BGer I 234/2005
 
BGer I 234/2005 vom 29.07.2005
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 234/05
Urteil vom 29. Juli 2005
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Flückiger
Parteien
V.________, 1954, Beschwerdeführer, vertreten durch die Beratungsstelle für Ausländer, Weinbergstrasse 147, 8006 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 3. Februar 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1954 geborene V.________ meldete sich am 12. Dezember 2000 unter Hinweis auf Beschwerden verschiedener Art bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich zog Berichte des Dr. med. S.________, Innere Medizin und Rheumatologie FMH, vom 26. Dezember 2000 sowie des Universitätsspitals X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 27. Juli 1999 bei. Ausserdem liess sie den Versicherten am 8. Februar 2001 durch Dr. med. R.________, Rheumatologie und Rehabilitation FMH, untersuchen, holte Angaben der orthopädischen Universitätsklinik B.________ vom 11. Juli 2001 ein und gab bei Dr. med. N.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ein Gutachten in Auftrag, welches am 25. September 2001 erstattet wurde. Anschliessend sprach die Verwaltung dem Versicherten mit Verfügung vom 6. Februar 2002 für die Zeit ab 1. Mai 2000 eine halbe Rente zu. Auf Beschwerde hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Januar 2003 diese Verfügung auf und wies die Sache zur Ergänzung der medizinischen Abklärungen an die IV-Stelle zurück. Diese liess durch das Medizinische Zentrum Y.________ ein multidisziplinäres medizinisches Gutachten erstellen (datiert vom 17. Februar 2004). Daraufhin verneinte sie mit Verfügung vom 23. März 2004 einen Rentenanspruch. An dieser Beurteilung wurde auf Einsprache hin - nach Beizug eines vom Versicherten eingereichten Berichts des Universitätsspitals X.________, Dept. für Innere Medizin, Medizinische Klinik B, vom 22. März 2004 - mit Entscheid vom 30. April 2004 festgehalten.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 3. Februar 2005). Im Verlauf des Verfahrens hatte der Versicherte Berichte des Psychiatriezentrums R.________ vom 22. April 2004, des Dr. med. S.________ vom 3. Dezember 2001 sowie des Universitätsspitals X.________, Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie, vom 27. September 2004 (mit Operationsbericht vom 15. September 2004) auflegen lassen.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt V.________ die Zusprechung einer ganzen Rente beantragen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 11. September 2002 (ATSV), am 1. Januar 2004 die Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4. IVG-Revision) und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 in Kraft getreten. In dieser Konstellation ist der Rentenanspruch für die Zeit bis 31. Dezember 2002 nach den bis zu diesem Datum gültig gewesenen Bestimmungen, für das Jahr 2003 unter zusätzlicher Berücksichtigung des ATSG, der ATSV und der damit verbundenen Rechtsänderungen sowie ab 1. Januar 2004 entsprechend der seither geltenden Normenlage zu beurteilen (vgl. BGE 130 V 445 ff. Erw. 1).
1.2 Das kantonale Gericht hat die jeweils geltenden Bestimmungen über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG, seit 1. Januar 2003 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 7 ATSG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen, Art. 28 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung) sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrads bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (bis Ende 2002: Art. 28 Abs. 2 IVG; während des Jahres 2003: Art. 16 ATSG; seit 1. Januar 2004: Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Ebenfalls beizupflichten ist den vorinstanzlichen Erwägungen zur Invalidität bei seelischen Störungen mit Krankheitswert (BGE 127 V 298 Erw. 4c, 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b; ZAK 1992 S. 170 f. Erw. 2a). Es bleibt beizufügen, dass die von der Rechtsprechung zu den Begriffen der Arbeitsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit und der Invalidität sowie zur Bestimmung des Invaliditätsgrades herausgebildeten Grundsätze unter der Herrschaft des ATSG prinzipiell weiterhin Geltung haben (BGE 130 V 352 Erw. 3.6).
1.3 Wie das kantonale Gericht erwogen hat, begründet Alkoholsucht für sich allein betrachtet keine Invalidität im Sinne des Gesetzes. Dagegen wird eine solche Sucht im Rahmen der Invalidenversicherung bedeutsam, wenn sie eine Krankheit bewirkt hat, in deren Folge ein körperlicher oder geistiger, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesundheitsschaden eingetreten ist, oder aber wenn sie selber Folge eines körperlichen oder geistigen Gesundheitsschadens ist, welchem Krankheitswert zukommt (BGE 99 V 28 Erw. 2; AHI 2002 S. 30 Erw. 2a, 2001 S. 228 f. Erw. 2b am Ende, je mit Hinweisen).
2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente.
2.1 In medizinischer Hinsicht gelangten die IV-Stelle und ihr folgend die Vorinstanz zum Ergebnis, was den somatischen Aspekt anbelange, werde die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers, der früher als Serviceangestellter gearbeitet hatte und nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit seit mehreren Jahren als Hausmann tätig gewesen war, durch Kniebeschwerden eingeschränkt. Ihnen könne jedoch durch die Ausgestaltung der konkreten Arbeit Rechnung getragen werden. Denn die Ausübung einer leichten bis mittelschweren, wechselbelastenden Tätigkeit unter Vermeidung häufigen Kniens sowie längerer Gehstrecken sei uneingeschränkt möglich (Arbeitsfähigkeit 100%). Diese Einschätzung stützt sich auf das Gutachten des Medizinischen Zentrums Y.________ vom 17. Februar 2004. Die diesem zu Grunde liegenden Untersuchungen der Rheumatologin Dr. med. A.________ ergaben keine Hinweise auf eine Bewegungseinschränkung der Gelenke oder der Wirbelsäule sowie entzündliche Gelenksveränderungen. Die Röntgenbefunde fielen altersentsprechend normal aus, ohne degenerative Veränderungen zervikal, thorakal, lumbal sowie an den Kniegelenken beidseits. Die Ärztin interpretierte die Beschwerden des Versicherten, welcher insbesondere Schmerzen im Knie- und lumbalen Rückenbereich, aber auch an den Oberschenkeln, Schultern und Ellenbogen angegeben hatte, im Rahmen eines chronischen lumbovertebralen Schmerzsyndroms sowie diffuser Polyarthralgie und Weichteilbeschwerden ohne klinisches oder bildgebendes Korrelat mit Verdacht auf Vorliegen einer psychischen Störung. Auf Grund der objektivierbaren Befunde lasse sich keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in einer leichten, wechselbelastenden Tätigkeit begründen. Allerdings müssten häufig kniende Tätigkeiten oder längere Gehstrecken vermieden werden, dies bei anamnestischem Meniskusschaden und Status nach rezidivierenden Kniegelenksergüssen links. Diese schlüssige und in nachvollziehbarer Weise begründete Beurteilung wird durch die übrigen medizinischen Unterlagen nicht in Frage gestellt. So hatte bereits die orthopädische Universitätsklinik B.________ in ihrem Bericht vom 11. Juli 2001 die Arbeitsfähigkeit weitgehend identisch umschrieben. Die am 15. September 2004 durchgeführte mediale Maxillektomie links führt, wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, zu keiner abweichenden Beurteilung.
2.2 Der Beschwerdeführer leidet ausserdem an einer chronischen Alkoholabhängigkeit, deren Beginn sich nicht zuverlässig ermitteln liess, wobei jedoch von einer langjährigen Dauer auszugehen ist. Die invalidenversicherungsrechtliche Bedeutung dieser Symptomatik hängt von den in Erw. 1.3 hievor genannten Kriterien ab.
2.2.1 Was den Gesundheitszustand vor dem Eintritt der Alkoholabhängigkeit anbelangt, wird von psychiatrischer Seite auf eine selbstunsichere, passiv-abhängige Persönlichkeit hingewiesen, welche allenfalls bereits damals vorgelegen haben könnte. Das Gutachten des Dr. med. N.________ vom 25. September 2001 erwähnt zusätzlich eine familiär bedingte defizitäre Entwicklung und Identitätsfindung in der Jugendzeit. Die Akten enthalten jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer vor dem Eintritt der Alkoholabhängigkeit an schwerwiegenden pathologischen Befunden gelitten hätte. Auch wenn einzelne Aspekte der Biographie sowie der Persönlichkeitsstruktur möglicherweise geeignet waren, zu einer etwas erhöhten Suchtgefährdung beizutragen, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Alkoholismus als Folge einer psychischen Störung mit Krankheitswert eingetreten wäre.
2.2.2 Ein invalidisierendes Leiden liegt demnach im Zusammenhang mit der Alkoholabhängigkeit nur dann vor, wenn die Sucht ihrerseits zur Ausbildung einer Krankheit geführt hat, als deren Folge ein die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesundheitsschaden eingetreten ist. Letztes kann nach dem bereits Gesagten in Bezug auf die somatischen Befunde ausgeschlossen werden. Was den psychiatrischen Aspekt anbelangt, führte Dr. med. I.________, welcher den Versicherten im Rahmen der Begutachtung durch das medizinische Zentrum Y.________ untersuchte, zur Diagnose aus, der Versicherte zeige eine langjährige, chronische Alkoholabhängigkeit und ausserdem Züge einer unsicheren und abhängigen Persönlichkeit. Differenzialdiagnostisch sei hier zu unterscheiden zwischen einer aethylbedingten Wesensveränderung und vorbestehenden labilen Persönlichkeitszügen, welche durch den aktuell fortdauernden Alkoholkonsum verstärkt würden. Begleitend bestehe eine subdepressive Stimmungslage, also (wegen mangelnder Ausprägung) keine eigentliche Depression. Die Arbeitsfähigkeit sei suchtbedingt deutlich eingeschränkt. In der aktuellen Untersuchung könne aber keine krankheitsbedingte Einschränkung festgestellt werden. Aus heutiger Sicht sei auch nicht anzunehmen, dass die bestehenden kognitiven Probleme (Vergesslichkeit, Einschränkung des Altgedächtnisses) persistieren würden, wenn der Versicherte eine seit langem anstehende Alkoholabstinenz einhielte. Prognostisch bestehe allerdings bei fortwährendem erheblichem Alkoholkonsum ein erhebliches Risiko zur Entwicklung hirnorganischer und damit auch Wesensveränderungen. Diese Einschätzung ist mit derjenigen des Dr. med. N.________, welcher den Versicherten am 25. September 2001 psychiatrisch begutachtet hatte, vereinbar. Nach dessen Beurteilung leidet der Beschwerdeführer an einer floriden Alkoholabhängigkeit mit allen Anzeichen diverser Folgestörungen, darunter Affektinkontinenz und Wesensveränderung sowie sekundärer Depressionssymptomatik. Ferner wird ebenfalls über eine selbstunsichere, passiv-abhängige Persönlichkeit mit deutlichen Dekompensationszeichen berichtet. Die chronische Suchtproblematik führe zu einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um etwa 50%, wobei jedoch unter professioneller Therapie und Rehabilitation mit einer weitgehenden Restitution zu rechnen sei, während bei ausbleibender Behandlung eine ungünstige längerfristige Prognose gestellt werden müsse. Dr. med. N.________ geht somit von einer Arbeitsunfähigkeit aus, welche im Wesentlichen auf dem Alkoholabusus beruht und durch dessen zielgerichtete Behandlung grösstenteils behoben werden könnte. Ein zusätzliches sekundäres psychisches Leiden mit erheblichen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit liegt auch nach der Beurteilung dieses Arztes nicht vor. Der Bericht des Psychiatriezentrums R.________ vom 22. April 2004 weist auf neuropsychologische Einschränkungen hin, welche durch den Alkoholmissbrauch verursacht seien. Auch insoweit ist jedoch nicht von einem selbstständigen sekundären Gesundheitsschaden mit Krankheitswert auszugehen, zumal aus dem Bericht weiter hervorgeht, dass der Alkoholmissbrauch für die Arbeitsunfähigkeit entscheidend ist. Die Aussage des Dr. med. I.________, die kognitiven Probleme würden bei Alkoholabstinenz wahrscheinlich nicht persistieren, wird auch durch den Bericht des Psychiatriezentrums nicht in Frage gestellt. Die von allen Ärzten angesprochenen Massnahmen der Therapie und Rehabilitation schliesslich stellen keine selbständigen Zielsetzungen der Invalidenversicherung dar, für die gesetzlich umschriebene Leistungen ausgerichtet werden können (AHI 2001 S. 231 Erw. 7 mit Hinweis).
2.3 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auf Grund der somatischen Symptomatik insofern in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, als er die angestammte Tätigkeit als Serviceangestellter nicht mehr ausüben kann. Eine leichte, wechselbelastende Tätigkeit ohne häufiges Knien und längere Gehstrecken wäre ihm jedoch aus invalidenversicherungsrechtlicher Sicht ganztags und mit voller Leistung zumutbar. Die Alkoholabhängigkeit bleibt auf Grund der konkreten Konstellation ohne Einfluss auf die Beurteilung.
3.
Das Erwerbseinkommen, welches der Beschwerdeführer ohne Behinderung erzielen könnte (Art. 16 ATSG), hat die Vorinstanz zu Recht mit Blick auf die angestammte Tätigkeit als Serviceangestellter festgesetzt. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass der Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachginge. Angesichts des zeitlichen Abstands zu deren letztmaliger Ausübung im Jahr 1989 war es korrekt, auf die Werte der schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Jahres 2000 (allfälliger Rentenbeginn; BGE 129 V 223 f. Erw. 4.1 und 4.2) abzustellen. Da der Versicherte keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, stützte sich das kantonale Gericht für die Bezifferung des trotz der behinderungsbedingten Einschränkungen bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage zumutbarerweise erzielbaren Erwerbseinkommens (Art. 16 ATSG) richtigerweise (BGE 126 V 76 f. Erw. 3b/bb) ebenfalls auf die LSE. Der daraus abgeleitete Invaliditätsgrad von 15% ist nicht zu beanstanden, wobei der vorgenommene Prozentabzug (dazu BGE 126 V 79 f. Erw. 5b) von 25% als eher hoch erscheint. Damit besteht kein Anspruch auf eine Rente.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 29. Juli 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.