Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5C.157/2005 /blb
Urteil vom 30. August 2005
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.
Parteien
X.________,
Kläger und Berufungskläger,
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Eugster,
gegen
Y.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte.
Gegenstand
Abänderung des Scheidungsurteils,
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 12. April 2005.
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil vom 27. März 1998 schied das Bezirksgericht Bischofszell die Ehe zwischen den Parteien; dabei verurteilte es X.________ zu einem Frauenaliment nach Art. 151 Abs. 1 aZGB von Fr. 800.-- pro Monat.
B.
Mit Klage vom 29. März 2004 verlangte X.________ die Aufhebung der Unterhaltsrente. Mit Urteilen vom 10. September 2004 bzw. vom 12. April 2005 setzten die Bezirksgerichtliche Kommission Bischofszell sowie das Obergericht des Kantons Thurgau die Rente in teilweiser Gutheissung der Klage auf Fr. 400.-- herab.
C.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat X.________ am 13. Juni 2005 Berufung erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung sowie um Aufhebung der Unterhaltsrente. In seinem Begleitschreiben zur Aktenübermittlung hat das Obergericht auf Abweisung der Berufung geschlossen. Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Kläger ist zu 60 % bei der F.________ AG angestellt. Er hat aufgrund eines Erdbebens in L.________ diverse Leiden. Das Obergericht hat auf das ärztliche Zeugnis von Dr. D.________ verwiesen, der von einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 25-35 % ausging und gleichzeitig feststellte, dass der Kläger keine körperlich schwere Arbeit mehr ausüben könne, dass er aber für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ganztägig einsatzfähig sei. Das Obergericht hat weiter erwogen, der Kläger verrichte bei der F.________ AG als Geschäftsführer keine körperlich schwere Arbeit und er mache für die teilzeitige Arbeit keine gesundheitlichen Gründe geltend. Aus den Aussagen von Z.________ (Verwaltungsrätin der F.________ AG) ergebe sich, dass der Beschäftigungsgrad aus wirtschaftlichen Gründen auf 60 % beschränkt sei. Dem Kläger sei deshalb zuzumuten, in der verbleibenden Zeit einer weiteren körperlich leichten bis mittelschweren Erwerbstätigkeit nachzugehen, beispielsweise als Verkäufer bei einem Kiosk oder Imbissstand oder als Taxifahrer oder Pizzakurier. Bei einem Stundenlohn von netto Fr. 13.-- während 60 Stunden pro Monat resultiere bei gutem Willen ein Zusatzeinkommen von Fr. 780.--, das es dem Kläger erlaube, die auf Fr. 400.-- herabgesetzte Unterhaltsrente an die Beklagte zu zahlen.
2.
Der Kläger behauptet verschiedene offensichtliche Versehen im Sinn von Art. 63 Abs. 2 OG.
2.1 Ein offensichtliches Versehen liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur vor, wenn die Vorinstanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen oder unrichtig, d.h. nicht in ihrer wahren Gestalt, insbesondere nicht mit ihrem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat (BGE 104 II 68 E. 3b S. 74; 113 II 522 E. 4b S. 524). Nicht in ihrer wahren Gestalt wird eine Aktenstelle beispielsweise wahrgenommen, wenn die Vorinstanz sich verliest, ihrerseits eine Missschreibung in den Akten übersieht oder den offensichtlichen Zusammenhang einer Aussage mit andern Dokumenten oder Äusserungen verkennt (vgl. BGE 115 II 399).
2.2 Kein offensichtliches Versehen liegt zunächst mit Bezug auf das ärztliche Zeugnis vor. Der vordergründige Widerspruch zwischen der Aussage, die Arbeitsfähigkeit des Klägers sei insgesamt eingeschränkt, und derjenigen, dass er für leichte bis mittelschwere Arbeiten ganztägig einsatzfähig sei, ergibt sich daraus, dass Dr. D.________ medizinisch-theoretische Invaliditätswerte für die einzelnen Leiden (Handgelenke und Schultern) addiert hat, aber diese sozialversicherungsrechtliche Bestimmung des Invaliditätsgrades in keinem direkten Zusammenhang mit der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit steht (der Verlust eines Fingers ist für die meisten Berufe folgenlos, führt aber beispielsweise bei einem Pianisten zum totalen Erwerbsausfall). Das Obergericht hat das ärztliche Zeugnis in diesem Sinn gewürdigt und aus der Feststellung, dass der Kläger ganztägig leichtere bis mittelschwere Arbeit verrichten kann, gefolgert, dass er mit Bezug auf solche Arbeiten in seiner Erwerbsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Diese auf einer Interpretation des ärztlichen Zeugnisses beruhende Folgerung stellt kein offensichtliches Versehen dar, sondern Beweiswürdigung, die mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen wäre.
2.3 Gleiches gilt für die zitierte Zeugenaussage von Z.________. Diese hat zwar erwähnt, dass der Kläger physisch beeinträchtigt sei und vor allem im Schulterbereich gegen Mittag regelmässig erhebliche Schmerzen verspüre. Sie hat aber auch darauf hingewiesen, dass sich die Firma zur Zeit gar keine vollzeitige Anstellung des Klägers leisten könne. Im Verhandlungsprotokoll sind diese Aussagen in zwei zusammenhängenden Sätzen aufgenommen. Wenn das Obergericht einzig die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Firma als Grund für die Teilzeitstelle erwähnt hat, ist dies offensichtlich nicht auf ein Versehen zurückzuführen, sondern Beweiswürdigung, die einzig mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann.
2.4 Liegen nach dem Gesagten keine offensichtlichen Versehen vor, hat das Bundesgericht seinem Entscheid den unveränderten Sachverhalt zugrunde zu legen, wie er vom Obergericht festgestellt worden ist (Art. 63 Abs. 2 OG).
3.
Der Kläger macht einen Verstoss gegen Art. 8 ZGB geltend, weil er sich zur gänzlich neuen Tatsachenbehauptung des Obergerichts, dass er einer zusätzlichen Erwerbsarbeit nachgehen könne, überhaupt nicht habe äussern können und somit sein Recht auf Gegenbeweis verletzt sei.
Bei seiner Argumentation übersieht der Kläger, dass nicht die Beklagte als Verfahrenspartei eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit des Klägers behauptet oder gar bewiesen hat und ihm der Gegenbeweis obgelegen hätte, dass er hierzu aus körperlichen Gründen nicht in der Lage sei. Vielmehr hat das Obergericht im Verhältnis zur Vorinstanz eine Begründungssubstitution vorgenommen bzw. als Kompensation für die erst vor Obergericht erhobene Tatsachenbehauptung des Klägers, dass ihm die ursprünglich vereinbarten Pauschalspesen von Fr. 500.-- gar nicht ausbezahlt würden, befunden, dass er einen Zusatzverdienst erwirtschaften könne. Wenn der Kläger hierzu nicht vorgängig hat Stellung nehmen können, ist dies nicht eine Frage des Beweisführungsanspruchs, sondern des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), dessen Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen wäre.
Desgleichen hätte der Kläger mit staatsrechtlicher Beschwerde vortragen müssen, das Obergericht sei - z.B. mangels entsprechender Stellenangebote bzw. wegen fehlender Koordinationsmöglichkeit mit der Tätigkeit als Geschäftsführer der F.________ AG - willkürlich davon ausgegangen, dass er einen Zusatzverdienst erzielen könne, handelt es sich doch dabei um eine Tatfrage, wie der Kläger selbst einräumt. Entgegen seiner Auffassung verhält es sich auch nicht so, dass das Bundesgericht die berufungsfähige Rechtsfrage - die Zumutbarkeit eines Zusatzverdienstes (BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7; dazu E. 4) - nicht beurteilen könnte: Das Obergericht hat eine ganze Anzahl körperlich leichter Tätigkeiten aufgezeigt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern der kantonal festgestellte Sachverhalt der Vervollständigung bedürfte. Entgegen dem sinngemässen Vorbringen des Klägers ist das kantonale Gericht jedenfalls nicht zu einem eigentlichen Stellennachweis verpflichtet, und insbesondere liegt auch keine mit BGE 128 III 4 vergleichbare Situation vor. Dort ging es einerseits nicht um eine Berufung, sondern um eine staatsrechtliche Beschwerde, und andererseits um einen früheren Geschäftsführer und damit um eine berufliche Stellung, die oftmals nur in einer bestimmten Firma aufgrund spezifischer Fähigkeiten erlangt werden kann, während vorliegend Tätigkeiten zu einem minimalen Stundenansatz von Fr. 13.-- zur Diskussion stehen, die jedermann ausüben kann.
4.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen fällt die Rechtsbehauptung des Klägers, ein Zusatzverdienst sei ihm nicht zumutbar, in sich zusammen: Personen im erwerbsfähigen Alter ist es grundsätzlich zuzumuten, dass sie zur Erfüllung ihrer familienrechtlichen Pflichten vollzeitig erwerbstätig sind, soweit sie nicht durch physische oder psychische Beeinträchtigungen, durch Betreuungspflichten oder dergleichen in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sind. Durfte das Obergericht aufgrund der Aussage im ärztlichen Zeugnis, der Kläger sei ganztägig einsatzfähig, davon ausgehen, dass er leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Einschränkung ausführen kann, hat es nicht gegen Bundesrecht verstossen, wenn es dem Kläger einen Zusatzverdienst zugemutet hat, der zusammen mit der aktuellen Arbeit eine vollzeitige Tätigkeit nicht übersteigt.
5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtsgebühr ist folglich dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. August 2005
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: