Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.680/2005 /ggs
Urteil vom 7. Dezember 2005
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Scherrer.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, Amthaus 1, Postfach 157, 4502 Solothurn.
Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 12. September 2005.
Sachverhalt:
A.
X.________ verbüsst derzeit in der Strafanstalt Oberschöngrün Freiheitsstrafen. Am 27. Juni 2005 disziplinierte ihn die Anstaltsleitung wegen "Verweigerung einer Urinprobe", indem sie ihm den Urlaub um 24 Stunden kürzte. Dagegen gelangte X.________ an das Departement des Innern des Kantons Solothurn. Dieses teilte ihm mit Verfügung vom 11. Juli 2005 mit, die Beschwerde sei aussichtslos, weshalb er einen reduzierten Kostenvorschuss von Fr. 200.-- zu bezahlen habe. Andernfalls werde nicht auf das Rechtsmittel eingetreten. Der Beschwerdeführer ergänzte seine Eingabe mit Schreiben vom 20. Juli 2005, ersuchte um Aufschub zur Leistung des Kostenvorschusses und beantragte die unentgeltliche Rechtspflege. Das Departement des Innern verfügte hierauf am 29. Juli 2005, das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werde abgewiesen. Die Frist zur Leistung des Kostenvorschusses wurde bis zum 10. August 2005 erstreckt.
B.
Diese Verfügung focht der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn an. Er machte geltend, er habe die Urinprobe nicht verweigert, sondern sei nicht imstande gewesen, die geforderte Menge Urin abzuliefern. Die Menge sei im Übrigen nirgends vorgeschrieben. Für die Sanktionierung fehle jede Rechtsgrundlage. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 12. September 2005 ab. Kosten wurden keine erhoben.
C.
Mit Eingabe vom 10. Oktober 2005 erhebt X.________ Beschwerde gegen das Verwaltungsgerichtsurteil. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Eingabe als Beschwerde, da er sich nicht sicher sei, welches Rechtsmittel er gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege ergreifen müsse. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob und inwieweit auf ein Rechtsmittel einzutreten ist.
1.2 Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts, mit dem das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abgewiesen wurde, ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid, der das Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht abschliesst. Gegen diesen Entscheid ist nach Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131, 281 E. 1.1 S. 283 f., je mit Hinweisen). Dies trifft auch auf das hier in Frage stehende Urteil zu. Die Eingabe ist als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen, mit welcher die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden kann. Der Beschwerdeführer, dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wurde, ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG). Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist darauf einzutreten.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss die Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, mithin des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege. Dieser Anspruch wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV. Die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, untersucht es in rechtlicher Hinsicht frei; soweit es um tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133).
2.2 Gemäss § 106 Abs. 1 der kantonalen Zivilprozessordnung vom 11. September 1966 (ZPO/SO; BGS 221.1) kann die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege verlangen, wer durch ein von Gemeindeammann und Gemeindeschreiber seines Wohnortes ausgestelltes Zeugnis oder durch ein Zeugnis der ausserhalb des Kantons hierfür zuständigen Behörde nachweist, dass er vermögenslos ist und sein Einkommen nicht hinreicht, neben dem notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine Familie die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Dem Begehren ist zu entsprechen, wenn der Prozess nicht als aussichtslos oder mutwillig erscheint (§ 106 Abs. 2 ZPO/SO) Diese Bestimmung findet sowohl im Strafverfahren (§ 14 Abs. 2 der Strafprozessordnung vom 7. Juni 1970, StPO/SO; BGS 321.1) als auch im Verwaltungs(gerichts)verfahren (§ 58 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 15. November 1970, VRG/SO; BGS 124.11) Anwendung. Das kantonale Prozessrecht entspricht insoweit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 29 Abs. 3 BV.
2.3 Neben der Bedürftigkeit der betroffenen Partei - welche vorliegend nicht bestritten ist - ist somit kumulativ vorausgesetzt, dass die Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen. Aussichtslos in diesem Sinn sind nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts Begehren, für welche die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236 mit Hinweis). Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136; 125 II 265 E. 4b S. 275; 124 I 304 E. 2c S. 306, mit Hinweisen). Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236; 124 I 304 E. 2c S. 307).
2.4 Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Entscheid sinngemäss aus, der Beschwerdeführer habe seit seinem Aufenthalt in der Strafanstalt bereits vor dem inkriminierten Vorfall viermal Urinproben abgeben müssen, wovon ein Test positiv auf Cannabis und Kokain gewesen sei. Eine weitere sei positiv auf Cannabis getestet worden. Der Beschwerdeführer habe demnach genau gewusst, wie und wie viel Urin abzuliefern sei. Er sei denn auch am 23. Juni 2005 in Übereinstimmung mit den Merkblättern zur Hausordnung rechtzeitig zur Urinprobe aufgeboten worden. Deshalb hätte er nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in der Lage sein müssen, zur festgelegten Zeit die (bescheidene) Menge Urin abzuliefern. Sein Verhalten sei unverständlich und seine Argumentation, wonach sein Handeln keinen Disziplinierungstatbestand darstelle, unhaltbar. Er habe gleichzeitig gegen eine Anordnung des Personals im Sinne von § 33 des kantonalen Gesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen und sichernden Massnahmen vom 3. März 1991 (Strafvollzugsgesetz; BGS 331.11) und gegen § 29 der Hausordnung für die Strafanstalt Oberschöngrün vom 6. November 1991 (BGS 331.16) verstossen. Zudem verkenne der Beschwerdeführer, dass nicht jedes disziplinarisch relevante Verhalten in den Strafvollzugserlassen detailliert umschrieben werden könne, sondern vielmehr allgemeine Umschreibungen unumgänglich seien. Der Beschwerdeführer hätte umso mehr Anlass gehabt, die Urinprobe gemäss Vorgaben abzugeben, nachdem er am Methadonprogramm teilnehme und bereits zweimal wegen einer positiv auf Drogen getesteten Urinprobe diszipliniert worden sei. Das Departement habe die Beschwerde deshalb zu Recht als aussichtslos erachtet.
2.5 Dieser Argumentation ist zuzustimmen. § 33 des kantonalen Strafvollzugsgesetzes sieht vor, dass Verstösse gegen die Hausordnung oder gegen Anordnungen des Personals vom Direktor oder Verwalter disziplinarisch bestraft werden können. Im gleichen Sinne bestimmt § 29 der Hausordnung, dass der Direktor oder dessen Stellvertreter einen Insassen, welcher gegen Pflichten verstösst, die ihm aufgrund der Hausordnung, eines Merkblattes oder einer Anordnung des Personals auferlegt sind, disziplinarisch bestrafen kann. Was der Beschwerdeführer zu seiner Rechtfertigung vorbringt, vermag nicht zu überzeugen. Wie dem Entscheid des Departementes vom 29. Juli 2005 zu entnehmen ist, war bereits im Aufgebot zur Urinprobe der Hinweis gemacht worden, dass ein Nichterscheinen oder Nichtbefolgen der Weisung zu einem Disziplinarverfahren führe. Weiter zeigt das Departement in der Verfügung vom 11. Juli 2005 nochmals auf, wie eine Urinprobe abläuft: Die Insassen werden zur Mittagszeit schriftlich aufgefordert, um 20 Uhr zur Urinprobe auf der Krankenabteilung zu erscheinen. Jeder Insasse gibt die Probe individuell in Anwesenheit zweier Betreuer/Aufseher ab. Zu den weiteren Modalitäten führt das Departement aus, eine repräsentative Menge Urin sei nötig für die Laboruntersuchung. Die geforderte Minimalmenge verhindere Verfälschungen. So könne die Anstalt zum Beispiel feststellen, ob es sich um körperwarmen und damit frischen Urin handle. Die Urinabnahme erfolge analog den Abnahmen bei Privatärzten, was die Einhaltung der Hygienevorschriften erlaube. Der Beschwerdeführer wusste aufgrund der früher durchgeführten Proben, was ihn erwartete. Auch werden die Urinabnahmen offensichtlich früh genug angekündigt, so dass die erforderliche Menge problemlos beizubringen sein dürfte. Gestützt auf die zitierten Normen durfte die Anstaltsleitung die angedrohte Disziplinierung verfügen. Wie das Verwaltungsgericht richtig festgehalten hat, genügen § 33 des Strafvollzugsgesetzes und § 29 der Hausordnung als rechtliche Grundlage hierfür, auch wenn der Einzelfall der nicht ordnungsgemäss abgegebenen Urinprobe in diesen Bestimmungen nicht explizit erwähnt wird. Das Verwaltungsgericht hat somit die Einschätzung des Departementes, wonach die Beschwerde aussichtslos sei, zu Recht geschützt.
3.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demzufolge abzuweisen. Ebenso ist das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen, da sich die Beschwerde von vornherein als aussichtslos erwies (Art. 152 OG). Es rechtfertigt sich jedoch, im vorliegenden Fall von der Erhebung von Verfahrenskosten abzusehen (Art. 153a Abs. 1 OG). Das Begehren des Beschwerdeführers um vorgängigen Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege wird damit hinfällig.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Dezember 2005
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: