Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.178/2004
6S.460/2004 /gnd
Urteil vom 9. Oktober 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiber Briw.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Bruno Muggli,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegnerin,
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal,
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.
Gegenstand
6P.178/2004
6S.460/2004
Einstellung des Verfahrens (fahrlässige Körperverletzung),
Staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 9. September 2004.
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde am 12. Dezember 1999 beim Überqueren der Ettingerstrasse auf der Höhe des Blauenwegs von einem aus Richtung Aesch heranfahrenden und von Y.________ gelenkten Personenwagen erfasst. Sie erlitt "potentiell lebensgefährliche Verletzungen" (instabile Beckenfraktur, Oberschenkelfraktur rechts, offene Unterschenkelfraktur rechts, Oberarm und Ellbogenfraktur rechts; Bericht des Kantonsspitals Basel vom 8. Dezember 2000). Nach einem Arztbericht des Kantonsspitals Basel vom 17. November 2003 wird eine Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit bleiben und eine Arbeitsunfähigkeit von ca. 50 % resultieren.
B.
Das Statthalteramt Arlesheim eröffnete am 17. Oktober 2002 ein Verfahren gemäss Art. 125 Abs. 2 StGB gegen Y.________.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft stellte mit Beschluss (Rektifikat) vom 21. April 2004 das Verfahren gegen Y.________ wegen fahrlässiger Körperverletzung mit schwerer Schädigung (Art. 125 Abs. 2 StGB) mit der Erwägung ein, dass ein hinreichender Beweis für ein strafrechtlich relevantes Verschulden nicht erbracht zu werden vermag.
Das Verfahrensgericht in Strafsachen Basel-Landschaft wies mit Beschluss vom 9. September 2004 die Beschwerde von X.________ gegen den Einstellungsbeschluss ab.
C.
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den gleichlautenden Anträgen, den Beschluss des Verfahrensgerichts vom 9. September 2004 aufzuheben und an dieses zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Das Verfahrensgericht in Strafsachen Basel-Landschaft beantragt in seinen Gegenbemerkungen, die Beschwerde abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft beantragt in ihrer Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde, diese abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Y.________ reichte ihre Vernehmlassung verspätet ein.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der eingereichten Rechtsmittel von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 129 I 173 E. 1; 129 IV 216 E. 1).
I. Staatsrechtliche Beschwerde
2.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, kassatorischer Natur (BGE 124 I 327 E. 4a). Soweit die Beschwerdeführerin mehr beantragt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 129 I 173 E. 5.1).
3.
Die Beschwerdeführerin verweist für die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde auf Art. 88 OG.
3.1 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche Betroffenheit der Beschwerdeführerin in eigenen rechtlich geschützten Positionen voraus (Art. 88 OG; vgl. BGE 120 Ia 110 E. 1a). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist die durch eine angeblich strafbare Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Der Strafanspruch steht dem Staate zu. Die Geschädigte kann aber die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (BGE 128 I 218 E. 1.1). So kann sie beispielsweise geltend machen, sie sei nicht angehört worden oder habe keine Gelegenheit gehabt, Beweisanträge zu stellen, oder sie habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann sie weder die Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache rügen, dass ihre Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf eine solche hat die in der Sache selbst nicht Legitimierte keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb; 121 IV 317 E. 3b). Diese kann sich daher auch nicht über die Geltendmachung formeller Rechtsverletzungen die Beschwerdelegitimation in der Sache selbst verschaffen (BGE 120 Ia 101 E. 3b, 157 E. 2e).
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Verfahren sei aufgrund einer willkürlichen Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie einer ungenügenden Beweisführung eingestellt worden. Damit ficht sie den Entscheid in der Sache selbst an. Dazu ist sie nach dem Gesagten gestützt auf Art. 88 OG nicht legitimiert.
3.2 Das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Opferhilfegesetzes (OHG; SR 312.5) kann gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Diese Bestimmung geht Art. 88 OG als Spezialgesetz vor. Die Legitimation des Opfers ist insoweit auf materiellrechtliche Fragen erweitert (BGE 128 I 218 E. 1.1). In der Beschwerdeschrift muss dargelegt werden, dass die Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation des Opferhilfegesetzes erfüllt sind. Aus einer fehlenden Begründung erwächst indessen kein Nachteil, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen erfüllt sind (ausführlich BGE 129 IV 216 E. 1.2.2; 127 IV 185 E. 1a; 123 IV 254 E. 1). Insbesondere ist die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen den Einstellungsbeschluss bestätigenden Gerichtsentscheid grundsätzlich unabhängig davon möglich, ob das Opfer bis dahin im Strafverfahren Zivilforderungen geltend gemacht hat (BGE 120 Ia 101 E. 2b).
Die Beschwerdeführerin begründet nicht, dass diese Voraussetzungen erfüllt wären. Sie ist jedoch Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG, sie hat sich am kantonalen Verfahren beteiligt (vgl. zu dieser Voraussetzung BGE 120 Ia 101 E. 2d) und sie kann grundsätzlich gegen den Schädiger Zivilansprüche geltend machen. Das Strafverfahren kann sich somit auf deren Beurteilung auswirken. Auch kann davon ausgegangen werden, dass Zivilansprüche im bisherigen strafprozessualen Verfahrensstadium nicht vorgebracht werden konnten oder mussten.
3.3 Wie erwähnt, ist das Opfer zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde gestützt auf Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG nur legitimiert, soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Eine Beschwerdelegitimation ist daher unter anderem zu verneinen, wenn keine Zivilforderungen (zum Begriff vgl. BGE 127 IV 185 E. 1a S. 187 unten), sondern nur öffentlich-rechtliche Forderungen in Betracht kommen (BGE 128 IV 188; 127 IV 189), oder wenn auf eine adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren verzichtet wurde (zur Veröffentlichung bestimmter BGE 6S.116/2005 vom 11. Oktober 2005, E. 1.2.3). Es ist dem Opfer zwar frei gestellt, ob es im Strafverfahren adhäsionsweise Zivilansprüche geltend machen will. Verzichtet es aber darauf, so ist es im Strafpunkt zur Ergreifung von Rechtsmitteln im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG nicht legitimiert. Das Strafverfahren darf nicht lediglich als Vehikel zur Durchsetzung von Zivilansprüchen in einem Zivilprozess dienen (BGE 120 IV 44 E. 4b).
Die Beschwerdeführerin erklärt in der Begründung ihrer gleichzeitig eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde, der angefochtene Einstellungsbeschluss stelle für sie insofern einen Nachteil dar, als dieser die Beurteilung der Zivilansprüche negativ beeinflussen könne. Der zivilrechtliche Forderungsstreit sei seit längerer Zeit am Bezirksgericht Arlesheim anhängig und auf ihren Antrag hin vorerst sistiert worden (Nichtigkeitsbeschwerde S. 4). Demnach hat die Beschwerdeführerin die Zivilforderungen in einem inzwischen sistierten Zivilprozess eingeklagt und damit rechtshängig gemacht. Eine Rechtshängigkeit ist als Prozessvoraussetzung von Amtes wegen zu beachten und hat zur Folge, dass auf eine zweite identische Klage nicht einzutreten ist (vgl. BGE 127 III 279 E. 2b). Soweit die Beschwerdeführerin die bereits bei einem Zivilgericht litispendenten Forderungen ein zweites Mal adhäsionsweise im Strafverfahren einklagen wollte, könnte das Strafgericht somit auf diese nicht eintreten. Die Voraussetzungen zur Beschwerde gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG sind somit nicht erfüllt, und zwar nicht deshalb, weil bisher im Strafverfahren keine Zivilansprüche geltend gemacht wurden, sondern weil auf deren adhäsionsweiser Geltendmachung wegen zivilprozessualer Litispendenz nicht eingetreten werden könnte.
3.4 Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist nicht einzutreten.
II. Nichtigkeitsbeschwerde
4.
Die erwähnten Eintretensvoraussetzungen gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG gelten gemäss Art. 270 lit. e Ziff. 1 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (BStP; SR 312.0) in gleicher Weise für die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (ausführlich BGE 129 IV 216 E. 1; 127 IV 185 E. 1a). Diese Voraussetzungen sind nach dem Gesagten wegen zivilprozessualer Litispendenz nicht erfüllt. Entsprechend ist die Beschwerdelegitimation auch für die Nichtigkeitsbeschwerde zu verneinen, so dass auf diese ebenfalls nicht einzutreten ist.
III. Kosten
5.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten der bundesgerichtlichen Verfahren (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin werden keine Kosten auferlegt und keine Entschädigung zugesprochen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Oktober 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: