BGer C 252/2005
 
BGer C 252/2005 vom 02.12.2005
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 252/05
Urteil vom 2. Dezember 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger
und Kernen; Gerichtsschreiber Traub
Parteien
B.________, 1959, Beschwerdeführerin, vertreten durch W.________,
gegen
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn, Untere Sternengasse 2, 4500 Solothurn, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
(Entscheid vom 20. Juli 2005)
Sachverhalt:
A.
Die 1959 geborene B.________ war seit November 2002 als angestellte Geschäftsführerin eines Restaurants in X.________ tätig, welches sie bis zu diesem Zeitpunkt als Selbständigerwerbende betrieben hatte. Die Gaststätte wurde Ende Mai 2004 geschlossen und der Arbeitsvertrag dementsprechend aufgelöst. Am 5. August 2004 meldete sich die Versicherte zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn verneinte die Anspruchsberechtigung mit der Begründung, die Versicherte sei im Verlauf der vorausgegangenen zwei Jahre nicht während mindestens zwölf Monaten in einem beitragspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden. Dieses Erfordernis sei nur erfüllt, wenn der Arbeitgeber der versicherten Person tatsächlich einen Lohn entrichtet habe. Bei Personen, die vor Eintritt der Arbeitslosigkeit eine arbeitgeberähnliche Stellung innegehabt hätten, müsse mit besonderer Vorsicht geprüft werden, ob ein bescheinigter Lohn tatsächlich bezogen worden sei. Die versicherte Person müsse den Lohnbezug anhand von Bank- oder Postbelegen nachweisen können. Lohnabrechnungen oder Abrechnungen über Sozialversicherungsbeiträge stellten kein ausreichendes Beweismittel dar. Da das Gehalt in bar ausbezahlt worden sei, werde der Nachweis der effektiven Lohnzahlung nicht erbracht (Verfügung vom 5. Oktober 2004, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 11. Januar 2005).
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 20. Juli 2005 ab.
C.
B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei die Sache, unter Aufhebung von kantonalem und Einspracheentscheid, zur Neubeurteilung an die Verwaltung zurückzuweisen.
Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die versicherte Person hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 7 Abs. 2 lit. a AVIG), wenn sie unter anderem die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG; Art. 13 und 14 AVIG). Die Beitragszeit erfüllt hat, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist (Art. 9 Abs. 3 AVIG) während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG).
1.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in einem kürzlich ergangenen Entscheid (zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil A. vom 12. September 2005, C 247/04, Erw. 3) in Präzisierung der bisherigen Rechtsprechung (ARV 2001 Nr. 27 S. 225 und seitherige Urteile) festgehalten, diese sei nicht in dem Sinne zu verstehen, dass eine beitragspflichtige Beschäftigung überhaupt nur dann zur Bildung von Beitragszeiten führe, wenn und soweit der Nachweis tatsächlicher Lohnzahlung erbracht ist. Unter dem Gesichtspunkt der erfüllten Beitragszeit nach Art. 8 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 AVIG ist die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung während der geforderten Dauer von mindestens zwölf Beitragsmonaten grundsätzlich einzige Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (vgl. BGE 113 V 352). Diese Tätigkeit muss - zur Verhinderung von Missbräuchen - hinreichend überprüfbar sein (ARV 2001 Nr. 12 S. 143, 1996/97 Nr. 17 S. 79, 1988 Nr. 1 S. 16; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Basel 1998, Rz. 161). Dem Nachweis tatsächlicher Lohnzahlung kommt nicht der Sinn einer selbständigen Anspruchsvoraussetzung zu, wohl aber jener eines bedeutsamen und in kritischen Fällen unter Umständen ausschlaggebenden Indizes für die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung.
2.
Das kantonale Gericht pflichtete der Einschätzung der Verwaltung bei, das Erfordernis der erfüllten (Mindest-) Beitragszeit nach Art. 8 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 AVIG sei nicht erfüllt, weil der tatsächliche Lohnbezug nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dargetan sei. Dieser Vorgabe folgend haben die Vorinstanzen keine (weiteren) Abklärungen getroffen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich von November 2002 bis Mai 2004 eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatte. Beweisgegenstand bildet indes nach dem Gesagten nicht (allein) die Frage des effektiven Lohnflusses, sondern in erster Linie diejenige nach der faktischen Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung. Die Verwaltung wird nach entsprechenden Abklärungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu zu verfügen haben.
3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 20. Juli 2005 und der Einspracheentscheid der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn vom 11. Januar 2005 aufgehoben werden und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückgewiesen wird, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Arbeitslosenentschädigung ab dem 5. August 2004 neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat über die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 2. Dezember 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: