Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6A.14/2005 /gnd
Urteil vom 24. September 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiber Briw.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Rolf Müller,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, Postfach, 8090 Zurich.
Gegenstand
Entzug des Führerausweises,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, vom 12. Januar 2005 (VB.2004.00446).
Sachverhalt:
A.
Die Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich (Strassenverkehrsamt, Abteilung Administrativmassnahmen) entzog X.________ mit Verfügung vom 13. September 2000 den Führerausweis für die Dauer von zwei Monaten mit Wirkung ab dem 2. Oktober bis 1. Dezember 2000 wegen Überschreitens der Höchstgeschwindigkeit und Missachtens eines Rotlichts. Diese Verfügung wurde rechtskräftig.
B.
X.________ geriet am 1. Januar 2001 um 17.00 Uhr mit einem Personenwagen auf der Autobahn A3 von Sargans her kommend auf der Überholspur bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h ins Schleudern und kollidierte mit der Leitplanke auf der linken Autobahnseite. Es wurden keine Personen verletzt. Er erklärte der Kantonspolizei St. Gallen, es sei ein Fahrzeug in geringem Abstand und ohne Richtungsanzeige vor ihm von der Normal- auf die Überholspur eingeschwenkt. Er habe die Geschwindigkeit verlangsamt und versucht, dem Fahrzeug auszuweichen. Dabei sei er ins Schleudern geraten. Die Kantonspolizei hielt diese Angaben aufgrund des Spurenbildes für fragwürdig.
Das Untersuchungsamt Uznach (Zweigstelle Flums) büsste ihn am 27. März 2001 gestützt auf den Verkehrsunfallrapport der Kantonspolizei St. Gallen vom 2. Januar 2001 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 SVG wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs mit Fr. 500.--. Diese Strafverfügung wurde rechtskräftig.
C.
Die Direktion für Soziales und Sicherheit entzog ihm mit Verfügung vom 18. Juni 2001 den Führerausweis sowie den Lernfahrausweis Kat. A1 für die Dauer von drei Monaten. Dabei wurde massnahmenverschärfend berücksichtigt, dass ihm der Führerausweis mit Verfügung vom 13. September 2000 bereits für zwei Monate entzogen worden war (oben Bst. A). Die Direktion für Soziales und Sicherheit hob den Entzug des Lernfahrausweises am 28. Juni 2001 in einer Wiedererwägung auf.
X.________ rekurrierte am 11. Juli 2001 gegen die Entzugsverfügung vom 18. Juni 2001 beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Die Direktion für Soziales und Sicherheit zog mit Verfügung vom 29. März 2004 die Entzugsverfügung in Wiedererwägung und reduzierte die Entzugsdauer von drei auf zwei Monate, weil die Rekursbehandlung überdurchschnittlich lange Zeit in Anspruch genommen habe und gestützt auf das Wohlverhalten des Rekurrenten. In der Folge wurde der Rekurs vom Regierungsrat abgeschrieben.
X.________ rekurrierte am 27. April 2004 erneut gegen die Entzugsverfügung vom 29. März 2004 beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Dieser wies den Rekurs am 8. September 2004 ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, hiess am 12. Januar 2005 die gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 8. September 2004 eingereichte Beschwerde teilweise gut und hob den Entscheid auf. Es reduzierte die Entzugsdauer wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots auf einen Monat.
D.
X.________ erhebt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2005 aufzuheben, den Führerausweis nicht zu entziehen und auf Administrativmassnahmen zu verzichten, eventuell die Teilnahme am Verkehrsunterricht anzuorden und subeventuell ihn zu verwarnen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, und verzichtet im Übrigen auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 24 Abs. 2 SVG können letztinstanzliche kantonale Führerausweisentzüge mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden.
2.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid. Die Vorinstanz sei zu Unrecht von einer bindenden Wirkung des Strafentscheids ausgegangen. Er habe nicht mit einem Führerausweisentzug rechnen müssen, sondern habe davon ausgehen dürfen, dass mit der Bezahlung der Busse die Sache erledigt sei. Im Administrativverfahren habe er klar festgehalten, dass ihn am Vorfall kein Verschulden treffe. Der Verweis der Vorinstanz auf die Polizeiprotokolle sei irrelevant, denn Aussagen vor der Polizei sowie Polizeirapporte seien nach Bundesrecht für das weitere Verfahren unbeachtlich und nicht verwertbar. Der Strafrichter hätte nach dem Grundsatz in dubio pro reo von einem Drittverschulden ausgehen müssen (Beschwerde S. 7 ff.).
Die Vorinstanz führt aus, mit Schreiben vom 17. Januar 2001, also kurz nach dem Unfallereignis, habe die Direktion für Soziales und Sicherheit dem Beschwerdeführer die voraussichtliche Eröffnung eines Administrativmassnahmeverfahrens angezeigt. Sie habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass zunächst der Abschluss des Strafverfahrens abgewartet werde und beim Entscheid über eine Administrativmassnahme "wesentlich" auf diesen Strafentscheid abgestellt würde, nachdem ihm im Strafverfahren umfassende Verteidigungsrechte zur Verfügung stünden. Das Untersuchungsamt sei nicht der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers gefolgt. Diese Rügen seien verspätet. Er bringe nichts vor, was nicht bereits im Strafverfahren bekannt gewesen wäre bzw. hätte vorgebracht werden können (angefochtener Entscheid S. 6 f.).
Die Rechtsauffassung der Vorinstanz ist zutreffend. Der Beschwerdeführer war im Schreiben vom 17. Juni 2001 auf die Verfahrensordnung und die Verteidigungsrechte aufmerksam gemacht worden. In diesem Schreiben war ihm mitgeteilt worden, dass bei Verletzungen von Strassenverkehrsvorschriften eine Administrativmassnahme (Verwarnung, Führerausweisentzug etc.) ausgefällt werden könne bzw. müsse und dass dabei wesentlich auf diesen Strafentscheid abgestellt werde. Nach der Rechtsprechung muss derjenige, der weiss oder annehmen muss, dass gegen ihn ein Führerausweisentzugsverfahren durchgeführt wird, seine Verteidigungsrechte schon im (summarischen) Strafverfahren geltend machen, und die für den Führerausweisentzug zuständige Behörde darf in der Regel nicht von den Tatsachenfeststellungen des rechtskräftigen Strafentscheids abweichen. Dies gilt auch bei Entscheiden, die im Strafbefehlsverfahren gefällt wurden, selbst wenn sie auf einem Polizeirapport beruhen (BGE 121 II 214 E. 3a; 123 II 97 E. 3c/aa). Der Beschwerdeführer wäre somit nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, im Strafverfahren entsprechende Beweisanträge zu stellen. Wenn er mit den Feststellungen des Untersuchungsamts nicht einverstanden war, hätte er die Bussenverfügung vom 27. März 2001 (oben Bst. B) anfechten müssen (BGE 123 II 97 E. 3c/aa). Es bedarf ferner keiner weiteren Begründung, dass Aussagen vor der Polizei sowie Polizeirapporte entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers (Beschwerde S. 9 und 10) als Beweismittel verwertbar sind.
Die Vorinstanz ist eine richterliche Behörde. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sie den Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hätte. Das Bundesgericht ist daher an die Feststellung des Sachverhalts gebunden (Art. 105 Abs, 2 OG).
3.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, dass überhaupt eine (ihm vorwerfbare) Verkehrsregelverletzung vorliege. Diese sei lediglich wegen des Überholmanövers des Drittfahrzeugs erfolgt (Beschwerde S. 11).
Wie erwähnt, sind die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich. Die Vorinstanz qualifiziert den Sachverhalt ohne Verletzung von Bundesrecht mit dem Untersuchungsamt als Nichtbeherrschen des Fahrzeugs im Sinne von Art. 31 Abs. 1 SVG (angefochtener Entscheid S. 8).
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz wende Art. 16 Abs. 2 SVG falsch an. Wenn überhaupt, müsste von einem äusserst leichten Verschulden ausgegangen werden. Zudem liege der Grund des früheren Führerausweisentzugs in völlig anderen Umständen (erhöhte Geschwindigkeit und Missachtung eines Rotlichts), so dass dieser Vorfall für den automobilistischen Leumund nicht berücksichtigt werden dürfe (Beschwerde S. 10 ff.).
Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1); in leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Art. 16 Abs. 2 Satz 1 regelt den mittelschweren Fall. Auf einen Führerausweisentzug kann grundsätzlich nur verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG ist. Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht nur bei besonderen Umständen in Betracht. Der leichte Fall beurteilt sich seit der Änderung der Rechtsprechung in BGE 125 II 561 gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 31 VZV (SR 741.51) nach dem Verschulden des Fahrzeuglenkers und seinem automobilistischen Leumund. Die Schwere der Verkehrsgefährdung ist nur insoweit von Bedeutung, als sie auch verschuldensmässig relevant ist (vgl. BGE 126 II 202 E. 1a, 192 E. 2b; ferner BGE 128 II 282 E. 3.5 zur vorliegend nicht anwendbaren neuen Gesetzgebung).
Es kann angesichts des Verschuldens (Verursachung eines Schleuderunfalls bei rund 120 km/h und regem Verkehr auf der Autobahn) sowie des getrübten Leumunds nicht ein leichter Fall im Sinne der erwähnten Rechtsprechung angenommen werden. Die Vorinstanz hält zu Recht fest, dass der automobilistische Leumund "in keiner Weise ungetrübt" ist (angefochtener Entscheid S. 9). Der hier zu beurteilende Vorfall ereignete sich nur einen Monat nach Ablauf des früheren Führerausweisentzugs. Diese Tatsache ist selbstverständlich zu berücksichtigen, auch wenn jenem Führerausweisentzug ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag. Es ist daher auch ein klar über der Mindestdauer liegender Entzug gerechtfertigt. Die mit drei Monaten festgesetzte ursprüngliche Entzugsdauer verletzt kein Bundesrecht (vgl. angefochtener Entscheid S. 11).
5.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots und des Art. 30 Abs. 2 VZV (Beschwerde S. 12 ff.).
Jede Person hat Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV). Die Entzugsbehörde kann bei Verstreichen einer verhältnismässig langen Zeit seit dem massnahmeauslösenden Ereignis die Massnahmedauer herabsetzen und dabei gegebenenfalls auch die Mindestentzugsdauer unterschreiten sowie im Extremfall von der Anordnung einer Massnahme absehen (BGE 120 Ib 504 E. 4e). Diese Rechtsprechung berücksichtigt, dass der Warnungsentzug wegen seines präventiven und erzieherischen Charakters (Art. 30 Abs. 2 VZV; BGE 129 II 92 E. 2.1) mit der Verkehrsregelverletzung in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang stehen soll (BGE 127 II 297 E. 3d; 120 Ib 504 E. 4d).
Die Vorinstanz stellt angesichts der durch Nichtbehandlung des Rekurses vor dem Regierungsrat verursachten Verfahrensdauer (Rekursvernehmlassung vom 20. Juli 2001 bis Entscheid des Regierungsrats vom 8. September 2004; vgl. auch oben Bst. C) eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest (angefochtenes Urteil S. 13 und 15). Die Vorinstanzen berücksichtigen diese Tatsache mit der Herabsetzung der ursprünglich dreimonatigen Entzugsdauer um zwei Drittel auf einen Monat. Damit wurde der überlangen Verfahrensdauer im Rekursverfahren angemessen Rechnung getragen (vgl. BGE 127 II 297 E. 3d). Ein gänzlicher Verzicht auf die Massnahme kommt nicht in Betracht. Es liegt kein unerträglicher Härtefall vor (vgl. BGE 120 Ib 504 E. 4d). Wie die Vorinstanz festhält, drängt sich ein Führerausweisentzug als erzieherische Massnahme auch deshalb auf, weil der neue Vorfall weniger als einen Monat nach Ablauf der früheren Entzugsdauer erfolgte (angefochtener Entscheid S. 15). Eine Verletzung von Bundesrecht ist somit zu verneinen.
6.
Die Vorinstanz hat die Sache in ihrem siebzehnseitigen Entscheid umfassend beurteilt. Darauf ist im Übrigen zu verweisen. Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, sowie dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. September 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: