Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
K 47/05
Urteil vom 16. Juni 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin Keel Baumann
Parteien
1. H.________, 1941, Deutschland,
2. B.________, 1935, Deutschland,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch die
DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Wengistrasse 7, 8004 Zürich,
gegen
Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung, Bundesplatz 15, 6003 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 15. März 2005)
Sachverhalt:
A.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2004 teilte die Concordia dem seit 1974 bei ihr versicherten deutschen Staatsangehörigen B.________ (geb. 1935) mit, dass sie sich veranlasst sehe, die obligatorische Krankenpflegeversicherung für ihn und seine (seit 1968 bei der Concordia versicherte) Ehefrau H.________ (ebenfalls deutsche Staatsangehörige) aufzuheben, wobei sie sich bereit erklärte, die Versicherung bis 31. August 2004 weiterzuführen. Sie begründete die Aufhebung der Versicherung damit, dass das Ehepaar seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in Deutschland habe und nach dem am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen den EU/EFTA-Staaten und der Schweiz Personen, die ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in einem EU/EFTA-Staat haben - von nicht erfüllten Ausnahmen abgesehen - nicht mehr der Versicherungspflicht nach schweizerischem Recht unterständen. Da B.________ und H.________ die angekündigte Aufhebung der Versicherung nicht akzeptierten, erliess die Concordia am 14. September 2004 eine entsprechende formelle Verfügung. Einer allfälligen Einsprache entzog sie die aufschiebende Wirkung.
Hiegegen erhoben B.________ und H.________ Einsprache und stellten gleichzeitig das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, welches die Concordia mit Verfügung vom 1. Oktober 2004 abwies.
Auf die von B.________ und H.________ je separat eingereichten Beschwerden mit dem Rechtsbegehren, es sei - unter Entschädigungsfolgen - unverzüglich die aufschiebende Wirkung der Einsprache vom 20. September 2004 gegen die Verfügung vom 14. September 2004 wiederherzustellen, trat das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, nach Vereinigung der beiden Verfahren, mangels sachlicher Zuständigkeit nicht ein (Entscheid vom 9. November 2004).
Das hierauf angerufene Eidgenössische Versicherungsgericht hiess die von B.________ und H.________ eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut, hob den Entscheid vom 9. November 2004 auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit sie über die Wiederherstellung des Suspensiveffektes der Einsprache befinde.
Mit Entscheid vom 15. März 2005 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerden ab.
B.
B.________ und H.________ führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 15. März 2005 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Einsprache vom 20. September 2004 gegen die Verfügung vom 14. September 2004 wiederherzustellen.
Während die Concordia auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht beurteilt letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG auf dem Gebiete der Sozialversicherung (Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 OG). Als Verfügungen gelten gemäss Art. 5 Abs. 2 VwVG auch die Zwischenverfügungen im Sinne von Art. 45 VwVG, zu welchen die Verfügungen über die aufschiebende Wirkung gehören (Art. 45 Abs. 2 lit. g und Art. 55 VwVG ). Solche Verfügungen sind nach Art. 45 Abs. 1 VwVG nur dann selbstständig anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Für das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung offen steht (BGE 128 V 201 Erw. 2a,124 V 85 Erw. 2 mit Hinweisen).
1.2 Beim Entscheid der Vorinstanz vom 15. März 2005 handelt es sich um eine Zwischenverfügung im Sinne von Art. 45 VwVG. Da Endverfügungen der Vorinstanz betreffend die Aufhebung der Kassenmitgliedschaft der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht unterliegen, ist dieser Zwischenentscheid gemäss Art. 45 Abs. 1 VwVG unter der Voraussetzung selbstständig anfechtbar, dass er für die Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Nach der Rechtsprechung liegt ein derartiger Nachteil insbesondere dann vor, wenn die plötzliche Einstellung finanzieller Unterstützung eine Person aus dem wirtschaftlichen Gleichgewicht bringen und zu kostspieligen oder sonstwie unzumutbaren Massnahmen zwingen würde (BGE 119 V 487 Erw. 2b). Vorliegend geht es um den Entzug des Suspensiveffektes einer Einsprache, welche gegen eine die Kassenmitgliedschaft aufhebende Verfügung erhoben wurde. Der durch die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung drohende Nachteil kann bejaht werden, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten ist.
2. Nach der Rechtsprechung zu Art. 55 Abs. 1 VwVG bedeutet der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung nicht, dass nur ganz aussergewöhnliche Umstände ihren Entzug zu rechtfertigen vermöchten. Vielmehr ist es Sache der nach Art. 55 VwVG zuständigen Behörde zu prüfen, ob die Gründe, die für die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können. Dabei steht der Behörde ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Im Allgemeinen wird sie ihren Entscheid auf den Sachverhalt stützen, der sich aus den vorhandenen Akten ergibt, ohne zeitraubende weitere Erhebungen anzustellen. Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit können auch die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ins Gewicht fallen; sie müssen allerdings eindeutig sein. Im Übrigen darf die verfügende Behörde die aufschiebende Wirkung nur entziehen, wenn sie hiefür überzeugende Gründe geltend machen kann (BGE 117 V 191 Erw. 2b mit Hinweisen).
3.
3.1 Gemäss Art. 11 Abs. 1 ATSG hat die Einsprache aufschiebende Wirkung, ausser wenn - gemäss lit. b derselben Bestimmung - der Versicherer die aufschiebende Wirkung in seiner Verfügung entzogen hat. Der Versicherer kann auf Antrag oder von sich aus die aufschiebende Wirkung entziehen oder die mit der Verfügung entzogene aufschiebende Wirkung wiederherstellen. Über diesen Antrag ist unverzüglich zu entscheiden (Art. 11 Abs. 2 ATSG).
3.2 Nach der Rechtsprechung zu Art. 55 Abs. 1 VwVG bedeutet der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung nicht, dass nur ganz aussergewöhnliche Umstände ihren Entzug zu rechtfertigen vermöchten. Vielmehr ist es Sache der nach Art. 55 VwVG zuständigen Behörde zu prüfen, ob die Gründe, die für die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können. Dabei steht der Behörde ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Im Allgemeinen wird sie ihren Entscheid auf den Sachverhalt stützen, der sich aus den vorhandenen Akten ergibt, ohne zeitraubende weitere Erhebungen anzustellen. Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit können auch die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ins Gewicht fallen; sie müssen allerdings eindeutig sein. Im Übrigen darf die verfügende Behörde die aufschiebende Wirkung nur entziehen, wenn sie hiefür überzeugende Gründe geltend machen kann (BGE 117 V 191 Erw. 2b mit Hinweisen).
3.3 An dieser Rechtsprechung hat das In-Kraft-Treten von ATSG und ATSV nichts geändert, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil S. vom 24. Februar 2004 (I 46/04) festgehalten hat.
4.
Bei der Abwägung der Gründe für und gegen eine sofortige Beendigung der Mitgliedschaft (d.h. mit Wirkung per 31. August 2004) steht dem Interesse der Concordia, eine Rückforderung von Versicherungsleistungen wegen der damit verbundenen administrativen Erschwernisse und der Gefahr der Uneinbringlichkeit nach Möglichkeit zu vermeiden, das Interesse der Beschwerdeführer an der Weitergeltung des Versicherungsschutzes bzw. am Hinausschieben des Zeitpunktes der Beendigung des Versicherungsverhältnisses über den 31. August 2004 hinaus gegenüber. Bei ähnlichen Konstellationen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht oft zu Gunsten der Versicherer entschieden, namentlich wenn der Ausgang des Hauptverfahrens - wie dies auch vorliegend der Fall ist - nicht eindeutig feststand (Erw. 2.3 des in Plädoyer 2005/2 S. 79 auszugsweise veröffentlichten Urteils L. vom 2. Februar 2005, U 411/04).
Dass die Vorinstanz das Interesse der Concordia unter den gegebenen Umständen höher als dasjenige der Beschwerdeführer gewichtet und den Entzug der aufschiebenden Wirkung der Einsprache dementsprechend bestätigt hat, ist nicht zu beanstanden. Ins Leere geht namentlich der Einwand der Beschwerdeführer, im angefochtenen Entscheid sei unberücksichtigt geblieben, dass der fehlende Versicherungsschutz während der Dauer des Prozesses zur Verweigerung lebensnotwendiger Behandlungen führen könnte, bleibt es doch den Beschwerdeführern unbenommen, sich (wenn unter Umständen auch zu weniger vorteilhaften Konditionen) einer deutschen (Privat-)Versicherung anzuschliessen (vgl. auch Schreiben der Beschwerdeführer an die Beschwerdegegnerin vom 11. August 2004). Nichts zu ihren Gunsten abzuleiten vermögen die Beschwerdeführer auch aus ihrer Behauptung, dass die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) im Falle der von ihnen (gemäss den Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde) angestrebten Aufnahme während der Dauer des Verfahrens erbrachte Versicherungsleistungen erstatten werde. Denn zum heutigen Zeitpunkt sind sowohl die Aufnahme in die AOK als auch die nach einer Aufnahme in Frage stehende Rückerstattung durch die AOK mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Nicht ersichtlich ist sodann, inwiefern im Rahmen der Interessenabwägung eine Rolle spielen sollte, dass die Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Ankündigung der Beendigung des Versicherungsverhältnisses bereits seit über 30 Jahren bei der Beschwerdegegnerin versichert waren. Nicht weiter einzugehen ist schliesslich auf die zahlreichen Vorbringen zur materiellen Frage der Weiterführung der Versicherung, über welche im Hauptprozess zu entscheiden sein wird.
5.
5.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig (BGE 121 V 180 Erw. 4a; AHI 2000 S. 182 Erw. 2b).
5.2 Nach Art. 159 Abs. 2 OG darf im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat das Eidgenössische Versicherungsgericht der SUVA und den privaten UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als Organisationen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (BGE 112 V 361 Erw. 6).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von je Fr. 500.- werden den Beschwerdeführern auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 16. Juni 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: