Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 262/05
Urteil vom 20. Juli 2005
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Durizzo
Parteien
R.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Rechtsdienst für Behinderte, Schützenweg 10, 3014 Bern,
gegen
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 1. März 2005)
Sachverhalt:
A.
R.________, geboren 1964, meldete sich am 2. Februar 2000 unter Hinweis auf Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern holte Berichte des Hausarztes Dr. med. S.________, Chirurgie FMH, vom 13. März, 5. April und 17. November 2000 ein und klärte die erwerbliche Situation und die Einschränkung im Haushalt ab (Bericht vom 29. März 2001). Mit Verfügung vom 8. November 2001 lehnte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 30 % ab. Anlässlich eines Akteneinsichtsgesuchs des Rechtsdienstes für Behinderte, welcher die Versicherte nunmehr vertrat, wurde festgestellt, dass die Verfügung nie eröffnet worden war, worauf die Rechtsvertreterin mit einer Eingabe vom 19. Dezember 2002 zum Vorbescheid vom 27. Juni 2001 Stellung nahm. Nach weiteren ärztlichen und erwerblichen Abklärungen sowie Einholung von Gutachten der Frau Dr. med. L.________, Neurochirurgie FMH, vom 16. August 2003 und des Dr. med. H.________, Psychiatrie Psychotherapie FMH, vom 18. Dezember 2003 und eines zweiten Berichts über die Einschränkungen im Haushalt vom 9. Februar 2004 erliess die IV-Stelle am 8. März 2004 eine neue Verfügung. Darin wies sie das Leistungsbegehren wiederum ab mit der Begründung, dass ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 30,56 % bestehe. Diese Auffassung bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 29. September 2004.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern stellte auf die dagegen erhobene Beschwerde hin mit Entscheid vom 1. März 2005 fest, dass die Verfügung vom 8. März 2004 und der Einspracheentscheid vom 29. September 2004 nichtig sind. Die Eingabe der Versicherten vom 19. Dezember 2002 wurde als Beschwerde gegen die Verfügung vom 8. November 2001 entgegengenommen. Das Gericht hiess sie in dem Sinne gut, als die Verfügung vom 8. November 2001 aufgehoben und die IV-Stelle angewiesen wurde, der Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 1. Februar 1999 eine Viertelsrente auszurichten und zu prüfen, ob ein Härtefall vorliege und damit Anspruch auf eine halbe Rente bestehe.
C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei insofern aufzuheben, als ihr ab 1. Februar 1999 anstelle einer Viertelsrente eine halbe Rente zuzusprechen sei.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs ( Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung) und zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung; vgl. auch BGE 104 V 136 Erw. 2a und b) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Nichtanwendbarkeit des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000. Darauf wird verwiesen.
2.
Unbestritten ist zunächst, dass der Beschwerdeführerin die angestammte Tätigkeit als Handelsreisende ab Februar 1998 weiterhin zumutbar war, jedoch nur noch im Umfang von 50 %. Nach Angaben des Hausarztes war dieser Beruf im Stehen und Gehen auszuüben und daher als ideal zu bezeichnen. Die schweren Koffer, in denen ihre Musterkollektionen untergebracht waren, konnte die Versicherte durch Taschen ersetzen. Zwar führten längere Autofahrten zu einer Verstärkung der lumbalen Schmerzen. Der Hausarzt berichtete jedoch, dass eine allgemeine Ermüdung nach vier Stunden Arbeit ohnehin auftrete. Er war deshalb der Auffassung, dass eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und Steigerung der Arbeitsfähigkeit in einer anderen Tätigkeit nicht erwartet werden könne (Berichte vom 13. März, 5. April und 17. November 2000). Frau Dr. med. L.________ bestätigte im Gutachten vom 16. August 2003, dass die Versicherte als Handelsreisende noch zu 50 % arbeitsfähig wäre. Nach Lage der Akten galt dies auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 8. November 2001, welcher für die richterliche Überprüfungsbefugnis massgebend ist (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweis).
3.
3.1 Damit sind bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades die Einkommen aus der gleichen Tätigkeit mit und ohne Behinderung, das heisst bei Teil- und Vollzeitpensum, zum Zeitpunkt des Rentenbeginns (BGE 128 V 174, 129 V 222) heranzuziehen. Dass der Beschwerdeführerin die Stelle auf Mitte März 2003 gekündigt wurde, ist nicht erheblich, da sich eine Änderung der Verhältnisse nach Erlass der angefochtenen Verfügung vom 8. November 2001 der Überprüfungsbefugnis des Gerichts entzieht (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweis).
3.2 Die Vorinstanz hat beim Valideneinkommen den im Durchschnitt vor der Behinderung in den Jahren 1995 bis 1997 erzielten Lohn herangezogen (gemäss Auszug aus dem individuellen Konto Fr. 44'485.-, Fr. 39'367.- und Fr. 39'263.-). Weil dieser einem aus gesundheitlichen Gründen bereits reduzierten 80 %-Pensum entsprach, hat sie ihn auf 100 % aufgerechnet und an die Teuerung 1999 angepasst, was Fr. 52'016.- ergab. Beim Invalideneinkommen ist sie dagegen vom Durchschnitt des in den Jahren 1998 und 1999 für ein 50 %-Pensum erzielten Verdienstes ausgegangen (Fr. 27'812.- + Fr. 29'846.- = Fr. 57'658.- : 2 = Fr. 28'829.-).
3.3 Nach der Rechtsprechung sind Validen- und Invalideneinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu erheben (BGE 128 V 174, 129 V 222). Es geht daher nicht an, beim Valideneinkommen auf die Jahre 1995 bis 1997 und beim Invalideneinkommen auf 1998 und 1999 abzustellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 1999 als Gesunde das Doppelte hätte verdienen können als mit einem invaliditätsbedingten 50 %-Pensum. Rechtsprechungsgemäss wird, wenn Validen- und Invalideneinkommen ausgehend vom selben Tabellenlohn zu berechnen sind, auf eine genaue Ermittlung der Vergleichseinkommen verzichtet; der Invaliditätsgrad entspricht dem Grad der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung eines allfälligen Abzugs vom Tabellenlohn (vgl. Urteil M. vom 15. April 2003, I 1/03, Erw. 5.2). Diese Regel muss auch hier Anwendung finden, nachdem die Beschwerdeführerin nach der Invalidisierung beim gleichen Arbeitgeber und zu den gleichen Konditionen, wenn auch mit reduziertem Pensum, tätig war und sich lohnmässig insofern nichts geändert hat. Dass die Versicherte seit 1998 tatsächlich mehr verdient hat als zuvor, ist damit zu erklären, dass ihr Lohn praktisch ausschliesslich - neben Spesenersatz - aus Provision bestand und deshalb erheblichen Schwankungen ausgesetzt war. Diese lassen sich nur beschränkt beeinflussen und sind damit in einem gewissen Mass auch zufällig.
3.4 Ein Vergleich der konkreten Zahlen erübrigt sich deshalb. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin im Teilpensum auf Dauer verhältnismässig mehr verdient, sind nicht ersichtlich. Bei einer 50 %igen Arbeitsunfähigkeit ergibt sich demnach ein Invaliditätsgrad von 50 %. Die Beschwerdeführerin hat damit Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Ziff. 3 des Entscheides des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 1. März 2005 dahingehend abgeändert, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Februar 1999 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Ausgleichskasse EXFOUR, Basel, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 20. Juli 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: