Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2P.218/2005 /ast
Urteil vom 8. Dezember 2005
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
Gerichtsschreiber Schaub.
Parteien
V.X-Y.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Bachmann,
gegen
Stadtrat Luzern, Stadthaus, Hirschengraben 17, 6002 Luzern,
Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern, Bahnhofstrasse 15, 6002 Luzern,
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung, Obergrundstrasse 46, 6002 Luzern.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 27. Juni 2005.
Sachverhalt:
A.
V.X-Y.________ ist Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Am 14. Juni 2000 erhielt sie eine bis zum 14. August 2000 befristete Kurzaufenthaltsbewilligung zur Vorbereitung ihrer Heirat in der Schweiz mit W.X.________. Dessen Vormund verweigerte zunächst seine Zustimmung zur Heirat. Am 20. Oktober 2000 legte das Amt für Migration des Kantons Luzern die Ausreisefrist für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratete V.X-Y.________ auf Ende November 2000 fest. Aufgrund der Heirat mit W.X.________ am 23. Januar 2001 wurde die Ausreiseverfügung am 7. Februar 2001 aufgehoben.
B.
Seit 1. Juli 2000 hatte die Sozialdirektion der Stadt Luzern V.X-Y.________ mit wirtschaftlicher Sozialhilfe von Fr. 13.-- pro Tag unterstützt und zusätzlich die monatliche Miete von Fr. 930.-- übernommen. Am 4. Januar 2001 lehnte sie es ab, die wirtschaftliche Sozialhilfe von V.X-Y.________ rückwirkend ab 1. Mai 2000 auf monatlich Fr. 2'000.-- zu erhöhen.
C.
Die dagegen erhobenen Beschwerden beim Stadtrat von Luzern und beim Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies am 27. Juni 2005 die von V.X-Y.________ erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in der sie die Gewährung von wirtschaftlicher Sozialhilfe in der Höhe von monatlich Fr. 2'000.--, rückwirkend für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis 31. Januar 2001, beantragt hatte, ab, soweit es darauf eintrat. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung hatte es bereits am 13. Januar 2005 abgewiesen.
D.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. August 2005 beantragt V.X-Y.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2005 "vollumfänglich aufzuheben sowie die Sache zur Neubeurteilung im Sinne nachstehend gemachter Begründungen zurückzuweisen". Zudem beantragt sie unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Sie macht eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Rechts auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV) geltend.
Das Verwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt wie die Sozialdirektion der Stadt Luzern, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Angefochten ist ein in Anwendung von kantonalem Sozialhilferecht ergangener, kantonal letztinstanzlicher Entscheid (vgl. Art. 86 OG). Er kann auf Bundesebene nur noch mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (vgl. Art. 84 Abs. 2 OG). Das gemäss Art. 88 OG hierfür erforderliche rechtlich geschützte Interesse ist bei einem Streit über Fürsorgeleistungen nur insoweit gegeben, als dem Betroffenen ein verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Anspruch auf Sozialhilfe zusteht. Das Luzerner Sozialhilfegesetz vom 24. Oktober 1989 (SHG/LU) gewährt - das Erfüllen der allgemeinen gesetzlichen Anforderungen vorausgesetzt - Anspruch auf wirtschaftliche Sozialhilfe (§ 28 Abs. 1 SHG/LU), die das soziale Existenzminimum abdeckt (§ 30 SHG/LU). Die Beschwerdeführerin ist deshalb zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert.
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 124 I 327 E. 4 S. 332). Soweit die Beschwerdeführerin mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt, ist daher darauf nicht einzutreten.
1.3 Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren führt nicht das vorangegangene kantonale Verfahren weiter, sondern stellt als ausserordentliches Rechtsmittel ein selbständiges staatsrechtliches Verfahren dar, das der Kontrolle kantonaler Hoheitsakte unter dem spezifischen Gesichtspunkt verfassungsmässiger Rechte dient (BGE 117 Ia 393 E. 1c S. 395). Die als verletzt erachteten verfassungsmässigen Rechte oder deren Teilgehalte sind zu bezeichnen; überdies ist in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids im Einzelnen darzustellen, worin die Verletzung der angerufenen Verfassungsrechte bestehen soll (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene Rügen (Rügeprinzip), welche soweit möglich zu belegen sind. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe kantonales Recht, namentlich § 5, § 28 Abs. 1 und § 30 Abs. 1 SHG/LU, willkürlich angewendet, indem es für die Gewährung der wirtschaftlichen Sozialhilfe nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin abgestellt habe. Auch verletze das Verwaltungsgericht § 30 SHG und das in Art. 8 BV verankerte Gleichheitsgebot, weil ihre Situation mit derjenigen von vorläufig aufgenommenen Ausländern und Asylsuchenden ohne Aufenthaltsbewilligung nicht zu vergleichen sei.
2.2 Willkür in der Rechtsanwendung liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid nur auf, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Es greift im Übrigen nur dann ein, wenn nicht bloss die Begründung des Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 128 II 259 E. 5 S. 280 f., je mit Hinweisen).
2.3 Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist aufgrund des Individualisierungsprinzips in der Sozialhilfe auf den Aufenthaltsstatus im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung abzustellen. Ergebe sich aus diesem kein längerfristiges Aufenthaltsrecht in der Schweiz, komme der Integrationszweck der Sozialhilfe nicht zum Tragen. Entsprechend könne in einem solchen Fall von den Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) abgewichen werden.
2.4 Die wirtschaftliche Sozialhilfe deckt nach § 30 Abs. 1 SHG/LU das soziale Existenzminimum ab, für dessen Bemessung die Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe wegleitend sind (§ 30 Abs. 2 SHG/LU). Wie das Verwaltungsgericht - von der Beschwerdeführerin unbestritten - ausführte, besteht die Sozialhilfe in der materiellen Existenzsicherung sowie in der sozialen und beruflichen Integration. Besteht für eine Person kein längerfristiges Aufenthaltsrecht in der Schweiz, erscheint es zumindest nicht als willkürlich, ihr im Rahmen der sozialen Nothilfe nur die Mittel für die materielle Existenzsicherung, nicht aber diejenigen für die soziale und berufliche Integration auszubezahlen.
2.5 Ebensowenig legt das Verwaltungsgericht § 30 Abs. 2 SHG/LU willkürlich aus, wenn es die SKOS-Empfehlungen nicht als kantonales Recht auffasst, sondern als Empfehlungen, die im konkreten Fall den Umständen angepasst werden können. Im Übrigen begründet die Beschwerdeführerin nicht, inwiefern sie nach den angerufenen SKOS-Richtlinien Anspruch auf mehr als die von der Stadt Luzern ausbezahlten Mittel haben sollte (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
3.
3.1 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass sich die Beschwerdeführerin in der Zeit von Juli bis Dezember 2000, für die sie rückwirkend eine Unterstützung von monatlich Fr. 2'000.-- verlangt, zunächst während zwei Monaten mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung (L-Bewilligung) und anschliessend vom 15. August 2000 bis 23. Januar 2001 ohne Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz aufgehalten hatte. Die gegen die Beschwerdeführerin erlassene Ausreiseverfügung vom 20. Oktober 2000 wurde erst am 7. Februar 2001, nach ihrer Heirat mit einem Schweizer, aufgehoben. Das Verwaltungsgericht verglich deshalb ihre aufenthaltsrechtliche Situation mit der von vorläufig aufgenommenen Ausländern oder Asylsuchenden ohne Aufenthaltsbewilligung.
3.2 Es erscheint nicht als willkürlich, wenn das Verwaltungsgericht für die Zusprechung von Beiträgen auf den Aufenthaltsstatus im Zeitpunkt der beanspruchten Sozialhilfe abstellt und damit entsprechend der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer der Bedürftigen zwischen dem auf (blosse) Existenzsicherung und dem auf Integration bezogenen Teil der Sozialhilfe unterscheidet.
3.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Unterscheidung zwischen Wohnsitz und Aufenthalt nach Art. 23 ff. ZGB beruft, kann sie daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Namentlich verkennt sie, dass diese zivilrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit § 5 SHG/LU bzw. dem Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1) nur, aber immerhin den Zweck haben zu bestimmen, welcher Kanton für die Unterstützung eines Bedürftigen, der sich in der Schweiz aufhält, zuständig ist (Art. 1 Abs. 1 ZUG). Die Zuständigkeit aber ist von der Stadt Luzern unbestritten. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin in der Stadt Luzern einen zivilrechtlichen Wohnsitz begründet hatte, spielt hier keine Rolle.
3.4 Es ist deshalb auch mit Blick auf das in Art. 8 BV verankerte Gleichheitsgebot (vgl. dazu BGE 131 I 313 E. 3.2 S. 316 f.) nicht unhaltbar, dass das Verwaltungsgericht für die Bemessung der Höhe der Sozialhilfe die Beschwerdeführerin mit Personen verglich, die keine oder nur eine vorübergehende Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz haben. Die Beschwerdeführerin hatte zunächst lediglich eine bis Mitte August 2000 befristete Kurzaufenthaltsbewilligung für ihre Hochzeitsvorbereitung. Mangels Einwilligung des Amtsvormunds des Bräutigams kam es (damals) zu keiner Hochzeit. Eine Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung beantragte die Beschwerdeführerin nicht, sodass sie sich nach deren Ablauf ohne Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz aufhielt. Die Situation der Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitpunkt war somit nicht mit derjenigen von Schweizern oder von Ausländern mit gesichertem Anwesenheitsrecht vergleichbar. Ob sich die Beschwerdeführerin schon früher in der Schweiz aufgehalten hatte, durfte das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Sozialhilfe in der fraglichen Zeit ohne Willkür ausser Acht lassen.
4.
4.1 Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Dieses Grundrecht garantiert nicht ein Mindesteinkommen; verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz zu bewahren vermag (BGE 131 I 166 E. 8.2 S. 181 f. mit Hinweisen).
4.2 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf dieses Recht auf Hilfe in Notlagen beruft, handelt es sich um hier unzulässige appellatorische Kritik. Nicht nur fehlt es an einer belegten Darstellung, warum die ihr gewährte Sozialhilfe (Fr. 13.-- pro Tag plus Übernahme der Mietkosten) nicht für ein menschenwürdiges Dasein ausreichen sollten. Zudem übersieht sie, dass zusätzlich, wenn auch nur gegen entsprechenden Nachweis, die Kosten für Kleider und übrige Auslagen ersetzt worden wären (vgl. Einspracheentscheid der Stadt Luzern vom 30. Mai 2001, E. 5 erster Absatz am Ende). Entsprechende Anträge oder Belege hat die Beschwerdeführerin nicht eingereicht. Die von ihr vorgebrachte Rüge ist deshalb offensichtlich unbegründet.
5.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach abzuweisen. Aufgrund der konkreten Umstände konnte die Beschwerdeführerin nicht ernsthaft mit einem Erfolg ihrer Eingabe rechnen. Die gestellten Rechtsbegehren sind als zum Vornherein aussichtslos zu betrachten (Art. 152 OG); das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolgedessen abzuweisen. Entsprechend dem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Beschwerdeführerin aufzuerlegen, wobei ihrer finanziellen Situation bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen ist (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG ). Auf die Zusprechung einer Parteientschädigung besteht kein Anspruch (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Stadtrat Luzern, dem Gesundheits- und Sozialdepartement und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Dezember 2005
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: