Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 263/04
Urteil vom 9. Mai 2005
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Traub
Parteien
P.________, 1956, Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler, Untermüli 6, 6302 Zug,
gegen
"Zürich" Versicherungs-Gesellschaft, Alfred Escher-Strasse 50, 8022 Zürich, Gesuchsgegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli, Stationsstrasse 66 A, 8907 Wettswil
(Urteil vom 15. Dezember 2000)
Sachverhalt:
A.
Der 1956 geborene P.________ erlitt am 18. Oktober 1993 einen Verkehrsunfall, bei welchem er sich ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule sowie Kontusionen der Lendenwirbelsäule, des rechten Knöchels und des linken Ellbogens zuzog. Der obligatorische Unfallversicherer stellte die hiefür erbrachten Leistungen ab dem 1. Juli 1998 ein. Das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte die Leistungseinstellung letztinstanzlich mit Hinweis auf ein medizinisches Gutachten, wonach zum betreffenden Zeitpunkt keine behandlungsbedürftigen und die Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden organischen Unfallfolgen mehr bestanden und die weiter vorhandenen Leiden und Beeinträchtigungen im Wesentlichen psychisch bedingt waren. Das Gericht verneinte im Weiteren die Rechtsfrage nach dem Bestehen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem versicherten Ereignis und der psychogenen Gesundheitsschädigung (Urteil vom 15. Dezember 2000 [U 105/00]).
Die gegen das Urteil vom 15. Dezember 2000 eingereichten Revisionsgesuche vom 29. Januar 2001 (gestützt auf Art. 136 lit. d OG; versehentliche Nichtberücksichtigung in den Akten liegender erheblicher Tatsachen) und vom 16. Februar 2004 (gestützt auf Art. 137 lit. b OG; neue Tatsachen oder Beweismittel) wies das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteilen vom 7. August 2001 (U 41/01) und vom 2. Juli 2004 (U 61/04) ab.
B.
Mit Eingabe vom 10. August 2004 lässt P.________ gestützt auf Art. 137 lit. b OG erneut um Revision des Urteils vom 15. Dezember 2000 ersuchen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des Urteils sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Unfallversicherers gegen den vorinstanzlichen Entscheid (des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden vom 22. Februar 2000) abzuweisen und es sei in Bestätigung dieses Entscheids und in Aufhebung des Einspracheentscheids vom 21. Juli 1998 die Sache zur Festsetzung der gesetzlichen Leistungen an den Unfallversicherer zurückzuweisen.
Der Unfallversicherer schliesst auf Abweisung des Revisionsgesuchs. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Verfahrensgegenstand des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 15. Dezember 2000, gegen welches sich das Revisionsbegehren richtet, war die Frage, ob der Gesuchsteller für die Zeit ab dem 1. Juli 1998 weiterhin Anspruch auf Leistungen gemäss UVG hat. Zu beurteilen waren einzig die Folgen des Unfalls vom 18. Oktober 1993. Strittig war im Einzelnen, ob die nach dem erwähnten Datum bestehenden (psychogenen) Beschwerden noch einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis aufwiesen (Erw. 1 des Urteils vom 15. Dezember 2000).
2.
2.1 Der Gesuchsteller stützt sein Begehren auf Art. 137 lit. b OG (in Verbindung mit Art. 135 OG). Danach ist die Revision eines bundesgerichtlichen Urteils zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Im Gesuch ist mit Angabe der Beweismittel der Revisionsgrund und dessen rechtzeitige Geltendmachung darzulegen und anzugeben, welche Abänderung des früheren Entscheides und welche Rückleistung verlangt wird (Art. 140 OG). Das Revisionsgesuch muss im Anwendungsbereich des Art. 137 OG bei Folge der Verwirkung innert 90 Tagen seit der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens jedoch vom Eingang der schriftlichen Ausfertigung des bundesgerichtlichen Urteils oder vom Abschluss des Strafverfahrens an, beim Gericht anhängig gemacht werden (Art. 141 Abs. 1 lit. b OG).
2.2 Das vorliegende Revisionsgesuch erfüllt die Anforderungen des Art. 140 OG. Es stützt sich auf eine Zeugenaussage vom 6. Juli 2004 des in den Unfall vom 18. Oktober 1993 verwickelten Lastwagenfahrers im Rahmen eines vor dem Bezirksgericht Zürich hängigen Haftpflichtprozesses. Mit der am 11. August 2004 der Post übergebenen Eingabe vom 10. August 2004 ist die gesetzliche Frist von 90 Tagen (Art. 141 Abs. 1 lit. b OG) gewahrt. Auf das Revisionsgesuch wird daher eingetreten.
3.
3.1 Als "neu" im Sinne von Art. 137 lit. b OG gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen erheblich, das heisst geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt daher nicht, dass beispielsweise ein neues Gutachten den Sachverhalt anders bewertet, indem es aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Auch ist ein Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist stattdessen, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben (BGE 127 V 358 Erw. 5b, 110 V 141 Erw. 2, 293 Erw. 2a, 108 V 171 Erw. 1; vgl. auch BGE 118 II 205).
3.2 Der Gesuchsteller macht geltend, aufgrund der Zeugenaussage des Unfallgegners vom 6. Juli 2004, welche das Amtsgericht Wittenberg (D) rechtshilfeweise für das Bezirksgericht Zürich erhoben hat, sei erstellt, dass sich der Unfall anders abgespielt habe als vom Eidgenössischen Versicherungsgericht angenommen. Dieses ist davon ausgegangen, bei einem ersten Zusammenstoss zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen habe es sich um eine "Streifkollision in gleicher Fahrtrichtung bei geringer Geschwindigkeitsdifferenz" gehandelt, und wertete das versicherte Ereignis als schwereren Fall im mittleren Bereich (Urteil vom 15. Dezember 2000, S. 12 f. Erw. 5b). Der Gesuchsteller schliesst demgegenüber aus der Aussage des seinerzeitigen Unfallgegners, das Unfallereignis sei als schwer einzustufen, weil sein Fahrzeug nach der betreffenden Darstellung quer vor die Front des kollidierenden Lastwagens gedreht worden sei, wobei letzterer das erstere breitseits ein Stück vor sich hergeschoben habe, bevor dieses sich "im Gegenuhrzeigersinn aus dem Schiebevorgang wieder löste". Aus dieser neuen Erkenntnis ergebe sich zudem, dass die - für die Beantwortung der Adäquanzfrage heranzuziehende - Alternativvoraussetzung der besonders dramatischen Begleitumstände oder der besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa), anders als im Urteil vom 15. Dezember 2000 angenommen, erfüllt sei.
3.3
3.3.1 Im Urteil vom 15. Dezember 2000, gegen welches sich das Revisionsbegehren richtet, wurde die Kasuistik betreffend schwere Unfallereignisse dargestellt (S. 12 Erw. 5a, mit Hinweis auf RKUV 1995 Nr. U 215 S. 90 ff.). Danach gelten als im Sinne der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) schwere Unfälle etwa: eine Frontalkollision, bei welcher der Versicherte schwere Verletzungen erlitt und ein anderer Fahrzeuginsasse starb (nicht veröffentlichtes Urteil I. vom 15. Dezember 1994, U 145/94); der Zusammenstoss einer Autofahrerin mit einem Zug mit Verlust des Unterschenkels (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 13. Dezember 1994, U 141/94); ein Unfall auf der Autobahn mit schweren Verletzungen (nicht veröffentlichtes Urteil A. vom 11. Januar 1990, U 77/89); der Fall eines Arbeiters, der von einem mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h vorbeifahrenden Lastwagen am Kopf getroffen und weggeschleudert wurde und dabei eine schwere Commotio cerebri erlitt (nicht veröffentlichtes Urteil F. vom 17. Oktober 1989, U 53/86).
Diese Praxisübersicht zeigt, dass ein Unfall regelmässig dann als schwer qualifiziert wird, wenn er zu ganz erheblichen, schweren Verletzungen geführt hat. Auch schwerere Fälle im mittleren Bereich waren oft durch gravierende Verletzungen gekennzeichnet (vgl. RKUV 1999 Nr. U 330 S. 122 ff.). Der Gesuchsteller hat beim Ereignis vom 18. Oktober 1993 ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule und diverse Kontusionen erlitten. Eine erhebliche Hirnschädigung konnte nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden; allenfalls hat ein leichtes Schädel-Hirntrauma stattgefunden (Urteil vom 15. Dezember 2000, S. 6 f. Erw. 2b). Damit erscheint die Einordnung als schwerer Fall im mittleren Bereich auch im Lichte des neu aufgelegten Beweismittels in jedem Falle als zutreffend. Ob an der Beschreibung des Unfallhergangs, wie sie dem Urteil vom 15. Dezember 2000 zugrunde gelegt wurde, auch unter Berücksichtigung der neu aufgelegten Zeugenaussage festzuhalten wäre, ist nach dem Gesagten insoweit unerheblich.
3.3.2 Das zum Revisionsgesuch führende Einvernahmeprotokoll vom 6. Juli 2004 enthält auch hinsichtlich des Kriteriums der besonderen Eindrücklichkeit bzw. der besonders dramatischen Begleitumstände keine entscheidungserhebliche neue Tatsache. Im früheren Revisionsurteil vom 7. August 2001 (U 41/01) hatte das Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, im Rahmen einer pflichtgemässen Beweiswürdigung sei es (zumindest) haltbar gewesen, die von der Rechtsprechung geforderte besondere Eindrücklichkeit zu verneinen. Zwar habe sich der Gesuchsteller zweifellos während mehrerer Sekunden in Anbetracht des auf ihn zufahrenden Lastwagens in akuter Lebensgefahr befunden. Doch sei eine solche sehr vielen Unfällen eigen, auch jenen, welche schliesslich einen glimpflichen Verlauf nähmen, indem sie, wie hier, zu keinen schweren Verletzungen mit anschliessender Hospitalisierung führten (S. 9 Erw. 3d/cc). Diese Würdigung zeigt, dass das Gericht die Prämisse einer lebensbedrohlichen Situation bisher schon anerkannt hat. Dass der Gesuchsteller eine grosse Angst durchlebte, steht denn auch ausser Frage. Unerheblich ist aber, ob sich diese Schrecksituation im Rahmen des bisher angenommenen Unfallverlaufs oder aber gemäss der im Revisionsgesuch dargestellten Tatbestandsvariante eingestellt hat. Es ist nicht einzusehen, inwiefern etwa die unkontrollierte Dreh- und Schleuderbewegung von der Normalspur bis zur Mittelleitplanke, in welche sein Fahrzeug nach der Kollision getrieben wurde, von geringerer Eindrücklichkeit gewesen sein sollte als das neu vorgebrachte Geschobenwerden.
3.3.3 Nach dem Gesagten erübrigt sich eine abschliessende Beurteilung, wie es sich mit den im Revisionsgesuch vorgebrachten neuen Tatsachen beweisrechtlich verhält. Denn auch bei Zugrundelegung der im Revisionsgesuch enthaltenen Darstellung der Sachlage wäre dieser Tatbestand nicht geeignet, bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen.
4.
4.1 Das Revisionsverfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten zu Lasten des Gesuchstellers (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG).
4.2 Der obsiegende, durch einen Rechtsanwalt vertretene Unfallversicherer hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung, weil er als eine mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute Organisation gehandelt hat (Art. 159 Abs. 2 OG) und kein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung vorliegt (BGE 119 V 456 Erw. 6b).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Gesuchsteller auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 9. Mai 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.