Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6A.42/2005 /ast
Urteil vom 13. Dezember 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Frey,
gegen
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Postfach 568, 8201 Schaffhausen.
Gegenstand
Entzug des Führerausweises,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 24. Juni 2005.
Sachverhalt:
A.
X.________ lenkte am 27. Mai 2001 in D-Engen mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille ein Motorrad. Das Amtsgericht Singen auferlegte ihm am 7. Juli 2001 eine Geldstrafe von DM 4'000.-- und entzog ihm die Fahrerlaubnis für die Dauer von 8 Monaten.
B.
Am 22. August 2003 führte X.________ in Schaffhausen in alkoholisiertem Zustand (2,01 Promille) einen Personenwagen und rammte dabei ein parkiertes Fahrzeug.
Das Verkehrsstrafamt des Kantons Schaffhausen entzog ihm am 4. November 2003 den Führerausweis vorsorglich auf unbestimmte Zeit und ordnete eine verkehrsmedizinische Fahreignungsuntersuchung an. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich (IRMZ) befürwortete am 11. Dezember 2003 die Fahreignung unter der Auflage einer Alkohol-Fahrabstinenz.
Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte X.________ am 18. Mai 2004 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (FiaZ) sowie einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 35 Tagen und Fr. 2'000.-- Busse.
C.
Das Verkehrsstrafamt verfügte am 12. Oktober 2004 gegen X.________ für die beiden Vorfälle einen Führerausweisentzug von 12 Monaten für die Kategorie C und von 18 Monaten für sämtliche anderen Kategorien.
Einen Rekurs gegen diese Verfügung wies der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen am 11. Januar 2005 ab. Eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 24. Juni 2005 ab.
D.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und es sei ihm der Führerausweis der Kategorien C und E für 5 Monate und der übrigen Kategorien für 6 Monate zu entziehen.
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Strassen beantragt, die Beschwerde sei gutzuheissen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens gerügt sowie eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden ( Art. 104 lit. a und b OG ). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat. An die Begründung der Begehren ist es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG).
2.
Gemäss aArt. 33 Abs. 2 VZV richtet sich die Dauer des Warnungsentzugs vor allem nach der Schwere des Verschuldens, dem Leumund als Motorfahrzeugführer sowie nach der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen.
Wird der schweizerische Führerausweis von einer ausländischen Behörde aberkannt, hat der Wohnsitzkanton zu prüfen, ob eine Massnahme gegenüber dem Fehlbaren zu ergreifen ist (aArt. 30 Abs. 4 VZV). Entschliesst sie sich für einen so genannten Nachvollzug der Auslandtat, und tritt ein anderes Massnahmen auslösendes Ereignis hinzu, kommt Art. 68 StGB sinngemäss zur Anwendung. Danach ist von der schwersten Verfehlung unter Beachtung der Mindestentzugsdauer gemäss aArt. 17 Abs. 1 SVG auszugehen und entsprechend dem Verschulden der weiteren Entzugsgründe eine Gesamtmassnahme festzusetzen (BGE 108 Ib 258 E. 2a).
2.1 Im Nachvollzugsverfahren beurteilt die Behörde einen Vorfall, der sich im Ausland ereignet hat, und legt fest, ob eine bzw. welche Massnahme in Bezug auf den schweizerischen Führerausweis angemessen ist. Wird somit erst mit diesem Entscheid die Auslandtat beurteilt, darf dieselbe Tat nicht herangezogen werden, um dem betreffenden Fahrzeuglenker anzulasten, sein automobilistischer Leumund sei getrübt. Dies wäre eine unzulässige Doppelverwertung.
2.2 In der Praxis wird erstmaliges FiaZ bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,01 Promille ohne Berücksichtigung be- und entlastender Faktoren mit 4 bis 5 Monaten Führerausweisentzug geahndet (René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band III, S. 296).
Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer trotz der Verurteilung in Deutschland wegen Fiaz sich erneut in diesem Zustand ans Steuer setzte. Dies rechtfertigt eine Erhöhung der Entzugsdauer um etwa 2 Monate.
Ansonsten gibt es keine Elemente, die den Beschwerdeführer verschuldensmässig zusätzlich belasten würden. Dies gilt auch für das Nichtbeherrschen des Fahrzeugs. Denn die besonderen Umstände (einmaliges Absturztrinken mit 2,01 Promille, massive Verminderung der Zurechnungsfähigkeit und Zusammenstoss mit einem korrekt parkierten Fahrzeug auf einem geraden Strassenstück) machen deutlich, dass der Beschwerdeführer ausschliesslich infolge seiner Trunkenheit sein Fahrzeug nicht mehr beherrschen konnte.
2.3 Im Jahre 2001 lenkte der Beschwerdeführer mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille ein Motorrad. Im Nachvollzugsverfahren ist zu Gunsten des Beschwerdeführers zu veranschlagen, dass der Vorfall im Zeitpunkt der vorinstanzlichen Beurteilung immerhin bereits gut 4 Jahre zurücklag und sich der Beschwerdeführer bis zu jenem Vorfall nichts hatte zuschulden kommen lassen. Zudem wurde ihm dazumal die Fahrerlaubnis für das deutsche Bundesgebiet für die Dauer von immerhin 8 Monaten entzogen. Diese Umstände rechtfertigen lediglich eine leichte Verschärfung der Einsatzmassnahme um etwa 1 bis 2 Monate.
2.4 Der Beschwerdeführer ist als Berufschauffeur, der bei einer Bestätigung der verfügten Entzugsdauer mit der Kündigung seiner Arbeitsstelle rechnen muss (angefochtener Entscheid S. 7 lit. cc), ausgeprägt auf den Führerausweis angewiesen. Deshalb ist die Entzugsdauer merklich herabzusetzen.
2.5 Bei der Beurteilung des bedingten Strafvollzugs erwähnt der Strafrichter unter anderem, positiv seien die Einsicht des Beschwerdeführers und sein Verhalten nach dem Unfall zu werten. Er erwecke den Eindruck, aus dem Vorgefallenen seine Lehren gezogen zu haben. So sei auch glaubhaft, dass er seit dem Unfallereignis eine vollständige Alkoholabstinenz eingehalten habe und auch künftig keinen Alkohol mehr trinken wolle (Strafurteil, S. 8).
Insbesondere die Alkoholabstinenz des Beschwerdeführers macht deutlich, dass bei ihm ein einschlägiger Rückfall eher unwahrscheinlich ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist fraglich, ob eine länger dauernde Massnahme überhaupt notwendig ist. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gebietet nämlich, dass Fahrzeuglenker, die sich bereits gebessert haben, einer weniger einschneidenden Massahme bedürfen als solche, die uneinsichtig sind (BGE 128 II 173 E. 4b S. 178; 124 II 44 E. 1 S. 46).
2.6 Nach dem bisher Gesagten ist die Entzugsdauer von etwa 7 bis 9 Monaten (E. 2.2 und 2.3) angesichts der dringenden Angewiesenheit des Beschwerdeführers auf den Führerausweis (E. 2.4) und seiner Alkoholabstinenz (E. 2.5) herabzusetzen. Jedenfalls würde eine Entzugsdauer, die über die Anträge des Beschwerdeführers (5 bzw. 6 Monate) hinausgehen würde, gegen Bundesrecht verstossen. Da das Bundesgericht auch nicht zu Gunsten der Parteien über bzw. unter deren Begehren hinausgehen darf (Art. 114 Abs. 1 OG), entscheidet es in der Sache selbst und erhebt die Anträge des Beschwerdeführers zum Urteil.
3.
Im Übrigen verstösst auch die vorinstanzliche Anwendung des differenzierten Entzugs gegen Bundesrecht:
Die Dauer des Führerausweisentzugs richtet sich nach den Umständen (aArt. 17 Abs. 1 SVG). aArt. 33 Abs. 2 VZV (E. 2 Abs. 1) umschreibt diese Umstände näher, indem er drei zentrale Zumessungskriterien nennt, darunter die berufliche Notwendigkeit des Fahrzeuglenkers, ein Motorfahrzeug zu führen (Schaffhauser, a.a.O., S. 275 f. N 2427).
Gemäss aArt. 34 Abs. 2 VZV kann unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestdauer der Ausweisentzug je Kategorie oder Unterkategorie für eine unterschiedliche Dauer verfügt werden, sofern der Ausweisinhaber namentlich:
a. die Widerhandlung, die zum Ausweisentzug führte, mit einem Fahrzeug begangen hat, auf dessen Benutzung er beruflich nicht angewiesen ist; und
b. als Führer eines Fahrzeuges der Kategorie oder Unterkategorie, für welche die Entzugsdauer verkürzt werden soll, unbescholten ist.
3.1 Ein solcher differenzierter Entzug ergänzt im Sinne einer möglichen zusätzlichen Milderung die Regel des aArt. 33 Abs. 2 VZV und dient dazu, in Härtefällen das relativ rigide Entzugssystem aufzuweichen (Kathrin Gruber, RDAF 54/1998, La notion d'utilité professionelle en matière de retrait de permis de conduire, S. 241; Schaffhauser, a.a.O., S. 326 N 2463). Ob ein differenzierter Entzug angeordnet werden soll, ist daher erst zu prüfen, nachdem sämtliche Beurteilungsmerkmale zur Bestimmung der Entzugsdauer mitsamt der beruflichen Angewiesenheit auf den Führerausweis angemessen berücksichtigt worden sind. Liegt dann immer noch ein Härtefall vor und sind überdies die Bedingungen der zitierten lit. a und b erfüllt, ist die Entzugsdauer für die beruflich benötigte Kategorie weiter herabzusetzen.
3.2 Die Vorinstanz hat das Beurteilungsmerkmal der Massnahmeempfindlichkeit unmittelbar und ausschliesslich dazu herangezogen, einen differenzierten Entzug festzulegen. Auf diese Weise hat sie den Beschwerdeführer um seinen Anspruch gebracht, dass seine Massnahmeempfindlichkeit bei der Entzugsdauer grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Das vorinstanzliche Vorgehen bewirkt sogar, dass der Beschwerdeführer, der die Voraussetzungen der zitierten lit. a und b erfüllt, gegenüber anderen Fahrzeuglenkern, bei welchen dies nicht der Fall ist, schlechter gestellt wird. So hat ihm die Vorinstanz seine Massnahmeempfindlichkeit auf die nichtberuflichen Kategorien überhaupt nicht angerechnet, während sie anderen Fahrzeuglenkern, bei welchen ein differenzierter Entzug zum vornherein ausgeschlossen ist, deren Massnahmeempfindlichkeit auf sämtliche Kategorien hätte anrechnen müssen.
4.
Zusammenfassend ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen ( Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 24. Juni 2005 aufgehoben; dem Beschwerdeführer wird der Führerausweis der Kategorien C und E für die Dauer von insgesamt 5 Monaten und sämtlicher anderer Kategorien (mit Ausnahme der in Ziff. 2 der Verfügung des Verkehrsstrafamtes vom 12. Oktober 2004 genannten) für die Dauer von 6 Monaten entzogen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Im Übrigen wird die Sache zur Neubeurteilung der kantonalen Verfahrenskosten an die Vorinstanz zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Verkehrsstrafamt und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen sowie dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Dezember 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: