BGer 2A.422/2005 |
BGer 2A.422/2005 vom 09.11.2005 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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2A.422/2005 /bie
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Urteil vom 9. November 2005
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II. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
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Gerichtsschreiber Matter.
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Parteien
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X.________, Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Werner Bodenmann,
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gegen
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Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld,
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Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570 Weinfelden.
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Gegenstand
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Ausweisung,
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Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
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20. April 2005.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________, geboren 1969, Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, wurde im Jahr 1992 vorläufig in der Schweiz aufgenommen. Im Dezember 1998 heiratete er eine Landsfrau, die hier über die Niederlassungsbewilligung verfügt. Daraufhin wurde ihm die Aufenthaltsbewilligung erteilt. Die gemeinsamen Kinder A.________ (geboren im Oktober 2000) und B.________ (geboren im Februar 2005) sind in die Niederlassungsbewilligung der Mutter miteinbezogen.
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Mit Urteil vom 20. August 2003 verurteilte das Kantonsgericht St. Gallen X.________ wegen schwerer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten sowie zu einer bedingten Landesverweisung von 6 Jahren. Infolge dieses Strafverfahrens wurde X.________ die Aufenthaltsbewilligung am 3. Mai 2001 nicht mehr verlängert. Am 13. April 2004 ordnete das Ausländeramt des Kantons Thurgau seine unbefristete Ausweisung aus der Schweiz an. Dagegen gelangte X.________ erfolglos an das Departement für Justiz und Sicherheit und sodann an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau.
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B.
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Am 1. Juli 2005 hat X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Begehren, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 20. April 2005 (sowie den Rekursentscheid des Departements und die Ausweisungsverfügung des Ausländeramtes) aufzuheben. Das Ausländeramt sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.
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Das Departement für Justiz und Sicherheit sowie das Verwaltungsgericht schliessen, wie auch das Bundesamt für Migration, auf Abweisung der Beschwerde.
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C.
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Mit Verfügung vom 22. August 2005 hat der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Gegen die sich auf Art. 10 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) stützende Ausweisungsverfügung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 4 e contrario; BGE 114 Ib E. 1a S. 2). Der Beschwerdeführer ist hierzu legitimiert (Art. 103 lit. a OG). Auf die form- und fristgerechte Beschwerde ist einzutreten.
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1.2 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gemäss Art. 98 lit. g OG gegen Verfügungen letzter kantonaler Instanzen. Angefochten werden kann im vorliegenden Verfahren daher einzig der Entscheid des Verwaltungsgerichts (sog. Devolutiveffekt; vgl. BGE 125 II 29 E. 1c S. 33; 117 Ib 414 E. 1d S. 417; 104 Ib 412 E. 1c S. 416, mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer auch die Aufhebung der Entscheide unterer kantonaler Instanzen verlangt, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
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1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens, gerügt werden (Art. 104 lit. a OG). Da eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden hat, ist das Bundesgericht vorliegend an die Sachverhaltsfeststellung gebunden, es sei denn, diese sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen erfolgt (Art. 105 Abs. 2 OG). Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wendet das Bundesgericht das massgebende Bundesrecht von Amtes wegen an, ohne an die Begründung der Parteibegehren gebunden zu sein (Art. 114 Abs. 1 zweiter Halbsatz OG); es kann die Beschwerde auch aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen (BGE 129 II 183 E. 3.4 S. 188; 117 Ib 114 E. 4a S. 117; je mit Hinweis).
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2.
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2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann ein Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft worden ist. Die Ausweisung soll aber nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen verhältnismässig erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Dabei ist namentlich auf die Schwere des Verschuldens des Beschwerdeführers, auf die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie auf die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile abzustellen (Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAV; SR 142.201]).
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Die Frage, ob eine Ausweisung im Sinne der Art. 11 Abs. 3 ANAG und Art. 16 Abs. 3 ANAV "angemessen", d.h. verhältnismässig sei, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde frei überprüft wird (Art. 104 lit. a OG). Dem Bundesgericht ist es jedoch verwehrt, sein eigenes Ermessen - im Sinne einer Überprüfung der Zweckmässigkeit (Opportunität; vgl. 116 Ib 353 E. 2b) der Ausweisung - an die Stelle desjenigen der zuständigen kantonalen Behörde zu setzen (BGE 125 II 105 E. 2a S. 107 mit Hinweisen).
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2.2 Bei einem mit einer Schweizerin verheirateten Ausländer, der gestützt auf Art. 7 ANAG erstmals um eine Bewilligung ersucht oder nach bloss kurzer Aufenthaltsdauer die Bewilligung erneuern lassen will, geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Grenze, von der an in der Regel auch dann keine Bewilligung mehr erteilt wird, wenn der Ehefrau die Ausreise aus der Schweiz unzumutbar oder nur schwer zumutbar ist, bei zwei Jahren Freiheitsstrafe liegt (vgl. BGE 120 Ib 6 E. 4b S. 14, unter Hinweis auf das Urteil i.S. Reneja, BGE 110 Ib 201). Das bedeutet jedoch nicht, dass bei weniger langen Freiheitsstrafen die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen wäre. Vielmehr kommt es dabei auf die sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen an.
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2.3 Der Beschwerdeführer wurde zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten sowie zu einer - ebenfalls bedingt ausgesprochenen - Landesverweisung von sechs Jahren verurteilt. Damit ist der Ausweisungsgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG unbestrittenermassen erfüllt (vgl. BGE 125 II 521 E. 3 S. 524 ff.). Der Beschwerdeführer macht aber geltend, die Ausweisung sei unverhältnismässig. Zu prüfen ist insbesondere, ob die in Art. 16 Abs. 3 ANAV genannten Gesichtspunkte von der Vorinstanz bei ihrem Entscheid berücksichtigt und richtig angewandt worden sind.
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2.3.1 Ausgangspunkt und Massstab für die Schwere des Verschuldens und die fremdenpolizeiliche Interessenabwägung sind die vom Strafrichter verhängten Strafen (vgl. BGE 129 II 215 E. 3.1 S. 216, 120 Ib 6 E. 4b S. 14, je mit Hinweisen). Als unverhältnismässig kann die Ausweisung hier nicht schon deshalb eingestuft werden, weil sie sich auf eine Verurteilung unter zwei Jahren Gefängnis bezieht (vgl. E. 2.2 hiervor). Die Zweijahresregel ist vorliegend nicht anwendbar, weil der Beschwerdeführer nicht mit einer Schweizerin verheiratet ist, sondern mit einer Landsfrau, die hier über die Niederlassungsbewilligung verfügt.
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Der Beschwerdeführer wurde wegen eines Betäubungsmitteldeliktes (Transport von 5 Kilogramm Heroin aus dem Kosovo in die Schweiz) verurteilt. Das Bundesgericht verfolgt (wie übrigens auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) im Zusammenhang mit solchen Straftaten im Hinblick auf den Kampf gegen den Drogenhandel eine strenge Praxis (vgl. BGE 125 II 521 E. 4a S. 527 mit Hinweisen). Dazu kommt, dass die transportierte Heroinmenge ein Vielfaches über der Menge liegt, die strafrechtlich zur Annahme eines schweren Falles führt (vgl. BGE 109 IV 143 E. 3 S. 143 ff., u.a. bestätigt in BGE 119 IV 180, 120 IV 334). Mit seiner Delinquenz hat der Beschwerdeführer die Gesundheit einer grossen Anzahl von Menschen gefährdet. Sein Verhalten war umso verwerflicher, als seinem Tätigwerden pekuniäre Interessen zugrunde lagen, war er doch nicht selber drogenabhängig. Er verfügte über ein regelmässiges Einkommen und lebte in stabilen persönlichen Verhältnissen. Seine gesicherte materielle Existenz vermochte ihn nicht davon abzuhalten, erheblich zu delinquieren. Insoweit besteht an der Fernhaltung des Beschwerdeführers ein öffentliches Interesse.
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Nicht von massgebender Bedeutung ist, dass die strafrechtliche Landesverweisung nur bedingt ausgesprochen wurde, denn diese Entscheidung unterliegt anderen Massstäben und Kriterien als der Ausweisungsentscheid. Es bleibt den Fremdenpolizeibehörden unbenommen, in diesem Fall strenger zu urteilen als der Strafrichter und ihre eigene Interessenabwägung vorzunehmen. Dem Resozialisierungsgedanken des Strafrechts ist aber im Rahmen der umfassenden fremdenpolizeilichen Interessenabwägung ebenfalls Rechnung zu tragen (vgl. BGE 129 II 215 E. 3.2 S. 216 f.; 125 II 105 E. 2c S. 109 f.; 124 II 289 E. 3a S. 291; 122 II 433 E. 2b S. 435 f.; 120 Ib 129 E. 5b S. 132; 114 Ib 1 E. 3a S. 4; je mit Hinweisen).
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2.3.2 Die Rechtsprechung ist zwar - wie hervorgehoben - gegenüber dem Drogenhandel besonders streng. Selbst bei solchen Delikten ist indessen in jedem Ausweisungsfall die Verhältnismässigkeitsprüfung gestützt auf die gesamten wesentlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Somit kann es nicht genügen, (vorwiegend) generalpräventive Gesichtspunkte für die Ausweisung anzuführen. Bei der Prüfung dieser Einzelumstände ist, neben den begangenen Straftaten, auch das allgemeine Verhalten des Ausländers zu berücksichtigen, sei es im Privat- oder im Berufsleben und im Alltag, sowie die Dauer seines Aufenthaltes und das Ausmass seiner Integration in der Schweiz (vgl. BGE 125 II 521 E. 2b S. 524).
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In diesem Zusammenhang sprechen hier mehrere Punkte gewichtig für den Beschwerdeführer: Er war bis zur genannten Verurteilung vorstrafenfrei und seit 1997 einer geordneten Arbeit nachgegangen. In Bezug auf die Tat selber ist Folgendes hervorzuheben: Als (nur beschränkt eingeweihter) Kurier spielte der Beschwerdeführer in der Hierarchie der Organisation, die hinter dem Drogentransport stand, eine eher bescheidene Rolle, zu der er sich erst nach anfänglichem Widerstand bereit erklärte (wie sich aus dem polizeilichen Schlussbericht und der Anklageschrift ergibt), um mit seinem Entgelt in erster Linie eine Geldschuld von Fr. 5'000.-- gegenüber einem (als Mitorganisator des Transports tätigen) Verwandten zu tilgen. Inwiefern er (nur) auf Druck hin gehandelt hat, muss nicht hier näher geprüft werden: Massstab für die Schwere des Verschuldens ist die vom Strafrichter verhängte Strafe; ist das Strafurteil rechtskräftig, bleibt regelmässig kein Raum, im ausländerrechtlichen Verfahren die Beurteilung des Strafrichters in Bezug auf die Strafzumessung zu relativieren (vgl. dazu u.a. das Urteil 2A.283/2005 vom 17.8.2005 i.S. K. E. 3.2 sowie die Hinweise in E. 2.3.1 hiervor); das muss auch dann gelten, wenn dieses Strafmass, wie hier, eher niedrig erscheint. Im Weiteren hat der Beschwerdeführer sich geständig gezeigt und die Schwere seiner Tat eingesehen. Diese liegt nun schon mehr als fünf Jahre zurück. Seither ist er zweifacher Vater geworden und (abgesehen von zwei Strassenverkehrsbussen) nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Wesentlich fällt auch ins Gewicht, dass er sich seit mehr als 12 Jahren in der Schweiz aufhält und sozial wie beruflich bestens integriert zu sein scheint; so hat ihm namentlich sein Arbeitgeber ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt.
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2.3.3 Gesamthaft ist somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer vor mehreren Jahren ein einziges, an sich schwerwiegendes und somit keinesfalls zu bagatellisierendes Drogendelikt begangen hat. Namentlich im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer, die Familienverhältnisse, den Gesinnungswandel und das überwiegende Wohlverhalten des Beschwerdeführers seither erweist sich seine Ausweisung trotz der Schwere seines Delikts und der grundsätzlichen Strenge im Betäubungsmittelbereich demzufolge als unangemessen bzw. unverhältnismässig. Unter der Voraussetzung eines weiteren Wohlverhaltens kann es genügen, die Ausweisung bloss anzudrohen (vgl. Art. 16 Abs. 3 ANAV).
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3.
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Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde somit gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG). Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Thurgau den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 20. April 2005 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 9. November 2005
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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