Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.347/2005 /sza
Urteil vom 21. November 2005
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dominik Infanger,
gegen
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, z.H. Mario Marenna, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,
Präsident des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg, Präsident, Bezirksgebäude, 9620 Lichtensteig.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Präsidenten des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg vom 17. August 2005.
Sachverhalt:
A.
Aufgrund der rechtskräftigen Verfügung vom 2. Februar 2005 leitete die Ausgleichskasse SVA St. Gallen (Gläubigerin) gegen X.________ (Schuldner) die Betreibung für den Betrag von Fr. 1'072.25 (persönliche Beiträge betreffend die Monate Januar bis und mit März 2005: Fr. 1'026.60, Verwaltungskosten: Fr. 25.65; Mahngebühren: Fr. 20.--) ein. Nach erfolgtem Rechtsvorschlag des Schuldners ersuchte die Gläubigerin am 3. August 2005 den Präsidenten des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg um Erteilung der definitiven Rechtsöffnung für den in Betreibung gesetzten Betrag.
B.
Die Parteien wurden in der Folge mit Verfügung vom 8. August 2005 zur Verhandlung vom 29. August 2005, 08.30 Uhr, vorgeladen. Mit Schreiben vom 12. August 2005 informierte die Gläubigerin den Präsidenten des Kreisgerichts dahingehend, am gleichen Tag habe an die Betreibung des Schuldners eine Gutschrift von Fr. 1'153.95 verbucht werden können, womit sich diese Betreibung erledige. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass dieses Schreiben dem Beschwerdeführer zugestellt wurde oder er sonst wie Kenntnis davon erhielt und ihm Gelegenheit geboten wurde, dazu Stellung zu nehmen. Die behauptete Zahlung ist bestritten. Aufgrund der Mitteilung schrieb der Präsident am 17. August 2005 das Rechtsöffnungsverfahren als gegenstandslos ab. Die Gerichtsgebühr von Fr. 70.-- wurde vom Kostenvorschuss der Gläubigerin bezogen, dieser aber das Rückgriffsrechts für den ganzen Betrag auf den Schuldner eingeräumt, welcher überdies dazu verpflichtet wurde, die Gläubigerin für das Verfahren mit Fr. 80.-- zu entschädigen.
C.
Der Schuldner führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und Art. 9 BV . Er beantragt, den Entscheid des Präsidenten des Kreisgerichts aufzuheben.
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Präsident des Kreisgerichts hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Angefochten ist ein Abschreibungsbeschluss in einem Verfahren um Erteilung der definitiven Rechtsöffnung, wogegen auf kantonaler Ebene kein Rechtsmittel gegeben ist. Er erweist sich daher als letztinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG.
1.2 Im angefochtenen Entscheid ist der Beschwerdeführer zur Zahlung der Gerichtskosten und zur Leistung einer Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin angehalten worden. Überdies rügt er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren. Er ist somit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG).
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, aufgrund von Art. 204 ZPO/SG habe der Richter dem Schuldner im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens spätestens an der Verhandlung Gelegenheit zu bieten, sich zum Begehren zu äussern, Beweisanträge zu stellen und Urkunden einzulegen. Mit Schreiben vom 8. August 2005 sei die Hauptverhandlung auf den 29. August 2005 anberaumt worden, worauf die Beschwerdegegnerin dem Präsidenten die Verbuchung einer Gutschrift an die ihn (den Beschwerdeführer) betreffende Betreibung habe zukommen lassen. Der Präsident habe ihm (dem Beschwerdeführer) keine Gelegenheit geboten, zur angeblichen Zahlung Stellung zu nehmen, sondern allein gestützt auf die Anzeige der Beschwerdegegnerin seinen Entscheid erlassen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletzt. Der Präsident hat sich zu den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht vernehmen lassen. Die Beschwerdegegnerin erachtet den Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs als unbegründet. Die Beschwerde erweist sich als begründet:
2.1 Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 106 Ia 161 E. 2b; 127 I 54 E. 2b).
2.2 Die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Gerichts darf die Parteien nicht überraschen. Bevor das Gericht den Rechtsstreit als gegenstandslos geworden beendet, muss es daher den Parteien bzw. der Gegenpartei der die Abschreibung zufolge Gegenstandslosigkeit begehrenden Partei Gelegenheit einräumen, zur beabsichtigten Abschreibung des Rechtsstreits in der Hauptsache und hinsichtlich der Kostenentscheidung Stellung zu nehmen. Dieser Anspruch der Parteien ergibt sich zwar grundsätzlich aus den einschlägigen kantonalen Prozessnormen, gründet aber auch in Art. 29 Abs. 2 BV (Addor, Die Gegenstandslosigkeit des Rechtsstreits Bern 1997, S. 203-205, der diese Äusserung allerdings auf Art. 4 aBV bezogen hat).
2.3 Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass das Schreiben, in dem die Beschwerdegegnerin die Zahlung des in Betreibung gesetzten Betrages behauptet, dem Beschwerdeführer zugestellt worden ist oder er sonst wie Kenntnis davon erhalten hat. Die Zustellung wird weder vom Präsidenten noch von der Beschwerdegegnerin behauptet und ergibt sich auch nicht aus den Akten. Die behauptete Zahlung ist bestritten. Der Präsident hat das Rechtsöffnungsverfahren vielmehr nach Eingang des Schreibens der Beschwerdegegnerin über die behauptete Zahlung als gegenstandslos geworden abgeschrieben, ferner den Beschwerdeführer dazu verpflichtet, die Beschwerdegegnerin für die Umtriebe des Rechtsöffnungsverfahrens mit Fr. 80.-- zu entschädigen und ihr überdies ein Rückgriffsrecht auf den Beschwerdeführer im Betrag der vorgeschossenen Gerichtskosten eingeräumt. Damit hat der Beschwerdeführer letztlich für die gesamten Gerichts- und Parteikosten des Verfahrens aufzukommen. Trotz des für den Beschwerdeführer ungünstigen Entscheids hat er diesem entgegen den beschriebenen Grundsätzen keine Gelegenheit geboten, sich vorgängig zur beabsichtigten Abschreibung des Verfahrens und hinsichtlich der Kostenentscheidung zu äussern und allfällige Beweisanträge zu stellen.
3.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid ohne Prüfung der Willkürrüge aufzuheben.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen, die im vorliegenden Verfahren auf Abweisung der Beschwerde geschlossen hat (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat den Beschwerdeführer überdies für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Präsidenten des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg vom 17. August 2005 wird aufgehoben.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 300.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Präsidenten des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. November 2005
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: