Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.210/2005 /bnm
Urteil vom 21. Oktober 2005
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichterin Nordmann, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.
Parteien
Erbengemeinschaften E.________, bestehend aus:
1. M.________,
2. N.________,
Beschwerdeführerinnen,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Dufner,
gegen
K.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Otmar Kurath,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12 A, 8500 Frauenfeld.
Gegenstand
Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV (Grunddienstbarkeit; Ablösung eines Wegrechts gegen Entschädigung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 28. Oktober 2004.
Sachverhalt:
A.
Die Erbengemeinschaften der Ehegatten E.________, bestehend aus M.________ und N.________ (fortan: Beschwerdeführerinnen) sind Eigentümerinnen der Parzelle Nr. 436. Die Parzelle Nr. 401 steht im Eigentum von K.________ (hiernach: Beschwerdegegnerin). Beide Grundstücke liegen im Dorfteil "D.________" der Gemeinde G.________ und verfügen über ein Fuss- und Fahrwegrecht, das im Grundbuch gegenseitig zu Gunsten und zu Lasten mehrerer, aneinander grenzender Parzellen eingetragen ist. Die Zufahrt erfolgt ab der S.________ Strasse über die Flurstrasse Parzelle Nr. 41. An deren Ende beginnt das Wegrecht. Es verläuft auf und entlang den Grenzen der Parzellen Nrn. 286 / 401, 437 / 401, 436 / 401 und 436 / 419. Über die Benützung des Wegrechts kam es unter den Parteien zum Streit. Die Beschwerdeführerinnen forderten von der Beschwerdegegnerin die Freihaltung des Wegrechts in seiner ganzen Breite von drei Metern.
B.
Mit Einreichung der Weisung vom 2. November 2001 erhob die Beschwerdegegnerin Klage und verlangte die Löschung des Wegrechts mangels Interesses der berechtigten Parzelle Nr. 436, eventuell die gerichtliche Ablösung des Wegrechts gegen angemessene Entschädigung. Widerklageweise beantragten die Beschwerdeführerinnen, das Fuss- und Fahrwegrecht sei mit näher beschriebenem Inhalt und Umfang gerichtlich festzustellen und der Beschwerdegegnerin unter Strafandrohung zu befehlen, die Wegfläche dauernd freizuhalten. Das Bezirksgericht B.________ berechtigte die Beschwerdegegnerin, die Dienstbarkeit im Grundbuch löschen zu lassen (Urteil vom 25. September 2003). Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess die Berufung der Beschwerdeführerinnen teilweise gut und berechtigte die Beschwerdegegnerin, das Wegrecht gegen Zahlung einer Entschädigung an die Beschwerdeführerinnen von Fr. 5'000.-- löschen zu lassen (Urteil vom 28. Oktober 2004).
C.
Die Beschwerdeführerinnen haben gegen das obergerichtliche Urteil eidgenössische Berufung eingereicht und staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen sie dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil aufzuheben. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Richten sich beide Bundesrechtsmittel gleichzeitig gegen das nämliche kantonale Urteil, wird die Entscheidung über die eidgenössische Berufung in der Regel bis zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Von dieser Regel abzuweichen, besteht hier kein Anlass, rügen die Beschwerdeführerinnen doch neben Verletzungen ihres verfassungsmässigen Beweisanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch willkürliche Tatsachenfeststellungen (Art. 9 BV), die - von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - im Berufungsverfahren verbindlich sein werden (vgl. Art. 63 f. OG). Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb vorweg zu erledigen. Auf Grund ihrer Subsidiarität gegenüber der Berufung (Art. 84 Abs. 2 OG) ist dabei freilich zu beachten, dass Verfassungsrügen, die sich in der Geltendmachung von Bundesrechtsverletzungen erschöpfen (Art. 43 OG), im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unzulässig sind (vgl. BGE 129 III 301 E. 1.1 S. 303). Nicht angerufen werden kann hier in diesem Sinne der verfassungsmässige Beweisanspruch, der sich - im vorliegenden Bereich - mit dem aus Art. 8 ZGB abgeleiteten Beweisanspruch deckt (BGE 108 Ia 293 E. 4c S. 294). Eine Missachtung des Beweisanspruchs ist nun aber nicht die einzige Ursache dafür, dass beantragte Beweise nicht abgenommen werden oder Tatsachenfeststellungen fehlen. Der Mangel kann sich auch aus einer unrichtigen rechtlichen Betrachtungsweise ergeben und ist dannzumal mit Berufung zu beanstanden, deren Begründetheit die Rückweisung an das kantonale Obergericht zwecks Ergänzung und Vervollständigung des Sachverhalts zur Folge hat (z.B. BGE 130 III 222 E. 2.3 S. 225 und 591 E. 4 S. 600). Auf die Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde gegenüber der Berufung wird bei der Behandlung der einzelnen Rügen zurückzukommen sein. Auf die im Weiteren formell zulässige staatsrechtliche Beschwerde kann eingetreten werden.
2.
Nach Art. 736 ZGB kann der Belastete die Löschung einer Dienstbarkeit verlangen, wenn diese für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren hat (Abs. 1). Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden (Abs. 2). Das Obergericht ist davon ausgegangen, das Wegrecht habe seine Zugangs- und Erschliessungsfunktion eingebüsst, seit das Grundstück der Beschwerdeführerinnen andernorts durch eine vier Meter breite Zufahrtsstrasse erschlossen sei. Es hat hingegen anerkannt, dass das Wegrecht neben diesem weggefallenen Hauptzweck auch die grundsätzliche Berechtigung enthalte, vom Wegrecht aus die daran grenzende, zur Parzelle der Beschwerdeführerinnen gehörige Böschung zu unterhalten. Dieses im Vergleich zum ursprünglichen Interesse marginale aktuelle Interesse vermöge auf Grund seiner unverhältnismässig geringen Bedeutung zwar nicht die Dienstbarkeit aufrecht zu erhalten, führe aber zu deren Ablösung gegen Entschädigung (E. 2b/bb/ddd S. 13 f.). Die Ablösungssumme hat das Obergericht alsdann auf Fr. 5'000.-- festgesetzt (E. 2c/bb S. 14 f. des angefochtenen Urteils).
3.
Das Obergericht hat dafürgehalten, der vereinbarte Nebenzweck beschränke sich auf ein objektiv notwendiges und übliches Mass an Unterhaltsarbeiten von ein- bis zweimal pro Jahr. Die von den Beschwerdeführerinnen behaupteten Arbeiten von bis zu fünf Mal pro Jahr sprengten den Rahmen der Zweckidentität (E. 2b/bb/ddd S. 14). Die Beschwerdeführerinnen bemängeln, dass das Obergericht keine Beweise zur Frage abgenommen habe, wie oft die steile, mit Bäumen und Sträuchern bewachsene Böschung von rund fünf Metern Höhe ausgeholzt, gestutzt, gemäht o.ä. worden sei und werden müsse. Daherige Tatsachenfeststellungen wären rechtserheblich gewesen. Sie seien von Bedeutung bei der Beantwortung der Rechtsfrage, inwiefern der Unterhalt der Böschung für sich allein ein vernünftiges und erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Dienstbarkeit darstelle, das die Anwendung von Art. 736 Abs. 2 ZGB ausschliesse. Ebenso spiele mit Blick auf Art. 738 Abs. 2 ZGB die Art der langjährigen Ausübung der Dienstbarkeit eine wesentliche Rolle.
Wie die Beschwerdeführerinnen selber einräumen, hat sich der Zweck des Wegrechts weder aus der Eintragung im Grundbuch noch durch Feststellung des wirklichen Willens der ursprünglichen Vertragsparteien ermitteln lassen. Er musste vielmehr anhand der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks und damit objektiviert bestimmt werden. Diese Frage kann das Bundesgericht auf Berufung hin überprüfen (vgl. BGE 130 III 554 E. 3.2 S. 558 f.). Nur wenn sich diese Rechtsfrage nicht schlüssig beantworten lässt, ist gemäss der in Art. 738 ZGB vorgesehenen Stufenfolge auf die Art abzustellen, wie das Wegrecht während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (vgl. BGE 130 III 554 E. 3.1 S. 556 f.).
Die fehlenden Tatsachenfeststellungen betreffend Böschungsunterhalt haben ihren Grund somit nicht in einer Missachtung des Beweisanspruchs, geschweige denn "offenkundig in vorweggenommener Beweiswürdigung", die im angefochtenen Urteil nirgends zum Ausdruck gekommen sein soll (S. 7 der Beschwerdeschrift). Es geht vielmehr um Rechtsanwendung, die mit Berufung beanstandet werden muss und im Übrigen auch beanstandet wird (vgl. E. 4 des Berufungsurteils). Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann insoweit nicht eingetreten werden.
4.
Für den Fall, dass die Böschung nicht mehr von dem an ihrem Fuss gelegenen Wegrecht aus unterhalten werden kann, haben die Beschwerdeführerinnen einen Mehraufwand für Unterhaltsarbeiten - "von oben" - von ihrem Grundstück aus behauptet und dafür eine Expertise offeriert. Das Obergericht hat die Einholung einer Expertise nicht angeordnet und den geltend gemachten Betrag als weit überrissen betrachtet. Die Beschwerdeführerinnen erblicken darin eine formelle und materielle Rechtsverweigerung.
4.1 Das kantonale Prozessrecht verlangt, dass die Parteien dem Gericht den Prozessstoff nicht auf eine bloss summarische Art und Weise unterbreiten, sondern ihre Behauptungen und Bestreitungen substantiiert vorbringen, d.h. die wesentlichen Tatsachen so umfassend und klar benennen, dass darüber Beweis abgenommen werden kann. Über einen nicht substantiiert vorgetragenen Sachverhalt findet kein Beweisverfahren statt, setzt doch dessen Durchführung entsprechende Behauptungen der beweisbelasteten Partei voraus. Wo - wie hier - die Verhandlungsmaxime gilt, ist der nicht substantiiert vorgebrachte dem nicht bewiesenen Sachverhalt gleichzusetzen (vgl. dazu Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, N. 3a zu § 95, N. 9a zu § 144 und N. 3b zu § 180 ZPO/TG). Dass die beweisbelastete Partei die Tatsachen nennt, die durch die beantragte Beweismassnahme bewiesen werden sollen, darf das kantonale Recht gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangen, ohne damit den Beweisanspruch zu verletzen (für Art. 29 Abs. 2 BV: Urteil 5P.6/2004 vom 12. März 2004, E. 2.3; für Art. 8 ZGB: Urteil 4C.14/2005 vom 25. April 2005, E. 3.2). Der verfassungsmässige wie der zivilrechtliche Beweisführungsanspruch bedingen Beweisanträge, die nach Form und Inhalt den Vorschriften des kantonalen Rechts entsprechen (BGE 117 Ia 262 E. 4b S. 268 f. und 114 II 289 E. 2a S. 290).
4.2 Im Einzelnen hat das Obergericht den von den Beschwerdeführerinnen behaupteten und zum Beweis durch Expertise verstellten Mehraufwand als weit überrissen bezeichnet, weil zum einen nicht ersichtlich sei, weshalb nur wegen der Art des Zugangs Maschinen (angegeben mit 20 Maschinenstunden à Fr. 50.--) erforderlich sein sollten. Der Mehraufwand an Mannstunden für den eigentlichen Unterhalt (angegeben mit 20 Stunden à Fr. 70.--) und für die Entsorgung (angegeben mit 10 Stunden à Fr. 60.--) sei ebenfalls nicht nachvollziehbar und dürfte sich wohl nur auf wenige Stunden belaufen. Weshalb der Mehraufwand pro Jahr derart hoch sein solle, nur weil das Schnittgut nach oben und nicht nach unten geschafft werden müsse, sei nicht ersichtlich (E. 2c/bb S. 15 des angefochtenen Urteils). Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerinnen bleibt nicht unklar, worauf sich die obergerichtlichen Erwägungen stützen. Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, das erstinstanzliche Beweisverfahren und der Augenschein durch das Bezirksgericht hätten gezeigt, dass die Bewirtschaftung der fraglichen Böschung ebenso gut von oben wie von unten erfolgen könne, wobei der Abtransport des Schnittguts nach unten allenfalls angenehmer sein möge (E. 2b/aa S. 10 des angefochtenen Urteils). Die Beschwerdeführerinnen zitieren in diesem Zusammenhang selber den Zeugen Z.________, der die Böschung früher unterhalten und ausgesagt habe, der Unterhalt von "oben" ginge, wenn er auch mühsam sei (S. 7 der Beschwerdeschrift). Ihre Vorbringen lassen die obergerichtliche Annahme, der behauptete Mehraufwand sei durch die Beweisantretungsschrift nicht ausreichend substantiiert, deshalb nicht als willkürlich erscheinen (Art. 9 BV; BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9 und 173 E. 3.1 S. 178). Bei diesem Ergebnis aber kann auch ihr Beweisanspruch nicht verletzt sein (E. 4.1 soeben).
4.3 Aus den dargelegten Gründen bleibt die staatsrechtliche Beschwerde erfolglos, soweit sie sich gegen das Beweisverfahren betreffend Mehraufwand richtet. Ob das Obergericht bei dieser Sachlage die Entschädigung "ex aequo et bono" auf Fr. 5'000.-- festsetzen durfte, betrifft die Berechnungsmethode, deren Zulässigkeit im Verfahren der Berufung überprüft werden kann (vgl. E. 6 des Berufungsurteils). Die darauf bezogenen Rügen erweisen sich insoweit als unzulässig.
5.
Insgesamt muss die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerdeführerinnen werden damit kostenpflichtig ( Art. 156 Abs. 1 und 7 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird den Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. Oktober 2005
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: