Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 261/04
Urteil vom 25. Juli 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Berger Götz
Parteien
Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern, Hallwilerweg 5, 6003 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
V.________, 1944, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Vögele, Ziegelrain 29, 5001 Aarau
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 3. November 2004)
Sachverhalt:
A.
Der 1944 geborene V.________ wurde auf den 1. September 2000 von der X.________ AG als geschäftsführender Direktor im Bereich Chipproduktion und "East/Far East" angestellt. Die Gesellschaft wurde im weiteren Verlauf in Y.________ AG umbenannt. Am 5. September 2002 wurde über die Y.________ AG der Konkurs eröffnet.
Bereits am 28. Juni 2002 hatte V.________ Antrag auf Insolvenzentschädigung gestellt und die Lohnausstände aus der Zeit vom 1. September 2000 bis 31. Dezember 2001 zuzüglich Spesen auf gesamthaft Fr. 223'749.12 beziffert. Mit Verfügung vom 15. April 2003 lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern dieses Begehren unter Hinweis auf seine ehemals arbeitgeberähnliche Stellung in der Y.________ AG ab. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 20. August 2003).
B.
V.________ hat dagegen Beschwerde erheben lassen mit dem Antrag, es sei "festzustellen, dass der Anspruch auf Insolvenzentschädigung begründet" sei, und es sei "eine entsprechende Leistungsverfügung zu erlassen". Nach Abschluss des Schriftenwechsels und nach Durchführung einer Verhandlung mit Parteibefragung und Zeugeneinvernahmen hob das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern den Einspracheentscheid vom 20. August 2003 in Gutheissung der Beschwerde auf und wies die Sache an die Arbeitslosenkasse zurück, damit sie im Sinne der Erwägungen neu verfüge (Entscheid vom 3. November 2004).
C.
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und stellt das Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid vom 3. November 2004 sei aufzuheben.
Die Vorinstanz lässt sich vernehmen, ohne Antrag zu stellen. V.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts stellt der Rückweisungsentscheid einer kantonalen Rekursinstanz eine im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 VwVG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht anfechtbare Endverfügung dar. Anfechtbar ist grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an welche die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 120 V 237 Erw. 1a mit Hinweis). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird daher eingetreten.
2.
Wie das kantonale Gericht richtig festgestellt hat, ist das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar, da in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 169 Erw. 1, 356 Erw. 1, je mit Hinweisen).
3.
3.1 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die Bestimmungen zum Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG) und zu den Personen, die auf Grund ihrer finanziellen Beteiligung oder ihrer Stellung innerhalb des Betriebs sowie der damit verbundenen Einflussmöglichkeiten vom Anspruch auf Insolvenzentschädigung ausgeschlossen sind (Art. 51 Abs. 2 AVIG), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.2 Laut Art. 52 Abs. 1 AVIG (in der hier anwendbaren, vom 1. September 1999 bis 30. Juni 2003 gültig gewesenen Fassung) deckt die Insolvenzentschädigung Lohnforderungen für die letzten vier Monate des Arbeitsverhältnisses, für jeden Monat jedoch nur bis zum Höchstbetrag nach Art. 3 Abs. 1. Als Lohn gelten auch die geschuldeten Zulagen.
4.
4.1 Gestützt auf die Akten und die am 20. Oktober 2004 durchgeführte Partei- und Zeugenbefragung gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, anders als im Arbeitsvertrag beschrieben ("geschäftsführender Direktor"), müsse auf Grund der konkreten Gegebenheiten davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdegegner keinen massgebenden Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen der Y.________ AG gehabt habe. Oberstes Entscheidungsorgan sei nach übereinstimmenden Zeugenaussagen die Geschäftsleitung der Gesellschaft (Verwaltungsrat) gewesen. Zu diesem Personenkreis, welcher nach Art. 51 Abs. 2 AVIG vom Anspruch auf Insolvenzentschädigung ausgenommen sei, habe der Beschwerdegegner nicht gehört. Die Sache werde darum an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie in masslicher Hinsicht über die Insolvenzentschädigung verfüge, wobei sie den versicherten Verdienst im Rahmen von Art. 23 AVIG zu bestimmen habe.
4.2 Nach Zustellung des kantonalen Gerichtsentscheids hat die Arbeitslosenkasse am 11. November 2004 beim Versicherten weitere Unterlagen angefordert und zur Begründung ihres Vorgehens angegeben, vor einer Auszahlung der Insolvenzentschädigung müssten weitere Kriterien, namentlich die Einhaltung der Schadenminderungspflicht durch den Beschwerdegegner, geprüft werden. Der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners stellte sich mit Schreiben vom 13. November 2004 auf den Standpunkt, für weitere grundsätzliche Abklärungen bleibe kein Raum; die Grundlagen für die Leistungsverfügung seien auf Grund der eingereichten Dokumente geklärt und die Arbeitslosenkasse habe endlich "masslich" zu entscheiden. Daraufhin hat die Kasse Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den vorinstanzlichen Entscheid erhoben und ausgeführt, auch wenn der Beschwerdegegner nicht zum Personenkreis gehören sollte, der nach Art. 51 Abs. 2 AVIG vom Anspruch auf Insolvenzentschädigung ausgeschlossen sei, könne mit Blick darauf, dass er seiner Schadenminderungspflicht nicht in genügender Weise nachgekommen sei, keine Insolvenzentschädigung ausbezahlt werden.
4.3 Der Beschwerdegegner lässt letztinstanzlich vorbringen, das kantonale Gericht habe keine Rückweisung zwecks ergänzender Abklärungen vorgenommen, sondern der Kasse die klare Weisung erteilt, die Insolvenzentschädigung festzulegen. Im Übrigen habe er die Schadenminderungspflicht in jeder Beziehung erfüllt, sodass dem Erlass einer Leistungsverfügung durch die Verwaltung nichts entgegenstehe.
5.
5.1 Auf Grund der vorhandenen Unterlagen und der vorinstanzlich durchgeführten Partei- und Zeugenbefragung ergibt sich, dass der Versicherte bei der Y.________ AG keine arbeitgeberähnliche Stellung inne hatte. Damit steht fest, dass der Beschwerdegegner nicht schon auf Grund seiner Funktion bei der ehemaligen Arbeitgeberin von der Berechtigung zum Bezug von Insolvenzentschädigung ausgeschlossen ist. Die Arbeitslosenkasse bringt diesbezüglich letztinstanzlich keine konkreten Beanstandungen mehr vor, wendet aber zu Recht ein, dass damit noch nicht beantwortet sei, ob die weiteren Anspruchsvoraussetzungen ebenfalls vorliegen würden. Es ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass diese Prüfung vor Erlass einer allfälligen Leistungsverfügung noch zu erfolgen hat. Der kantonale Gerichtsentscheid, mit welchem die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen wird, damit sie in masslicher Hinsicht verfüge, beschneidet die Verwaltung in ihrer Pflicht, alle Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen und ist daher aufzuheben.
5.2 Soll der grundsätzlich garantierte Instanzenzug (BGE 128 V 321 Erw. 1e/bb) nicht vereitelt werden, kann es unter den vorliegenden Umständen nicht Aufgabe des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sein, erstinstanzlich zu entscheiden, ob die restlichen Voraussetzungen für eine Insolvenzentschädigung erfüllt sind. Aus diesem Grund geht die Sache an die Arbeitslosenkasse zurück, damit sie - nach allfälligen ergänzenden Abklärungen und nachdem sie dem Versicherten Gelegenheit gegeben hat, sich zu äussern - die übrigen Anspruchsvoraussetzungen prüfe und erneut verfüge.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 3. November 2004 und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern vom 20. August 2003 aufgehoben werden und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über den Anspruch des Beschwerdegegners auf Insolvenzentschädigung neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Dienststelle Wirtschaft und Arbeit (wira), Luzern, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 25. Juli 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: