kritisiert sodann, dass die Vorinstanz die mehr als zehn Jahre zurückliegenden Vorstrafen des Beschwerdegegners nicht straferhöhend berücksichtigt habe.
Nach der Rechtsprechung fallen Vorstrafen bei der Strafzumessung umso weniger ins Gewicht, je geringfügiger sie sind und je länger sie zurückliegen. (BGE 121 IV 3 E. 1c/dd). Der Richter kann aber grundsätzlich auch gelöschte und sogar ganz aus dem Strafregister entfernte Vorstrafen straferhöhend berücksichtigen (BGE 121 IV 3 E. 1b/aa und dd). Allerdings kann weit zurückliegenden Delikten bei der Strafzumessung regelmässig kein erhebliches Gewicht mehr zukommen. Wird berücksichtigt, dass die Vorstrafen des Beschwerdegegners aus einem andern Lebensabschnitt stammen und vorwiegend andere Bereiche betreffen, erscheint es nicht als ermessensverletzend, wenn die Vorinstanz sie bei der Strafzumessung nicht mehr in Betracht zieht.
3.4 Beanstandet wird abschliessend, dass im Rahmen des von der Vorinstanz ausgefällten Strafmasses auch nicht ansatzweise zum Ausdruck gelange, dass sich der Beschwerdegegner hinsichtlich der Straftaten zum Nachteil seiner Ehefrau weder geständig noch reuig gezeigt habe.
Ein Geständnis sowie Einsicht und Reue wirken, soweit sie gegeben sind, strafmindernd (BGE 121 IV 202 E. 2d/cc). Der Umkehrschluss ist nicht zwingend, so dass jedenfalls keine Bundesrechtsverletzung vorliegt, wenn fehlende Reue oder Einsicht nicht straferhöhend berücksichtigt wird (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Bern 1989, § 7 N. 50 ff.; Hans-Jürgen Bruns, Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl., München 1985, S. 237 f.; Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003, Art. 63 N. 109 und 110). Die Vorinstanz hat das Geständnis des Beschwerdegegners hinsichtlich der Verkehrsregelverletzung, der falschen Anschuldigung sowie der Sachbeschädigung zu seinen Gunsten gewürdigt, diesem aber nur unerhebliche strafmindernde Bedeutung beigemessen. Auf den Umstand, dass sich der Beschwerdegegner im Rahmen der Delikte gegen seine Ehefrau weder geständig verhielt noch reuig zeigte, ist die Vorinstanz nicht eingegangen. Sie hat die fehlende Reue und Einsicht des Beschwerdegegners demnach neutral gewichtet, was dem Gesagten zufolge bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Rüge der Beschwerdeführerin erweist sich mithin als nicht stichhaltig.
3.5 Die Vorinstanz hat auch die weiteren für die Strafzumessung massgeblichen Gesichtspunkte gewürdigt, ohne dass eine Ermessensverletzung vorliegt. Sie ist insbesondere auch von einer erhöhten Strafempfindlichkeit des Beschwerdegegners aufgrund der familiären Situation - er betreut alle vier Kinder - ausgegangen und hat diesen Umstand zu Recht spürbar strafmindernd gewichtet. Die von ihr für schuldangemessen erachtete Strafe von 21 Monaten, welche sie im Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum bedingten Strafvollzug auf 18 Monate reduzierte, ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht unhaltbar mild. Die Vorinstanz hat das ihr zustehende grosse Ermessen zwar ausgeschöpft, nicht aber verletzt. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher abzuweisen.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 278 Abs. 2 BStP). Dem Beschwerdegegner wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet (Art. 278 Abs. 3 BStP).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dem Beschwerdegegner wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. April 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: