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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
M 3/05
Urteil vom 13. September 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Kernen und Seiler; Gerichtsschreiber Fessler
Parteien
A.________, 1968, Beschwerdeführer,
gegen
SUVA Bern, Militärversicherung, Schermenwaldstrasse 10, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur
(Entscheid vom 3. Dezember 2004)
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 13. Januar 2004 und Einspracheentscheid vom 25. Juni 2004 lehnte das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) eine Haftung der Militärversicherung für die von A.________ in den Wiederholungskursen vom 26. November bis 21. Dezember 2001 und vom 16. bis 28. Januar 2002 (WK's 2001/02) geklagten Zehen- und Vorderfussschmerzen links sowie die Anfang Juni 2002 gemeldeten Fussbeschwerden links über den 30. September 2003 hinaus ab.
B.
Die Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 3. Dezember 2004 ab.
C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Militärversicherung sei zur vollumfänglichen Übernahme der Kosten zu verpflichten, welche im Zusammenhang mit den Fussbeschwerden links entstanden sind oder noch entstehen werden.
Das bis 30. Juni 2005 für die Durchführung der Militärversicherung zuständige BAMV (ab 1. Juli 2005: Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
D.
A.________ hat sich zur Vernehmlassung des Bundesamtes geäussert.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die streitige Leistungspflicht der Militärversicherung im Zusammenhang mit den Fussbeschwerden links ist in zeitlicher Hinsicht bis zum Einspracheentscheid vom 25. Juni 2004 zu prüfen (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 116 V 248 Erw. 1a sowie SVR 2005 AHV Nr. 9 S. 31 Erw. 1.1.3). Soweit die Anträge in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde darüber hinausgehen, ist darauf nicht einzutreten.
2.
2.1 Im angefochtenen Entscheid werden die Grundsätze der Haftung der Militärversicherung für während des Dienstes oder nach dem Dienst festgestellte Gesundheitsschädigungen in den wesentlichen Zügen dargelegt (vgl. Art. 4 Abs. 1 MVG und Art. 5 f. MVG sowie BGE 123 V 138 Erw. 3a; Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung [MVG], Bern 2000, S. 68 ff.). Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass der Begriff «sicher» gemäss Art. 5 Abs. 1 MVG nicht in einem naturwissenschaftlich-theoretischen, sondern im empirischen Sinne zu verstehen ist. Der Sicherheitsbeweis gilt als geleistet, wenn feststeht, dass nach der medizinischen Erfahrung eine Einwirkung verschlimmernder Faktoren während des Dienstes praktisch ausgeschlossen ist (vgl. BGE 111 V 146 Erw. 4 am Anfang, 105 V 230 Erw. 4a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 111 V 372 Erw. 1b).
2.2 Spätfolgen im Sinne von Art. 6 MVG liegen vor, wenn ein scheinbar geheiltes Leiden (mit oder ohne verbleibenden Defektzustand) im Verlaufe längerer Zeit organische oder auch psychische Veränderungen bewirkt, die zu einem oft völlig anders gearteten Krankheitsbild führen. Beim Rückfall handelt es sich um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise gar zu Arbeitsunfähigkeit kommt (BGE 123 V 138 Erw. 3a mit Hinweisen; Maeschi a.a.O. N 22 zu Art. 6; vgl. auch BGE 118 V 296 Erw. 2c und RKUV 1997 Nr. U 275 S. 191 Erw. 1c mit Hinweisen).
3.
Das kantonale Gericht ist in Würdigung der medizinischen Unterlagen zum Schluss gelangt, die durch den Militärdienst (WK 01/02) unbestritten verstärkt aufgetretenen Fussprobleme links hätten nach rund eineinhalb Jahren (Herbst 2003) wieder als behoben oder als abgeklungen zu gelten. Dafür spreche insbesondere, dass der erstbehandelnde Arzt die Behandlung der geklagten Fussleiden (bei Vorzustand Hohlfüsse beidseits) mit konventionellen Heilmitteln sowie einer Tragdispens für Militärschuhe als genügend erachtete. Dies lasse auf die geringe Intensität der geklagten Beeinträchtigungen sowie einen kurzen und erfolgversprechenden Genesungsverlauf schliessen. Ebenfalls sei in der Krankheits- und Unfallmeldung des Spitals R.________ vom 6. Juni 2002 die voraussichtliche Behandlungsdauer auf 2-3 Monate geschätzt worden. Im Weitern habe der Versicherte bei der Befragung am 17. Juli 2002 zu Protokoll gegeben, seit 1985 regelmässig Laufsport zu betreiben. Dies lege den Schluss auf zeitweise (sogar) überbelastete Sprunggelenke und Fussballen durch private Sportaktivitäten in der Vergangenheit nahe. So habe er insbesondere im Mai 2001 nach dem Kauf neuer Laufsportschuhe vorübergehend an starken Rist- und Fussschmerzen gelitten. Schliesslich habe der Versicherte im November 2002 die Notwendigkeit weiterer medizinischer Massnahmen (nach dem Qualitätsgewinn mit Schuheinlagen) selber verneint und angegeben, seit Oktober 2002 wieder zweimal pro Woche fast beschwerdefrei (ohne verstärkte Zehenschmerzen) joggen zu können. Damit sei eine bedeutsame Verbesserung des Gesundheitszustandes seit den hintereinander absolvierten WK's im Winter 2001/02 erstellt. Ferner sei offenkundig, dass das private Laufsporttraining einem möglichst raschen und unkomplizierten Genesungsverlauf nicht förderlich gewesen sei. Es ergebe sich somit, dass die noch immer geklagten Fussbeschwerden links weder mit Sicherheit (Art. 5 MVG) noch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (Art. 6 MVG) auf die unbestritten während der Dienstzeit (WK 01/02) verstärkt aufgetretenen Fussleiden zurückgeführt werden könnten. Folgerichtig habe die Militärversicherung mangels Kausalzusammenhang zwischen Ursache (Militärdienst) und Wirkung (auf Dauer anhaltende Körperschädigung resp. Spätfolgen infolge dienstlicher Aktivitäten) mit Grund eine Leistungspflicht ab 1. Oktober 2003 verneint.
4.
4.1 Das kantonale Gericht hat nicht explizit geprüft, ob die Militärversicherung den Sicherheitsbeweis nach Art. 5 Abs. 1 lit. a oder lit. b MVG erbracht hat. Die Vorinstanz geht ohne weiteres davon aus, es sei ein unter Art. 5 Abs. 3 MVG (Verschlimmerung der Gesundheitsschädigung) oder unter Art. 6 MVG (Spätfolgen) fallender Sachverhalt gegeben. Dabei nimmt sie in Bezug auf diese beiden Tatbestandsvarianten keine getrennte Beurteilung vor. Das kantonale Gericht hat diese Fragen implizit mit der Begründung offen gelassen, die in den Wiederholungskursen von November/Dezember 2001 und Januar 2002 aufgetretenen Fussbeschwerden links könnten jedenfalls Ende September 2003 als sicher behoben gelten. Spätestens in diesem Zeitpunkt sei der Status quo ante oder, wo dieser Zustand, der Natur des Leidens entsprechend sowie wegen das ausgeübten Laufsports, nicht mehr eintreten könne, der Status quo sine, wie er auch ohne Dienst bestünde, erreicht gewesen.
4.2
4.2.1 In der Krankheits-und Unfallmeldung vom 14. Februar 2002 erwähnte der Hausarzt unklare Fussballenschmerzen links (infolge Überlastung). Im Mai/Juni 2002 wurde der Versicherte wegen persistierender Beschwerden im Vorderfuss links auf der Höhe der Metatarsalia eher lateral und plantar auf der Orthopädischen Abteilung der Chirurgischen Klinik des Spitals R.________ abgeklärt. Es wurde u.a. die Diagnose einer symptomatischen Morton-Neuralgie interdigital III/IV bei MRI-mässig nachgewiesenem kleinem Morton-Neurom im Interdigitalraum zwischen Os metatarsale III und IV Fuss links gestellt. Aus therapeutischer Sicht wurden eine Infiltration interdigital III/IV mit einem Lokalanästhetikum sowie Kortikosteroid vorgeschlagen und die Exzision des Neuroms empfohlen (Sprechstundenbericht vom 4. Juni 2002). Am 25. Juli 2002 wurde eine Infiltration interdigital III/IV durchgeführt. Die Massnahme brachte indessen keine wesentliche Besserung. Nach Angaben des Versicherten traten sogar vorübergehend vermehrt Schmerzen auf. Ebenfalls führte die Verwendung von Sohleneinlagen zu keiner dauernden Besserung der Fusssymptomatik. Eine weitere Infiltration vom 2. September 2003 in der Klinik O.________ brachte keine Linderung der Schmerzen. Ein operativer Eingriff zur Exzision des Morton-Neuroms fand nicht statt.
4.2.2 In seiner Verlaufsbeurteilung vom 18. Juni 2003 führte Dr. med. G.________ vom Ärztlichen Dienst der zuständigen MV-Sektion u.a Folgendes aus: «Beim M. Morton handelt es sich um anfallsweise auftretende Parästhesien und Schmerzen im Vorfussbereich, hervorgerufen durch eine sklerosierende Verdickung des M. digiti plantaris communis, (fälschlicherweise) als Neurom oder Neurinom bezeichnet. Begünstigend für die Entstehung eines solchen Pseudoneuroms ist vor allem das Vorliegen von Fussdeformitäten (Spreizfuss, Hallux valgus). Auch das Tragen eines ungeeigneten Schuhwerkes kann zur Entwicklung eines Morton-Syndroms führen. Es handelt sich bei den vorliegenden Beschwerden mit Gewissheit um ein vordienstlich begründetes Leiden auf Grund der (moderaten) Fussdeformität einerseits sowie des exzessiven Joggens anderseits.» Die Frage, wann die Verschlimmerung der von der MV übernommenen «'Mortonmetatarsalgie' bei vordienstlicher Beschwerdefreiheit» als behoben gelten könne, beantwortete der MV-Arzt wie folgt: «Aufgrund der weiter bestehenden vordienstlich begründeten Anlage (Fussdeformität, Vorschädigung durch mechanische Beanspruchung und als Folge des radiologisch dokumentierten Morton-Neuroms) sind neu auftretende Beschwerden durch wiederholte Beanspruchungen, z.B. durch sportliche Aktivität, immer wieder zu erwarten. Ein definitiver Status quo ante kann so nicht erreicht werden. Hingegen darf auf Grund der Akten angenommen werden, dass im Spätherbst 2002 der Status quo sine nach dem Verschwinden der durch die dienstliche Beanspruchung (langes Stehen in inadäquatem Schuhwerk) begründeten Beschwerden erreicht worden ist.»
Die Chefärztin des BAMV hielt in ihrer versicherungsmedizinischen Stellungnahme vom 8. März 2004 fest, die genaue Diagnose der Fussbeschwerden links sei nicht bekannt. Mit Bezug auf die heute vorliegende unklare Gesundheitsschädigung könne nur gesagt werden, dass sich das Beschwerdebild unverändert wie das ursprünglich gemeldete präsentiere. Namentlich seien der pathologisch-anatomische sowie der funktionelle Zustand heute gleich wie vor und während des Dienstes. Dies lasse aber keine Rückschlüsse auf das zu Grunde liegende Leiden zu.
4.3 Auf Grund dieser fachärztlichen Aussagen sowie der übrigen medizinischen Akten kann der Sicherheitsbeweis für den Wegfall der Haftung der Militärversicherung für die Fussbeschwerden links nicht als erbracht gelten. Gemäss dem Bericht des Dr. med. W.________, Radiologie-Institut B.________, vom 15. Dezember 2004 zeigte die Kernspintomografie des linken Vorfusses vom Vortag eine flüssigkeitshaltige interdigitale Bursa (Bursitis; Pschyrembel, 260. Aufl., S. 275) zwischen dem 3. und 4. Strahl auf Höhe der Metatarsaleköpfchen bzw. der MTP-Gelenke. Ein Morton-Neurom (Pschyrembel a.a.O. S. 1181 und 1268) war nicht nachweisbar. Im Bericht vom 26. Januar 2005 bestätigt Dr. med. W.________, dass dieser Befund dem (schriftlichen) Befund der MRI-Untersuchung vom 28. Mai 2002 entspricht. Dies stützt die Aussage der Chefärztin des BAMV, wonach das Beschwerdebild seit dem Dienst im November/Dezember 2001 und im Januar 2002 nicht geändert hat. Dem scheinen allerdings die Angaben des Versicherten in den Sprechstunden auf der Orthopädischen Abteilung der Chirurgischen Klinik des Spitals R.________ zu widersprechen. Am 21. November 2002 äusserte er sich dahingehend, die Beschwerden hätten abgenommen und er könne wieder ohne verstärkte Schmerzen trainieren. Am 4. Februar 2003 gab er an, nach einem Training von 10 km seien die Schmerzen in abgeschwächter Form wieder aufgetreten. Der Sprechstunden-Arzt bezeichnete im Protokoll über die Sitzung vom 12. Mai 2003 die Schmerzproblematik als multifaktoriell. Schliesslich hatte der Versicherte am 1. April 2003 gegenüber dem Neurologen Dr. med. C.________ neu auch über lokale Schmerzen am Fussrist links geklagt.
Aufgrund der Diskrepanz in diagnostischer Hinsicht stellt sich im Besonderen die Frage, ob die Behandlung bei einer Bursitis anders ausgesehen hätte. Dies betrifft namentlich die Infiltrationen, welche wirkungslos geblieben waren. Anderseits kann entgegen der offenbaren Auffassung des Versicherten darin, dass und soweit ihm ärztlicherseits nicht ausdrücklich im Sinne einer Therapieanweisung Schonung verordnet worden war, keine Fehlbehandlung erblickt werden. War er nach seinen eigenen Angaben nie ganz und für längere Zeit beschwerdefrei, musste er sich vernünftigerweise mit dem Lauftraining zurückhalten, ohne dass es hiefür einer speziellen ärztlichen Verordnung bedurfte. Indessen vermag die insoweit unbestrittene Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach den WK's 2001/02 weiterhin, wenn auch seinen glaubhaften Angaben zufolge in reduziertem Umfang Lauftraining machte, was dem Heilungsprozess nicht förderlich war, den Sicherheitsbeweis nicht im Umkehrschluss zu erbringen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vordienstlichen, jedoch als geringfügig zu bezeichnenden Fussdeformität (minimer Spreizfuss bei leichtgradigem Hohlfuss) sowie des Umstandes, dass der Versicherte schon seit Jahren regelmässig Laufsport betreibt.
Nach dem Gesagten kann der Beweis dafür, dass die WK's 2001/02 für die immer wieder aufgetretenen Fussbeschwerden links nach der medizinischen Erfahrung spätestens ab 1. Oktober 2003 resp. ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Erlass des Einspracheentscheides vom 25. Juni 2004 praktisch keine Bedeutung mehr hatten, nicht ohne orthopädische Begutachtung erbracht werden.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 3. Dezember 2004 und der Einspracheentscheid vom 25. Juni 2004 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt zurückgewiesen wird, damit sie nach erfolgter Begutachtung im Sinne der Erwägungen über die Haftung der Militärversicherung für die Fussbeschwerden links ab 1. Oktober 2003 neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zugestellt.
Luzern, 13. September 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: