BGer U 420/2004 |
BGer U 420/2004 vom 25.07.2005 |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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U 420/04
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Urteil vom 25. Juli 2005
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IV. Kammer
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Besetzung
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Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Ackermann
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Parteien
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Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
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gegen
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Y.________, 1961, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Dominik Zehntner, Advokaten, Spalenberg 20, 4001 Basel
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Vorinstanz
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Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal
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(Entscheid vom 2. Juni 2004)
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Sachverhalt:
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A.
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Y.________, geboren 1961, arbeitete ab 1986 als Betriebsarbeiter für die Firma E.________ AG und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Er erlitt mehrere Berufsunfälle, die der SUVA gemeldet wurden: Am 16. Dezember 1988 und am 6. Juni 1989 zog er sich jeweils eine Distorsion des rechten Handgelenks zu, am 24. Januar 1990 erlitt er eine Schulterkontusion links, am 4. Mai 1993 eine Rippenkontusion und am 20. April 1994 einen Misstritt; weiter schnitt er sich am 5. Januar 1997 mit einer Schleifmaschine in den rechten Vorderarm, was gleichentags operativ versorgt wurde.
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Am 19. Januar 2001 reichte die Arbeitgeberin eine Rückfallmeldung zum Unfall von Januar 1997 ein, worauf die SUVA Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht vornahm. Mit Verfügung vom 27. November 2002 gewährte sie Y.________ mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2002 bei einem Invaliditätsgrad von 32 % eine Rente sowie eine Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 15 % und nahm eine vollständige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit an. Nachdem im anschliessenden Einspracheverfahren nochmals Abklärungen vorgenommen worden waren, bestätigte die SUVA mit Einspracheentscheid vom 26. September 2003 ihre Verfügung von November 2002.
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B.
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Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 2. Juni 2004 teilweise gut, soweit es darauf eingetreten war, und erhöhte den Invaliditätsgrad auf 40 %.
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C.
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Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den kantonalen Entscheid insoweit aufzuheben, als auf die vorinstanzliche Beschwerde eingetreten worden sei.
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Y.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Korrekt sind die Erwägungen der Vorinstanz über das intertemporal anwendbare Recht (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, vgl. BGE 130 V 445) sowie die Bemessung der Invalidität (Art. 16 ATSG, Art. 18 Abs. 2 UVG in der bis Ende 2002 geltenden Fassung; RKUV 2004 Nr. U 529 S. 572) und den dabei massgebenden Zeitpunkt (BGE 128 V 174). Darauf wird verwiesen.
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2.
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Streitig ist der Anspruch auf eine Rente der Unfallversicherung und dabei im Rahmen der Invaliditätsbemessung allein die Höhe des Abzuges nach BGE 126 V 75 ff. bei der Festsetzung des Einkommens nach Eintritt der Invalidität (Invalideneinkommen), welches anhand der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 festgesetzt worden ist. Dass die Bemessung des Invaliditätsgrades anderweitig nicht korrekt sein sollte, wird nicht geltend gemacht und ist nicht aus den Akten ersichtlich und bietet deshalb zu keinen Weiterungen Anlass (BGE 110 V 53 Erw. 4a).
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2.1 Das kantonale Gericht stellt fest, dass die SUVA zwar einen leidensbedingten Abzug von 15 % vorgenommen habe, ohne dies aber zu begründen. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der Versicherte auf Grund seiner Einschränkungen nicht mehr einen statistischen Tabellenlohn erzielen könne und dass es sich bei ihm um einen Türken mit schlechten Deutschkenntnissen handle, der bisher stets körperliche Schwerstarbeit verrichtet habe und im Unfallzeitpunkt im elften Dienstjahr gestanden sei. Es rechtfertige sich daher, den maximal möglichen Abzug von 25 % vom anhand der Tabellenlöhne festgesetzten Invalideneinkommen vorzunehmen.
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Die SUVA ist demgegenüber der Auffassung, es sei einzig ein leidensbedingter Abzug von höchstens 10 % bis 15 % vorzunehmen, während die weiteren von der Vorinstanz erwähnten Kriterien nicht zu berücksichtigen seien.
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2.2 Gemäss Rechtsprechung können persönliche und berufliche Merkmale des Versicherten wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Höhe des Lohnes haben (BGE 126 V 78 Erw. 5a/cc mit Hinweis). Ein Abzug soll aber nicht automatisch, sondern nur dann erfolgen, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Versicherte wegen eines oder mehrerer dieser Merkmale seine gesundheitlich bedingte (Rest-)Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 79 Erw. 5b/aa). Es rechtfertigt sich aber nicht, für jedes zur Anwendung gelangende Merkmal separat quantifizierte Abzüge vorzunehmen und diese zusammenzuzählen, da damit Wechselwirkungen ausgeblendet werden. So bestimmt sich beispielsweise der Anfangslohn in einer neuen Firma in der Regel nicht isoliert nach der Anzahl Dienstjahre, sondern unter anderem auch auf Grund der mitgebrachten Berufserfahrungen. Ganz allgemein ist der Einfluss aller Merkmale auf das Invalideneinkommen (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen (BGE 126 V 80 Erw. 5b/bb mit Hinweisen). Letztlich ist der Abzug vom statistischen Lohn unter Berücksichtigung aller jeweils in Betracht fallenden Merkmale auf insgesamt höchstens 25 % zu begrenzen (BGE 126 V 80 Erw. 5b/cc).
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2.3 Dieser gesamthaft vorzunehmende Abzug (vgl. Erw. 2.2 hievor) stellt eine Schätzung dar. Bei deren Überprüfung kann es nicht darum gehen, dass die kontrollierende richterliche Behörde ihr Ermessen an die Stelle der Vorinstanz setzt. Bei der Unangemessenheit gemäss Art. 132 lit. a OG geht es um die Frage, ob der zu überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Allerdings darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als näher liegend erscheinen lassen (BGE 126 V 81 Erw. 6 mit Hinweis).
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Dieses Vorgehen gilt nicht nur für das Eidgenössische Versicherungsgericht, sondern auch für die kantonalen Gerichte, welche ebenfalls über eine Ermessenskontrolle in Leistungsstreitigkeiten verfügen, da ihre Prüfung in dieser Hinsicht nicht enger sein kann als diejenige der letzten Instanz, welche die Überprüfung der Unangemessenheit in Art. 132 lit. a OG vorsieht; daran ändert nichts, dass Art. 132 OG nicht auf Art. 98a Abs. 3 OG verweist, in welcher Norm dies für die Vorinstanzen des Bundesgerichts explizit vorgesehen ist.
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2.4 Die SUVA hat die Höhe des Abzuges weder in der Verfügung noch im Einspracheentscheid begründet, was an sich zu beanstanden ist (BGE 126 V 80 Erw. 5b/dd). Aber auch in diesem Fall haben die Gerichte den Ermessensspielraum der Verwaltung nach Massgabe des in Erw. 2.3 Gesagten zu berücksichtigen.
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2.5 Das kantonale Gericht berücksichtigt beim Entscheid über die Höhe des von ihm auf 25 % festgesetzten Abzuges folgende Merkmale:
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- leidensbedingte Einschränkungen;
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- Ausländerstatus;
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- schlechte Deutschkenntnisse;
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- bisher nur Verrichtung von Schwerstarbeit;
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- im Unfallzeitpunkt im elften Dienstjahr stehend.
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2.5.1 Auf Grund der letztinstanzlich zu Recht nicht bestrittenen Auffassung des SUVA-Arztes Dr. med. S.________ in dessen Bericht vom 27. Mai 2002 sind dem Versicherten möglich: ganztägig leichte Tätigkeiten ohne Zwangshaltung, ohne Tätigkeiten auf Schulterhöhe oder darüber für den linken Arm, ohne repetitive Schulterbewegungen und ohne repetitive Tragbelastung links. Auf Grund dieser Einschränkungen fällt ein leidensbedingter Abzug in Betracht.
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2.5.2 Entgegen der Auffassung im kantonalen Entscheid ist die Nationalität hier zu vernachlässigen angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdegegner kein Saisonnier ist, sondern über die Niederlassungsbewilligung C verfügt (Urteil S. vom 16. April 2002, I 640/00 [Zusammenfassung in HAVE 2002 S. 308]). Damit gehört er vielmehr einer Ausländerkategorie an, für welche der monatliche Männer-Bruttolohn im Anforderungsniveau 4 sogar über dem entsprechenden, nicht nach dem Merkmal der Nationalität differenzierenden - und hier massgebenden - Totalwert liegt (LSE 2002 S. 59 Tabelle TA12).
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Dasselbe hat für die Berücksichtigung der Sprachkenntnisse des Versicherten zu gelten, auch wenn diese - entgegen der Auffassung der SUVA in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - gemäss den Ausführungen der Rehabilitationsklinik X._______ im Bericht vom 16. Mai 2002 eher beschränkt sind. Denn eine dadurch bedingte erwerbliche Benachteiligung ist konkret nicht ersichtlich.
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2.5.3 Dem Beschwerdegegner sind aus medizinischer Sicht unbestrittenermassen keine schweren Arbeiten mehr zumutbar (vgl. Erw. 2.5.1 hievor), sodass er den bisher ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr nachgehen kann. Mit den von der SUVA verfügten 15 % wird sowohl dem Verlust, Schwerarbeit leisten zu können, als auch der leidensbedingten Einschränkung, die für sich nicht sehr ausgeprägt ist, angemessen Rechnung getragen.
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2.5.4 Der Beschwerdegegner war während elf Jahren für die gleiche Arbeitgeberin tätig. Tritt er nun eine neue Stelle an, verliert er - wie das kantonale Gericht an sich zu Recht annimmt - den bisher allenfalls lohnrelevanten Vorteil der bisherigen Dienstjahre. Jedoch ist in dieser Hinsicht zu berücksichtigen, dass eine lange Dienstdauer beim gleichen Arbeitgeber auf dem - hier massgebenden - hypothetischen ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 16 ATSG resp. Art. 18 Abs. 2 UVG in der bis Ende 2002 geltenden Fassung) durchaus positiv zu werten ist, indem die durch die langjährige Betriebstreue ausgewiesene Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit sich bei einem anderen Arbeitgeber im Anfangslohn niederschlägt. Vor allem aber bleibt zu beachten, dass die Bedeutung der Dienstjahre im privaten Sektor abnimmt, je niedriger das Anforderungsprofil ist (BGE 126 V 79 Erw. 5a/cc mit Hinweis). Dem Aspekt der geringen Dienstjahre kommt deshalb keine ins Gewicht fallende Bedeutung zu.
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2.5.5 Weitere im Rahmen eines Abzuges zu berücksichtigende Merkmale (wie z.B. Alter oder allenfalls Beschäftigungsgrad) sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht.
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2.5.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Abzug nur unter den Titeln der leidensbedingten Einschränkung und der Unmöglichkeit, schwere Arbeiten auszuführen, gewährt werden kann. Es liegen deshalb keine triftigen Gründe vor, um vom im Verwaltungsverfahren auf 15 % festgesetzten Abzug abzuweichen, weshalb der von der Vorinstanz auf 25 % festgesetzte Abzug nicht als näher liegende Ermessensausübung erscheint (vgl. Erw. 2.3 hievor). Damit ist der von der SUVA in Verfügung und Einspracheentscheid auf 32 % festgesetzte Invaliditätsgrad im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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3.
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Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die SUVA als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 2. Juni 2004 aufgehoben, soweit damit auf die erstinstanzliche Beschwerde eingetreten worden ist.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
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Luzern, 25. Juli 2005
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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