BGer 6P.38/2005
 
BGer 6P.38/2005 vom 21.06.2005
Tribunale federale
{T 0/2}
6P.38/2005
6S.126/2005 /bri
Urteil vom 21. Juni 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Postfach 760, 6301 Zug,
Strafgericht des Kantons Zug, Berufungskammer, Postfach 760, 6301 Zug.
Gegenstand
6P.38/2005
Willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV),
6S.126/2005
Fälschung von Ausweisen (Art. 252 StGB),
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.38/2005) und Nichtig-keitsbeschwerde (6S.126/2005) gegen das Urteil des Strafgerichts des Kantons Zug, Berufungskammer, vom 19. November 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ führt in Zug und Kloten ein Anwaltsbüro. Im Kanton Zug war er auch als Urkundsperson zugelassen. Am 26. November 2002 stellte der Präsident der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte fest, dass die Rechtsanwalt X.________ am 22. Oktober 1991 erteilte Beurkundungsbefugnis mit sofortiger Wirkung erloschen sei, weil dieser im Kanton Zug keinen Wohnsitz habe.
Gegen diese Verfügung erhob X.________ am 12. Dezember 2002 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zug. Als Beilage reichte er das Original der Wohnsitzbescheinigung der Einwohnerkontrolle der Stadt Zug vom 20. November 2002 ein. Auf diesem Dokument hatte er am 11. oder 12. Dezember durch seine Sekretärin mit Schreibmaschine den folgenden Zusatz einfügen lassen: "Wohnadresse Y.________-Strasse XX, 6300 Zug". In der Beschwerdebegründung erklärte X.________, er habe seit dem 1. September 1991 seinen Wohnsitz im Kanton Zug und sei dort ordnungsgemäss gemeldet. Weiter führte er aus:
"In der Wohnsitzbescheinigung ist die Geschäftsadresse und nicht die private Wohnadresse, die sich an der Y.________-Strasse befindet, erwähnt. Auf ausdrückliche Nachfrage bei der Einwohnerkontrolle, da der Präsident der Aufsichtskommission eine neue Wohnsitzbestätigung verlangte, hat diese mitgeteilt, dass nur eine Adresse auf der Bescheinigung erscheinen könne und es sich dabei nicht um die eigentliche Wohnadresse handeln müsse (Beilage Wohnsitzbescheinigung)."
Gestützt auf diesen Sachverhalt verurteilte das Einzelrichteramt des Kantons Zug X.________ am 2. April 2004 wegen Fälschung von Ausweisen gemäss Art. 252 StGB zu einer Busse von Fr. 4'000.--. Eine gegen dieses Urteil erhobene Berufung des Beschuldigten wies das Strafgericht des Kantons Zug am 19. November 2004 ab und bestätigte den erstinstanzlichen Schuldspruch sowie die ausgesprochene Strafe.
B.
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt mit beiden Rechtsmitteln, es sei das Urteil des Strafgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an diese Instanz zurückzuweisen.
Das Strafgericht ersucht um Abweisung der beiden Beschwerden. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug verzichtet auf eine Vernehmlassung zu den Beschwerden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Strafgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer seine Sekretärin veranlasste, die Wohnsitzbescheinigung der Einwohnerkontrolle vom 20. November 2002 mit dem Zusatz "Wohnadresse Y.________-Strasse XX, 6300 Zug" zu ergänzen, und anschliessend das so ergänzte Dokument dem Obergericht als Beschwerdebeilage einreichte. Aufgrund dieser Handlungen sieht es den objektiven Tatbestand der Fälschung von Ausweisen gemäss Art. 252 StGB als erfüllt an. Denn der Beschwerdeführer habe einerseits die Bescheinigung durch die vorgenommene Ergänzung verfälscht, was von Abs. 2 der genannten Norm erfasst werde, und anderseits durch das Einreichen beim Obergericht das verfälschte Dokument zur Täuschung gebraucht, was unter die Tatbestandsvariante von Abs. 3 falle.
Ausserdem gelangt das Strafgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer die tatbestandsmässigen Handlungen wissentlich und willentlich - und damit vorsätzlich - beging. Es nimmt weiter an, die fraglichen Akte seien in der von Art. 252 StGB vorausgesetzten Absicht erfolgt, sich das Fortkommen zu erleichtern. Dem Beschwerdeführer sei es darum gegangen, die Beurkundungsbefugnis im Kanton Zug nicht zu verlieren. Schliesslich bejaht das Berufungsgericht ebenfalls die Täuschungsabsicht des Beschwerdeführers, wie sie von der Rechtsprechung bei den Urkundendelikten verlangt wird (vgl. BGE 103 IV 178 E. IV S. 185).
2.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wird die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil insoweit als willkürlich gerügt, als sie die Täuschungsabsicht betrifft. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist die Annahme schlechterdings nicht vertretbar, er habe zumindest in Kauf genommen, durch die Ergänzung der Wohnsitzbescheinigung das Obergericht über den wahren Sachverhalt zu täuschen.
2.1 Nach der Rechtsprechung besteht die Täuschungsabsicht im Willen des Täters, das verfälschte Dokument als wahr zu verwenden. Dass eine Person tatsächlich getäuscht wird, ist nicht erforderlich (BGE 121 IV 216 E. 4 S. 223). Es genügt bei Urkundendelikten das Vorliegen von Eventualabsicht, d.h. der Täter muss den täuschenden Gebrauch des Schriftstücks zumindest in Kauf nehmen. Ob der Täter mit dieser Absicht gehandelt hat, ist eine Frage tatsächlicher Natur (BGE 113 IV 77 E. 4 S. 82).
2.2 Das Strafgericht legt dar, der Beschwerdeführer habe die Wohnsitzbescheinigung vom 20. November 2002 mit der Wohnadresse ergänzt, um dieses Schriftstück anschliessend beim Obergericht einzureichen. Weiter hält es fest, aus den in der Rechtsschrift gemachten Erläuterungen gehe nicht hervor, wer die Ergänzung der Wohnsitzbescheinigung vorgenommen habe. Der Beschwerdeführer habe daher trotz seiner Ausführungen in der Rechtsschrift eine Täuschungsgefahr geschaffen. Es könne ihm der Vorwurf nicht erspart bleiben, eine Täuschung im Rechtsverkehr zumindest in Kauf genommen zu haben.
2.3 Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorgehen - wie er selber einräumt - die Gefahr einer Täuschung geschaffen. Aus dieser Feststellung ergibt sich nun allerdings nicht zwingend, dass er die Gefahr absichtlich bewirkt hat. Vielmehr ist auch eine bloss fahrlässige Herbeiführung denkbar. Die Argumentation im angefochtenen Entscheid erscheint daher nicht schlüssig.
Es trifft freilich zu, dass es für den Beschwerdeführer nahe gelegen hätte, in seiner Eingabe an das Obergericht den wahren Sachverhalt so darzustellen, dass die Täuschungsgefahr entfallen wäre. Dies gilt umso mehr, als vom Beschwerdeführer als Urkundsperson eine besondere Sorgfalt im Umgang mit Urkunden und ähnlichen Schriftstücken erwartet werden durfte. Diese Umstände, denen das Strafgericht verständlicherweise viel Gewicht beimisst, ändern aber nichts daran, dass daraus noch nicht ein eventualabsichtliches Handeln abgeleitet werden kann.
Wie in der Rechtsschrift an das Bundesgericht überzeugend dargetan wird, verbietet sich bei gesamthafter Betrachtung des Verhaltens des Beschwerdeführers ein solcher Schluss. So hat er in seiner Eingabe zwar wie erwähnt nicht die wünschbare Klarheit über die Ergänzung in der Wohnsitzbescheinigung und ihren Zweck geschaffen. Er hat aber dem mit der Ergänzung bewirkten Anschein selber widersprochen, indem er ausführte, es könne auf der Wohnsitzbescheinigung nur eine Adresse erscheinen. Die dem Obergericht eingereichte Bescheinigung, auf der nun nach der Ergänzung zwei Adressen figurierten, konnte nach diesen Darlegungen in dieser Form nicht von der Einwohnerkontrolle allein stammen. Mit seinen Erläuterungen schuf der Beschwerdeführer damit eine zumindest unklare Situation, die nach weiteren Abklärungen rief und die besondere Aufmerksamkeit des Obergerichts wecken musste. Dieses Vorgehen spricht eindeutig gegen das Vorliegen einer Täuschungsabsicht. Viel naheliegender erscheint die Annahme, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner damaligen, mit besonderen Emotionen und grossem Zeitdruck verbundenen Situation einfach die gebotene Sorgfalt und Umsicht vermissen liess.
Die Bejahung der Täuschungsabsicht im angefochtenen Urteil beruht aus diesen Gründen auf einer unhaltbaren Argumentation und lässt sich auch im Ergebnis sachlich nicht vertreten. Der angefochtene Entscheid ist in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Willkür aufzuheben.
3.
Die ebenfalls erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist unter diesen Umständen als gegenstandslos geworden abzuschreiben.
4.
Für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Zug hat dem Beschwerdeführer für dieses Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Für das Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde werden bei der vorliegenden Konstellation praxisgemäss keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Strafgerichts des Kantons Zug vom 19. November 2004 aufgehoben.
2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird als gegenstandslos vom Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Der Kanton Zug hat den Beschwerdeführer für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug und dem Strafgericht des Kantons Zug, Berufungskammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. Juni 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: