BGer C 91/2005
 
BGer C 91/2005 vom 28.04.2005
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 91/05
Urteil vom 28. April 2005
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Traub
Parteien
L.________, 1958, Beschwerdeführer,
gegen
Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern, Hallwilerweg 5, 6003 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 16. Februar 2005)
Sachverhalt:
A.
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern eröffnete L.________ mit - durch Einspracheentscheid vom 25. November 2004 bestätigter - Verfügung vom 8. Oktober 2004, der "gestellte Anspruch auf Bezahlung der Taggelder für die vom 20. September 2004 bis 24. September 2004 bezogenen Ferientage" werde abgelehnt. In der fraglichen Rahmenfrist zum Leistungsbezug seien die für die Entstehung kontrollfreier Tage vorausgesetzten 60 Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit nicht abgewartet worden.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 16. Februar 2005).
C.
L.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es seien ihm, unter Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichem Entscheid, für die Zeit vom 20. bis zum 24. September 2005 (recte: 2004) Taggelder zu gewähren.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft enthält sich einer Stellungnahme.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Nach Art. 27 Abs. 1 AVIV hat der Versicherte nach je 60 Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit innerhalb der Rahmenfrist Anspruch auf fünf aufeinander folgende kontrollfreie Tage, die er frei wählen kann. Während der kontrollfreien Tage muss er nicht vermittlungsfähig sein, jedoch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (Art. 8 AVIG) erfüllen.
1.2 Der Versicherte bezog während einer ersten Rahmenfrist im Zeitraum zwischen dem 26. August 2002 und dem 25. August 2004 Arbeitslosentaggelder. Mit Beginn am 1. September 2004 wurde eine neue zweijährige Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet. Der Beschwerdeführer begab sich vom 20. bis zum 24. September 2004 in die Ferien. Da nach Art. 27 Abs. 1 AVIV für die neue Rahmenfrist noch kein Anspruch auf kontrollfreie Tage entstanden war und während der alten Rahmenfrist fünf nicht bezogene kontrollfreie Tage verfallen waren, verweigerte die Arbeitslosenkasse den Taggeldanspruch für den erwähnten Zeitraum. Der Versicherte macht geltend, er habe - in der Annahme, der früher entstandene Anspruch sei erhalten geblieben - die beabsichtigte Abwesenheit anfangs September 2004 rechtzeitig (Art. 27 Abs. 3 Satz 1 AVIV) beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) angemeldet. Die zuständige Sachbearbeiterin habe telephonisch eingewilligt; ein ursprünglich auf den 1. September 2004 angesetzter Gesprächstermin sei bezeichnenderweise auf den 28. September 2004, also auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Ferien, verschoben worden.
2.
2.1 Die objektive Rechtslage liess es unbestrittenermassen nicht zu, dass der Beschwerdeführer bereits im September 2004 eine Woche "Stempelferien" bezog. Dies zum einen, weil er über das entsprechende Guthaben aus der vorangegangenen Rahmenfrist nicht mehr verfügen konnte; zum andern war ein Anspruch auf kontrollfreie Tage in der aktuellen Rahmenfrist noch nicht entstanden. Kontrollfreie Tage können nicht vor Entstehung des entsprechenden Anspruchs bezogen werden, wie auch etwa ein Vorbezug pro rata temporis bei feststehender Beendigung der Arbeitslosigkeit vor Ablauf von 60 Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit nicht mit der - gesetzmässigen - Bestimmung des Art. 27 Abs. 1 AVIV vereinbar ist (Urteil F. vom 9. März 2004, C 25/03, Erw. 3).
2.2 Zu prüfen bleibt, ob sich der Beschwerdeführer hinsichtlich der strittigen Zusicherung einer Mitarbeiterin des RAV, der Bezug kontrollfreier Tage bereits im September 2004 sei in Ordnung, auf den öffentlichrechtlichen Vertrauensschutz zu berufen vermag.
Das kantonale Gericht hat die fünf Voraussetzungen zutreffend wiedergegeben, unter denen ausnahmsweise eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden geboten ist, weil eine Verwaltungsbehörde falsche Auskünfte erteilt hat (vgl. BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II 387 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223; BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). Ob sich das Gespräch zwischen dem Versicherten und der Mitarbeiterin des RAV tatsächlich zum fraglichen Zeitpunkt zugetragen hat und den vom Beschwerdeführer behaupteten Inhalt aufwies, ist umstritten.
Wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen, tragen die Parteien im Sozialversicherungsprozess in der Regel insofern eine Beweislast, als der Entscheid zuungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesenen Sachverhalt für sich Rechte ableiten wollte (BGE 117 V 264 Erw. 3b mit Hinweisen). Vorbehalten bleibt der Fall, dass die Partei den Beweis aus Gründen nicht erbringen kann, die nicht von ihr, sondern von der Behörde zu verantworten sind. Alsdann tritt eine Umkehr der Beweislast ein (vgl. BGE 92 I 257 Erw. 3; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 284; Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Bd. I, Nr. 91 B II, S. 560; Urteil Q. vom 29. September 1998, C 405/97, Erw. 3).
2.3
2.3.1 Es ist denkbar, dass im Zuge der Kommunikation zwischen Versichertem und Amtsstelle ein Missverständnis eingetreten ist und in diesem Sinne beide Sachverhaltsdarstellungen aus je subjektiver Sicht der Beteiligten zutreffen. Zur Begründung eines rechtserheblichen Vertrauenstatbestands ist aber erforderlich, dass auch objektiv - oder zumindest aus Sicht einer aufmerksamen und sorgfältig handelnden Person - eine unzutreffende Auskunft gegeben wurde. Dem Beschwerdeführer mag geglaubt werden, dass er sich gegenüber der Betreuerin über seine Urlaubsabsichten geäussert hat und im Folgenden davon ausgegangen ist, seinem Vorhaben stehe amtlicherseits nun nichts mehr im Wege. Dass eine solche Auskunft der Mitarbeiterin des RAV bei hinreichender Aufmerksamkeit und Sorgfalt des Adressaten aber geeignet war, als verbindliche Aussage zu einem konkret bestehenden Anspruch auf Stempelferien aufgefasst zu werden, ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist mit Blick auf die spezifischen Aufgaben des RAV anzunehmen, dass sich die Beraterin - wenn überhaupt - nur in allgemeiner Weise über die geltende Regelung zum Bestand von kontrollfreien Tagen geäussert hat. Ohne sich konkret daran erinnern zu können, gab die betreffende Amtsperson gegenüber der Vorinstanz an, bei solchen Anfragen pflege sie auf die in den Abrechnungen der Arbeitslosenkasse enthaltenen Angaben zu verweisen (Schreiben vom 24. Januar 2005). Wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, konnte sich dieser Hinweis einmal nur auf eine Abrechnung beziehen, welche die im August 2004 ablaufende alte Rahmenfrist betraf. Unabhängig davon erscheint als ausschlaggebend, dass darin keine definitive Zusicherung über die Zulässigkeit des Bezugs kontrollfreier Tage erblickt werden konnte.
Art. 27 Abs. 1 und 2 ATSG und Art. 19a AVIV führen zu keinem anderen Schluss. Danach klären die Träger und Durchführungsorgane der Sozialversicherung die interessierten Personen im Rahmen des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs über ihre Rechte und Pflichten auf. Die Beratungspflicht trifft die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Entsprechendes gilt im Verhältnis zwischen den verschiedenen Organen eines Trägers. Die Zuständigkeit der Beraterin beim RAV, das heisst im Wesentlichen die Stellenvermittlung, umfasst nicht auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, welche der Arbeitslosenkasse obliegt. Der Beschwerdeführer kennt die grundsätzliche Aufgabenteilung zwischen dem RAV einerseits und der Kasse anderseits aus der bisherigen kontrollierten Arbeitslosigkeit. Unter Anwendung der gebührenden Aufmerksamkeit und Sorgfalt durfte er sich daher bei seinem Verhalten im hier interessierenden Zeitraum, soweit dieses für die Erfüllung der Kontrollvorschriften und für die Vermittlungsfähigkeit von Belang ist, nicht ausschliesslich nach einem - zudem unverbindlichen - Hinweis der Stellenvermittlerin des RAV richten.
2.3.2 Offen bleiben kann, ob dies auch dann gälte, wenn eine objektiv als verbindlich zu verstehende Äusserung erstellt wäre. Angesichts der Aktenlage und der gegensätzlichen Aussagen der direkt Beteiligten ist nicht ersichtlich, inwiefern weitere Beweiserhebungen zuverlässig Aufschluss über die tatsächlichen Verhältnisse erteilen könnten. Es liegen auch keine besonderen Umstände vor, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigten (vgl. Erw. 2.2 in fine). Damit ist hinsichtlich der behaupteten falschen Auskunft ein Zustand der Beweislosigkeit gegeben, der sich zu Lasten des (aus dem unbewiesenen Sachverhalt für sich Rechte ableitenden) Beschwerdeführers auswirken muss. Der angefochtene Entscheid besteht demnach zu Recht.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 28. April 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: