Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
B 85/04
Urteil vom 20. Dezember 2005
I. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Flückiger
Parteien
S.________, 1938, Beschwerdeführerin,
gegen
Pensionskasse X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Sven Marguth, Aarbergergasse 21, 3011 Bern
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 13. August 2004)
Sachverhalt:
A.
Die im Jahr 1960 geschlossene Ehe von S.________ und R.________ wurde im April 2001 geschieden. R.________ (geb. 1929) war bereits am 1. November 1990 frühzeitig pensioniert worden und bezog seither eine Rente der Pensionskasse X.________. Nach der gerichtlich genehmigten Ehescheidungskonvention hatte er S.________ einen lebenslänglichen indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 2600.- pro Monat zu bezahlen.
Im Dezember 2002 verstarb R.________. S.________ verlangte daraufhin von der Pensionskasse X.________ die Ausrichtung einer Hinterlassenenrente in der Höhe des Unterhaltsbeitrages. Die Kasse verweigerte dies und anerkannte lediglich einen Anspruch von Fr. 113.15 pro Monat ab 1. Januar 2003.
B.
S.________ erhob Klage mit dem Antrag, es sei die Pensionskasse X.________ zu verurteilen, ihr ab 1. Januar 2003 einen Betrag von Fr. 2638.90 pro Monat, indexiert (zuzüglich späterer teuerungsbedingter Erhöhungen), zu bezahlen, unter Anrechnung der seit 1. Januar 2003 erbrachten Leistungen von zur Zeit Fr. 133.15 monatlich, zuzüglich Zins zu 5 % pro Jahr seit Klageeinreichung.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Klage ab (Entscheid vom 13. August 2004).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert S.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren.
Die Pensionskasse X.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Im weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge sind die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen des Gesetzes in der Gestaltung ihrer Leistungen, in deren Finanzierung und in ihrer Organisation frei (Art. 49 BVG). Massgebend ist insoweit - innerhalb der durch Gesetz und verfassungsmässige Grundsätze bestimmten Grenzen - insbesondere die autonome Regelung der Vorsorgeeinrichtung, wie sie in deren Statuten und Reglementen festgehalten ist. Die Auslegung dieser Rechtsgrundlagen erfolgt bei privatrechtlich organisierten Einrichtungen nach vertragsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Vertrauensprinzip sowie unter Berücksichtigung der Ungewöhnlichkeits- und Unklarheitsregel (BGE 122 V 146 mit Hinweisen), bei Vorsorgeeinrichtungen des öffentlichen Rechts nach den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln (SVR 1997 BVG Nr. 79 S. 245 Erw. 3c).
1.2 Die Beschwerdegegnerin war ursprünglich eine Vorsorgeeinrichtung des öffentlichen Rechts. Mit öffentlicher Urkunde vom 7. Dezember 1998 wurde sie in eine privatrechtliche Personalvorsorgestiftung nach Art. 80 ff. ZGB überführt. Am 1. Januar 2001 trat ein überarbeitetes Reglement in Kraft. Die Rechtsprechung hat zur zeitlichen Wirkung von Reglementsänderungen den Grundsatz entwickelt, dass vorbehältlich einer anders lautenden Übergangsregelung diejenige Fassung Anwendung findet, welche bei Entstehung des Leistungsanspruchs - bei Hinterlassenenleistungen handelt es sich regelmässig um den Zeitpunkt des Ablebens der versicherten Person - in Kraft war (BGE 128 V 118 Erw. 2 mit Hinweisen). Dieses Prinzip muss auch gelten, wenn die Neufassung des Reglements im Zusammenhang mit einem Wechsel der Rechtsform der Vorsorgeeinrichtung erfolgt. Dementsprechend ist das Reglement der Beschwerdegegnerin für die Zeit ab 1. Januar 2001 nach den für eine privatrechtlich konstituierte Vorsorgeeinrichtung geltenden Grundsätzen auszulegen.
2.
Streitig ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Hinterlassenenrente der Beschwerdegegnerin auf Grund des Todes ihres geschiedenen Ehemannes im Dezember 2002. Anerkannt ist, dass die Beschwerdeführerin die entsprechenden Voraussetzungen (gemäss Art. 19 Abs. 3 BVG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 BVV 2 sowie den reglementarischen Bestimmungen) erfüllt: Ihr war in der Ehescheidungskonvention ein lebenslänglicher Unterhaltsbeitrag zugesprochen worden, und die Ehe hatte deutlich länger als zehn Jahre gedauert. Zu prüfen bleibt dagegen die Höhe der Rente.
3.
3.1 Das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Reglement der Pensionskasse X.________ sieht in Art. 17 eine (geschlechtsneutral ausgestaltete) Ehegattenpension vor. Die überlebende Ehegattin eines pensionierten Mitglieds hat gemäss Art. 17 Abs. 4 lit. b des Reglements Anspruch auf eine Ehegattenpension in Höhe von zwei Dritteln der versicherten jährlichen Invaliden- oder Alterspension, sofern die Voraussetzungen gemäss Art. 17 Abs. 1 erfüllt sind, was unter anderem dann zutrifft, wenn die Ehe mindestens zwei Jahre gedauert hat. Die geschiedene Ehegattin ist laut Art. 17 Abs. 6 Satz 1 der verwitweten gleichgestellt, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat und ihr im Scheidungsurteil eine Rente oder eine Kapitalabfindung anstelle einer lebenslänglichen Rente zugesprochen wurde. Die Pension der geschiedenen Ehegattin entspricht den BVG-Minimalleistungen für die geschiedene Frau (Art. 17 Abs. 6 Satz 2 des Reglements). Vorbehalten bleibt eine Kürzung wegen Überentschädigung nach Art. 17 Abs. 6 Satz 3.
3.2 Art. 17 Abs. 6 Satz 1 des Reglementes stimmt inhaltlich überein mit dem für den Obligatoriumsbereich massgebenden, gestützt auf Art. 19 Abs. 3 BVG erlassenen Art. 20 Abs. 1 BVV 2. Die dort vorgesehene Gleichstellung der geschiedenen Ehefrau mit der Witwe bezieht sich sowohl auf den Anspruchsgrundsatz als auch auf Art und Höhe der Leistungen, während die Anspruchsvoraussetzungen selbstständig definiert werden. Im Gegensatz dazu enthält das Reglement der Beschwerdegegnerin in Art. 17 Abs. 6 Satz 2 zusätzlich eine separate Definition der Höhe des Anspruchs. Daraus wird deutlich, dass sich Satz 1 der Reglementsbestimmung auf den Anspruchsgrundsatz und die Leistungsart bezieht, aber keine Aussage zur Höhe der Leistung enthält - sonst wäre Satz 2 nicht notwendig gewesen -, während Letztere in dem Sinne spezifisch geregelt ist, dass die Pension der geschiedenen Ehegattin (oder des geschiedenen Ehegatten) "den BVG-Minimalleistungen für die geschiedene Frau" entspricht. Was die Auslegung dieser Norm anbelangt, hat die Vorinstanz zu Recht auf den Entscheid BGE 119 V 294 Erw. 6b hingewiesen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht erkannte damals, unter den "in der BVV 2 vorgesehenen Mindest-Leistungen" könnten nur die niedrigsten, die am wenigsten beinhaltenden Leistungen verstanden werden. In gleicher Weise ist auch die vorliegend umstrittene Formulierung zu interpretieren. Demnach beschränkt das Reglement den Leistungsanspruch Geschiedener auf das durch BVG und BVV 2 vorgeschriebene Mass, wobei es insofern über das Obligatorium hinausgeht, als der Anspruch geschlechtsneutral ausgestaltet ist. An diesem Auslegungsergebnis ändern die spezifisch vertragsrechtlichen Interpretationsgrundsätze nichts: Die Regelung ist klar, sodass weder der Rückgriff auf das Vertrauensprinzip ein anderes Verständnis nahe legt noch Raum für die Anwendung der Unklarheitsregel bleibt. Sie ist aber auch nicht im rechtstechnischen Sinn ungewöhnlich. Denn ein Reglement, welches den Anspruch einer Person auf Hinterlassenenleistungen bei Ableben des geschiedenen Ehepartners betragsmässig auf das gesetzliche Minimum für Frauen beschränkt (aber, über dieses hinausgehend, auf beide Geschlechter ausdehnt), trifft keine Regelung, welche dem Charakter des Vorsorgevertrages fundamental widerspräche oder mit welcher vernünftigerweise nicht gerechnet werde müsste.
3.3 Entgegen der Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt sich aus den Urteilen M. vom 22. Mai 2000, B 59/99, und F. vom 15. Januar 2001, B 52/00, nichts Gegenteiliges ableiten. Die damals zur Diskussion stehenden Bestimmungen enthielten die zentrale Wendung, wonach der Anspruch den "Minimalleistungen" nach BVG entspricht, gerade nicht, sodass die erwähnten Entscheide nicht einschlägig sind.
3.4 Zu prüfen bleibt, ob die Reglementsbestimmung in ihrer dargestellten Bedeutung mit der Verfassung, insbesondere dem Rechtsgleichheitsgrundsatz (Art. 8 BV), vereinbar ist. Diese Frage stellt sich einerseits mit Blick darauf, dass die Beschwerdeführerin wegen des Zeitpunkts der Scheidung (nach der Pensionierung des Ehemannes) nicht im Sinne von Art. 122 ZGB einen Teil der während der Ehe erworbenen Austrittsleistung gutgeschrieben erhielt. Andererseits ist zu untersuchen, ob es grundsätzlich zulässig ist, für die "Witwe im engeren Sinn" einerseits und die geschiedene Ehefrau andererseits unterschiedliche Regelungen zu treffen.
3.4.1 Die Ehe der Beschwerdeführerin wurde im April 2001 und damit nach dem neuen Scheidungsrecht geschieden. Dieses trägt dem Umstand, dass nur der erwerbstätig gewesene Ehegatte einen Anspruch auf Leistungen der beruflichen Vorsorge erwerben konnte, durch das Institut des Vorsorgeausgleichs (Art. 122-124 ZGB) Rechnung. Erfolgt die Scheidung vor Eintritt eines Vorsorgefalles, sind die nach den Vorschriften des Freizügigkeitsgesetzes zu ermittelnden, während der Ehedauer erworbenen Austrittsleistungen - unter Vorbehalt eines Verzichts oder Ausschlusses gemäss Art. 123 ZGB - hälftig zu teilen (Art. 122 ZGB). Wäre der Ehemann im Scheidungszeitpunkt noch nicht pensioniert gewesen, hätte die Beschwerdeführerin demnach die Hälfte der während der Ehe erworbenen Austrittsleistung erhalten. Ist dagegen, wie hier, im Zeitpunkt der Scheidung bereits bei einem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so sieht Art. 124 Abs. 1 ZGB eine angemessene Entschädigung vor. Diese tritt an die Stelle der Teilung nach Art. 122 ZGB (vgl. Baumann/Lauterburg, FamKommentar, Bern 2005, S. 200 f., N 2 und 5 zu Art. 124; Grütter/Summermatter, Erstinstanzliche Erfahrungen mit dem Vorsorgeausgleich bei Scheidung, insbesondere nach Art. 124 ZGB, in: FamPra 2002 S. 641 ff., 653 f.; Schneider/Bruchez, La prévoyance professionnelle et le divorce, in: Le nouveau droit du divorce, Lausanne 2000, S. 193 ff., 241 f.). Schuldner der Entschädigung nach Art. 124 ZGB ist der andere Ehegatte, welcher im Gegenzug die auf seinen gesamten Beiträgen berechneten Leistungen der Vorsorgeeinrichtung erhält. Sowohl im Verfahren nach Art. 122 ZGB als auch in demjenigen nach Art. 124 ZGB bleiben die kumulierten Austrittsleistungen der beiden geschiedenen Ehegatten unverändert. Da der Vorsorgeausgleich somit zu keiner zusätzlichen Belastung der beteiligten Vorsorgeeinrichtungen führen kann, lässt sich aus dem Umstand, dass bei der Scheidung eine Teilung der Austrittsleistung gemäss Art. 122 ZGB unterblieb, keine Forderung gegenüber der Beschwerdegegnerin ableiten. Unter anderem wegen dieser Unabhängigkeit der berufsvorsorgerechtlichen Ansprüche rechtfertigt es sich in aller Regel auch nicht, im Hinblick auf eine Geschiedenen-Witwenrente den Vorsorgeausgleich auszuschliessen oder darauf zu verzichten (Baumann/Lauterburg, a.a.O., S. 186, N 31 f. zu Art. 123). Falls die Beschwerdeführerin, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, keine Entschädigung nach Art. 124 ZGB zugesprochen erhielt, mag dies allenfalls - was hier nicht zu prüfen ist - aus zivilrechtlicher Sicht unkorrekt sein (vgl. Baumann/ Lauterburg, a.a.O., S. 189, N 43 zu Art. 123). Dies hat aber die Beschwerdegegnerin nicht zu entgelten.
3.4.2 Die Rechtsordnung behandelt verheiratete und geschiedene Personen in einer ganzen Reihe von Bereichen unterschiedlich, so beispielsweise mit Bezug auf das Unterhaltsrecht (Art. 163 ff. gegenüber Art. 125 ff. ZGB) oder das Erbrecht, wo die Witwe bzw. der Witwer ein gesetzliches Erbrecht hat (Art. 462 ZGB), der geschiedene Ehegatte dagegen nicht (Art. 120 Abs. 2 ZGB). Auch für den hier interessierenden Bereich der beruflichen Vorsorge ist eine unterschiedliche Regelung in Art. 19 BVG angelegt. Aus diesen Beispielen lässt sich ableiten, dass die Gesetzgebung eine Unterscheidung, welche an den Status "verheiratet" oder "geschieden" anknüpft, als prinzipiell zulässig erachtet. Die Bestimmung im Reglement der Beschwerdegegnerin, welche die Ansprüche der geschiedenen Ehefrau betragsmässig auf das BVG-Obligatorium beschränkt, lässt sich sachlich begründen und erweckt aus verfassungsrechtlicher Sicht keine zusätzlichen Bedenken. Sie ist deshalb als rechtsgültig anzusehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Differenz zwischen dem Anspruch der Witwe und jenem der geschiedenen Ehefrau massiv ausfallen kann, wenn die versicherte Person, wie hier, nach der Einführung des Obligatoriums per 1. Januar 1985 nur eine relativ kurze Aktivitätsdauer verzeichnete.
4.
Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf diejenige Rente, welche ihr nach BVG zusteht. Den entsprechenden jährlichen Betrag hat die Beschwerdegegnerin gestützt auf die Art. 13 Abs. 2, 14, 15 und 21 Abs. 2 BVG sowie Art. 20 Abs. 1 BVV 2 korrekterweise auf 60 % (Höhe der Witwenrente) von 6,4 % (Umwandlungssatz) des BVG-Alterskapitals von Fr. 41'616.- beziffert. Damit resultiert eine monatliche Rente von Fr. 133.15.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 20. Dezember 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: